Читать книгу Das Vermächtnis der Ahnen an die Krieger des Lichtes - Claudia González Peláez - Страница 8
2 Oben angekommen »Ich bin«
ОглавлениеViele Jahre waren seit diesem Vorfall vergangen. Jetzt saß ich in meinem Büro in der 5. Etage eines weltbekannten Konzerns. Der Sessel kühlte mich an diesem warmen Tag. Mir steckte noch die Müdigkeit der letzten Nacht in den Knochen. Es war spät geworden. Wir waren noch mit unseren Geschäftspartnern ausgegangen, haben Longdrinks getrunken und es war sehr amüsant gewesen. Ich reckte mich, so dass sich meine weiße Bluse spannte. Ich kreiste mit meinen Füßen und ertappte mich bei dem Gedanken, eine kleine Pause machen zu wollen. Dann legte ich meinen Füllfederhalter zur Seite, rollte meinen Bürostuhl nach hinten und ging zur Tür. Ich blickte durch die gläserne Wand auf den Gang, niemand war zu sehen. Schnell drehte ich das Schild um, auf dem stand: »Bitte nicht stören. Wichtiges Meeting!«
Ich ließ die Büro-Jalousien herunter. Mein Blick glitt zum Spiegel, den ich neben der Tür positioniert hatte, und betrachtete mich darin: Ich sah gut aus in meinem Kostüm. Mein schwarzer Rock, der feine Blazer und die anthrazitfarbigen, samtig glänzenden Strumpfhosen passten sehr gut zu mir und zu meiner zierlichen Figur. Ich musste daran denken, wie mich gestern der Geschäftsführer, Dr. Haselnuss, angestarrt hatte. Pardon, eigentlich sollte ich ihn ja Hans-Peter nennen.
„Oh Ja! Hans-Peter Haselnuss.“, sprach ich es leise vor mich hin. Ich musste lachen und näherte mich dem Spiegel mit tanzenden Bewegungen im Rhythmus der letzten Nacht, den ich noch im Ohr hatte. Gestern dort zu tanzen, mich zu drehen, was für ein wunderbares Gefühl war das gewesen, und dazu noch die Aufmerksamkeit der Männer. Ich musste zugeben, dass mir dies geschmeichelt hatte. Hans-Peter, war er vielleicht jemand für mich? Ein erfolgreicher Manager und Rechtsanwalt und schlecht sah er auch nicht aus. Ob er es ernst meinte mit mir?
Das Telefonklingeln holte mich aus meinen Gedanken und brachte mich wieder zurück in die Gegenwart. Ich nahm ab.
„Hallo, Ronja, ich bin es.“, klang eine Stimme aus dem Hörer. Ich erkannte gleich, wer es war. „Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, heute Abend mit mir Essen zu gehen, ich lade dich auch ein!“, hörte ich ihn fragen.
„Du, Hans-Peter, hat dir die letzte Nacht nicht gereicht? Ich bin noch erschöpft und müsste mich heute Abend erholen. Ich habe noch einiges zu erledigen und du weißt doch, ich muss mich noch auf meine Reise vorbereiten“, antwortete ich.
„Bitte, Ronja, ich würde dich gerne noch einmal sehen, bevor du abreist!“
„O.k., Hans-Peter, aber nicht lang“, antwortete ich. Ich legte auf und ging zum Fenster. Von hier aus konnte ich ziemlich tief hinab blicken. Mein Büro lag in einem sehr hohen Gebäude mitten in der Stadt. Die Straßen waren voll und auf ihnen herrschte das übliche alltägliche Treiben der Menschen. Ich stand hier oben in meinem luxuriösen Büro und hatte es geschafft, eine berühmte Managerin für einen bekannten Konzern zu werden. Das gelang nicht jedermann!
Es klopfte und ich zog mir meinen Rock zurecht. Es war meine Sekretärin, die mir augenzwinkernd ein Päckchen und einen wundervollen Strauß roter Rosen überreichte. Elisabeth kannte mich recht gut, wir hatten uns in den letzten Jahren sehr gut angefreundet und ich verzieh ihr gleich, dass sie mich jetzt in meinen Tagträumen störte.
„Mensch, Ronja, mach das Päckchen auf, ich sterbe vor Neugierde!“ Gespannt nahm ich das Päckchen und die Rosen entgegen. Ich fischte eine kleine Karte aus dem Blumenstrauß, auf der stand: „In Liebe H.P. Bitte trage sie heute Abend“ Überrascht packte ich eine verführerische Schatulle aus. Vorsichtig öffnete ich sie und eine wundervolle Perlenkette leuchtete in dem edlen, schwarzen Etui.
