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Montagmorgen im Büro von Kommissar Mach
ОглавлениеKommissar Ernst Mach war kein gläubiger Mensch. Dennoch ertappte er sich bei so etwas wie einem Gebet, als er den Schlüssel zu seinem Büro herumdrehte. Er hoffte inbrünstig, dass sein Schreibtisch so leer und aufgeräumt sein würde, wie er ihn am Freitag bei Dienstschluss verlassen hatte. Keine Anzeige, keine grellen Zeitungsüberschriften, in denen die Unfähigkeit der örtlichen Polizei Schlagzeilen machte. Es war Montagmorgen und er hatte ein wirklich schönes Wochenende mit seiner Frau Mira verbracht. Bis gerade eben war er entspannt gewesen, hatte sich erholt von den Anzeigen und sich stapelnden Akten über ungelöste Fälle zerstörter Straßen der letzten Woche.
Jeden Tag eine Anzeige über zerstörte Straßen! Man könnte fast meinen, jemand habe etwas dagegen, dass in seinem Bezirk schöne neue Straßen gebaut wurden. Es war unglaublich: Kaum war der heiße Asphalt trocken und die weiße Farbe auf dem Mittelstreifen aufgetragen, wurde prompt in der folgenden Nacht die gesamte Arbeit der Straßenbauer zunichtegemacht. Weggerissen, ganze Stücke des Belages waren einfach weggerissen! Verschwunden! Der Kommissar und seine Kollegen starrten bei jeder Untersuchung eines Tatortes ratlos in große Löcher und auf ein Bild der Verwüstung. Und weit und breit kein noch so kleiner Schimmer eines Täters. Mach hätte schon graue Haare bekommen, wenn sie nicht bereits alle ausgefallen wären. In seinem Alter konnte man Aufregung nicht mehr so gut verkraften. Er war 58 Jahre alt und freute sich auf seine wohlverdiente Pension.
Sein Gebet war nicht erhört worden. Als er sein Büro betrat, sah er sofort, dass sein Schreibtisch nicht mehr leer war. „Das darf doch nicht wahr sein!“, entfuhr es ihm. Er ließ seine Arbeitstasche auf den Boden fallen, eilte mit zwei großen Schritten an seinen Arbeitsplatz und riss die Zeitung an sich, die seine Sekretärin fein säuberlich genau in der Mitte platziert hatte.
Die Schlagzeile lautete: „Unbekannte verüben wieder Anschlag auf neue Straßen! Polizei tappt im Dunkeln!“
Mach wollte gar nicht lesen, was die Reporter in dem folgenden Artikel über seine bisher erbarmungswürdigen Ermittlungen geschrieben hatten. Mit einem wütenden „Macht’s doch besser, ihr Hyänen!“ pfefferte er die Zeitung in den Papierkorb, ließ sich in seinen Stuhl sinken und zerrte ungeduldig an seinem Krawattenknoten. Er hatte das Gefühl, zu wenig Luft zu bekommen.
In diesem Moment klopfte es an die Durchgangstür vom Vorzimmer und seine langjährige Sekretärin Frau Müller strecke vorsichtig den Kopf durch die Tür: „Guten Morgen, Herr Kommissar. Tut mir leid, dass gestern doch wieder was passiert ist. Ich habe Ihnen die Zeitung und den Bericht der Kollegen vom Wochenende auf den Schreibtisch gele … Ach, haben Sie wohl schon gesehen. Ähm …“ Es entstand eine kurze Pause. „Möchten Sie vielleicht einen Kaffee? Ich habe ganz frisch aufgebrüht.“ Ohne seine Antwort abzuwarten, zog Frau Müller schildkrötenartig den Kopf zurück und die Tür schloss sich leise wieder.
Mach war es recht. Was sollte er nur tun? Mit einem Seufzer der Ergebenheit wandte er seine Aufmerksamkeit dem vor Schreibfehlern strotzenden Wochenendbericht seiner Kollegen zu. Er war so vertieft darin, dass er kaum bemerkte, wie Frau Müller ihm den ungebetenen Kaffee auf den Schreibtisch stellte und sich ohne ein weiteres Wort wieder zurückzog.
Den Unterlagen zufolge war eine am Freitag fertiggestellte Landstraße in der Nacht von Samstag auf Sonntag auf der Länge von dreißig Kilometern praktisch verschwunden. Die herbei gerufenen Beamten hatten am Sonntag auf weiten Strecken nur noch den „Untergrundschotter“ vorgefunden, der eigentliche Asphalt war wie vom Erdboden verschluckt. Bei dem Wort „Untergrundschotter“ umspielte ein bitteres Lächeln Machs Lippen. Ohne es wirklich zu wollen, hatte er in letzter Zeit viel über den Straßenbau gelernt und so wusste er, dass seine Kollegen wohl den Splitt meinten, der als Schicht unter der Oberfläche aus Asphalt aufgebracht wurde.