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Kapitel 2

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„Sie haben recht, Mr Rawlings, Sie können bestimmen, wer Ihr Geheimnis wissen darf und wer nicht. Ich geben Ihnen mein Wort, dass ich es niemandem erzählen werde. Auch Caroline nicht.“

„Aber Sie werden das Angebot nicht annehmen“ stellte er ruhig fest.

„Nein.“ Ich ging zum Schreibtisch zurück, goss etwas Whisky in ein zweites Glas und reichte es meinem Besucher. Nach kurzem Zögern nahm er es an. „Trotzdem werde ich Berichte über seltsame Sichtungen nicht weiter verfolgen und Ihre Anonymität schützen, so weit es mir möglich ist. Achten Sie nur darauf, Ihre Wölfe ruhig zu halten. Wenn es zu viele Sichtungen gibt, oder gar Verletzte oder Tote, muss ich eine Untersuchung einleiten.“

Rawlings musterte mich verdutzt. „Sie werden unsere Anonymität schützen…? Aber dann,… ich meine, damit erfüllen Sie dann doch genau das, worum wir bitten. Mehr wollen wir doch gar nicht.“

„Ich weiß.“

„Ich verstehe nicht ganz. Soll das heißen, Sie wollen unsere Bitte erfüllen, ohne die angebotene Gegenleistung anzunehmen?“

Mit einer kurzen Geste deutete ich auf den Stuhl und setzte mich ebenfalls, als Rawlings der Aufforderung nachkam. „Hören Sie, es würde zu einer unkontrollierbaren Panik kommen, wenn heraus käme, dass es Werwölfe wirklich gibt und wie viel alleine in diesem Bezirk leben. Also ist es eine gute Sache, diesen Fakt besser geheim zu halten. Wie gesagt, solange nichts passiert, das mein Eingreifen erfordert und darum bin ich einverstanden.“ Ich nippte an meinem Whisky. „Doch mit Ihnen zusammen arbeiten kann ich nicht, wenn ich Caroline dafür anlügen müsste. Sie kennt die normalen Vorgänge bei Einsätzen gut genug, um schnell zu erkennen, dass etwas anders wäre, wenn ich eine Armee von fast unverletzbaren Wesen hätte und alles zu leicht abliefe. Sie würde wissen, dass ich lüge und das kann ich auf keinen Fall tun.“

Mein Gast mustere mich eine ganze Weile. „Das ist Ihr einziger Grund?“ Er klang etwas ungläubig und blinzelte, als ich nickte, ohne zu lachen.

„Ja, ganz recht. Tut mir leid, wenn Sie es nicht verstehen, aber…“

„Oh, nein nein, ich verstehe es durchaus. Ich habe nur nicht damit gerechnet, so etwas bei einem so jungen Mann zu erleben.“

„Jungen Mann? Vielen Dank“ antwortete ich trocken, „aber mit sechsunddreißig Jahren zähle ich mich nicht mehr zum jungen Gemüse.“

Ein bisschen erschrak ich, als Rawlings ein seltsam ersticktes Geräusch von sich gab. War etwas mit ihm? Doch dann prustete er plötzlich los. Laut pochend stellte er das Glas ruckartig auf den Tisch, wobei ein paar Tropfen Whisky überschwappten, und hielt sich die Seite vor Lachen. Es dauerte einige lange Sekunden, bis er sich einigermaßen beruhigte. „Sorry“ jappste er, zauberte ein Taschentuch hervor und wischte die Alkoholflecken auf. Ich hielt ihm zugute, dass er redlich bemüht war, sein Grinsen im Zaum zu halten. Auch wenn er nur mäßigen Erfolg hatte. „Manchmal vergesse ich einfach, wie kurz ein Menschenleben ist.“

„Eine Menschenleben?“

„Um Ihrer Frage vorweg zu nehmen, oder falls Sie zu höflich sind, sie zu stellen: mein sechsunddreißigster Geburtstag liegt jetzt“ er rechnete kurz nach „etwas mehr als hundertsiebenundfünfzig Jahre zurück.“

Darauf fiel mir keine schlagfertige Antwort ein. Um den Schock zu dämpfen, nahm ich einen großen Schluck von dem weichen Single Malt und sinnierte darüber, dass das Werwolfdasein offenbar ziemliche Vorteile hatte. Fast unverwundbar, offenbar außerordentlich langlebig und der größte Nachteil, einmal im Monat zu einer wilden, unbezähmbaren und mörderischen Bestie zu werden, schien nur ein Mythos zu sein.

