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Einleitung

«Berufspädagogik unterscheidet sich von der allgemeinen Pädagogik durch ihre konstitutive Verknüpfung mit Arbeitswelt und beruflicher Praxis.»1

In unserem dualen Berufsbildungssystem verbringen die Lernenden höchstens zwei Tage in der Schule, in der verbleibenden Zeit arbeiten sie im Betrieb. An einer Berufsfachschule zu unterrichten, stellt an die Lehrpersonen deshalb hohe Ansprüche – es braucht spezifische pädagogische Konzepte und eine angepasste Didaktik. Unter anderem gilt es, an die Erfahrungswelt der Berufslernenden anzuknüpfen, Lernen als Ausgangspunkt für berufliche Problemlösungen und lebenslanges Lernen zu gestalten – und bei alldem stets den individuellen Voraussetzungen der Lernenden gerecht zu werden. In Bildungsgängen der Berufsmaturität (BM) liegt eine besondere Herausforderung darin, mit dem Dilemma «Viel Stoff, wenig Zeit» – mit dem jede Lehrperson konfrontiert ist – unter erschwerten Bedingungen zurechtzukommen. Denn es soll in vergleichsweise kurzer Unterrichtszeit und dennoch ohne Substanzverlust eine erweiterte Allgemeinbildung vermittelt bzw. erworben werden – so lautet ja das erklärte Ziel der Berufsmaturität.

Die geltenden Rahmenlehrpläne (RLP) für Berufsbildungsverantwortliche tragen den besonderen Unterrichtsbedingungen in der Berufsbildung Rechnung. Das lässt sich gut an den zehn Kompetenzen (im RLP in «Standards» gefasst) zeigen, die Gymnasiallehrpersonen – über die üblichen fachlichen und didaktischen Qualifikationen hinaus – erwerben müssen, wenn sie in einem BM-Bildungsgang unterrichten wollen.

Seit dem Jahr 2006 haben angehende Gymnasiallehrpersonen in Zürich – damals am Zürcher Hochschulinstitut für Schulpädagogik und Fachdidaktik (ZHSF), heute am Institut für Erziehungswissenschaften (IfE) der Universität – die Möglichkeit, während der Ausbildung im Rahmen eines Wahlpflichtfaches die erforderlichen Qualifikationen zu erwerben.2 Inzwischen bietet die Pädagogische Hochschule Zürich dieselbe Ausbildung im Rahmen einer «BM-Nachqualifikation» auch für Personen an, die bereits über ein gymnasiales Lehrdiplom verfügen. Gymnasiallehrpersonen, die diese zusätzliche Lehrbefähigung erworben haben, können auch in BM-Bildungsgängen unterrichten.

Aus der Ausbildungspraxis dieser Studiengänge ist das vorliegende Buch entstanden. Es ist das Produkt unserer Erfahrung – nicht nur als Hochschuldozierende, sondern auch als Unterrichtende an Berufsfachschulen und in Berufsmaturitäts-Bildungsgängen und als Mitglieder von Gremien der Berufs- und der gymnasialen Bildung.

Eines der wesentlichen Ziele der Publikation ist es zu zeigen, wie eine erweiterte Allgemeinbildung mit einem knappen Zeitbudget methodisch-didaktisch optimal vermittelt werden kann. Die Arbeitswelt der Berufslernenden ist ein massgebender Ort des Lernens, auf dieser Ressource können wir im Unterricht aufbauen. Dabei lassen sich Potenziale wie Hausaufgaben, Lernplattformen wie Moodle oder Projektarbeiten gezielt einsetzen und nutzen.

Der Inhalt des Buches deckt insbesondere die drei folgenden Standards aus den Rahmenlehrplänen für Berufsbildungsverantwortliche (für BM-Lehrpersonen) ab:3

•Lehrpersonen für Fächer in der Berufsmaturität knüpfen an die Erfahrungswelt der Lernenden an und bringen deren berufliche und persönliche Erfahrungen (situatives und informelles Lernen) in einen theoretischen Zusammenhang. (Standard 6.1)

•Sie organisieren das Lernen als Ausgangspunkt für weitere Problemlösungen in der beruflichen Grundbildung und für lebenslanges Lernen. Sie fördern anhand von exemplarischen Situationen das theoretische Denken. (Standard 6.2)

•Lehrpersonen für Fächer in der Berufsmaturität verstehen es, die Inhalte ihres Lehrfaches mit den berufspädagogischen Handlungskompetenzen so zu verbinden, dass sie der Individualität der Lernenden Rechnung tragen und die Lerninhalte exemplarisch umsetzen. (Standard 7.1)

Das Buch kann im Selbststudium erarbeitet werden – es richtet sich also u.a. an Gymnasiallehrpersonen, die bereits an Berufsfachschulen unterrichten, sich aber noch entsprechend nachqualifizieren müssen. Es kann indessen auch an schulhausinternen Weiterbildungen Verwendung finden oder der Vertiefung einzelner Aspekte oder der Begleitung von Studierenden dienen. Verantwortlichen in den kantonalen Mittelschul- und Berufsbildungsämtern bietet es schliesslich eine reiche Fülle von Informationen.

