Читать книгу Reise Know-How ReiseSplitter Jesus liebt Radfahrer – Navid auch - Claudia Hildenbrandt - Страница 19
ОглавлениеOregon beschert uns den größten Werbegag der Reise, und den gefährlichsten. Der Highway 101 entlang der Küste, eine der „Traumstraßen dieser Erde“, entpuppt sich als highway to hell. Überladene Holztransporter, unsichere Wohnwagenfahrer und genervte Berufspendler drängen uns an den Abgrund. Die Straße ist den Veteranen gewidmet und auch wir fühlen uns wie im Krieg. Ein besonders gehetzter Fahrer bespritzt Daniel mit Wasser, damit er von der Fahrbahn springt. Noch nicht bereit zu sterben, fliehen wir ins Inland. Ich giere nach Feierabend, doch inmitten eingezäunter Enge bleibt nur die Suche nach einem Vorgarten für unser Zelt. Wir klopfen an – und Miriam öffnet die Tür. Hinter sich eine große Kinderschar, ihre Töchter tragen gehäkelte Kopfbedeckungen und Jeansröcke. Ich habe nur noch Fluchtgedanken, ahne schon den Abend dahinkriechen in Sermonen und missionarischen Umpolungsversuchen. Doch Daniel nimmt die Einladung zum Frühstück an, die Suche nach dem besten Flecken Rasen beginnt. Aus der Nummer komme ich nicht mehr raus.
Am nächsten Morgen tischt Miriam Pfannkuchen und Früchte auf, Eier und Speck. Ihr Mutterherz beschlagnahmt uns sofort. Sie selbst war Nummer sechs von zehn Geschwistern. Während sie zu Hause wirbelt, transportiert Ehemann Rick Benzin – von 1 Uhr nachts bis 22 Uhr. Als sie sich kennenlernen, verkündet ihr Rick: „Wir werden heiraten.“ Nur gehörte er einer anderen christlichen Gemeinschaft an, die Hochzeit mit ihm ist eine Sünde für Miriams Eltern. Sie konvertierte trotzdem – noch heute verweigern Mutter und Vater gemeinsame Mahlzeiten. Miriam und Rick nahmen Kredite auf, kauften ein Haus und ziehen inzwischen fünf Kinder groß.
SHERIDAN, OREGON
Wir installieren gemeinsam WhatsApp auf Miriams Smartphone
Die Familie ist Mitglied einer kirchlichen Krankenversicherung, einmal im Monat überweisen sie Geld, allerdings direkt an die Betroffenen in ihrem Verbund. So wissen sie, wen ihr Beitrag heilt, wem sie das Leben erträglicher machen. Die Kinder werden alle zu Hause unterrichtet. „Meine Mum hätte uns auch auf eine normale Schule geschickt, aber auf der im Ort sind die Mädchen mit 15 schwanger“, lacht Victoria. Miriam kennt Gleichgesinnte – die Eltern teilen sich das Unterrichten ein, übernehmen je ein Fach und eine Altersstufe. Das Gesetz Oregons verlangt, dass zu Hause geschulte Kinder alle paar Jahre staatliche Tests in den Hauptfächern bestehen, dennoch bleibt viel Freiraum. Im Bio-Unterricht der Familie wird Darwin angezweifelt, denn „God created everything.“ Harry Potter hat keines der Kinder gelesen, weil die Bibel Zauberei und Magie als satanisch verdammt, Hexen und Geister gelten als Diener des Teufels. Nur die Eltern besitzen ein Smartphone, Nachrichten schaut die Familie kaum. Victoria und ihre Geschwister sind die charmantesten, ausgeglichensten, fröhlichsten und neugierigsten Kinder, die wir seit Langem treffen. Sie backen Kuchen für Nachbarn, singen im Altenheim und helfen uns Fremden.
Wir erzählen von unserem Plan, es per Anhalter zum Crater Lake zu versuchen, denn das Visum limitiert unsere Zeit und erlaubt keine Abstecher auf dem Rad. Plötzlich bricht ein Tornado aus. Alle wirbeln um uns herum, schmieren Sandwiches, schneiden Melonen und beladen den Wagen. Zwanzig Minuten später sitzen wir in der Familienkutsche. Ein spontaner Roadtrip, 350 km, nur für uns.