„Nehmen Sie es mir also nicht übel, wenn ich Sie zu den jungen Leuten zähle.“ Er war wieder ernst. „Es war mein Ernst, dass ich diesen Grund verstehe und auch respektiere. Aufrichtigkeit ist der Grundstein für Vertrauen und Vertrauen wiederum der Grundstein für eine gute Beziehung.“

„Genau so sehe ich das auch“, stimmte ich zu.

Rawlings stand auf und nickte mir zu. „Also, Detective Manson, ich danke Ihnen für Ihre Zusage und seien Sie unbesorgt, ich werde meine Wölfe so ruhig wie möglich halten.“

„Das ist gut.“ Ich brachte meinen Gast zur Tür und wir schüttelten uns freundschaftlich die Hand.

Es dauerte zwei ganze Wochen, bis ich das erste Mal einen dieser seltsamen Anrufe miterlebte. Zwischen all den Geräuschen der Drucker, Faxgeräte, klingelnder Telefone und Kollegen, die Anzeigen aufnahmen oder Befragungen durchführten, stach der belustigte Tonfall von Inspektor George Perkins ungewöhnlich genug hervor, dass ich mich unwillkürlich umdrehte. Als er meinen Blick bemerkte, tippte Perkins sich an die Stirn und grinste. Er verdrehte die Augen, während er zuhörte. Meine fragend hochgezogenen Brauen quittierte er mit einem Kopfschütteln.

„Aha, ein großer, grauer Werwolf hat eine Ihrer Kühe gerissen.“ Perkins seufzte vernehmlich. „Und lassen Sie mich raten, Mr Hollister, es ist Ihnen auch diesmal nicht gelungen, den Werwolf deutlich zu fotografieren.“ Er hörte einen Moment zu. „Ja ja, so ist das eben mit diesen Tierchen. Sie sind dafür bekannt, dass sie fotoscheu sind.“ Offenbar fand der Anrufer das nicht allzu lustig und Perkins’ Stimme wurde schärfer. „Ich glaube eher, dass Sie uns veralbern wollen, Hollister. Es gibt keine Werwölfe, Mann! Das ist Aberglauben.“ Kurzes Zuhören. „Was weiß ich, vielleicht hat einer Ihrer Nachbarn Ihnen einen Streich gespielt und Sie sind auch noch prompt darauf hereingefallen. – Nein, wir werden nicht noch mal mitten in der Nacht ausrücken, um Phantome zu jagen. Ich schicken Ihnen morgen früh jemanden, der den Sachverhalt für den Bericht aufnimmt. – Nein, ganz sicher nicht. – Das ist Unsinn, Hollister, …. – Na, dann halt nicht. – Ja, Ihnen auch.“

Sachte legte Perkins den Hörer auf, fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und grinste mich dann an. „Machen Sie sich keine Gedanken, Detective. Frank Hollister sieht jede Vollmondnacht Werwölfe auf seiner Ranch.“

Ich erwiderte das Grinsen. „Ah ja, ich habe schon von der seltsamen Fauna in dieser Gegend gehört. Wenigstens hält er sich an die allgemeinen Vorgaben, wenn er nur in Vollmondnächten anruft.“

„Zum Glück“ brummte Perkins trocken. „Drei Nächte jeden Monat reichen mir auch völlig mit diesem Unsinn.“

Alle Kollegen die zugehört hatten, lachten und gaben mit kurzen Rufen ihre Zustimmung kund.

„Warum gerade Werwölfe?“ gab ich mich ahnungslos. „Hat er zu viele Horrorfilme gesehen, oder ist er einfach nur verrückt?“

„Frank trinkt gerne mal einen über den Durst“, warf Inspektor Haberling ein. „Und während normale Säufer nur harmlose weiße Mäuse sehen, sind es bei ihm eben Werwölfe.“

„Armer Kerl“, brummte ich und meinte es von Herzen ehrlich.

