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Wenn das Wörtchen Wenn nicht wäre …

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Ich war nicht immer so zufrieden mit meinem Leben wie heute. Warum? Weil ich früher von mir selbst enttäuscht war. Wie kann man von sich selbst enttäuscht sein?, werdet ihr fragen. Heute weiß ich es auch nicht mehr. Aber damals …

Vielleicht hätte sich auch an meiner traurigen Stimmung nichts geändert, wenn, ja, wenn nicht etwas Bedeutendes passiert wäre. Passt auf:

Ich war ein ganz normales Schmetterlingsei. Aus diesem Ei bin ich zunächst als Raupe herausgekrochen und habe gefressen, soviel ich konnte. Ich wurde pummelig und dann dick und schließlich fett, meine Haut wurde zu eng und ich musste sie abwerfen. Jaja, ihr lest richtig! Wenn man ein Schmetterling werden will, da gehört das mit dem Abwerfen der Haut dazu, dadurch wird aus der Raupe nämlich ein Schmetterling.

Wieso war ich nun enttäuscht? Ein Schmetterling zu werden ist doch wunderbar! Das stimmt zwar, aber … Hört einfach, wieso:

Ich war also ein harmloses Räupchen, futterte so vor mich hin und meine einzigen Gedanken dabei waren: Bitte, bitte, mach, dass ich ein schöner Schmetterling werde! Einer, dem man bewundernd nachschaut, mit vielen verschiedene Farben und Mustern. Meine Flügel sollen eine Zierde sein! Bitte, bitte, lass mich kein Kohlweißling werden.

Kohlweißlinge fand ich hässlich, sie sind nur weiß und haben ein paar schwarzen Flecken. Kurz gesagt, sie sind langweilig. Der Name an sich verrät schon einiges über das Äußere. Das Gegenteil also von bunten Schmetterlingen. Diese wurden von allen geliebt: Von Menschen, die sich an ihnen erfreuten, die Blumen ließen sich von schönen Schmetterlingen sicher viel lieber den Nektar herausschlecken und Tiere mochten sie sicher auch.

Ja, genau so einer wollte ich werden. Viele Farben sollten meine Flügel haben, denn Farben bringen Freude.

Ich versuchte in der engen Raupenhülle zu erraten, welche Farbe mein Kleid haben könnte. Aber es war zu eng und zu dunkel. Also blieb mir nur übrig zu bangen und zu hoffen.

Der Tag kam, ich musste nun als Schmetterling auf die Welt kommen.

Gott, war ich aufgeregt! Bunt oder weiß? Schön oder hässlich? Das war hier die Frage. Ich schaute um mich herum und sah schon viele Schmetterlinge fliegen. Wild durcheinander flatterten sie und alle, ausnahmslos alle waren wunderschön gelb, rot, blau, orange oder grün. Und die Muster erst!

Dann war ich dran, ich musste meine Flügel öffnen. Mein Herz klopfte. Bitte, bitte … Ich öffnete sie, schaute kurz hin und sah … Weiß. Weiß, nichts als Weiß! Ich war ein blöder Kohlweißling geworden!

Ich sah aus wie weißer Kohl! Unscheinbar, schmucklos, dürftig, unauffällig, wenn nicht sogar primitiv! – Ich war bedeutungslos.

Das Schlimmste war: Ich konnte nichts tun, um irgendwie hübscher zu werden.

Ich war bestürzt und unendlich traurig. Am liebsten hätte ich mich wieder zurückverwandelt in eine Raupe. Raupen machen sich nicht solche Gedanken um ihr Aussehen. Raupen sind halt Raupen, sie legen keinen großen Wert auf Schönheit. Ich beneidete sie wegen dieser Art zu denken.

Ich setzte mich betrübt auf einen Stein, betrachtete nochmals meine ollen weißen Flügel und schämte mich. Ich traute mich nicht herumzuflattern mit den anderen Bunten. Vielleicht lachten die mich sogar aus?

Ich erspähte ein Pfauenauge, den Star unter den Schmetterlingen. Vielleicht hatte er einen Rat für mich, vielleicht wusste er eine Lösung für mein Problem. Konnte man mich vielleicht doch etwas aufhübschen? Er schien mir etwas älter zu sein, also hatte er sicher Erfahrung im Leben.

Ich flatterte hoffnungsvoll auf ihn zu.

Aber er schüttelte nur seine Fühler und sprach: »Schönheit vergeht, Kleiner. Da du nicht gerade mit Schönheit angeben kannst, musst du schlau sein. Klugheit ist besser.« Dann flog er davon, mit seinen wunderschöne Körper.

»Mann, Pfauenauge, du hast gut reden! Wozu soll ein Schmetterling klug sein?«, dachte ich verärgert. »Unsinn, ich will bunt sein und nicht schlau. Davon habe ich nichts!«

Ich war neidisch. Ich blickte voller Achtung auf all die anderen. Wie sie tobten und spielten und wie sie den Himmel bunt färbten! Sogar die Sonne schien an ihrem Treiben Gefallen zu haben, denn sie strahlte wunderbar. Die Blüten reckten ihre Köpfchen. Jede wollte ihren Neckar anbieten. Ich aber hatte keine Lust zu den Blumen zu fliegen, sie hatten sicher auch keine Lust auf mich, weiß wie ich war.

