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Emily Dickinsons Standesbewusstsein

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Emily Dickinson war eine Dame von gewissem Stand, und das schon seit ihren jungen Jahren. Sie legte äusserst viel Bedacht auf Standesgemässheit und war durch und durch bürgerlich.

Bobby Waterloo war, was Emily einen „Angehörigen der Unterschicht“ bezeichnet hätte. Nur schon dieser Name! Nicht Lionel, nicht Arthur oder Christophorus. Eben Bobby. Mit seinem etwas unbeholfenen, hemdsärmeligen Charme wirkte er nicht gerade sehr kultiviert. Dennoch (oder gerade deswegen) traf Amors Pfeil Emily Dickinsons Herz und liess sie – wenn auch jeweils mit einem leichten Zucken der linken Augenbraue – seinem Mannsbild erliegen. Von Heirat war aber nicht die Rede. Wie gesagt, lag Emily viel an ihren standesbezogenen Pflichten. So blieb ihre junge Leidenschaft eine heimliche, und sie lehnte Bobby Waterloos Antrag ab.

Als Emily 18 Jahre alt geworden war, trat ein weiterer Heiratswilliger durchaus standesgemäss zum Antrittsbesuch und damit in ihr Leben. Er bat Emilys Vater galant um die Hand seiner einzigen Tochter. Er hiess Theophil und war durch und durch bürgerlich. Ansonsten etwas fade. Doch vermögend. Und sein Anstand war tadellos. Emily Dickinson heiratete Theophil Montgomery und bezog ein standesgemässes Anwesen im Grünen. Und obwohl der Kragen von Emilys Nachthemd aus englischer Wolle Nacht für Nacht standesgemäss bis zum Hals hinauf zugeknöpft blieb, gebar sie erstaunlicherweise drei Kinder, welche sie daraufhin durchaus standesgemäss erzog.

Emily Dickinson bewahrte sich ihre Standeswürde auch noch im hohen Alter. Sie war eine elegante Dame gesetzteren Alters, immer akkurat gekleidet, immer von makellosem Benehmen – die Personifizierung der Angemessenheit.

Und sie trauerte Bobby Waterloo gänzlich unstandesgemäss ihr Leben lang nach.

Der Mondsüchtige und die Tänzerin

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