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Vom Hund, der sich nicht verschenken wollte
ОглавлениеWer so struppig und mager war wie der Hund, der durch den Stadtpark trabte, hatte es schwer im Leben. Es ist entschieden ein Vorteil, wenn man niedlich ist oder wenigstens hübsch, aber davon konnte bei ihm nicht die Rede sein.
In den warmen und trockenen Monaten des Jahres schlug sich ein kluger und erfahrener Hund wie er gut durch. Die Nächte unter Büschen, in Hauseingängen oder auf den noch warmen Kieseln am Fluss waren angenehm, und zu Fressen gab es genug. Menschen vergassen angebissene Schinkenbrote auf Parkbänken und warfen Apfelbutzen mit noch ordentlich Apfel dran und Tüten mit den letzten Pommes mit Ketchup in Papierkörbe. Kinder bröselten mit Keksen oder liessen ihr Eis fallen. Der magere Hund hielt den Park sauber. Nur an Regentagen dachte er ans Ende des Sommers.
Im Oktober riefen die ersten richtig kalten Nächte den Ernst des Lebens in Erinnerung, der in Kürze anbrechen würde, aber noch war kein Feuer im Dach. Eine Gnadenfrist von rund drei Monaten war mageren Hunden noch vergönnt, denn nichts mögen Menschen lieber, als wenn man sich an nebelgrauen, traurigen Novemberabenden auf ihre Füsse legt. Nur kurz halten sie auf Parkbänken inne, denken nach und seufzen ein bisschen. Der magere Hund zögert nicht. Er setzt sich zu ihnen. Tröstliche Wärme kriecht die Schienbeine hinauf bis ins Herz, und der Mensch lässt sich erweichen, den armen Hund mitzunehmen nach Hause, für eine Nacht oder auch für zwei. Man füttert den mageren Hund, wundert und freut sich über seine Gier beim Fressen. Dann lässt man ihn im Flur auf einem alten Pullover schlafen. Auch der Dezember hat etwas Weiches. Es schneit in grossen Flocken aus dem schwarzen Himmel. Erwartung liegt in der Luft. Und plötzlich sind die Menschen selber weich wie Lebkuchen und in einer seltsamen Willenlosigkeit leicht zu beeinflussen. Der Urhundeblick, traurig hängende Ohren, eine anmutig und bittend erhobene Pfote und ein kurzes gepeinigtes, aber keinesfalls nervendes Winseln genügen, um dem Hund ein Heim auf Zeit zu verschaffen.
Zumindest bis Weihnachten war ausgesorgt, denn ob man nun an das Kind in der Krippe glaubte oder nicht, es rief zu Mitmenschlichkeit und Mittierigkeit auf und übernahm für vier- oder fünfundzwanzig Tage die Rolle eines Anwalts für die Schwächsten und die Ewighungrigen. Der magere Hund fuhr mit der Zunge über die feuchte Schnauze. An den vollen Futternäpfen und den warmen Schlafplätzen änderten die Beweggründe, die solche Almosen Wirklichkeit werden liessen, nichts.
Kurz vor Weihnachten jagte niemand einen Hund vor die Tür. An die Tage nach Weihnachten wollte der Hund vorläufig nicht denken, denn da werden ganz andere Kapitel im einen oder anderen Hundeleben geschrieben.
Ältere Damen passten eigentlich nicht zu einem stolzen Hund wie ihm, aber wer eiskalte Pfoten und einen leeren Magen hat, ist nicht wählerisch. Er erinnerte sich genau an den Nikolaustag vor einem Jahr, als aus einem stolzen Streuner wie ihm Püppi geworden war. Er nannte plötzlich eine Sofahälfte sein eigen, und sein Napf war immer gut gefüllt. Er wurde gestreichelt und hörte ihn tausend Mal jeden Tag, den Namen «Püppi». Er trug in diesem Winter ein rotes Halsband mit goldenen Knöpfen. Seine wunden Pfoten heilten und er wurde seine Flöhe los. Im Frühling riss er die alte Dame um, als sie ihn an der Leine spazieren führte, ohne Mitleid und ohne Dankbarkeit. Die Steine am Fluss waren warm. Er konnte wieder für sich selber sorgen.
Es wurde ein guter Sommer voller Überfluss. Anfang November war der Hund, der einmal Püppi gewesen war, noch immer gut genährt und kerngesund. Unten am Fluss traf er einen Obdachlosen, der ihn an sein Feuer einlud und sein Mahl mit ihm teilte. Er hatte nur ein Bein und eine oft geflickte Krücke, und er sprach eine Sprache, die der Hund noch nie gehört hatte. Albanisch? – oder vielleicht armenisch? Der einbeinige Armenier mochte den Hund auf Anhieb. Er war gut zu Hunden, aber er war diesem Hund zu wenig. Nein danke, schien der Hund zu sagen, mit einem wie dir will ich nicht, da bleibe ich lieber allein.
Und er blieb allein, ein ganzes Jahr lang. Er fror und er hatte Hunger. Bald hatte er die Kälte und den Hunger satt, so satt, und als er den einbeinigen Armenier wieder traf, legte er sich auf seine Füsse. Er schloss die Augen und hoffte, dass der Armenier gutmütig und nicht nachtragend war, und das war er.
