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Kapitel 3

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Also hatten selbst Werwölfe Probleme mit ihren Halbwüchsigen. Wenn ich an meine fünfzehnjährige Nichte dachte und den Unsinn, den sie mit ihren Freundinnen so schon anstellte, grauste mir bei der Vorstellung, was sie mit Werwolfkräften anrichten könnte. Es schien mir eine ziemlich gute Idee, sie erstmal erwachsen werden zu lassen.

„Rawlings hat mir schon gesagt, dass es hier in der Gegend keine Werwölfe gibt, die sich … dem Rausch überlassen?“

„Dem Rausch hingeben“, antwortete er leise. „Ja, das stimmt. Ich habe von Reißern gehört, aber nicht oft. Wenn so einer irgendwo auftaucht, gehen die Stärksten und Ältesten aller Gruppen zu ihm und halten ihn auf, bevor er zu oft gesehen wird und die Menschen wieder anfangen an uns zu glauben.“

Reißer… mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. Ein ziemlich passender Begriff und einer, der sofort einen Haufen Bilder in meinem Kopf auslöste. Mit einem leichten Schaudern schüttelte ich sie ab. Doch dann fiel mir etwas ein. „Wieder an euch glauben… Sagen Sie, diese berühmte Werwolfgeschichte aus dem späten Mittelalter in Frankreich…“

„Ach das.“ Er machte eine wegwerfende Geste mit der Pranke, wobei er mich fast mit den Krallen erwischte. „Das war gar nichts. Nur ein Mensch, der sich einbildete, ein Werwolf zu sein. Nur ein Verrückter.“ Belustigt schüttelte er den Kopf. „Ich habe mich schon oft gefragt, wieso ausgerechnet das in den Geschichtsbüchern gelandet ist. Dabei gab es einige andere…“ Mitten im Satz brach er ab und sprang mit einer jähen Bewegung auf. Ich fuhr zusammen.

„Was ist?“

Er lauschte in die Nacht. Ich tat es ihm gleich, doch meine Ohren waren zu schwach. Ich hörte rein gar nichts. Er offenbar schon.

„Zwei Männer von Ihrem Revier kommen in einem Wagen.“

Entfernt konnte ich Lichter erkennen. Vermutlich die Scheinwerfer. „Wieso?“

„Hollister hat noch mal angerufen und weitere Angriffe gemeldet und darauf bestanden, dass Polizei zu ihm rauskommt. Sie wollen sich hier gründlich umsehen. Ich muss von hier verschwinden, bevor sie eintreffen.“

„Weitere Angriffe?“ Ich sah kurz zum Waldrand hinüber. Zwischen den Bäumen konnte ich ganz schwach die Lichter des Farmhauses erkennen. „Ich habe nichts gehört. Sie?“

Über die Schulter sah der Werwolf mich an und schien die Stirn zu runzeln. „Nein. Es war die ganze Zeit absolut ruhig. Und ich habe auch niemanden gerochen.“

Jetzt konnten sogar meine Ohren den Motor in der Ferne hören. „Was ist das mit Hollister und euch? Da liegt doch mehr in der Luft, als nur ein paar Sichtungen.“

Lange Sekunden sah er mich mit seinen gelben Raubtieraugen an, die mir bei Weitem nicht mehr so ausdruckslos erschienen wie anfangs. Ich hielt dem Blick stand. Dann seufzte er leise. „Das ist eine lange Geschichte. Aber … wenn Sie wollen, morgen Nacht wieder hier?“

Ich nickte. „Ich werde hier sein.“ Mittlerweile konnte ich bereits das Knirschen der Reifen auf dem Schotter des Weges hören. „Sie sollten jetzt besser gehen.“

„Die werden mich nicht sehen.“ Er grinste und meine Härchen gingen wieder mal nach oben. „Übrigens, Detective Manson…“

„Ja?“

„Ich heiße Joe.“

Ehe ich drauf antworten konnte, sah ich nur noch einen verschwommenen Schatten vorbeihuschen und dann stand ich alleine da. Trotzdem war ich sicher, dass er mich hören konnte. „Danke für Ihr Vertrauen, Joe. Ich werde es nicht missbrauchen. Und ich heiße Marcus.“

Eine Antwort bekam ich nicht, doch das lag wohl eher daran, dass in diesem Moment der Streifenwagen um die letzte Kurve bog. Für zwei Sekunden stand ich eingehüllt in das helle Licht der Scheinwerfer, dann war der Wagen mit mir auf gleicher Höhe und stoppte abrupt.