Lissy, so nannte ich meine Sekretärin liebevoll, unterbrach meine Sprachlosigkeit: „Den hast du aber verzaubert. Wie machst du das bloß mit den Männern, dass dir alle immer so zu Füßen liegen?“
Einige Stunden später. Es war mittlerweile dunkel geworden, und ich traf mich mit Hans-Peter bei einem feinen Italiener, der um die Ecke des Büros lag. Er hatte schon Platz genommen. Schick hatte er sich gemacht mit seinem Maß-Anzug. Als ich mich ihm näherte, konnte ich unter seinem weißen Hemd eine große, goldene Uhr blitzen sehen. Hans Peter stand sofort auf, als er mich sah. Er ging um den kleinen Tisch herum, um mir einen Stuhl anzubieten. Ich nahm dankend an und er half mir dabei − ganz Gentlemen − Platz zu nehmen.
„Du siehst wundervoll aus, Ronja. Das rote Kleid steht dir wunderbar. Nur die Kette trägst du nicht“, bemerkte er gleich.
„Sei mir bitte nicht böse, Hans-Peter, aber das Geschenk kann ich nicht annehmen. Es ist viel zu wertvoll“, erwiderte ich. Vorsichtig nahm ich die Schatulle aus meiner schwarzen Handtasche heraus, um sie Hans-Peter zurückzugeben.
„Papperlapapp, bitte nimm mein Geschenk an, es macht mir doch Freude, hübsche Frauen zu beschenken. Wenn du es nicht annimmst, dann bin ich beleidigt“. Zögerlich und ein wenig beschämt, legte ich das Päckchen wieder in meine Handtasche.
Hans-Peter wechselte das Thema: „Wie war dein Tag, Ronja? Hast du wieder alle deine Geschäftspartner von deinen tollen Konzepten überzeugt?“
„Nach letzter Nacht bin ich den Tag heute ruhig angegangen. Ich bin ja nicht mehr die Jüngste, ha, ha. So langsam merke ich wie sich die Dreißig in mir breit machen.“, sagte ich. Woraufhin er amüsiert lachte, nach meiner Hand griff und sagte: „Ronja, du bist wunderschön. Du hast sicherlich gemerkt, wie verzaubert ich von dir bin?“ Er schaute mir lange in die Augen und fuhr dann fort: „Ronja, du musst wissen, ich bin auf der Suche nach einer festen Beziehung.“
Als ich diese liebevollen Worte hörte, wurde ich traurig und entzog mich seinem Griff. Meine Armgelenke schmerzten plötzlich. Dieser Druck in den Gelenken erinnerte mich an meinem Traum in der Hütte, den ich vor Jahren gehabt hatte.
„Du weißt doch, dass ich übermorgen für zwei Monate verreise?“, erwiderte ich. Er nickte bejahend. „Ich weiß, aber ich kann mich auch zwei Monate gedulden, du musst wissen, ich warte schon Jahre auf eine Person wie dich! Es ist etwas Besonderes zwischen dir und mir, das spüre ich.“
Der Chardonnay wurde gebracht. Mir wurde ein wenig schlecht und ich spürte, wie sich mein Magen krümmte. Ich hatte gestern zu viel getrunken und mein Körper warnte mich. Aber es war schon zu spät, das Glas war bereits gefüllt. Instinktiv ergriff ich es und nahm einen kräftigen Schluck, um Zeit zu gewinnen. Ich sah in Hans-Peters Augen und wusste, was er wollte. Er hatte große treue blaue Augen, in denen ich versinken konnte. Ich sah wie in einen ruhigen, aber verlockenden See, in dem ich gerne schwimmen würde. Das Wasser war still und versprach Sicherheit. Ich erkannte, er wollte mehr, er wollte eine starke Frau, die ihn stützte, Kinder, die ihn liebten, ein warmes Heim.
„Ronja! Alles ok?“ unterbrach er meine Gedanken. Ich verschluckte mich und musste laut husten und mich räuspern.
„Ja, klar, alles in Ordnung. Ich habe nur nachgedacht!“, entschuldigte ich mich.
„Hast du mir überhaupt zugehört?“, fragte er mich mit einem kleinen Vorwurf in der Stimme.
„Doch, doch, hab ich“, beschwichtigte ich ihn sofort. Erneut schaute ich ihn an und wollte ihm erklären, was ich fühlte, aber es ging nicht. Ein starker Kloß im Hals hinderte mich mit einem Mal und ich brach unser Gespräch mit den Worten ab: „Du, Hans-Peter, bitte sei mir nicht böse, mir ist nicht gut. Es war doch alles etwas zu viel für mich. Ich ruf dich morgen an, versprochen!“
Ich stand auf und verließ das Lokal.