Der Hund hatte es gut, so gut wie noch nie, denn sie passten zusammen, der Hund und der Einbeinige. Es wurde Frühling, Sommer und wieder Winter, und beide wurden älter, der Hund und der Mann, und dann starb der Armenier. Als der Hund von einem Streifzug durch den Stadtpark zurückkehrte, lag sein Freund tot auf den kalten Kieseln. Was für ein Treuebruch.
Der Hund, der inzwischen ein magerer alter Hund war, war verzweifelt. Er trabte durch die Strassen der Stadt. Ihm wurde warm, aber die Pfoten blieben kalt, und Weihnachten war gerade vorbei. Einem kleineren Hund, der sich zu ihm unter einen Busch gesetzt und ihn gewärmt hatte, nahm er am nächsten Morgen den Knochen weg. Gesetz der Strasse.
Der Hund, der einmal Püppi gewesen war und danach die beste Zeit seines Lebens mit einem einbeinigen Armenier verbrachte hatte, der Hund, der sich im Namenniemandsland befand und kein Feuer hatte, an dem er schlafen konnte, kehrte um, um den Knochen zurück zu geben.
Das Hündchen fand er nicht mehr. Dafür aber begegnet ihm ein Kind, das ihn Andy nannte. Es war klein, aber es hatte keine Angst vor grossen, mageren, struppigen Hunden. Ganz kurz dachte der Magere an die wenigen Zärtlichkeiten in seinem Leben. Sogar an die Geborgenheit an Mamas Bauch musste er denken. Zärtlich war das Kind, das ihn Andy nannte, aber auch sehr hässlich. Der Hund staunte. Was war dieses Mädchen doch hässlich! Es schielte, und seine Nase lief. Es ging ein bisschen schief, seine Kleider waren geflickt, und es roch nach Armut und Kohlsuppe.
Der Hund dachte an seinen Armenier und das kalte und hungrige Jahr ohne ihn. Man soll Liebe nicht wegwerfen; hatte er das damals nicht gelernt?
Der Hund zögerte kurz und verschmähte dann trotz der streichelnden Hände die Liebe dieses Kindes, das ihn lockte und rief. «Andy», rief es, «komm zu mir, Andy!» Der magere Hund schüttelte sich und trottete davon. Er konnte nicht anders. Er war sich zu gut, um ein Armeleutehund zu werden. Er hatte etwas Besseres verdient. Er konnte sich doch nicht einfach so wegwerfen.
Wenn es etwas gibt, was am Stolz nagt, so ist es der Hunger. Der Hunger frisst alles, vor allem die Prinzipien im Leben. Zu allem Überfluss schneite und fror es nun wie schon lange nicht mehr. Der Kalender zeigte den 29. Dezember; Advents- und Weihnachtsstimmung waren verflogen, das Mitleid für fast ein Jahr auf Eis gelegt. Der magere Hund bezog Prügel von einem Restaurantbesitzer, den er zu bestehlen versuchte. Er suchte den ganzen Tag nach dem Armenier, den man ihm an einem 29. Dezember genommen hatte. Er würde ihn nicht finden, das wusste er, aber vielleicht war die Magie des Datums bereit, etwas für ihn zu tun. Er traf frühere Freunde des Armeniers, die vorgaben, ihn nicht zu kennen. Einer warf eine leere Bierflasche nach ihm.
Der namenlose, magere Hund zog den Schwanz ein und machte, dass er wegkam. Wie hatte er nur so dumm sein können, nicht Andy werden zu wollen.
Und dann sah er ihn, Andy. Er trug ein abgeschabtes rotes Lederhalsband, das bessere Zeiten gesehen hatte und eine aus lauter kleinen, gestrickten Vierecken zusammengenähte Decke. Der Hund, der nicht mehr Püppi war und keinen Armenier mehr zum Freund hatte, hätte viel darum gegeben, so eine Decke zu tragen. Aber es war Andy, der sie trug, Andy, der stolz neben seiner kleinen Besitzerin her trabte, die schrecklich schielte und so hässlich war, dass sie auf dem Pausenhof verprügelt und ausgelacht worden wäre, wenn sie nicht Andy gehabt hätte, der sie beschützte. Ja, da war sich der magere Hund ganz sicher!
„Viel Glück, Andy“, rief der frierende Hund, der weder Püppi noch Andy war, hinter dem Kleinen her, und der Kleine wandte sich ganz kurz um, so als wüsste er nicht, ob er ein gutes Wort für den Mageren einlegen oder so tun sollte, als hätte er ihn nie gesehen.
Der Magere trabte aus der Stadt hinaus. Die Tage am Jahresende sind nicht gut für magere Hunde. Aber vielleicht konnte jemand einen Hofhund gebrauchen. Der Hund war zwar mager und schon älter, aber er war klug und erfahren und hart im Nehmen, und auf dem Land liessen Familien ihre Christbäume bis zum Dreikönigstag in den Stuben stehen. Vielleicht war das ja ein Zeichen, ein gutes.