„Detective…“ hörte ich eine verblüffte Stimme. „Was machen Sie denn hier draußen… Sir?“

Ich blinzelte ein paar Mal, um meine Augen nach dem plötzlichen Licht wieder an die Dunkelheit anzupassen. Die Stimme aber erkannte ich auch so. „Nanu, Perkins, ich dachte, Sie wollten nicht hier raus fahren.“

„Wollte ich auch nicht.“ Der Inspektor stieg aus. „Aber Hollister hat weitere Angriffe gemeldet und ich hatte gehofft, die Kerle auf frischer Tat zu ertappen. Und … wieso sind Sie hier, wenn ich fragen darf?“

„Auch so ähnlich. Ich dachte mir, dass die Typen sich vielleicht so sicher fühlen, dass sie mit dem Unsinn weitermachen, nachdem Hollisters Hilferuf erfolglos geblieben war. Sie sagten vorhin, das wären wohl Spinner, die ihn erschrecken wollten und sich kaputt lachen, weil niemand ihn mehr ernst nimmt. Also habe ich gedacht, ich komme her und passe ein bisschen auf.“

Scheinbar noch nicht ganz überzeugt, aber schon weniger misstrauisch kratzte Perkins sich am Kinn. „Hmm ja… Tja, dann hatten Sie wohl den richtigen Riecher, Detective, denn sie haben weitergemacht. Hollister rief vor ca. zehn Minuten auf der Wache an und meldete einen weiteren Überfall.“

„Wo?“

„Es soll genau hier gewesen sein. Er meinte, er hätte sie von seinem Haus aus sehen können. Seit wann sind Sie denn hier?“

„Ich bin vorhin gleich vom Revier hergefahren.“ Aus der Beifahrertür stieg Inspektor Steward aus und ich nickte dem Hünen grüßend zu. „Und seit ich hier bin, herrscht hier eine Grabesstille.“

„Sie haben wirklich nichts gesehen? Oder irgendwas gehört?“

„Nein, absolut gar nichts.“ Selbst mein Kumpel der Werwolf nicht, doch das konnte ich dem Inspektor kaum auf die Nase binden. Also deutete ich auf die beiden Zigarillostummel auf dem Boden. „Ich hab hier in Ruhe zwei geraucht und wollte mich gerade auf den Heimweg machen, als ich Ihre Scheinwerfer sah. Da der Weg so schmal ist, wollte ich den Wagen erst vorbeilassen und außerdem war ich neugierig, wer mitten in der Nacht hier längs fährt.“

„Ich hab’s dir doch gleich gesagt, George“, knurrte Steward. „Der Alte hat nur gesponnen. Wahrscheinlich hat er sich auf den Schreck gleich noch ein paar Korn hinter die Binde gekippt und sieht jetzt wohl schon Werwölfe die Wände bei sich die Wände hochklettern. Er muss echt mal zur Entziehungskur.“

„Na ja, das kann schon sein, “ brummte Perkins „aber was ist dann mit dem abgeschlachteten Vieh?“

Steward spuckte auf den Boden. „Wer weiß. Möglich dass er das in seinem besoffenen Wahn selber gemacht und sich später nicht mehr daran erinnert. Also schiebt er das den Werwölfen in die Schuhe.“

Perkins wirkte jetzt richtig wütend. „Kannst recht haben, Hank. Wenn der Detective nichts gehört hat, war Hollisters Anruf ein Fake. Verdammter Säufer! Na los, fahren wir zum Revier zurück. Und wenn der Kerl heute noch mal anruft, kann der was erleben.“

Während Perkins einstieg, warf Steward mir einen Blick zu und grinste mich an. „Passen Sie gut auf, Detective, dass Sie nicht in den Hintern gebissen werden, falls ein Werwolf aus den Büschen springt.“ Lachend stieg er ebenfalls ein.

Grüßend hob ich eine Hand, als der Wagen mit durchdrehenden Reifen rückwärts fuhr. Im bläulichen Licht der Armaturen sah ich Stewards Gesicht. Er lachte immer noch über seinen Witz, ohne auch nur zu ahnen, wie nahe er der Wahrheit gekommen war.

