Читать книгу Reise Know-How ReiseSplitter Jesus liebt Radfahrer – Navid auch - Claudia Hildenbrandt - Страница 13

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Blaubeeren, Knusperflocken, Pfannkuchen, Orangensaft, Feigenmarmelade, Schoko-Donuts. Für Daniel brutzeln die Eier in der Pfanne, duftet der Schinken im Ofen. Dorothys Gastfreundschaft ist groß und vor allem großmütterlich: warm und üppig. Ich bin zutiefst gerührt, als ich am Morgen in ihre Küche strauchele, noch etwas angeschossen vom Weißwein des vergangenen Abends. Sie durchsucht die Schränke: „Ich versuche, mich in euch hineinzuversetzen. Was könntet ihr noch gebrauchen für unterwegs?“ Dorothy und John sind über 70, fit wie Turnschuhe und Mitglieder der Warmshowers-Gemeinschaft. Die Online-Plattform ähnelt dem Couchsurfing-Format, nur beherbergen die Einheimischen ausschließlich Reiseradler – die vor allem nach einer warm shower, einer heißen Dusche, gieren. Dorothy hatte einen Zeitungsartikel über die Gemeinschaft gelesen und sich sofort angemeldet, denn ihre Kinder und Enkel leben viele Flugstunden entfernt. „Ich backe euch noch schnell Brownies. Und bitte kommt im Sommer wieder, ihr könnt das ganze Haus für euch haben, wenn wir unsere Kinder besuchen!“ Während John zu seinem Stand im Einkaufszentrum eilt, um Mittel- und Ratlosen kostenfrei bei ihrer Steuererklärung zu helfen, machen Dorothy und ich es uns auf dem Sofa gemütlich. Auch sie engagiert sich, versorgt Obdachlose. Sie erzählt von Jeff, der immer wieder das Bewusstsein verlor, „without any warning“, und den sie eines Tages auf einer Bank sitzend fand. Kopf und Schulter verbunden, die Bandagen blutdurchtränkt. Jeff wusste gar nichts mehr. Weder woher er kam, noch wo er hingehörte – und auch nicht, was passiert war. Dorothy fand heraus: Ein Krankenhaus hatte ihn nur notdürftig behandelt und zurück auf die Straße gesetzt, denn Jeff war kein zahlender Kunde. Dorothy fängt an zu weinen. „An diesem Sonntagmorgen saß er blutverschmiert vor einer Bäckerei mitten im Stadtzentrum. Alle Welt lief an ihm vorbei. Was sind das für Menschen?“

Über 130.000 Mitglieder in 161 Ländern bereichern die Warmshowers-Gemeinschaft inzwischen. Einer davon ist Tom und lebt in einer Wüstenstadt Nevadas, in der sich 36.000 Einwohner die Fläche Berlins teilen. Wir stellen unser Zelt auf seinem Rasen auf, die Wasserknappheit macht Halt an der Stadtgrenze. Tom ist um die 60 und wirkt wie jemand, der mal ein schönes Leben hatte, bevor es weiterzog und ihn zurückließ. Er schließt die Haustür auf und es scheint, als seien nicht nur Daniel und ich die Gäste, sondern auch Tom nur zu Besuch. Mit Turnschuhen und Arbeitsstiefeln laufen wir über den Wohnzimmerteppich in die Küche. Es ist nicht schmutzig bei Tom, vieles wirkt eher unbenutzt, die Weingläser in der Vitrine, die Kerzen, der Ofen. Nur Dinge, die er täglich nutzt, liegen verstreut und griffbereit: Rechnungen, Toast, Fernbedienung. Der Kühlschrank, groß wie ein Wandschrank, ist dreiviertel leer, darin nur wenige Nahrungsmittel, die zusammen keine Mahlzeit ergeben: eine Gallone Milch, Hamburger-Patties, Pudding und Eiscreme. Wer Tom lächeln sieht, bemitleidet ihn. Zwei Zahnstummel lugen dann hervor. Wenn er spricht, klingt es, als baumele das Gebiss eines alten Mannes schief im Mund. Tom hustet oft und spuckt dabei dunkle Bröckchen aus. Er arbeitet 14 Stunden täglich, macht Spießergärten noch spießiger. Was er erzählt, klingt smart, stark und lustig – über das Radreisen, die Waffenläden der Stadt, über den Zuhälter, der jetzt Bürgermeister werden will. Doch es fällt mir schwer zu glauben, dass Tom, krank und vorgealtert, noch vor wenigen Jahren die Vereinigten Staaten auf dem Rad durchquerte. Das einzige Bild in seiner Wohnung zeigt seine Frau Lauren, die nach 45 Lebensjahren an Krebs verstarb. Für die Behandlung verkaufte Tom seine Waffensammlung mit antiken Stücken. „Ich habe Krebs, nicht der Krebs hat mich!“, behielt Lauren ihre Stärke bis zum Schluss. Doch Toms Leidensweg ging weiter. Vor einigen Jahren arbeitete er noch bei der Freiwilligen Feuerwehr. Damals hoben sie eine Drogenfabrik aus, in der vermutlich Crystal Meth gepanscht wurde. 20 Kollegen waren sie, nur zwei davon sind noch am Leben. Er und der andere versuchten, zu erfahren, mit welchen Substanzen sie in Kontakt kamen, die ihnen die Zähne ausfallen ließen und Lungen verätzten – vergeblich. Wie viel kann ein Mensch ertragen? Aus Tom, dem das Leben die große Liebe und die eigene Gesundheit raubte, ist kein verbissener, jähzorniger Typ geworden. Er macht weiter, und schenkt uns Zuflucht.


