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Kapitel 2
You’re a Good Soldier, Choosing Your Battles

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In diesem Kapitel stürzt sich Clarisse ins Feld und beobachtet PUAs in ihrer natürlichen Umgebung. Einer von ihnen entwickelt ein besonderes Interesse an ihr, woraus ein extrem unterhaltsamer Machtkampf entsteht. Außerdem werden die Theorien des feindlichen Flirtens und der strategischen Doppeldeutigkeit beleuchtet.

Der Titel dieses Kapitels stammt aus dem Lied Waka Waka (Time for Africa) von Shakira und Freshlyground.

Auch im Ausland ließen mich die PUAs nicht los und ich verbrachte viel Zeit damit, sie im Internet zu recherchieren. Obwohl ich sie nach wie vor ziemlich mies fand, war ich trotzdem fasziniert.

Nach meiner Rückkehr beschloss ich, die Pick-up-Artistry selbst zu erforschen. Schließlich wollte ich kein »Keyboard ­Jockey« sein (der PUA-Begriff für jemanden, der die Theorien kennt, aber nie in die Tat umsetzt). Meine Feldforschung dauerte mehrere Monate und fand in meiner Heimatstadt Chicago und in meiner Lieblingsstadt San Francisco statt. Mit »Feldforschung« meine ich eine Mischung aus Spaß und Wahnsinn. Viele Kontakte stellte ich über Hugh Ristik und James Amoureux her, andere fand ich online oder durch puren Zufall.

Mein erstes Treffen mit einer PUA-Gruppe sollte in einem Goth Club stattfinden. Ich war hocherfreut; Goth Partys sind meine Stärke. Ich zitterte fast vor Aufregung, als ich mich in ein Korsett und schwarze Stiefel schnürte. Ich war berauscht von dem Gedanken, das Game auf dem Spielfeld eines Nachtclubs zu beobachten. Mir war noch nicht bewusst, dass ich genau das tat, was PUAs so oft mit Frauen machen: Ich betrachtete diese Kerle in erster Linie als Objekte.

• • •

»Gegensätze ziehen sich an« – an diesem Sprichwort ist viel dran. Wenn mein Partner mich beim SM beispielsweise so sehr kratzt, dass es Spuren auf meiner Haut hinterlässt, fühlt es sich unfassbar intensiv an, wenn er direkt danach die Kratzer ganz sanft berührt.

Menschen sind ständig auf der Suche nach Abwechslung und Unvorhersehbarkeit. Das zeigt auch ein Versuch von Dr. Arthur Aron, über den die New York Times 2008 berichtete:

In einigen Experimenten wurden Paare vor eine monotone Aufgabe gestellt. Sie sollten einfach nur in einem Raum hin- und herlaufen. Andere Paare bekamen eine anspruchsvollere Aufgabe ­­– ihre Hand- und Fußgelenke wurden zusammengebunden und sie mussten auf allen vieren einen Ball vor sich herschieben. Vor und nach den Übungen wurden den Paaren Fragen gestellt, wie zum Beispiel: »Wie gelangweilt sind Sie in Ihrer jetzigen Beziehung?« Die Paare mit der anspruchsvolleren Aufgabe verzeichneten verbesserte Werte in den Bereichen von Liebe und Zufriedenheit, während sich bei den Paaren mit der stumpfsinnigen Aufgabe keine bemerkenswerten Veränderungen zeigten. 1

PUAs betonen häufig die Wichtigkeit der »glaubwürdigen Bestreitbarkeit« beim Flirten. Das bedeutet, dass man immer so tun kann, als ob man eigentlich gar nichts von der anderen Person will. Viele PUAs (und viele andere Leute) ziehen es vor, während des Flirtens nie offen auszusprechen, dass irgendjemand an Sex interessiert ist … obwohl es am Ende natürlich offensichtlich ist.

Aber Sicherheit ist den meisten Menschen ebenfalls wichtig. Zu viel Kontrast, Unvorhergesehenes oder Neues hält keine Beziehung aus. Es ist spannend, jemanden kennenzulernen, der neue Perspektiven eröffnet, aber wenn er eine komplett andere Sprache spricht, ist Kommunikation unmöglich. Ich mag zwar auf SM stehen, aber selbst ich möchte nicht zu sehr verletzt werden.