Nach einigen Sekunden herrschten wieder Ruhe und Dunkelheit. Ich drehte mich um und ging zu meinem Rover. An der Tür verharrte ich und sah mich um. Um mich herum war alles still, doch davon hatte ich mich heute Abend schon einmal täuschen lassen. „Nur um das klar zu stellen, Joe, “ sagte ich im Plauderton „falls Sie mich in den Hintern beißen, stecke ich den Dorn wieder in Ihre Pfote.“

Ich glaubte, irgendwo im Unterholz ein unterdrücktes Schnaufen zu hören, stieg schmunzelnd in den Wagen und folgte meinen Kollegen.

*

Am nächsten Vormittag, es war erst kurz nach zehn, trat ich eine Kneipe, als Caroline gegenüber in einem Schuhgeschäft verschwunden war. Ich folgte einem drahtigen Mann mit roten Haaren, der aus eben diesem Laden gekommen war und deutlich so aussah, als wäre er auf der Flucht.

Er wurde mit großem Hallo begrüßt, doch die meisten verstummten, als sie mich erkannten, was den Mann dazu brachte, sich umzudrehen. „Nanu, Detective Manson, nicht wahr? Hab ich was angestellt?“

„Absolut nicht.“ Ich grinste ihm beruhigend zu. „Ich hab nur gesehen, wo Sie herkamen und hingingen und da meine Verlobte auch gerade da drüben rein ist, fand ich, dass das eine hervorragende Idee ist.“

Lachend deutete er auf zwei Hocker an der Theke. „Verstehe. Na, dann kommen Sie, für Leidensgenossen ist bei George immer was frei.“ Wir setzten uns. „Ich habe mich schon oft gefragt, ob es nur reiner Zufall ist, dass eine Kneipe genau gegenüber dem Schuhgeschäft liegt“, sinnierte er.

Von der anderen Seite der Theke hob der Wirt ein Bierglas hoch und der rothaarige Mann nickte zustimmen. Ich schüttelte den Kopf und formte meine Bestellung einer Cola mit den Lippen, schließlich musste ich nachher noch zum Dienst und es wäre wohl kaum wünschenswert, wenn der ranghöchste Polizist dann mit einer Fahne auftauchte.

„Keine schlechte Idee. Damit kann man sicher ein gutes Geschäft machen.“

„Ich bin übrigens Joe Morton“, stellte er sich vor. „Vielleicht sollte ich überlegen, gegenüber meinem Weinladen in der Satter Road auch ein Schuhgeschäft zu eröffnen. Oder einen Hutladen oder so was.“

Ich verbot mir, die Augen zu verdrehen. Meine Güte, noch ein Joe. Als hätten die Bewohner hier vergessen, dass es auch noch andere Namen gab. Mit Joe, Hank und George konnte man in einem Atemzug mindestens die Hälfte der Einwohner von Callowstone nennen. Kein Wunder, dass der Joe gestern Nacht kein Problem hatte, mir seinen Vornamen zu nennen.

Der Wirt, ein Bulle von Mann mit einem gewaltigen Schnurrbart und einem kugelrunden Bauch, der das Band der Schürze gefährlich spannte, brachte unsere Gläser und schob eine Schale Erdnüsse vor uns hin. Mit einer schaufelgroßen Hand wedelte er vor Joes Nase herum. „Na na, Junge, du willst doch wohl nicht meine beste Geschäftsidee einfach so kopieren.“

Joe grinste. „Ich wird’s mir überlegen, wenn ich das nächste Mal ein besser gezapftes Bier bekomme. Nicht so eines, wo die Hälfte nur Schaum ist.“

„Wie, du kleiner Schnösel“, schnaufte der Wirt und sträubte seinen Schnurrbart, was wirklich beeindruckend aussah. „Willst du dich etwa beschweren?“

Unbekümmert zuckte Joe die Achseln. „Wie gesagt, ich wird’s mir überlegen.“

Er lachte über den brummigen Blick und wandte sich mir zu. „Diese empfindliche Bohnenstange ist übrigens George Hammings.“

Und noch ein George. Diesmal seufzte ich doch.

