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Gottes Fluch: Bootspolster

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Der nächste Morgen begann trotz der über Verden aufgehenden Sonne mit unvermuteten Schwierigkeiten. Ich hatte mir nächtens irgendwie den Rücken verkühlt, jedenfalls litt ich höllische Schmerzen, als ich versuchte, mich aus der Koje der Vorderkabine zu rollen.

»Du hast dich verlegen!«, grinste Wolfgang, rammte mir sein Knie ins Kreuz und zog meine Schultern nach hinten. Es knirschte unangenehm, krachte dann einmal satt im Gebälk und ich konnte mich wieder bewegen.

»Ich sag dir nur eins: Schiffspolster! Du solltest dir endlich neue zulegen. Die alten sind doch nun wirklich völlig durchgelegen.«

»Weißt du eigentlich, was das kostet?«, fragte ich entsetzt. »Bei einem Boot dieser Größe knöpfen sie dir ein Vermögen ab.«

»Dafür aber nie wieder Hexenschuss«, lockte der Stegwart und setzte sich mir gegenüber an den Kaffeetisch, den unsere treu sorgenden Ehefrauen für uns gedeckt hatten.

»Aber irgendwie scheinst du da deine eigenen Erfahrungen gemacht zu haben, wie?«, vermutete er.

»Pass mal auf«, lachte ich, wandte mich grinsend an meine bessere Hälfte und rief ihr zu: »Dodi! Schiffspolster!«

Mein mir angetrautes Eheweib verlor wie auf Kommando alle Farbe im Gesicht und wurde kreidebleich.

»Oh, nein! Nicht dieses Wort! Und schon gar nicht beim Frühstück«, röchelte sie.

»Siehst du, Wolfgang? Soviel zu deinem Vorschlag.« Ich setzte die Kaffeetasse an und verbrühte mir die Lippen. »Donnerwetter! Wer hat denn dieses Gebräu so höllisch heiß gemacht?«, schimpfte ich und Kallis strahlendes Gesicht tauchte hinter der Windabdeckung auf, hinter der er sich provisorisch eine Land-Kombüse eingerichtet hatte.

»Kaffee muss so sein! Schwarz wie die Nacht, heiß wie die Sünde, und mit so viel Milch, dass man den vielen Zucker nicht mehr sehen kann!«, deklamierte er salbungsvoll. »Alles andere ist Abwaschwasser!«

»Also, was war denn nun mit den Bootspolstern?«, griff Heinz hartnäckig das Thema wieder auf. Er wandte sich an meine holde Gattin.

»Frag ihn«, murmelte die mit ersterbender Stimme und deutete schwach in meine Richtung. Ich biss in mein Brötchen und kaute hingebungsvoll auf beiden Backen.

»Ihr mollt mdoch mohl nich schon mwieder eine Geschichte hören?«, nuschelte ich.

»Aber klar!«, sagte Gerti mit Bestimmtheit. »Und zwar hier und auch sofort!«

»Na gut«, murmelte ich und spülte mir mit Kallis superheißem Mocca die Brötchenkrümel herunter. »Ihr müsst wissen, dass wir bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir Kalli kennen lernten, mangels Masse«, ich rieb Daumen und Zeigefinger in eindeutiger Weise aneinander, »…noch gar keine Polster an Bord hatten. Das sollte sich zwar ändern, aber es war die Frage, wovon?«

»Also, wenn wir dem Piraten-Smutje jetzt öfter begegnen sollten, kannst du mich bald rollen«, hatte mein mir angetrautes Eheweib gestöhnt, als wir nach der „Schlepphilfe“ unsere DODI spät abends am heimatlichen Steg festgemacht hatten. Auch unser Nachwuchs war so pappsatt gewesen, dass das Töchterlein sich nur noch mit matten Bewegungen die Pontonbrücke hatte hinauf hangeln können. Eine Extraportion Pudding mit Sahne hatte es nach dem opulenten Fischmahl noch gegeben, und Kalli hatte darauf bestanden, dass die Schüssel leer gemacht wurde. Das Abendessen, das er uns nach der Bergung seiner LUIGI aus dem Abwasserkanal des Kernkraftwerkes spendiert hatte, würde von Umfang und Güte her in die Geschichte der Sportschifffahrt eingehen (siehe „Vom Angelkahn zur Motoryacht“).