„Soll er doch das Saufen lassen“, knurrte Inspektor Steward, ein Hüne von Mann mit kurzem blonden Stoppelhaar. „Einige Male war ich schon draußen und habe mir die Nacht um die Ohren gehauen, um nach Fantasiegestalten zu suchen. Natürlich immer ohne irgendwas zu sehen. Nur ein paar Abdrücke im Erdboden und eben das tote Rind.“

„Abdrücke?“ Ich horchte auf. „Was für Abdrücke?“

„Das ist das einzige, das ihn bisher vor der Psychiatrie bewahrt hat. Den Spuren zufolge war tatsächlich etwas Zweibeiniges mit großen Pfoten und Krallen auf den Weiden unterwegs und den Verletzungen am Vieh nach zu urteilen, war etwas mit ungeheurer Kraft am Werk.“

Tatsächlich? Die Härchen in meinem Nacken richteten sich auf, als ich an das riesige Monstrum dachte, das vor zwei Wochen in meinem Büro gestanden hatte. Ob betrunken oder nicht, solch ein Monster musste einem eine höllische Angst einjagen und ich konnte mir seinen Frust vorstellen, weil ihm niemand glaubte. Ich war der einzige Mensch hier, der genau wusste, dass Frank Hollister nicht halluzinierte.

„Was glauben Sie, war es? Haben wir hier ein Problem mit einem Bären oder Raubkatzen? Etwas, das aus einem Zoo ausgebrochen ist?“

„Ach Unsinn“, wehrte Perkins ab und scheuchte Steward mit einer raschen Kopfbewegung zurück. „Diese Spuren sind reiner Fake. Keine Raubkatze läuft auf zwei Beinen und kein Bär hat solche Pfoten. Es sind irgendwelche Spinner, die sich einen Spaß daraus machen, den stadtbekannten Säufer in Angst und Schrecken zu versetzen. Wahrscheinlich sitzen sie jetzt irgendwo zusammen und lachen sich schlapp, weil es wieder mal geklappt hat.“

Ich nickte, doch einen Punkt gab es noch. „Aber es wurde Vieh gerissen, oder?“

Abrupt verfinsterte sich Perkins’ Gesicht. „Allerdings und genau damit gehen die Kerle zu weit. Klar, Hollister bekommt das tote Vie jedes Mal ersetzt, wenn er unseren Bericht über Vandalismus und Sachbeschädigung vorlegt, aber wenn ich diese Idioten irgendwann in die Finger bekommen, werden die mich mal richtig kennen lernen.“

„Gut“, gab ich mein Einverständnis. „Haben Sie einen Verdacht, wer dahinter stecken könnte?“

„Ein paar“, brummte Perkins. „Aber ich habe nicht den Hauch eines Beweises, nicht mal ein Indiz. Daher möchte ich erstmal niemanden offiziell verdächtigen.“

„Ok, aber bleiben Sie am Ball.“

„Ja, Sir.“

„Gut, Männer, dann wünsche ich eine ruhige restliche Schicht.“ Ich klopfte auf den Tisch und trat etwas verspätet meinen Feierabend an. Eigentlich hätte ich schon vor über einer Stunde gehen können, doch die Neugier hatte mich hier gehalten. Es war die erste Vollmondnacht seit Rawlings Besuch und ich hatte wissen wollen, ob etwas passierte. Jetzt hatte ich die Antwort.

Zumindest ein Teil davon. Den Rest wollte ich mit eigenen Augen sehen. Ich schluckte etwas unbehaglich, denn wollen war etwas zu optimistisch formuliert. Es war eigentlich nicht unbedingt mein Wunsch, in die Nacht zu gehen und genau dorthin zu fahren, wo gerade ein Werwolf gesehen worden war, während der runde Vollmond am Himmel stand.

Aber nur so konnte ich mich überzeugen, ob Rawlings mir die Wahrheit gesagt hatte und seine Werwölfe wirklich harmlos waren. Werwolf und Harmlos schienen mir zwei Synonyme, die einander eigentlich ausschlossen. Denn trotz seiner eindrucksvollen Demonstration damals, steckten die Vorurteile und Ängste noch zu tief in mir drin.

Ebenso eine instinktive Furcht, als ich meinen Rover über die düstere Straße lenkte. Frank Hollister wohnte etwas außerhalb von Callowstone und wie in solchen Kleinstädten üblich, gab es nur im Ortskern Laternen, so dass das einzige Licht von meinen Scheinwerfern und der hellen, bleichen Scheibe am Himmel kam. Alles in allem die perfekte Szene für einen Horrorfilm und ganz automatisch lauschte ich auf das klassische Heulen, durch mein leicht geöffnetes Fenster. Doch neben dem sanften Schnurren des Motors war nur hin und wieder der entfernte Ruf eines Käuzchens zu hören.