„Willkommen, Detective“, grinste er. „Wie gut, dass Sie hier sind und es gehört haben. Dann können Sie ihn gleich mitnehmen und in eine Zelle stecken wegen übler Nachrede.“

Ich lachte. „Ich wird’s entscheiden, wenn ich das erste Gezapfte von Ihnen bekomme.“

„He!“ brummte George empört und verfiel in seinen breitesten Akzent. „Nu fang’ Se ma nich auch noch so an! ‚s reicht ja wohl, wenn mir dieser lütsche Welpe hier auf’er Nase rumtanzen tut. Den muss man ma richtich an’ne Leine nem’.“

Welpe? Mein Magen zuckte ahnungsvoll, doch äußerlich ließ ich mir nichts anmerken, sondern hob bedauernd die Schultern. „Sorry, George, ich hab meine Leine zu Hause gelassen. Vielleicht nächstes Mal.“

„Wie enttäuschend. Und das als Polizeichef… Nene, wo soll das noch hinführen?“

„Ja, bin noch nicht im Dienst. Da schlepp ich mich nicht mit allem ab.“

„Da hast du aber noch mal Glück gehabt, Joe.“

George Hammings wurde von einem anderen Gast gerufen und entfernte sich. Joe und ich unterhielten uns über ein paar Alltäglichkeiten, wie sie in Kleinstädten üblich waren. Unauffällig verglich ich Joe mit den anderen Gästen. War es unnütz, oder gab es doch etwas, das Werwölfe auch in ihrer Menschengestalt verriet? Natürlich, die Bezeichnung ‚Welpe’ konnte rein zufällig sein, musste gar nichts bedeuten. Aber wenn doch? Seit letzter Nacht war meine Neugier ins unermessliche gestiegen.

Nach etwa einer halben Stunde trat Caroline aus dem Geschäft und winkte mir durch die Scheibe zu. Ich stand auf, verabschiedete mich und trat zu meiner Verlobten auf die Straße. Strahlend erzählte sie mir von einigen Frauen, die sie kennen gelernt hatte und präsentierte mir stolz ihre neuesten Errungenschaften, die ich gebührend bewunderte.

„Jetzt brauche ich nur noch ein schönes Kleid, dann bin ich für heute fertig.“

„Ein Kleid? Du hast doch schon mindestens zehn Stück im Schrank, “ wagte ich einzuwenden.

„Das sind Cocktail-Kleider, Marcus.“ Mit einem typisch weiblich-mitleidigem Blick sah sie mich an. „Damit wäre ich auf einem Barbecue völlig overdressed.“

Achselzuckend nahm ich ihre Behauptung hin – mit Frauen über ihre Kleidung zu diskutieren war ohnehin sinnlos. „Was für ein Barbecue meinst du?“

„Ach ja. Die Frauen haben mir erzählt, dass in drei Tagen ein Fest auf der Holy-C-Farm gefeiert wird. Mit einer großen Tombola für die Kirche, viele Spiele für die Kinder, einem Wettschwimmen im See, natürlich dem Barbecue und dem Verkauf von Kuchen oder Handarbeitskunst für irgendeine Stadtsammlung.“

„Oha“, entfuhr es mir „dann sollten wir besser noch Kuchen kaufen, bevor wir unsere Mitmenschen so vergraulen.“

Die Bemerkung brachte mir einen Stoß von ihrem spitzen Ellenbogen ein, doch sie lachte mit mir. Wir wussten schließlich beide zur Genüge über ihre mangelnde Backkunst bescheid.

„Hallo, guten Morgen.“ Von der anderen Straßenseite winkte uns eine etwas dralle, ca. 1,60m kleine Frau zu und kam dann mit kleinen, schnellen Schritten zu uns rüber. Über einem leicht verwaschenen grünen Kleid, trug sie eine geblümte Schütze. Die angegrauten, ehemals braunen Haare waren zu einem ordentlichen Knoten gebunden und gaben des Blick auf ein fast puppenhaft niedliches Gesicht einer älteren Frau frei. Ihre haselnußbraunen Augen leuchteten freundlich. Als sie bei uns war, erwiderten wir den Gruß.

„Ich bin Miriam Rawlings“, stellte sie sich vor, sah meine Reaktion und lachte mich fröhlich an. „Ich denke, Sie kennen meinen Sohn, Detective Manson.“

„In der Tat, Ma'am.“ Höflich beugte ich mich über ihre runzlige kleine Hand. „Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennen zu lernen. Bitten richten Sie Ihrem Sohn meinen Gruß aus.“

„Das werde ich gerne tun. Ich wollte Ihnen eigentlich gerade von dem Barbecue erzählen und Sie einladen, aber Sie wissen ja schon Bescheid.“ Dann wandte sie sich an Caroline. „Machen Sie sich keine Umstände, Miss Wilbert. Jeans und eine Bluse reichen völlig, die jüngeren Frauen hier tragen kaum noch Kleider.“ Sie seufzte. „Leider muss ich sagen, aber auch diese schöne alte Tradition gerät wohl immer mehr in Vergessenheit. Um 15 Uhr geht es los.“ Dann wandte sie sich um und eilte mit ihren kleinen Trippelschritten davon.