Wie ich so vor Selbstmitleid zerfloss, sah ich plötzlich einen eigenartigen Mann auf uns zukommen, nein, zuschleichen. An sich wäre das noch kein Grund gewesen sich zu ängstigen, aber er trug eine Art Netz mit Stange daran und ich hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache. Wozu sollte das Netz gut sein? Komisch.

Ich begann mir Sorgen zu machen. Also beobachtete ich den seltsamen Mann. Das Netz ließ ich nicht aus den Augen.

»Um alles in der Welt, was macht er denn damit?« Er schlug das Netz gezielt auf den Boden oder fuchtelte eigenartig in der Luft damit rum.

»Wozu dieser Blödsinn?«, überlegte ich.

Und plötzlich hatte ich die Erleuchtung: Er versuchte uns zu fangen! Bis jetzt übte er noch, er brachte sich erst in Form. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis er versuchen würde, uns zu überlisten.

Und dann sah ich voller Schrecken auch noch ein großes Glas, das neben ihm auf dem Boden stand. Ich brauchte nicht lange nachzudenken, denn mir war klar: »Erst fangen, dann da rein stecken.« Und das würde den Tod für jeden Gefangenen bedeuten! Ich musste was unternehmen, gleich, sofort, augenblicklich! Denn ich war offensichtlich der Einzige, der die Gefahr erahnte. Die Bunten tummelten sich weiterhin unbeschwert in der Luft herum. Alle waren mit sich beschäftigt. Keiner bemerkte etwas von der drohenden Notlage.

Ich vergas meinen Kummer als Einfarbiger und dachte mir eine Taktik aus, um die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Ich rief in Panik: »Achtung, Achtung! Da vorn, Gefahr von rechts!« Aber keiner wollte mich hören. Ich begann wie wild herumzukreisen, hoch und runter, Kurve rechts, Kurve links, mitten durch die anderen. Es dauerte nicht lange, da hatte ich mein Ziel erreicht. Sie schauten alle genervt zu mir! Mir kam es so vor, als ob sie mit mir schimpfen wollten. Dieses blödsinnige Herumgeflatter störte sie. Klar, das war ja auch meine Absicht! Aber ich hörte nicht auf und flog nun Richtung Feind. Und da, plötzlich erkannten sie den Zweck meiner Aktion, denn sie sahen den Schmetterlingsfänger!


Wie auf Kommando flatterten alle davon – ich mit ihnen. Aus sicherer Entfernung beobachteten wir den Jäger, er wiederrum, sah wütend zu uns hin. Wir waren unerreichbar geworden, sein Plan ging nicht auf. Ihm blieb nichts anderes übrig als sein komisches Netz über die Schulter zu schwingen, das Glas einzustecken und sich davonzumachen. Und wie er dabei schimpfte und fluchte!

»He Kohlweißling, du hast uns gerettet! Du bist klug und echt clever. Du hast uns bewiesen, dass du aufmerksamer und schlauer bist als wir. Wir haben nur an unseren Spaß gedacht. Hätten wir dich nicht gehabt … wer weiß. Danke, danke, Dankeschön«, so riefen alle durcheinander.

Ein älterer Zitronenfalter hatte sogar eine gruselige Geschichte zu berichten. »Hast du denn eine Ahnung, was man mit den Gefangenen gemacht hätte? Wir wären auf eine Nadel gepikst worden, dann kämen wir in einen Glasschaukasten wo man uns betrachtet und studiert hätte. Jedes noch so kleine Härchen würde untersucht, ein bedauerliches Ende, oder?«

Wir alle bekamen Angst.

Das durfte nicht noch mal passieren, darüber waren wir uns einig.

»Was wir brauchen, ist ein Spion! Einer der gut beobachten und uns warnen kann, im Fall der Fälle. Das ist die Aufgabe eines Schmetterlingschefs! Und dieser Chef sollst du sein, Kohlweißling!«, erklärte der Zitronenfalter gewichtig.

Mit diesen gewichtigen Worten bildeten sie einen Kreis um mich und jeder berührte mit seinen Flügeln meine Flügel. Ich war stolz.

Ja Leute, und so wurde ich zum Anführer einer bunten Schmetterlingsschar. Keine schlechte Karriere, was? Ich liebe meinen Job und ich mache gute Arbeit als Späher und Warner. Meine Flügel erweisen mir immer wieder gute Dienste dabei. Sie sind schnell und kräftig und … weiß. Das ist mir inzwischen total egal. Ehrlich, ich bemerke den Mangel an Farbe gar nicht mehr. Farbe ist mir gleichgültig geworden. Und enttäuscht, nein, enttäuscht bin ich längst nicht mehr von mir. Ich habe mich doch ganz schön entwickelt, nicht wahr? Vom Ei zur Raupe zum Kohlweißling zum Boss aller Schmetterlinge dieser Wiese.

Eins ist gewiss: Ein Schönling bin ich nicht, aber ich bin auf meine Art schön, sogar wunderschön. Denn wahre Schönheit kommt von innen. Sie sieht man nicht.

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