PUAs unterscheiden zwischen zwei Arten des Games: »direktes« und »indirektes«. Das indirekte Game ist quasi glaubwürdige Bestreitbarkeit hoch zehn. Es ist wie in einer romantischen Komödie: Keiner gibt zu, was passiert, bis das Paar sich endlich küsst und ins Bett fällt. Im Gegensatz dazu werden beim »direkten Game« von Anfang an deutliche und offene Signale gegeben, wie zum Beispiel die Aussage: »Übrigens, ich finde dich total sexy.«

Ich wünschte, ich könnte sagen, dass direktes Game mein Spezialgebiet ist, weil Ehrlichkeit mir unglaublich wichtig ist. Ich bemühe mich, in meinen Beziehungen so direkt und offen wie möglich zu kommunizieren. Aber auch indirektes Flirten hat etwas sehr Reizvolles für mich.

Für diese Art des Flirtens habe ich mir den Ausdruck »strategische Mehrdeutigkeit« einfallen lassen. Für mich beschreibt es das Wechselspiel aus Kontrast, Herausforderung, Unvorhersehbarkeit und Neuem. Für viele Leute ist genau diese pikante Mischung der Reiz beim Flirten.

Ein Weg, diese strategische Mehrdeutigkeit zu erschaffen, ist durch herausforderndes, sogar feindseliges Flirten. Pick-up-Artistry hat zu diesem Thema die besten Theorien. Die bereits erwähnten Negs sind ein milde Version davon. Ein weiteres Beispiel ist das Konzept der »Shit Tests«. Das sind nicht ernst gemeinte Tests (meist in Form von Fragen), die das Verhalten des Gegenübers auf die Probe stellen sollen.

Die meisten PUAs erklären dieses Konzept anhand der Behauptung, dass »alle Frauen« es Männern absichtlich schwer machen, um zu sehen, wie dominant sie reagieren. Wenn der Mann den Test nicht besteht, dann hat er das Spiel im Grunde schon verloren.

Hier ein paar Beispiele dafür, was in den Augen mancher PUAs ein Shit Test ist:

• »Du bist nicht gerade schlau.«

• »Bist du ein Aufreißer?«

• »Was studierst du?« oder »Womit verdienst du dein Geld?«

• »Sorry, ich habe deinen Anruf verpasst, ich war unter der Dusche.«

• »Woran denkst du gerade?«

• »Ich will nicht mit dir schlafen.«

Normalerweise raten die PUAs sich gegenseitig, diese Shit Tests zu ignorieren, die Frau verbal niederzumachen oder das, was sie gesagt hat, in einen lustigen, unerwarteten oder frechen Zusammenhang zu bringen. Wenn sie zum Beispiel sagt: »Du bist zu jung«, dann erwidert er vielleicht: »Keine Sorge, ich bin absolut volljährig.« Wenn sie sagt: »Ich will nicht mit dir schlafen«, dann soll er das ignorieren und mit dem Verführungsprozess weitermachen.

Trotz der offensichtlichen Problematik ist in dieser Theorie auch ein Fünkchen Wahrheit enthalten. Das »Reframing« (die Übertragung einer Äußerung in einen neuen gedanklichen Rahmen) ist oft extrem komisch und macht beiden Seiten Spaß. Viele Leute mögen es, ein wenig spöttisch zu sein und auf Trab gehalten zu werden, solange die Situation nicht zu ernst wird.