Um die nächste Kurve lag Hollisters größte Weide. Hinter der Kurve fuhr ich auf die Auffahrt zur Weide. Ich schaltete meine Scheinwerfer aus und ließ den Rover die letzten zwei Meter bis zum Zaun ausrollen. Dann stoppte ich und saß einen sehr langen Moment reglos in der Stille.

Tja, und nun? Ich war ja nicht hier herausgefahren, um einfach sitzen zu bleiben, aber mir behagte der Gedanke gar nicht, meinen Wagen zu verlassen, der mir wie eine sichere Zuflucht vorkam. Ich ließ meinen Blick aufmerksam durch das silbrige Dämmerlicht schweifen und suche nach verdächtigen Bewegungen. Es gab nicht einmal ein Huschen am Rand oder sonstiges. Alles war ruhig und still, so wie es nachts eben sein sollte, und mit einem schweren Seufzen gab ich mir einen inneren Ruck. Langsam und angespannt stieg ich aus, jederzeit bereit, mit einem Satz wieder in den Wagen zu springen. So stand ich eine ganze Weile neben der offenen Tür und lauschte mit allen Sinnen, wagte kaum zu atmen.

Es dauerte einige Minuten, doch schließlich entspannte ich mich allmählich und begann zu hoffen, dass ich nicht in den nächsten Sekunden von einer Bestie zerrissen würde. Tief atmete ich durch und ließ die Wagentür zuschnappen. Yeah, meine heutige Heldentat!

Ich zog einen Zigarillo aus der Hemdtasche und zündete es an, inhalierte den würzigen Rauch und blies ein paar Kringel in die Luft.

Aus dem Dickicht direkt neben mir erklang ein neugieriges Schnüffeln. Die Blätter raschelten und die Zweige wankten heftig, als sich etwas sehr großes darin bewegte.

Jäh sprang ich mit einem Satz nach hinten, landete auf der Motorhaube, warf mich herum und zog in hundertfach geübter Bewegung meine Waffe, während ich über das Blech rutschte. Kaum ein, zwei Sekunden konnten vergangen sein, bis ich hinter meinem massiven Rover hockte und mit der Beretta auf das Gebüsch zielte. Das Herz schlug mir bis zum Hals und ich konnte nur mühsam ein entsetztes Keuchen unterdrücken, als ein riesiger Werwolf daraus auftauchte.

Leise grollend pflückte er Zweige und Dornen aus seinem Fell. Hellbraunes Fell. Er war also nicht der Werwolf, den Hollister bei seinem Vieh gesehen hatte. Trotzdem suchte ich im Gesichtsfell nach Blut oder anderen Indizien, die auf eine Untat hindeuteten. Da war aber nichts. Das Fell war sauber und trocken. Nur etwas verklettet durch den Kampf mit dem Gebüsch.

Wieder schnüffelte er interessiert und bewegte den massigen Kopf hin und her, ohne mich auch nur mit einem einzigen Blick zu würdigen. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich darüber erleichtert oder beleidigt sein sollte.

Schließlich fand er, was er suchte, bückte sich mit einer schnellen, geschmeidigen Bewegung und hob den Zigarillo auf, der mir vor Schreck aus dem Mund gefallen war. Was zum Teufel wollte ein Werwolf mit einem Zigarillo? Wenn er sich den jetzt zwischen seine Lefzen klemmte, würde ich vermutlich einen Lachkrampf bekommen, oder sonst was Absurdes tun.

Stattdessen wedelte er mit einer riesigen Pranke durch die Rauchwolke, schnupperte dabei wieder und schloss dabei sogar genüsslich die Augen.

„Was zum Teufel…“ murmelte ich. Für menschliche Ohren wäre es zu leise gewesen, aber die großen spitzen Ohren des Werwolfs zuckten und drehten sich in meine Richtung. Sofort spannten sich meine Muskeln wieder. Er öffnete die Augen und sah mich aus gelten Pupillen an.

„Ganz ruhig bleiben“ warnte ich das Ungetüm. „In dieser Waffe sind Silberkugeln, also keine komischen Bewegungen.“

Sein Blick senkte sich kurz auf die Beretta, was bewies, dass er mich verstehen konnte. Er nickte und hob den Blick wieder zu mir.