DOROTHY UND JOHN AUS PRESCOTT, ARIZONA

Buffet als Vorspeise – der Hauptgang kommt erst noch

Ein anderer, der sein Schicksal überlebte, lädt uns in seine Wohnung im Zentrum San Franciscos ein. James ist Radmechaniker, könnte 50 aber auch 65 sein, und weil der Tretlagerwechsel im Laden das Reisebudget eines Monats aufbrauchen würde, funktioniert er seine Wohnung zur Werkstatt für uns um. Die Raucherpausen finden im Wohnzimmer statt. Wir fragen ihn, wie er sich diese Wohnlage leisten kann und sind auf seine Antwort nicht gefasst: James hat AIDS und die Stadt sorgt für ihn. Er ist einer der Schwulen, die sich während der Epidemie mit dem HI-Virus infizierten. 1981 starben in San Francisco neun Menschen im ganzen Jahr an AIDS, 1992 waren es 30 pro Woche. Hundert Fragen drehen sich in meinem Kopf und ich weiß dennoch keine zu stellen. Wie viele seiner Freunde und Liebhaber er leiden und sterben sah? Wie er selbst vegetierte und doch überlebte? Ob er Angst vor dem Tod hat? Wir wechseln das Tretlager aus.

Wir übernachten an diesem Abend bei Ruth und Edward, einem Warmshowers-Paar, das inspiriert. Reiseführer, Geschichtsbücher, Sprachführer, Politikanalysen, die spannendsten Romane – ihr Haus ist eine Bibliothek, die jeden beschenkt, der nichts weniger als die Welt verstehen möchte. Ruth kündigte im Silicon Valley, um als Lehrerin zu arbeiten. Edward schreibt Reiseführer und musste in den 80ern einsitzen – er rebellierte und verweigerte die Registrierung für einen Militäreinsatz. Beide können nicht hinnehmen, nicht wegsehen. Sie protestieren gegen Polizeigewalt, für Obamacare, gegen Aufrüstung. Kinder haben sie keine: „Wir wurden von unseren Eltern misshandelt. Wie sollen wir wissen, wie Familie funktioniert?“


RUTH UND EDWARD | SAN FRANCISCO, KALIFORNIEN


KAREN | LOS ANGELES, KALIFORNIEN


VERA | KUNMING, CHINA


PEGGY, WARREN UND GRANDMA LOIS HAMILTON, MONTANA


IGORS GARTENPARADIES DUSCHANBE, TADSCHIKISTAN


BARTON | SANTA CRUZ, KALIFORNIEN

Kinder wollte auch Supaporn nicht, das größte Energiebündel Thailands. Sie sei ja schon Schulleiterin, das reiche. Wer bei Supaporn unterkommen will, muss ihre Schüler unterhalten. Denn die sollen „authentisches“ Englisch lernen. Ich turne mit Dreijährigen, Daniel zeigt den Älteren, wie man Schürfwunden verbindet. Eine angenehme Abwechslung zum Pedalieren.

In Los Angeles, der Stadt der Engel, lebt eine besonders herzensgute Gastgeberin. Karen hat ihren Kühlschrank für uns gefüllt, Kartons für den Flugtransport der Räder organisiert und ein Paket mit Ersatzteilen aufbewahrt. Sie besteht darauf, jeden Abend zu kochen und tanzt und springt zwischen Herd und Esstisch. Für sie selbst das größte Glück: Noch vor zwei Jahren konnte sie kaum gehen, die Hüftgelenke waren durch Arthrose verschlissen. Karen, nach einer lang ersparten OP wieder fit, chauffiert uns später sogar zum Flughafen.

Im kanadischen Calgary überlassen uns Heather und Egbert ihr Haus, während sie durch die Rockies wandern. Vera in Kunming lässt uns tagelang in ihrer Wohnung der Fortschrittshektik Chinas entfliehen; Peggy und Warren aus Montana vermachen uns das Obama-Shirt von Grandma Lois, die kurz nach unserem Besuch verstarb; Igor im tadschikischen Duschanbe besteht allabendlich auf einem small shot, einem gemeinsamen Glas Whiskey; Paul und Natt haben in ihrem Gartenparadies am Golf von Thailand schon mehrere hundert Radreisende entspannen lassen.

Kürzlich las ich eine Unterhaltung auf der Facebook-seite der Gemeinschaft. Ein Radfahrer schrieb, im Gästebett habe es Bettwanzen gegeben, eine Woche nach dem Aufenthalt krabbelte es noch immer in seiner Ausrüstung. Doch es folgte keine Beschwerde, keine Hasstirade, kein Shitstorm – sondern die Frage: „Soll ich dem Gastgeber wirklich eine negative Bewertung auf seinem Profil geben? Er war doch so nett und hilfsbereit!“

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