Ich kenne allerdings viele Frauen (und Leute anderer Geschlechter), die ganz anders flirten. Auch ich selbst flirte nur dann so, wenn ich merke, dass der Typ darauf steht. Und ich würde nicht sagen, dass ich dabei »seine Dominanz teste«. Aber ich habe gemerkt, dass ich in jüngeren Jahren wesentlich aggressiver geflirtet habe – bevor ich mit SM anfing. Es ist fast so, als ob ich feindseliges Flirten durch SM ersetzt hätte. Dank SM bevorzuge ich nun Männer, die sicher kommunizieren anstatt aufregend. Diese Fähigkeit ist für guten SM (und auch guten Sex) einfach notwendig. Das führt mich zu der Vermutung, dass feindseliges Flirten und SM teilweise dieselben tief liegenden menschlichen Triebe berühren. Beides ist im Sinne der strategischen Mehrdeutigkeit aufregend.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der strategischen Mehrdeutigkeit ist die nonverbale Kommunikation. Nehmen wir an, ich sage zu einem Mann: »Bist du ein Aufreißer?«, und er erkennt die Herausforderung in meiner Frage und liefert mir eine Antwort wie: »Ja, und du würdest super in meinen Harem passen«, dann demonstriert er damit, dass er meine nonverbalen Kommunikationssignale verstehen kann.

Das Problem ist, dass manche PUAs jede Zurückweisung und jede Frage als Shit Test betrachten. Wenn ein PUA auf keine Fragen eingeht und keine Aussage der Frau ernst nimmt, ist das überhaupt nicht in Ordnung. Es ist möglich, dass eine Frau die Frage »Bist du ein Aufreißer?« nicht deswegen stellt, weil sie flirten will. Möglicherweise ist sie unsicher, verwirrt oder fühlt sich ausgeliefert.

Ein noch besserer sogenannter Shit Test ist: »Woran denkst du gerade?« Die meisten Menschen würden diese Frage als Versuch sehen, jemand anderen zu verstehen und eine Verbindung herzustellen. Aber ein PUA der Darth-Vader-Kategorie suggeriert:

Antworte »Gedanken sind heilig« und ändere schnell das Thema, damit es nicht so aussieht, als würdest du versuchen, tiefgründig zu wirken. Ich habe das aus einem Fellini-Film geklaut. Ich habe es an verschiedenen Frauen ausprobiert und es funktioniert ganz ausgezeichnet. 2

(Dieser Artikel wurde von einer Leserin kommentiert, die fragte: »Was ist, wenn er fragt, woran ich gerade denke?« Ein männlicher Kommentator antwortete: »Wenn er dich das fragt, ist er schwul. Ergo … dein Freund ist schwul!«)

Es ist sehr wichtig, an dieser Stelle eines klarzustellen: Wenn jemand jede Grenze, die ein Partner setzt, ignoriert oder jede Unstimmigkeit verneint, ist das ganz klar eine missbräuchliche Beziehung. Eine solche Person ist respektlos und niemals vertrauenswürdig. Studien zum Thema Missbrauch3 ergaben, dass die Täter oft versuchen, die Reaktionen und Gefühle des Opfers zu minimieren und abzustreiten oder dem Opfer selbst die Schuld zu geben. Mit anderen Worten: Missbrauchstäter behandeln alles, was ihre Opfer sagen, als Shit Tests.

Der Blogger Hugh Ristik schrieb einmal: »Jede Kritik an der PUA-Community wurde zuerst von einem PUA gemacht.« So beschreibt PUA-Coach Mark Manson in seinem Blog das Phänomen der »Shit-Test-Paranoia«:

Achtzig Prozent aller sogenannten »Shit Tests« sind überhaupt keine. […] Das Konzept schadet meiner Meinung nach mehr, als es nutzt, und kann in Männern eine defensive Denkweise erzeugen: die Vorstellung, dass ein Hindernis überwunden und besiegt werden muss, anstatt es zu akzeptieren und zu verstehen. 4

In »Fünf Arten, mit den Tests der Frauen umzugehen«, einem weiteren Blogeintrag von Mark Manson, steht unter Punkt fünf: »Hab keine Angst, einen Fehler zuzugeben oder dich zu entschuldigen. Wenn du es wirklich komplett verkackt hast, kannst du es ruhig zugeben.« Mit anderen Worten, Mark findet, dass eine Frau, die ihre Frustration über das schlechte Verhalten eines Mannes ausdrückt, es verdient hat, eine Entschuldigung zu erhalten, anstatt ignoriert zu werden. Es ist ganz schön deprimierend, dass meine Standards so weit gesunken sind, dass ich mich so darüber freue.