„Sie sind Detective Manson“ sagte der Werwolf. Wie bei Rawlings klang die Stimme guttural und rollend, war aber ganz gut zu verstehen.

„Richtig. Und Sie sind?“

Der Werwolf kaute kurz mit seinen scharfen, langen Reißzähnen, was mich sofort nervös machte. Ich packte die Beretta fester. Er schien das Wittern zu können, denn seine Nase zuckte leichte, bevor er die Pranken halbhoch hob und langsam einen Schritt zurück machte. Dabei trat er mit den Pfoten mitten in das Dornengebüsch, jaulte kurz auf und stieß dann einen grummelnden Fluch aus. Das Ungetüm hüpfte einen Schritt zur Seite, lehnte sich an meinen Wagen und untersuchte die Unterseite der Pfote. Das war so typisch menschlich, dass ich unwillkürlich grinsen musste. Die zu großen Pranken mit den langen, gebogenen Krallen waren völlig ungeeignet, einen kleinen Dorn zu fassen. Das schien der Werwolf auch zu merken, denn er grollte leise vor sich hin.

„Ich glaube so wird das nichts. Sie sollten sich ganz oder zumindest Ihre Hände zurück verwandeln.“

„Das geht bei Vollmond nicht.“ Der Werwolf gab ein Geräusch von sich, das wie ein Seufzen klang. „Da haben wir keine Kontrolle über die Verwandlung. Das geht nur an anderen Tagen.“

Ach? Ein interessantes kleines Detail, das Rawlings zu erwähnen vergessen hatte.

Einige Sekunden beobachtete ich den Werwolf noch, wie er konzentriert an seiner Pfote kratzte. Dann gab ich mir selbst gegenüber zu, dass es irgendwie albern war, weiterhin mit gezogener Waffe hier herum zu stehen. Also steckte ich die Beretta ein und näherte mich ihm vorsichtig.

„Äh“ ich räusperte mich „soll ich es mal versuchen?“

Der Werwolf hob den Kopf und ich konnte sogar in den gelben Raubtieraugen deutlich die Überraschung erkennen. Rasch musterte er meine nun leeren Hände.

„Malcolm hat tatsächlich nicht übertrieben“, brummte er. „Sie sind wirklich nicht leicht aus den Socken zu werfen, was?“ Ohne weitere Umstände hob der Werwolf das Bein und streckte mir seine Pfote entgegen. „Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Detective. Das ist einer der wenigen Nachteile, wenn man ohne Schuhe herum laufen muss.“

Das Groteske dieser Situation ignorierend, zog ich meine kleine Taschenlampe hervor und richtete den Strahl auf die Pfote. Ein großer Dorn steckte tief in einem der Ballen. Vorsichtig fasste ich den Übeltäter mit den Fingernägeln. „Das wird sicher kurz weh tun“, warnte ich ihn – nicht dass er vor Schreck oder Überraschung plötzlich zulangte.

„Ich wird’s überleben“, grollte der Werwolf trocken.

Mit einem schnellen Ruck zog ich den Dorn heraus. Der Werwolf schnaufte leise, rührte sich aber sonst nicht. Ein kleiner Blutstropfen erschien und glitzerte im Strahl der Lampe. „Damit sollten Sie nicht so herumlaufen. Es könnte sich entzünden, wenn zuviel Schmutz hinein kommt.“

„Keine Sorge.“ Völlig unbekümmert setzte er die Pfote auf den Boden. „In dieser Gestalt heilen Wunden umgehend.“

„Praktisch“, murmelte ich und grinste ihn an. „Es dürfte schwierig werden, einen Arzt zu finden, der Ihnen helfen kann, bevor er vor Schreck in Ohnmacht fällt.“

Der Werwolf lachte. Obwohl er nur leise lachte, war es ein tief in der mächtigen Brust grollender Laut, der mich eigentlich zutiefst erschrecken müsste. Stattdessen lachte ich mit und beschloss, mich einfach später zu wundern.

„Das wäre ein Anblick.“ Ein gelbes Raubtierauge zwinkerte mir vertraulich zu. „Da wäre wohl selbst unser Veterinär überfordert.“

Ein Bild schoss mir durch den Sinn, wie dieses riesige Ungetüm in aller Seelenruhe neben Omis mit Katzen auf dem Schoss im Wartezimmer saß. „Oder die Besitzer seiner Patienten“, gluckste ich.