„Marcus…“ Caroline flüsterte fast. „Sie kann uns doch unmöglich über die ganze Straße hinweg gehört und auch noch verstanden haben.“

„Bestimmt stand nur der Wind gerade günstig und hat unser Gespräch bis zu ihr getragen. Na ja und besonders viel Verkehr, der Lärm macht, gibt es hier ja nun wirklich nicht.“

Meine Verlobte nahm das so hin und begann achselzuckend über all die Dinge zu reden, die sie für das Barbecue nähen könnte. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, denn ich glaubte ganz und gar nicht, dass es am Wind gelegen hatte. Vielmehr hatte ich endlich ein Detail gefunden, an dem ich Werwölfe auch in ihrer menschlichen Gestalt erkennen konnte. Ein verdammt gutes Gehör. Mir fiel nämlich ein, dass George Hammings ganz am anderen Ende der Theke gewesen war und trotzdem Joes Bemerkung durch den üblichen Lärm in einer Kneipe verstanden hatte. Ebenso Mrs Rawlings. Ihr Sohn hatte von Familien aus Werwölfen gesprochen, dass das Werwolfgen dominant war. Es sprach also einiges dafür, dass auch sie eine zweite Identität hatte, die ihr überaus feine Ohren schenkte. Und wo ich jetzt darüber nachdachte, fielen mir noch mehrere Vorfälle ein, in denen ich mich unbewusst gewundert hatte, wie einige Leute verschiedene Dinge hatten hören können. In Gedanken versetzte ich mir selbst einen Tritt in den Hintern, dass ich nicht früher darüber gestolpert war. Erst jetzt wo es Caroline aufgefallen war, fiel auch bei mir der Groschen. Verdammt, wahrscheinlich wurde ich langsam alt.

„Mahlzeit“ grüßte ich eine gute Stunde später in die Runde meiner Kollegen.

„Moin“ kam die übliche Antwort aus allen Richtungen.

Ich blieb am Schreibtisch von George Perkins stehen. „Na, Inspektor, gab es letzte Nacht noch was?“

„Nein, zum Glück nicht. Zu seinem Glück! Ich habe den Bericht schon geschrieben und auf Ihren Tisch gelegt. Wenn Sie Ihre Aussage dazu legen, kann ich den Vorfall zu den Akten tun.“

„Kein Problem, mach ich gleich fertig.“

„Ich denke, Sir, wir sollten Hollister vorladen und ein ernstes Wort mit ihm reden. Das kann so nicht weitergehen und jetzt haben wir auch endlich einen Beweis, dass er nur fantasiert. Damit können wir ihn zur Zwangsentziehung in die Klinik einweisen lassen.“

„Könnten wir. Aber damit wäre nicht viel erreicht. In London hatten wir es täglich mit Dutzenden von Alkoholikern zu tun. Wenn sie nicht von selbst kommen und den Absprung wollen, nutzt der Zwang gar nichts. Danach trinken sie einfach weiter wie vorher.“

„Aber… wenn er erstmal trocken ist…“

„Glauben Sie mir, George, Sie können ihm mit einer zwangsweisen Entziehung nicht helfen. Zuerst muss der Grund erkannt und beseitigt werden. In London sind viele der Trinker die Ärmsten der Armen, die entweder die Kälte auf den Straßen oder den Schmach ihrer Arbeitslosigkeit vergessen wollen.“

„Aber Frank Hollister hat ein schönes warmes Heim und mehr als genug Arbeit.“

„Dann muss es bei ihm einen anderen Grund geben.“

„Corinna“ warf Inspektor Steward ein und kam zu uns rüber.

„Ja, richtig.“ Perkins nickte.