Um ernst gemeinte Fragen von Shit Tests unterscheiden zu lernen, ist praktische Erfahrung notwendig. Die besten PUAs wissen, dass man nonverbale Kommunikation, wie zum Beispiel »kino Eskalation« (der Begriff kommt von »Kinästhetik« und bezeichnet den Einsatz von Körpersprache beim Flirten), am besten durch Beobachtung lernt.

Obwohl ich eine fanatische Feministin bin, bin ich dennoch bereit zu glauben, dass es eine Minderheit von Leuten gibt, die »nein« zu Sex sagen und dabei »ja« meinen. Es gibt sogar eine Studie, die besagt, dass in den USA 15 Prozent der Leute das häufig tun.5 Das bedeutet allerdings, dass 85 Prozent der Leute »nein« meinen, wenn sie »nein« sagen. Vielleicht ist in einem bestimmten Umfeld (zum Beispiel in Clubs) die Prozentzahl höher und PUAs sind deswegen so überzeugt davon, dass es andauernd vorkommt. Aber es ist offensichtlich, wie gefährlich es ist, Männern beizubringen, das »Nein« einer Frau durchweg zu ignorieren.

• • •

Mein Kleid war leuchtend rot, meine Korsage schwarz. Ich trug Netzstrumpfhosen, lange Opernhandschuhe und eine absurde Menge an Eyeliner. Ich befand mich in einem Goth Club, umringt von PUAs.

Es war ein sehr gemischter Haufen. Ein maskuliner Typ mit markantem Kinn hatte sich Goth-Klamotten leihen müssen, um in den Club zu passen. Ein umwerfend aussehender, offensichtlich devoter Typ in Frauenklamotten hatte sich kunstvoll herausgeputzt und seine Plateauschuhe mit einem knappen Minirock kombiniert. Ich war unglaublich neugierig darauf, was diese unterschiedlichen Typen motivierte ­– aber wie bei James Amoureux war da noch etwas mehr, das mich anzog. Mein Herz raste vor Aufregung, als ich mich ihnen vorstellte.

Ich spürte schnell, dass sich mit meiner Aufregung auch meine Gehässigkeit steigerte. Und diese Typen fuhren darauf ab. Sie wollten dramatische Frauen – kein Wunder, dass solche Männer Konzepte wie Shit Tests lieben.

Als ein PUA nach einer kurzen Unterhaltung zu mir sagte: »Ich gehe tanzen«, zuckte ich mit den Schultern und antwortete: »Gut, ich werde dich nicht vermissen.«

»Du bist gemein«, sagte er, lachte und blieb. Wer testete hier wen?

Viele PUAs behaupten, sie würden das Game nur lernen, weil ihnen die Frauen keine andere Wahl ließen. Aber ich habe den Verdacht, dass die meisten PUAs Frauen wollen, die das Spiel mitspielen. Ich frage mich, wie viele Frauen lernen, Shit Tests durchzuführen, weil Männer darauf stehen.

Irgendwann schickte ich den Typen auf die Tanzfläche und bahnte mir den Weg zur Bar. Dort gesellte sich ein PUA-Trainer namens David zu mir, der sich offensichtlich gegen den Goth-Look entschieden hatte und stattdessen einen strassbesetzten lavendelfarbenen Anzug zur Schau trug. (PUAs bezeichnen das Tragen auffälliger Kleidung als »Peacocking«, was in erster Linie von der berühmten Mystery Method empfohlen wird.)

David war nicht mein Typ, aber sein Status als PUA weckte meine Neugier. Als er mich von der Bar wegführen wollte, damit wir uns oben hinsetzen konnten, erwiderte ich: »Ein Freund von mir schuldet mir einen Drink, aber er ist noch nicht rübergekommen.« Das stimmte sogar tatsächlich. »Ich würde dich ja bitten, mir einen auszugeben, aber ich weiß, dass PUAs so etwas nicht machen sollen.«

»Das stimmt so nicht …«, sagte David. »Also, wir sollen nicht … Ach, vergiss es, es ist zu kompliziert. Was hättest du denn gern?«

Glücklicherweise sind die meisten Regeln der PUAs flexibel. Die Vorschrift »Gib keine Getränke aus« bedeutet nicht, dass man niemals irgendjemandem einen ausgeben darf. Es geht vielmehr darum, sich zu versichern, dass die Frau tatsächlich interessiert ist, bevor man sie einlädt. So schützt man sich davor, ausgenutzt zu werden.