Zuhause angekommen, zog ich mich schnell aus, lief ins Badezimmer und sprang unter die heiße Dusche. Ich sehnte mich nach meinem Bett und so zog ich mir mein weißes Samtnachthemd an und kuschelte mich unter mein Plumeau. Da lag ich alleine, die Decke über meinen Kopf gezogen. Meine Gedanken kreisten in meinem Kopf. Oh nein, was mag er nur von mir denken? Er kann es sicherlich nicht verstehen, dass ich so plötzlich aufgesprungen und nach Hause gegangen bin.
Ich befreite meinen Kopf von der Decke und starrte auf den Boden. Dabei bemerkte ich, wie mich ein Gegenstand anblinkte. Barfuß stand ich auf, um ihn aufzuheben. Es war Hans-Peters Manschettenknopf!
Letzte Nacht hat er ihn wahrscheinlich hier verloren. Da war noch alles leicht gewesen. Wir waren beschwipst. Nach so einem harten Tag Arbeit in der Konferenz schoss einem der Alkohol schneller ins Blut. Dann das Tanzen in der Diskothek, er bewegte sich mit mir zum Rhythmus der Musik. Ich flirtete sehr gerne. Früher war ich anders gewesen, aber jetzt war es mir gleichgültig, was Kollegen oder andere Menschen von mir dachten. Ich hatte gestern noch angenommen, es wäre für ihn alles nur ein Spiel gewesen. Anschließend begleitete er mich nach Hause und kam mit hoch.
Er zog mich umgehend aus, und ich genoss seine Lust. Es war eine sehr intensive Nacht. Am Morgen waren wir erschöpft, und ich bat ihn zu gehen. Als ich wieder aufwachte, merkte ich, dass es mir an Kraft fehlte. Ich hatte mich verführen lassen und mich von meiner gewohnten Routine ablenken lassen, denn diese brauchte ich, um mich auf meine Führungsposition voll konzentrieren zu können. Jetzt hatte ich den Salat. Hans-Peter wollte mehr von mir, und ich musste mich bemühen, ihn wieder loszuwerden. Kurz stellte ich mir doch vor, wie es wohl sein könnte, mit ihm zusammen zu sein. Ein abwehrender Schauer überkam mich gleich, denn ich hatte die Gewissheit, es würde ohnehin nicht klappen. Davon war ich überzeugt. Es hatte bisher noch nie geklappt. Es hatte eine Zeit gegeben, da war ich romantisch, da dachte ich, ein Prinz würde auf einem weißen Pferd daher geritten kommen, um mich zu retten oder um mich zu heiraten. Im Laufe der Zeit wurde ich schlauer, da meine Beziehungen immer wieder zu Bruch gingen. Die Männer, die ich mir in meinen Träumen über meine Zukunft vorgestellt hatte, existierten nicht. Sie leben nur im Märchen und in meinen Phantasien. Ich blickte auf meine linke Handfläche, folgte mit dem rechten Zeigefinger vorsichtig den Lebenslinien meiner Hand und erinnerte mich: Das Leben hatte keine Familie für mich vorgesehen.
In einer kalten Nacht saßen meine Freundin Angela und ich in meinem Zimmer und redeten über Wahrsagerei. Ich sträubte mich, als sie versuchte mich zu überreden, zum Jahrmarkt mitzukommen. Es war der letzte Tag des Marktes in der Stadt, und die Schausteller bauten gerade alle Stände ab, als wir ankamen. Angela erblickte eine alte Frau und rief ihr zu: „Madame! Hier ist meine Freundin. Sie will es auch wissen.“
Vorsichtig schaute ich in das Gesicht der alten Wahrsagerin. Ein kalter Schauer überfiel mich. Der Blick ihrer großen Augen durchdrang meinen Leib. Ihre Hand ergriff meinen Arm.
„Kindchen, ich sehe Furcht in deinen Augen. Willst du deine Zukunft wirklich wissen?“, fragte sie und sah mich forschend an.
„Ich glaube nicht daran, aber es ist ein Spiel, und ich bin mit Angela hergekommen“, antwortete ich ihr.
„Mit diesen Dingen spielt man nicht, mein Schatz. Zeig mir mal deine linke Hand“, sagte sie in einem liebevollen Tonfall. Sie schaute sich meine Lebenslinie an, schloss kurz ihre Augen und fragte mich: „Was willst du genau wissen?“ Darüber hatte ich mir vorher keine Gedanken gemacht, was will ein 14-jähriges Mädchen schon wissen? Meine Augen zusammenkneifend überlegte ich, was ich sie fragen könnte. Dann wandte ich mich ihr zu und sagte: „Madame, werde ich einmal heiraten und Kinder bekommen?“ Sie lachte kurz auf und antwortete mir ernst: „Nein, es ist nicht vorhergesehen, dass du heiratest und eine Familie gründest. Dafür wirst du sehr erfolgreich sein, auch wenn es auf deinem Weg sehr steinig werden wird.“ Sie ließ meine Hand los und ich drückte ihr einen 10-DM-Schein in die Hand. Dann verschwand sie.
