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Frau Maier, die Schildkröte

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»Mama, ich will ein Haustier. Bitte, bitte – zum Geburtstag. Alle meine Freunde haben eins. Mir ist total egal welches. Hauptsache eines, das nur mir gehört!«

So ging das seit Tagen. Ein Haustier zu haben, damit konnten sich die Eltern von Oscar nicht so recht anfreunden. Aber Geburtstag ist nun mal ein besonderer Tag und sie überlegten und überlegten, wie sie die Kombination aus Haustier, Oscar und Eltern unter einen Hut bringen konnten.

»Ich hab's«, sagte da die Mama, »wir nehmen eine Schildkröte! Die hat viele Vorteile: sie ist kurz gesagt: pflegeleicht. Sie ist stumm, klein, macht keinen Dreck, stinken tut sie auch nicht, stundenlanges Ausführen an der frischen Luft entfällt, spezielle Zahnpflege ist nicht nötig und Spezialfutter, damit sie groß und stark wird und der Knochenbau sich gut entwickelt, nein, das alles ist unnötig. Das Beste aber ist: Wenn wir in den Urlaub fahren, können wir sie getrost bei den Nachbarn abgeben. Und wir dürfen nicht vergessen, Oscar kann sich selbst um dieses Tier kümmern. Er hat eine Verantwortung, das ist gut für Kinder. Wir sind fein raus! Eine Schildkröte muss her!«

Der Idee folgte die Tat. Und so kauften Oskars Eltern in der Zoohandlung eine schöne Schildkröte. Klein und stumm war sie und die Eltern waren zufrieden mit sich und ihr.

Am Geburtstag war die Überraschung gelungen. Oscar freute sich riesig. »Eine Schildkröte, cool! Mann, meine Freunde werden staunen. Keiner hat eine Schildkröte. Sie zählt ja sogar als Dinosaurier. Damit kann man richtig angeben.«

Klar, die praktischen Gedanken, die sich seine Eltern bei der Tierauswahl gemacht hatten, kamen Oscar nicht in den Sinn. Er hatte ein Haustier – das allein zählte. Alles war gut.

Zur Feier wurde die Schildkröte präsentiert. Oskars Freund Peter, der leider nur fünf langweilige Goldfische besaß, wurde neidisch.

Das neue Familienmitglied wurde lauthals auf den Namen Frau Maier getauft. Man begrüßte sie in ihrem neuen Zuhause mit einem Glas Apfelschorle und jeder durfte sie einmal streicheln.

Vom ersten Tag an kümmerte sich Oscar liebevoll um seine Schildkröte. Er versorgte sie mit Futter und jeden Tag, nach der Schule, brachte er sie auf eine saftige Wiese, nicht weit von seinem Haus. Dort setzte er sie behutsam nieder, und stellte einen kleinen Zaun um sie herum – sie sollte ja nicht ausreißen. Abends holte er sie selbstverständlich wieder ab. Frau Maier fühlte sich sichtlich wohl und Oscar tat sein Bestes dafür, dass es auch so blieb.


Es war an einem schönen Sommertag. Oscar hatte Frau Maier soeben auf die Wiese gebracht, da wurde er krank. Ihn hatte die Grippe erwischt, er bekam Fieber und Ohrenschmerzen, er hustete und wollte nur noch ins Bett. Keine zwei Minuten später war er tief und fest eingeschlafen. Frau Maier hatte er vergessen.

Seine Eltern waren fix und fertig, rannten hin und her und schauten jede Minute in sein Zimmer, ob alles okay war. Die Sorge war groß. Bei all diesem Stress dachten sie natürlich ebenfalls nicht an Frau Maier, die seelenruhig auf der Wiese herumkrabbelte. Sie bekam von all der Hektik natürlich nichts mit und genoss ihr Leben.

Irgendwann kam die Zeit, zu der sie gewöhnlich abgeholt wurde. Aber dieses Mal kam niemand. Sie wartete und wartete, aber nichts geschah.

Nein, das ist falsch – es geschah etwas, was später sogar in der Zeitung erwähnt wurde. Es zog nämlich ein Sturm auf, der so heftig war, dass sich die Bäume bis zur Erde beugten und sogar Dachziegel durch die Luft flogen. Was auch durch die Luft gewirbelt wurde, war der Zaun um Frau Maier herum. Nach dem Sturm begann es fürchterlich zu regen und Frau Maier verkroch sich schnell unter ihrem Panzer – und wartete immer noch.

Als der Spuk vorüber war, lugte sie vorsichtig aus ihrem gepanzerten Schutz hervor, bemerkte, dass die Welt nicht untergegangen war und entspannte sich. Lediglich ihr Zaun war weg. Das war ja nicht weiter schlimm. Sie schaute nach rechts und dann nach links, geradeaus und hinter sich, aber von Oscar war weit und breit nichts zu sehen. Sie saß mutterseelenallein auf der weiten Wiese.

»Ich warte noch ein bisschen, dann mache ich mich auf nach Hause!« Sprach's und knabberte, ohne große Lust, an einem nassen Blatt.

Es kamen die Nacht und der Morgen, dann der Mittag. Am Nachmittag hatte sie die Warterei satt.

Schildkröten haben einen außerordentlich guten Orientierungssinn, sie sehen und riechen außerdem sehr gut. Frau Maier wusste also in welche Richtung sie krabbeln musste, um nach Hause zu gelangen. Und sie tippelte entschlossen los.

Könnt ihr euch vorstellen wie langsam ihr Tippeln war? Sie strengte sich zwar mächtig an vorwärtszukommen, aber viel brachten diese Bemühungen nicht.