Später saß ich mit vier PUAs zusammen, nippte an meiner Rum-Cola und stellte dabei endlose Fragen über Workshops, Taktiken und persönliche Erfahrungen. Plötzlich tauchte ein Bekannter von mir auf, der kein PUA ist. Er sah mich, zog mich beiseite und fragte, was zum Teufel ich machte.

»Ich interviewe Pick-up-Artists!«, antwortete ich fröhlich.

Er lachte lauthals. »Das Zeug funktioniert doch gar nicht. Dir ist klar, dass das totaler Mist ist, oder?«

»Ist das so?«, fragte ich.

»Sie versuchen nur, dich zu manipulieren. Aber vielleicht ist es ja genau das, was du willst. Willst du manipuliert werden?«

Ich lächelte. »Was denkst du denn?«

»Es hängt davon ab, wer dich manipuliert, nicht wahr?«, fragte er.

Ich nickte.

»Du bist so leicht zu durchschauen«, sagte er mit einem verächtlichen Grinsen.

Wenn Pick-up nicht funktioniert, warum hast du mich gerade »genegt«? Ich erwog kurz, ihm diese Frage zu stellen, entschied mich aber dagegen. Ich lachte und sagte: »Ich sollte wieder zurückgehen.«

Der etwas deplatzierte PUA mit dem markanten Kinn saß ein wenig abseits von allen anderen. Ich setzte mich neben ihn. »Nicht so deine Szene hier, was?«

»Nicht wirklich«, gestand er.

»Könntest du hier trotzdem Telefonnummern kriegen?«, fragte ich spitzbübisch.

»Klar«, antwortete er gereizt.

»Könntest du die Nummer von jeder Frau hier im Club kriegen?«

»Ja.«

»Was ist mit der da?« Ich zeigte auf eine Frau, die in einer Ecke mit jemandem rumknutschte.

»Das ist unfair«, protestierte er.

»Du hast gesagt, von jeder.« Ich versuchte, Enttäuschung vorzuspielen, musste aber lachen. Dieser Abend lief fantastisch. »Okay, wie sieht es mit der da aus?« Diesmal zeigte ich auf eine Blondine, die in einer Gruppe von Leuten stand.

»Definitiv«, sagte er.

»Tja, das musst du jetzt beweisen«, sagte ich. Er stand auf. Ich setzte mich wieder neben David. »Dein Kumpel sagt, dass er die Nummer von jeder Frau hier bekommen kann.«

»Keine gute Idee«, sagte David. »Das würde ich nicht behaupten.«

»Warum nicht?«

»Es ist unmöglich, dass jede Frau auf dich abfährt. Einige Frauen sind vielleicht einem anderen Mann treu oder du bist einfach nicht ihr Typ. Es ist wichtig, nach Frauen Ausschau zu halten, die positiv auf dich reagieren, und die dann anzumachen. Alles andere ist reine Zeitverschwendung.«

Ein anderer PUA kam zu uns, um sich seine Jacke zu holen. »Was?«, rief ich und hielt seine Hand fest. »Du willst mich schon verlassen? Geh nicht! Ich habe doch noch gar nicht mit dir geredet!«

Er lachte. »Was möchtest du denn wissen?«

Ich versuchte, mir schnell eine gute Frage einfallen zu lassen. »Was gefällt dir an der Pick-up-Artistry?«

»Pick-up lässt mich ausdrücken, wer ich bin«, sagte er ernsthaft. Verdammt, dachte ich. Über diese Antwort werde ich bestimmt eine Weile nachdenken. Ich ließ seine Hand los. David und ich schauten ihm hinterher.

»Er ist wirklich ein netter Kerl«, sagte David sanft. »Einer meiner ehemaligen Schüler. Ich glaube allerdings, dass ich an ihm gescheitert bin. Wenn man einen neuen PUA kreiert, möchte man, dass am Ende eine Mischung aus nettem Typen und Arschloch dabei herauskommt. Er ist einfach zu nett geworden.«

»Ich mag ihn«, sagte ich. »Ich hätte mich gern mehr mit ihm unterhalten.«

David sagte dazu nichts. Kurz darauf stand ich auf, um zu tanzen, und er kam mit.