„Und, bist Du enttäuscht?“, fragte mich meine Freundin Angela auf dem Heimweg.
„Nein, warum?“ entgegnete ich ihr.
„Weil du keinen Mann und keine Kinder haben wirst“, sagte Angela.
„Angela, ich glaube nicht daran“, fuhr ich sie an und wandte mich von ihr ab.
Im Laufe meines Lebens musste ich noch oft an die alte Frau und ihre Vorhersage denken. Immer dann, wenn es mit den Männern nicht klappte, schnürte sich meine Kehle zu und ich empfand Wut. Heute noch konnte ich ihre rauen Hände auf meiner Haut spüren, als ob sie etwas auf der Oberfläche zurückgelassen hätte. „Es ist nicht vorgesehen“, hallte ihr Echo in meinem Innern. Das Mondlicht schien jedoch beruhigend auf mein Bett und kurze Zeit später schlief ich ein.
Der Wecker klingelte. Ich schrak auf. Mein letzter Arbeitstag war gerade eingeläutet worden. Morgen ging meine Reise los. Drei Jahre lang hatte ich keinen Urlaub machen können, da in dieser Zeit meine Karriere steil bergauf gegangen war.
Heute brauche ich nur ein paar Abschlussverträge mit Neukunden zu unterzeichnen und dann kann ich die Koffer packen, ging ich den Tag planend in Gedanken durch. Gemütlich schlenderte ich zu meinem Schrank hinüber, um mir mein Outfit herauszusuchen. Ich entschied mich für eine lässige, weiße Stoffhose, die ich mit einer feinen, roten Volant-Samtbluse kombinierte. Aus der Schuhkommode wählte ich hochhackige rote Pumps aus. Ich zog mich an und griff zu den Korallenohrringen, die mir meiner Mutter zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Verspielt hingen die Ohrringe an meinem Ohrläppchen, als ich sie anlegte. Als ich am Frühstückstisch saß, bemerkte ich, dass ich vor lauter Vorfreude, keinen Biss herunterbringen konnte. Gerade als ich zu meinem Mantel und nach meiner Handtasche griff, um mich auf den Weg zur Arbeit zu machen, klingelte das Telefon. Ich warf einen Blick auf die Nummer: eine Nummer aus dem Ausland.
Ach ja, fiel mir wieder ein und ich nahm ab. „Hallo Lucia. Wie geht es dir?“, meldete ich mich. Ich wunderte mich, dass sie mich um diese Uhrzeit anrief. Es war doch noch mitten in der Nacht bei ihr. Lucia wollte von mir wissen, ob alle Vorbereitungen für die Reise schon getroffen wären.
„Aber Luci, du kennst mich doch, ich habe alles im Griff“, beschwichtigte ich sie.
„Ja, ich kenne dich und deswegen rufe ich an. Und zwar, um dich daran zu erinnern, deinen schönen Hintern hoch zu bekommen, damit ich morgen nicht verzweifelt am Flughafen auf dich warten muss, weil du vor lautem Trödeln den Flieger verpasst hast.“
Ich musste lachen. Lange Zeit hatte niemand mehr so mit mir gesprochen. Deswegen liebte ich sie. So warmherzig sie auch war, redete sie trotzdem nie um den heißen Brei herum. Deswegen flunkerte ich: „Keine Sorge, ich habe alles schon gepackt.“
„Ronja, veräpple mich nicht. Ich kenne dich. Sieh zu, dass du morgen pünktlich bist. Ich habe nämlich eine riesige Überraschung für dich!“, spornte sie mich an. Damit hatte sie es geschafft. Meine noch zaghafte Nervosität verwandelte sich in pure Aufregung.
So beeilte ich mich ins Büro zu kommen, meine Sachen zu erledigen und mich von allen zu verabschieden. Als ich aus meinem Bürozimmer trat, fiel mir plötzlich Hans Peter ein. Ich nahm mein Handy aus der Handtasche, wählte seine Telefonnummer und legte gleich wieder auf, da ich nicht wusste, was ich ihm sagen sollte. Es passte gerade einfach nicht, eine Beziehung mit ihm einzugehen. Ich entschied mich, Lissy die Schatulle mit der Perlenkette zu übergeben, damit sie diese an Hans Peter zurückgeben konnte.