Zum Aufbau des Buches

Der erste Teil der Publikation beschäftigt sich mit dem schweizerischen Berufsbildungssystem und der Stellung und Bedeutung der Berufsmaturität (BM). Dieser Teil wird durch einen historischen Exkurs zur Entstehung und Etablierung der Berufsmaturität ergänzt. Diesen Text hat Elisabeth Zillig, die ehemalige Vizepräsidentin der Eidgenössischen Berufsmaturitätskommission, beigesteuert.

Im zweiten Teil werden die zentralen Themen behandelt, die für eine erfolgreiche Unterrichtstätigkeit in Bildungsgängen der Berufsmaturität von Belang sind: Lehrpläne, Unterrichtsgestaltung, Prüfen und Bewerten, Interdisziplinarität. Die Auswertung von Hospitationsberichten gleich zu Beginn des zweiten Teils (Seitenblick, S. 44) wirft ein Licht auf die Unterschiede zwischen gymnasialem Unterricht und BM-Unterricht, wahrgenommen von Gymnasiallehrpersonen, die dem Unterricht an Bildungsgängen der Berufsmaturität beigewohnt haben. Daraus lassen sich didaktische Handlungsempfehlungen für den Unterricht beigewohnt haben.

Den Abschluss bildet ein Blick auf die Unsicherheiten und Paradoxien, von denen der Lehrberuf generell geprägt ist.

Zu Beginn des ersten Teils und jeweils am Anfang der einzelnen Kapitel des zweiten Teils werfen wir «Seitenblicke» auf Themen und Fragen der Pädagogik und Didaktik, die unserem spezifischen Zugang, mit der Berufsmaturität im Fokus, noch etwas mehr Tiefe verleihen. Die «Seitenblicke» beziehen sich jeweils auf Fachtexte verschiedener Autoren – Extrakte aus den Originaltexten finden sich im Reader auf der CD-ROM, die diesem Buch beiliegt. Dieser Reader enthält auch offizielle Dokumente des SBFI, etwa die aktuell gültigen Rahmenlehrpläne für Berufsbildungsverantwortliche, den gültigen Rahmenlehrplan Berufsmaturität (2012), das Berufsbildungsgesetz und die zugehörige Verordnung.

Das vorletzte Kapitel des Buches ist dem Dialog und dem Auftritt der Lehrpersonen im Klassenzimmer gewidmet – Themen, die sich in der Auseinandersetzung der Autorin und der Autoren im Austausch mit den Studierenden ergeben haben. Zum Schluss dieser Neuausgabe wagt Beat Deola, der Leiter der Berufsmaturitätsschule Winterthur, einen Ausblick auf die Zukunft der Berufsmaturität.

Dem modischen Rufen nach ständiger Praxis begegnen wir mit einer weisen Aussage von Martin Lehner: «Manchmal kann es sinnvoll sein, eher theoretisch vorzugehen, etwa wenn die Perspektive erweitert oder der Sachverhalt konsequent hinterfragt werden soll. Manchmal kann es sinnvoll sein, eher praktisch vorzugehen, etwa wenn schnelles Handeln und leicht kommunizierbare Modelle gefragt sind. Die Spannung zwischen den beiden Konzepten kann auf jeden Fall produktiv genutzt werden.»4

Im Grunde gibt es aber aus unserer Sicht nichts Praktischeres als eine gute Theorie.

Claudio Caduff, Walter Mahler, Daniela Plüss Juli 2014

1Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) (2006): Rahmenlehrpläne für Berufsbildungsverantwortliche vom 1. Mai 2006 (Stand 1. Juli 2008), S. 4. Online: www.bbt.admin.ch [18.3.2009]. In der aktuellen Fassung der Rahmenlehrpläne ist dieser Passus nicht mehr zu finden.

2Der Ausbildungsgang an der Universität Zürich (IfE) und die «BM-Nachqualifikation» an der PH Zürich umfassen entsprechend den Vorgaben in den Rahmenlehrplänen des Bundes 300 Lernstunden (10 ECTS). In einem vollständigen Studiengang zu 1800 Lernstunden (60 ECTS) kann an der PH Zürich bei entsprechender fachlicher Vorbildung ebenfalls das Lehrdiplom für den Unterricht in der Berufsmaturität erworben werden. Schliesslich können sich Personen, die bereits über ein Lehrdiplom für den hauptberuflichen Unterricht an Berufsfachschulen verfügen (zum Beispiel für Allgemeinbildung oder Berufskunde), an der PH Zürich in einem Ergänzungsstudiengang (300 Lernstunden, 10 ECTS) für den BM-Unterricht qualifizieren.

3Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) (2011): RLP für Berufsbildungsverantwortliche, S. 37 f. und 40 f. Online: www.sbfi.admin.ch ➔ Themen ➔ Berufsbildung ➔ Eidgenössische Kommission für Berufsbildungsfragen EKBV ➔ Dokumente [10.3.2014]. Dieses Dokument findet sich auch auf der diesem Buch beiliegenden CD-ROM. Die Grammatikfehler der BBT-Fassung wurden stillschweigend berichtigt.

4Martin Lehner: Viel Stoff, wenig Zeit (Bern4 2013), S. 144.

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