„Oder die.“ Ganz langsam, um mich nicht zu erschrecken, streckte mir der Werwolf eine Pranke entgegen. „Danke für Ihre Hilfe, Detective. Das hat sich nicht einmal Witherspoon getraut, obwohl er so viele Jahre mit uns zusammen gearbeitet hat. Er hat es trotzdem immer vermieden, uns zu nahe zu kommen.“

Vorsichtig, um nicht aus Versehen an den langen, scharfen Krallen zu verletzten, nahm ich die Pranke und schüttelte sie kurz. Ein außerordentlich seltsames Gefühl. Ganz deutlich spürte ich die harten Muskeln, die gespannten Sehnen und die samtweichen Ballen. „Gerne geschehen“, antwortete ich und meinte es auch ernst. Trotz des grauenerregenden Äußeren schien die Person dahinter einfach nur sympathisch.

Der Werwolf nickte. „Sie hatten nach meinem Namen gefragt.“ Er atmete tief durch. „Wissen Sie, normalerweise geben wir uns Menschen gegenüber nicht zu erkennen, wenn wir in dieser Gestalt sind. Schließlich müssen wir tagsüber wieder Seite an Seite mit ihnen zusammen leben.“

„Oh.“ Verblüfft über meine Kurzsichtigkeit runzelte ich die Stirn. „Daran hatte ich nicht gedacht. Aber Sie haben natürlich recht. Entschuldigen Sie die Frage.“

„Keine Ursache.“ Der Werwolf grinste mich an. Ich würde wahrscheinlich noch einige Zeit brauchen, bis sich dabei wegen der spitzen Reißzähne nicht mehr alle Härchen in meinem Nacken aufrichteten. Mit der flachen Hand fuhr ich über meinen Nacken, um sie wieder zu legen. „Nette Beißerchen.“

Das brachte ihn richtig zum Lachen und diesmal klang es fast menschlich.

„Mann, Sie sind echt was Besonderes.“ Er hockte sich auf einen halbhohen Findling. „Und ich denke, ich kann Ihnen vertrauen.“

„Das können Sie“, stimmte ich zu. „Aber ich geben mich gerne mit einem Kompromiss zufrieden. Nennen Sie mir Ihren Vornamen, oder von mir aus auch irgendeinen Namen, dann muss kein Gesetz verletzt werden.“

„Es ist mehr eine … übliche Gepflogenheit statt ein Gesetz. Bisher hat einfach noch keiner von uns seine Identität preisgegeben, außer Malcolm Ihnen und Ihrem Vorgänger gegenüber.“ Er zuckte mit den breiten Schultern. „Aber es gab auch kaum Gelegenheit dazu. Witherspoon wollte außerhalb der Aufträge nicht unbedingt etwas mit uns zu tun haben, geschweige denn dass er sich für ein normales Gespräch oder unsere Namen interessiert hätte. Er nannte uns nach der Farbe unseres Fells. Vermutlich hat er völlig verdrängt, dass wir überhaupt noch ein zweites Leben und eine andere Identität haben. Nun ja und Menschen an sich zeigen wir uns wenn möglich gar nicht erst.“

Mein bisheriger Respekt für meinen Vorgänger fiel abrupt in sich zusammen. Das war keine partnerschaftliche Beziehung gewesen. Für sein Schweigen hatte Witherspoon die Werwölfe wie Handlanger benutzt und auf offizieller Seite die Lorbeeren für ihre Verdienste eingesackt. Solch ein Verhalten passte zu einem kleinen Despoten und ich schüttelte mich innerlich. „Tut mir leid, das zu hören. Die letzten Jahre waren wohl nicht die besten.“

„Es ging. Wir wussten ihn zu nehmen, “ kam die gleichgültige Antwort.

Einen Moment musterte ich ihn. „Ehrlich gesagt, wundert es mich dann umso mehr, dass Sie sich mir gezeigt haben.“ Ich schmunzelte. „Oder soll ich glauben, dass man mit einem einfachen marokkanischen Zigarillo tatsächlich Werwölfe anlocken kann?“

Wieder lachte er leise. „Einige bestimmt. In dieser Gestalt sind unsere Sinne alle hundertfach feiner und dieser Zigarillo roch so exotisch und … und so verlockend, dass ich einfach nicht widerstehen konnte. Ich kann mir gut vorstellen, dass einige meiner Brüder und Schwestern davon ebenso angezogen werden. Also rechnen Sie besser immer mit Besuch, wenn Sie nachts draußen rauchen.“

„Ich werde daran denken.“ Schmunzelnd zog ich ein Stäbchen hervor und zündete es an. „Wären Sie ohne den Zigarillo auch aus Ihrem Versteck gekommen?“

Erneut schnupperte er genüsslich und grinste wieder. Ich seufzte leise, als die Härchen sich aufstellten.