Aber so klein war das Revier ja nun auch wieder nicht, dass man sich jeden Tag über den Weg fuhr. Wir bedauerten es außerordentlich, noch keine Polster an Bord zu haben. Nach einem so schönen Tag und einem so ausgiebigen Mahl noch das Schiff aufklaren und den langen Heimweg antreten zu müssen, grenzte schon fast an Unmenschlichkeit. Wie schön wäre es gewesen, sich jetzt einfach nur in die Kojen fallen lassen zu können, um dem mit Verdauen vollauf beschäftigten Körper die nötige Nachtruhe zu gönnen. Stattdessen schleppten wir alle erdenklichen Utensilien zum Auto und fuhren die ganze Strecke bis nach Hause.

»Und wenn ich auf den neuen Staubsauger verzichte?«, überlegte meine Haushaltsmanagerin laut und legte im Bett neben mir ihre Denkerstirn in Falten.

»Gut, ich kann mich ja mal erkundigen«, gähnte ich und war schon halb eingeschlafen. Was mochten solche Polster kosten? Sicher nicht allzu viel! War doch bloß Schaumstoff, den man ein wenig in Form schneiden musste. Ein bisschen Gardinenstoff drum herum wickeln, fertig. Na bitte! Würde schon gehen. Uah! Mann, war ich müde! Wie viele Polster-Teile brauchte man denn da? Also, zwei Bänke in Längsrichtung, dazu die Rückenteile, dann für das einlegbare Mittelfeld, oder sollte ich doch vorne quer lieber ein eigenes Stück …? Moment, ich hatte doch unten in der Garage irgendwo die Zeichnung mit den Maßen. Die könnte ich morgen gleich mitnehmen, dann wüsste man sofort, was man brauchte. Wo hatte ich den Plan nur hin gesteckt?

Das holde Wesen neben mir schlief schon tief und fest, als ich mich aus den Federn schwang und leise hinunter schlich. Ich stellte die ganze Garage auf den Kopf, fand aber natürlich nicht das Gesuchte. Konnte ich auch nicht, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, denn zuletzt hatten wir die ganzen Unterlagen im Wohnzimmer gehabt. Also wieder rein in die gute Stube. In welchem Schrankfach sollte ich suchen? Egal, fangen wir mal hier an. Oh! Das war das Barfach, da lag der Plan sicher nicht drin. Aber da war noch die angebrochene Rotweinflasche, und so ein kleiner Gute-Nacht-Trunk war jetzt nicht zu verachten. Irgendwann war das Fläschchen leer und ich hatte die Zeichnung mit den Maßen noch immer nicht gefunden. Hähä, egal! Ich hatte doch lange genug an dem Dampfer gebastelt, hupps!- da würden mir die Maße auch so wieder einfallen, ich brauchte nur Papier und Bleistift, dann würde ich mir eben eine neue Zeichnung machen, hicks! Jawoll! Papier fand ich, und auch einen Schreibstift. Gerade wollte ich die ersten Linien auf den Bogen malen, als ein Schatten auf das Papier fiel. Ich schaute auf.

»Oh, Liebling! Du hier? Wie, schon halb drei morgens? Ja, ja! Ich komm ja schon mit!«

Man muss doch gewaltig aufpassen, dass einen die Hobbys nicht derart in ihren Bann ziehen, dass man alles andere darüber vergisst. Artig folgte ich meiner mahnenden Bettgefährtin, nicht ahnend, dass der nächste Tag mit einigen tollen Überraschungen aufwarten würde.

»Waaaah!«

Das konnte es doch gar nicht geben! Ich hatte mich verhört! Oder redete der Kerl chinesisch? Möglicherweise war über Nacht die galoppierende Inflation ausgebrochen! Oder die heimische Chemieproduktion auf null herunter gefahren worden! Oder der Knilch hatte ganz einfach nur ein Rad ab! Der Typ, der gerade vor mir Polster für seinen nagelneuen Riesencampingwagen bestellt hatte, sollte nicht die Hälfte von dem bezahlen, was ich für das bisschen Schaumgummi hätte hinblättern sollen. Ich ahnte, dass es damit zusammenhing, dass ich laut und vernehmlich »Bootspolster« gesagt hatte. Ähnliche Erfahrungen hatte ich schon beim Ausbau des Schiffes machen dürfen. Es scheint ein großer Unterschied zu sein, ob man im Laden sagt: »Zehn von diesen Schrauben, bitte!« oder: »Ich brauche für mein Boot diese zehn Schrauben!«

Im ersten Fall wird der freundliche Verkäufer antworten: »Gerne! Macht Dreifuffzich!«

Im zweiten Fall wird er noch freundlicher antworten: »Gerne! Macht Dreizehnfuffzich!«

Heftig die Tür hinter mir ins Schloss ziehend, verließ ich den Ort von Wegelagerei und Raubrittertum. Es gab ja noch andere Polstereien in der Stadt, und man war ja, Gott sei Dank, nicht auf solche Halsabschneider angewiesen.