„Wer?“

„Frank war nie verheiratet, “ erklärte Hank Steward „er hat mit seiner Schwester Corinna zusammen auf der Farm ihrer Eltern gelebt. Dann hat sie eine uneheliche Tochter bekommen. Das war lange Stadtgespräch, denn sie hat sich geweigert, den Namen des Vaters zu nennen. Frank hat trotzdem weiter zu ihr gehalten und die kleine Julia wie eine eigene Tochter geliebt. Tja, und dann ist Corinna mit der Kleinen bei Nacht und Nebel abgehauen. Zu der Zeit fing zu Trinken an.“

„Richtig. Und von da an hat er angefangen, überall Werwölfe zu sehen.“

Krampfhaft bemühte ich mich, mein Gesicht neutral zu halten, doch innerlich fuhren mir die Überlegungen wie kleine Pfeile in den Magen. Die Werwölfe brachten ihre Kinder an einen geheimen Ort, wenn im Teenageralter erstmals die Verwandlung begann. Konnte es so sein? Hatte Corinna Hollister eine Tochter von einem Werwolf bekommen? Hatte sich Julia zum ersten Mal unkontrolliert verwandelt, so dass ihr Onkel sie sehen konnte? Musste sie darum mit ihrer Mutter verschwinden?

„Hat man irgendeine Spur von den beiden gefunden?“

„Nein nichts. Nur einen Zettel in ihrem Zimmer.“

„Was für einen Zettel?“

„Conni hat ihrem Bruder für alles gedankt und sich entschuldigt, dass sie ihn so verlassen muss. Es gäbe aber keine andere Wahl und er solle nicht nach ihr suchen, “ antwortete Steward leise.

„Sicher, dass er Zettel von ihr war?“

„Ganz sicher. Wir haben damals alles ganz genau untersuchen lassen. Es gab nichts Verdächtiges an dem Zettel. Es war eindeutig Connis Handschrift und auf dem Papier waren nur ihre und Franks Fingerabdrücke.“

„Sie haben trotzdem nach den beiden gesucht.“ Ich brauchte das eigentlich nicht zu fragen, Stewards Gesicht war ziemlich beredt.

„Natürlich. Wir haben praktisch jeden Stein umgedreht und alle möglichen Verbindungen bis hin nach London überprüft. Aber es gab nicht einmal den Hauch einer Spur, alles verlief im Sand. Die beiden sind wie vom Erdboden verschluckt.“

„Und keine ihrer Freunde oder Freundinnen hat etwas gewusst?“

Perkins deutete mit dem Kopf auf seinen Kollegen. „Hank hat Corinna verdammt gern gehabt und war eine ganze Zeit lang fast täglich bei den Hollisters draußen. Aber sie war … irgendwie zugeknöpft, hat niemanden an sich ran gelassen.“

Steward brummte zustimmend. „Mir schien es immer, als wenn Conni irgendein düsteres Geheimnis hütet und ständig Angst hatte, jemand der ihr zu nahe kommt, könnte es entdecken. Natürlich hat sie es immer bestritten, aber sie hat sich total abgeschottet und jeden, am Ende auch mich, auf Abstand gehalten.“

„Sogar von Hanna hat sie sich zurückgezogen Dabei waren die beiden Mädchen seit dem Sandkasten beste Freundinnen, klebten zusammen wie Kletten, doch als Julia zur Welt kam war alles vorbei. Danach ist sie kaum noch von der Farm mal runter gekommen.“

Allmählich wurde mein Verdacht zur Gewissheit. „Und auch diese Hanna hat nie wieder von ihrer Freundin gehört? Ist sie befragt worden?“ Obwohl ich natürlich keine besondere Aufmerksamkeit auf Hollister und seine Werwolf-Sichtungen ziehen wollte, war ich doch zu sehr Kriminalist, um das Thema einfach fallen zu lassen. Außerdem war ich sicher, dass zu großes Desinteresse meinerseits eher seltsam gewirkt hätte.

„Klar.“ Perkins machte eine kurze Geste. „Hanna ist auch mit meiner Schwester Susan befreundet. Sie ist und war öfter bei uns zu Hause und wir haben damals alle von Corinna gesprochen. Hanna würde etwas gesagt haben, wenn sie von ihr gehört hätte.“

„Ich hätte es ahnen müssen“, seufzte ich und grinste, als die beiden ich verständnislos ansahen. „Ich muss mich noch daran gewöhnen, dass sich hier alle kennen und miteinander befreundet sind.“

Beide lachten und Perkins schlug mir freundlich auf die Schulter. „Keine Sorge, das schaffen Sie schon. Alle, die von außerhalb hierher gezogen sind, haben sich schließlich daran gewöhnt und wollen es heute gar nicht mehr anders haben.“

„Das glaube ich. Nun gut, dann wollen wir uns mal um aktuellere Dinge kümmern. Liegt was Besonderes an?“

Detective Manson

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