Es verging eine Woche, ehe Oscar wieder völlig gesund war. Endlich durfte er das Bett verlassen, und als Erstes wollte er natürlich zu seiner Schildkröte. Und da fiel es ihm wieder ein: Er hatte sie ja nicht mehr von der Wiese abholen können! Und seine Eltern hatten Frau Maier vor Sorge um ihn leider auch die ganze Zeit vergessen. Sie machten sich schlimme Vorwürfe, aber zu spät.

Voller Kummer und einem bangen Rumoren im Bauch machte er sich sofort auf den Weg zu ihr. Aber welch Schreck, sie war weg! Nur ein kaputter Zaun lag noch da.

Oscars Herz klopfte wie verrückt, die Tränen kullerten. Egal wohin er auch schaute, er sah nur Wiese. Keine noch so winzige Spur von Frau Maier.

Die Eltern hatten ein furchtbar schlechtes Gewissen und versuchten ihren Sohn zu trösten, aber alle Bemühungen waren umsonst.

»Ohne meine Frau Maier werde ich nie, nie wieder glücklich«, jammerte Oscar.

Also machte sich die ganze Familie auf die Suche nach dem verschwundenen Haustier.

Aber wie findet man eine kleine, stumme Schildkröte? Zum ersten Mal wünschte sich die Mama: »Wenn sie doch nur bellen oder miauen könnte, dann wäre es leichter! Aber wir wollten ja ein unauffälliges Tier. Nun haben wir den Schlamassel!«

Alles Suchen half nicht. Sie war weg und blieb es auch. Oscar schniefte, die Eltern waren auf sich selbst böse und der Tag war gelaufen.

Am nächsten Morgen begannen sie die Suche auszuweiten. Straßen wurden abgesucht, Nachbarn befragt. Auch bei mir klingelte Oscar, aber weder ich noch die anderen konnten ihm helfen.

Oscar zeichnete seine Schildkröte auf ein Blatt Papier, um es an die Laternenpfähle zu kleben. Darauf hatte er geschrieben: Hilfe, meine Schildkröte ist weg. Sie hört auf den Namen Frau Maier. Sie ist klein. Ich hab sie sehr lieb und sie mich auch. Wer hat sie gesehen? Es folgte seine Adresse. Sogar einen Finderlohn versprach er von seinem Taschengeld zu zahlen.

Leider waren alle Aktionen vergebens. Die Schildkröte blieb unauffindbar und man fürchtete schon das Schlimmste.

Frau Maiers Familie litt ganz offenbar an dem Verlust. Dieses kleine Tierchen gehörte wirklich schon dazu. Sie hatten sich alle an ihre Anwesenheit gewöhnt und vermissten sie. Die Stimmung war getrübt. Der Fußboden war so leer ohne den Panzer mit den vier Beinchen und dem Köpfchen.

Nach langem Hin und Her beschlossen sie, eine neue Schildkröte in der Zoohandlung zu kaufen. Diese konnte und sollte natürlich nie im Leben ihre Frau Maier ersetzen, aber ohne Schildkröte ging es auch nicht mehr. So kauften sie Herrn Müller.

Eigentlich sahen sie gar keinen großen Unterschied zu Frau Maier. Aber Herr Müller war trotzdem anders. Jedes Tier hat seinen eigenen Charakter – sogar unscheinbare Schildkröten. Er, zum Beispiel, war viel ängstlicher, obwohl er ein Mann war.

Schnell gewöhnte man sich an Herr Müller und liebte ihn, genauso wie Frau Maier. Bald dachte niemand mehr an das verschwundene Tierlein …

So könnte meine Geschichte enden. Tut sie aber nicht. Jetzt kommen der eigentliche Schluss und die Überraschung: Eines Morgens, es mussten wohl drei Wochen vergangen sein, da stolperte Oscar, als er zur Schule wollte, über etwas Hartes.

Er fluchte und bückte sich. Und da saß sie, die Frau Maier. Sie blickte ihn an mit ihren kleinen Äuglein und sah aus wie immer; nur ihr Panzer hatte einen feinen Riss. Was sie erlebt hatte auf ihrer Wanderschaft, wird sie leider nie erzählen können.

Das Jubeln nahm kein Ende! »Frau Maier ist wieder da! Sie hat es alleine geschafft uns zu finden! Das ist mal eine Leistung! Meine Frau Maier!« Oskar hob sie in die Luft und wirbelte herum, dass Frau Maier ganz schlecht wurde. Auf der gesamten Tour nach Hause ging es ihr im Bauch nicht so mies wie eben jetzt. Aber das zählte nicht, denn auch sie war unendlich froh wieder auf bekanntem, trockenem, sauberem und ebenem Boden krabbeln zu können. Und den Geruch von Oscar erst, ja den mochte sie lieber als alles andere.

Oscars Freude wollte kein Ende nehmen, als ihm klar wurde, das er ab jetzt zwei Schildkröten besaß.

Er stellte Herrn Müller Frau Maier vor und beide schienen mit dem neuen Zimmerkameraden zufrieden zu sein. Sie bestupsten sich kurz und krabbelten gemeinsam von dannen. Acht Füßchen, zwei Panzer und zwei Köpfchens belebten den Boden. Herrlich!

Die Eltern klatschten bei dem Anblick in die Hände und der Vater sagte mit einem Augenzwinkern: »Na, da werden wir uns wohl bald um Babynahrung kümmern müssen!« Und schmunzelnd präsentierte er zur Feier des Tages ein extragroßes, saftiges Salatblatt, das die beiden neuen Freunde genüsslich teilten.

Und da Schildkröten bekanntlich sehr, sehr lange leben, werden sie Oscar und seinen Eltern sicher noch viel Freude bereiten. Ich jedenfalls habe nie wieder von einer oder zwei vermissten Schildkröten gehört.

Und das ist nun wirklich das Ende.

Der tierische Wahnsinn geht weiter

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