• • •

Der PUA mit dem markanten Kinn hatte keinen Erfolg bei der Blondine. Er gestand es mir mit niedergeschlagenem Gesichtsausdruck; ich gab ihm meine Nummer. Er hat nie angerufen.

Die meisten der PUAs gingen gegen ein Uhr, bis auf David und mich. Irgendwann fragte er mich: »Hast du Lust, etwas essen zu gehen?«

»Klar«, sagte ich und wir verließen den Club gemeinsam. Auf dem Weg nach draußen trafen wir einen Freund von mir, der David streng musterte. »Bring sie sicher nach Hause«, sagte er.

»Natürlich«, antwortete David freundlich.

Wir stiegen in Davids Auto. Innerhalb von zehn Minuten waren wir in einer Gegend, in der es definitiv keine 24-Stunden-Restaurants gab. »Wo wollen wir denn essen?«, fragte ich. Dann fiel mir wieder ein, mit wem ich hier im Auto saß. »Fahren wir etwa gerade zu dir nach Hause?«, fragte ich.

»Ja«, sagte er und lachte.

Ich konnte nicht anders, ich musste auch lachen. »Ich habe gelesen, dass ihr so was abzieht«, sagte ich, »aber ich kann es nicht fassen, dass du mich nach Hause mitnimmst, ohne mich überhaupt zu fragen. Dir ist klar, dass ich PUA-Texte gelesen habe, oder? Hör mal, ich werde nicht mit dir schlafen, verstehst du?«

David winkte ab. »Es gibt so viele verschiedene Definitionen von Sex«, sagte er.

Er denkt, das ist ein Shit Test, dachte ich.

»Ernsthaft«, sagte ich. »Ich werde nicht mit dir schlafen.«

Er wechselte das Thema. Ich konnte nicht wirklich sagen, ob er das Ganze immer noch für einen Shit Test hielt. Ich machte schnell eine Art geistige Bestandsaufnahme: Ich war wach und stand nicht unter Drogeneinfluss. Einer meiner Freunde hatte gesehen, wie ich mit David den Club verlassen hatte. David war aufdringlich, aber ich fühlte mich nicht bedroht. Trotzdem … »Ich weiß nicht, ob ich dir vertrauen sollte«, sagte ich laut.

»Wir haben uns über einen guten Freund von mir kennengelernt«, sagte er. »Ich würde keinen Mist mit dir abziehen.«

Social Proof, dachte ich. »Social Proof« (»Sozialer Beweis«) ist eigentlich ein ziemlich weit gefasster Begriff aus der Soziologie. Bei den PUAs bezeichnet er das Konzept, »durch andere Leute zu zeigen, dass man ungefährlich, lustig und/oder sexy ist«. Als ich das erste Mal von James hörte, gab mein Freund ihm unabsichtlich einen Social Proof, indem er mir davon erzählte, was für einen charismatischen Eindruck James auf ihn gemacht hatte. James bekam einen weiteren Social Proof, als meine Bekannte aus SM-Kreisen ihn mit der Höchstnote im Bett bewertete.

Aus diesem Grund versuchen viele PUAs, die Freunde ihres Targets zu beeindrucken, bevor sie die Frau selbst in Angriff nehmen. Manchmal bedeutet das, dass ein meisterhafter PUA mit einem »hässlichen Warzenschwein« flirtet, um eine wunderschöne HB8 zu erbeuten. Aber manchmal bedeutet es auch, dass er einfach alle um sich herum begeistert und unterhält.

David weist mich darauf hin, dass er das Vertrauen von jemandem hat, den ich bereits kenne … und das entspricht zufälligerweise der Wahrheit. Ich beschloss, mit ihm nach Hause zu gehen und abzuwarten, wie er sich verhalten würde. Ich fühlte mich wie eine Anthropologin auf Entdeckungsreise im Dschungel.