„Durchaus möglich.“ Beinahe verschwörerisch blinzelte er mich an. „Wir kennen uns nämlich schon.“

Fast bei jedem Einwohner hier hatte ich mich insgeheim schon gefragt, wer von ihnen wohl eine zweite, geheime Seite hatte. Deshalb überraschte mich diese Auskunft nicht allzu sehr. „Vermutlich kenne ich schon mehr, als ich auch nur ahne. Schließlich seid ihr außer Werwölfe am Tag und in Nichtvollmondnächten auch nur normale Menschen, die Miete, Strom, Lebensmittel und alles andere bezahlen und daher auch irgendwie verdienen müssen.“

Deutlich konnte ich seine Verblüffung erkennen. Ich fand es beruhigend, dass ich trotz Fell und Schnauze allmählich menschliche Mimik in seinem Gesicht erkennen konnte. Das erleichterte den Umgang enorm.

„Sie sehen uns als Menschen?“

„Seid ihr das denn nicht?“ hielt ich ruhig dagegen.

„Oh doch!“ Nachdrücklich nickte der Werwolf mit seinem massigen Kopf. „Nur hat uns noch nie ein Außenstehender so genannt.“

Was für ein Armutszeugnis für meinen Vorgänger. Meine anfängliche, instinktive Furcht vor seinem gefährlichen Äußeren hatte sich völlig verflüchtigt. Ich fühlte mich so normal, als würde ich mit einem x-beliebigen Bekannten bei einem gemütlichen Plausch sitzen.

Und ich konnte ihre argwöhnische Vorsicht gut verstehen. Menschen, vor allem wenn sie in Massen auftraten, verwandelten sich nur allzu leicht in hemmungslose Barbaren und neigten schnell zu Lynchjustiz. Ich konnte wohl nicht mal im Ansatz ermessen, was es bedeuten musste, die Hälfte seiner Persönlichkeit ständig penibel vor der Außenwelt verbergen zu müssen.

Ich beugte mich vor und schlug ihm in einer kameradschaftlichen Geste auf die Schulter. „Nun, ich sehe Sie als Menschen. Wie ich schon Mr Rawlings erklärt habe, zählt für mich nicht der äußere Schein, sondern die Persönlichkeit hinter dem Gesicht. Ich habe schon Mörder verhaftet, die wie Engel aussahen, männlich und weiblich. Darauf kann man nichts geben.“

Gemütlich lehnte sich der Werwolf an das Heck meines Rovers. „Ja, so hat Malcolm es uns erzählt. Ich kann gut verstehen, warum er so angetan von Ihnen war. Vor allem war er heilfroh, dass Sie darauf verzichtet haben, auf ihn zu schießen. Das tut nämlich echt weh. Sagen Sie“ er deutete auf die kleine Beule unter meinem Jackett „haben Sie tatsächlich Silberkugeln geladen?“

Ich ließ den Stumpen des Zigarillo zu Boden fallen und trat ihn mit der Hacke gründlich aus. „Äh nein, ehrlich gesagt sind es nur normale Kugeln. Aber ich dachte, es kann nicht schaden, erstmal so zu tun als ob. Und es hat ja auch gewirkt, oder?“

„Allerdings.“ Er lachte bellend auf. „Verdammt, Manson, Sie haben echt Schneid!“

Ich grinste. „Wäre mir ganz lieb, wenn Sie dieses Detail nicht unbedingt allen erzählen würden. Wer weiß, ob ich’s nicht noch mal gebrauchen kann.“

„In Ordnung, aber bei uns werden Sie es nicht brauchen. Nur die Welpen haben sich noch nicht gut genug in der Gewalt, um sie frei laufen zu lassen. Die Erwachsenen sind alle so wie ich und Malcolm.“

„Welpen?“

„Ja. Wenn sie zu Teenagern werden, fängt die Verwandlung an und dann bringen wir sie an einen geheimen Ort, wo sie nichts anstellen können, bis sie in der Lage sind, sich zu kontrollieren.“

Detective Manson

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