Davids Wohnung war ein Meisterstück der Pick-up-Artistry. »Wir können nicht im Wohnzimmer sitzen«, sagte er, sobald wir eingetreten waren. »Mein Mitbewohner schläft und wird aufwachen, wenn wir hier reden.« Selbstverständlich war sein Schlafzimmer die einzige andere Option. Und selbstverständlich gab es dort außer dem großen Bett keine Sitzgelegenheit.

»Ich dachte, wir wollten etwas essen«, sagte ich.

»Ach ja«, antwortete David und kramte einen angenagten Schokoriegel hervor.

Ernsthaft?, dachte ich. Es war eine unglaublich billige Tour. Trotzdem fand ich die ganze Situation eher unterhaltsam als abschreckend. David streckte sich auf der einen Seite des Bettes aus. Ich setzte mich auf die andere Kante, so weit weg von ihm wie möglich.

»Erzählst du mir ein paar PUA-Geschichten?«, fragte ich ihn und er legte los.

Die meisten PUAs unterteilen den Prozess der Verführung in verschiedene Abschnitte. Die Rahmenbedingungen variieren, aber die folgenden Schritte sind meistens darin enthalten:

Phase 1: Attraktion – Der PUA sorgt dafür, dass die Frau ihn attraktiv findet oder wenigstens respektiert.

Phase 2: Qualifikation – Er vermittelt ihr das Gefühl, dass sie sich seine Aufmerksamkeit verdienen muss und dass er an mehr interessiert ist als nur an ihrem Äußeren.

Phase 3: Vertrauen – Der PUA sorgt dafür, dass sie sich wohlfühlt und sich bei ihm entspannt.

Die Attraktionsphase übersprang David bei mir komplett. Er brachte mich auch nicht dazu, mich qualifizieren zu wollen – wenn, dann war es andersrum. Aber immerhin war er im Bereich des Vertrauens erfolgreich – zumindest so weit, dass ich auf seinem Bett saß und seinen PUA-Geschichten lauschte.

David erzählte mir in dieser Nacht viele Geschichten. Mir gefiel eine Anekdote mit seinem Mitbewohner am besten, der einmal eine Frau mit nach Hause nahm und mit ihr schlief. Danach wollte er eine Zigarette rauchen. Im Wohnzimmer trafen die beiden auf David und fingen ein Gespräch an. Nach ein paar Minuten sagte der Mitbewohner zu David auf Deutsch (eine Sprache, die die Frau definitiv nicht beherrschte): »Alter, ich glaube, sie steht auf dich.«

»Hast du was dagegen?«, fragte David ebenfalls auf Deutsch.

»Nicht im Geringsten«, sagte der Mitbewohner, ging raus, um seine Zigarette zu rauchen, und ließ David zurück, um die Frau zu verführen.

»Es war nicht besonders schwer«, sagte David fröhlich. »Sie fuhr total drauf ab.«

Ich machte David ein Kompliment für ein paar schöne Kerzen in seinem Zimmer.

»Oh, gefallen sie dir?«, fragte er. »Ich habe eine ganze Kiste davon. Du kannst gern welche haben! Dieses eine Mädel ist mir mal nach Hause gefolgt. Sie hatte einen Riesenkarton Kerzen dabei, den sie am nächsten Morgen aus Versehen hier vergessen hat.«

»Warum hast du sie nicht angerufen, um ihn zurückzugeben?«

»Ich hatte ihre Nummer nicht.« In einem etwas ernsteren Ton fügte er hinzu: »Ich lasse mir nie die Nummer einer Frau geben, wenn ich nicht vorhabe, sie anzurufen.«

Ich hatte den Eindruck, dass das für ihn eine moralische Grenze war. Einerseits ergibt das Sinn: Sich von einer Frau die Nummer geben zu lassen, ohne sie anrufen zu wollen, ist heuchlerisch. Andererseits ist es auch ganz schön kaltherzig, mit jemandem zu schlafen und dann nie wieder miteinander zu reden. Ich fragte mich, ob dieses Mädchen die Kerzen vielleicht mit Absicht dort gelassen hatte. (Ja, ich habe ein paar Kerzen mitgenommen. Meine Mutter war begeistert von ihnen.)

Dann gab es noch die Geschichte von der Frau, die an einem PUA-Vortrag teilnahm und in der gleichen Nacht mit drei PUAs schlief … Ich musste zugeben, dass es Spaß machte, mit David zu reden. Nach einer Stunde war ich es leid, auf der Matratzenkante auszuharren, und wagte es, mich hinzulegen. Ich ließ immer noch einen Meter Sicherheitsabstand zwischen uns, aber trotzdem dauerte es nicht mal eine Sekunde, bis er an mir dran klebte.

»Lass das«, sagte ich und er zog sich zurück. »Pass auf«, sagte ich. »Ich werde wirklich nicht mit dir schlafen. Ich möchte einfach nur mit dir reden. Außerdem sollte ich bald gehen, es ist schon spät.«

»Quatsch! Du übernachtest hier«, sagte David bestimmt. »Ich fahr dich morgen früh nach Hause.«

»Nein, ich gehe heute Nacht nach Hause«, sagte ich.

Und wieder wechselte er das Thema. Ich fragte mich, ob es gut war, ihm das durchgehen zu lassen, aber scheinbar nahm er meine Einwände sowieso nicht ernst.

Wir redeten bis fünf oder sechs Uhr morgens. Er lag weiterhin neben mir. Ich wies weiterhin jeden seiner Annäherungsversuche zurück. Wann immer ich sagte, dass ich gehen wollte, versuchte er, mich zu überreden, bei ihm zu übernachten. Schließlich sagte ich: »Dann laufe ich einfach.«

»Dafür brauchst du Stunden!«

»Na, dann pass mal auf. Ich weiß ziemlich sicher, wie ich von hier nach Hause komme. Außerdem können die öffentlichen Verkehrsmittel nicht weit sein.«

»Na gut, okay, ich fahre dich nach Hause.«

Die Sonne ging gerade auf, als wir durch die Stadt fuhren. Das Gespräch drehte sich jetzt um meine Arbeit als Autorin und meine Ansichten über Sex und Sexualität. Ich rede oft über Sex in einer intellektuellen, wenig erotischen Sprache. In der SM-Community ist das so üblich. Aber David ließ keinen Zweifel daran, dass ihn die Unterhaltung total anmachte. Ich hatte nicht vorgehabt, ihn zu necken – ehrlich nicht –, aber als wir fast bei meiner Wohnung angekommen waren, sah ich David an. Seine Stimme war heiser geworden und sein Blick vielsagend.

Ich fühlte mich nicht zu ihm hingezogen. Ich hatte nicht die geringste Intention, mit ihm zu schlafen. Wäre er kein PUA gewesen, hätte ich ihn weiterhin auf Abstand gehalten. Aber irgendetwas an der Pick-up-Artistry war so unglaublich anziehend … Ich beugte mich rüber und küsste ihn. Er stöhnte.

Ich wusste, dass der Nervenkitzel, den ich spürte, ein Machttrip war. Ich bin mir absolut bewusst, dass Macht für mich ein Fetisch ist, und in diesem Moment wurde mir klar, dass meine Gefühle gegenüber den PUAs wirklich sehr viel mit meinen sadomasochistischen Gelüsten gemeinsam hatten. Aber es gab einen Unterschied: Wäre das hier ein SM-Psychospiel gewesen, hätten wir es im Vorfeld ausdrücklich besprochen. Ich hätte versucht, die Gefühle aller Beteiligten zu respektieren.

Im Gegensatz dazu stieg ich nun wortlos aus Davids Auto. In diesem Moment hatte ich nicht die geringsten Gewissensbisse. Er war schließlich ein PUA, oder? Er hatte die ganze Nacht lang versucht, mich zu manipulieren. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie seine Methoden auf eine jüngere, unsichere Version von mir selbst gewirkt hätten.

Das hier war Krieg. Außerdem ist es ja nicht so, als ob PUAs Gefühle hätten.

Das war möglicherweise das erste Anzeichen dafür, dass mich die Beschäftigung mit PUAs zynischer und manipulativer machte und eine negative Einstellung gegenüber Männern produzierte. Aber darüber dachte ich nicht nach.

Fiese Kerle?

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