Am Abend war ich bereit, das Bundeskartellamt auf die Sache anzusetzen. Nicht nur, dass ich interne Preisabsprachen vermutete, ich war mir sicher, dass die Kerle sich untereinander informierten, kaum, dass ich aus einem der Läden wieder heraus war.

»Du! Da kommt gleich einer zu dir, der braucht Bootspolster! Ja! Stell dir vor! Das hat er gesagt! Bootspolster! Doch, ganz laut und deutlich! Also, ich hab ihm drei Finger hingehalten, und darunter solltest du das auch nicht machen. Der ist blöd genug und zahlt das!«

Nein, meine Herren, das tue ich nicht! Da war ich mir ganz sicher! Lieber würde ich auf Polster verzichten und mir mein Kreuz auf harten Holzbänken ausleiern! Mir fiel der Hinterhof-Sattler ein, der mir so wunderbar die neue Persenning angepasst hatte. Ob der so etwas nicht auch machen konnte?

»Klar, kein Problem! Ich mach ihnen auch einen Sonderpreis«, lockte der gute Mann. Na, schau mal an! Es ging doch! Allerdings lag dieser Sonderpreis noch immer weit über dem, was wir uns so vorgestellt hatten. Gut, dann also Polster pur, ohne Bezüge. Nur Zuschnitt, keine Extras! Oh Mann, das ging gerade so! Aber Winterreifen für das Auto würden in diesem Jahr nicht mehr drin liegen. Na gut, hier in Norddeutschland schneit es sowieso nie, oder zumindest nie sehr lange! Also, Meister, dann nehmen sie mal Maß!

Es dauerte gar nicht lange, und sie waren fertig, oder – na ja, wie eben unbezogene Polster fertig sein können. Er hatte sich wirklich alle Mühe gegeben. Die Polsterstücke waren mit Überlegung geschnitten und zum Schluss legte der gute Mann sogar noch ein paar Quadratmeter Hohlfaser-Spannflies drauf. Sie kennen das? Dieses weiße Gewebe, das die Polster immer so schön drall unter den Bezügen aussehen lässt?! Doch, wir waren zufrieden, denn wir hatten augenscheinlich ein gutes Geschäft gemacht. Den Bezugsstoff würden wir uns im Stoffreste-Handel besorgen, denn wir wussten, dass man auch da echte Schnäppchen machen konnte.


»Blümchenmuster?«, tobte ich. »Auf meinem Schiff? Niemals!« Beleidigt schob mein tapferes Schneiderlein den Ballen wieder zurück.

»Papa! Papa! Der hier ist niedlich! Den will ich haben, ja?«

Tochter, du hast zuhause Benjamin-Blümchen-Tapete und Benjamin-Blümchen-Gardinen. Von dem Benjamin-Blümchen-Rollo und der Benjamin-Blümchen-Bettwäsche wollen wir gar nicht reden. Aber von unserem Schiff wird keine Arche Noah gemacht, klar? Nein, auch Bibi Blocksberg setzt keinen Fuß auf unser Boot, verstanden?

Ich war mir nicht sicher, wie ich die Frage, was ich von modernen Motiven hielt, interpretieren sollte. Was mir die Verkäuferin zeigte, erinnerte mich an die total durchgeknallten Farbklecksereien von Picasso. Ich konnte mich nicht daran erinnern, der Frau jemals irgendetwas getan zu haben, dass sie mich so strafen wollte. Ich blähte die Backen auf, als überkäme mich eine heftige Übelkeit, und das Frauenzimmer packte schleunigst den Ballen unter den Ladentisch zurück.

»Meine Güte, es kann doch nicht so schlimm sein, Bezüge für ein Boot zu finden. Da muss es doch irgendwas Maritimes geben? In blau oder blau-weiß!«

»Und warum hast du die Wände mit blass orangefarbener Schaumstofftapete beklebt? Ist die etwa maritim?«, fauchte mein Bootsmaat.

»Nicht direkt, dafür isoliert sie aber gut, und es war die einzige im Laden!«

»Also, wenn sie mich fragen, ich würde sagen, zu einem maritimen Blass-Orange passt immer wieder ein maritimes hellbraun«, überraschte uns die Herrin über tausend Stoffballen mit unerwarteter Fachkenntnis. Donnerwetter! Es geht doch nichts über geschulte Fachkräfte. Zielsicher griff die Verkäuferin einen Ballen mit relativ nichtssagendem Muster in bräunlicher Färbung aus dem Stapel. Er rief zwar keine Begeisterungsstürme bei uns hervor, aber er verursachte auch keinen Brechreiz, war bezahlbar und schön flauschig. Dazu gab es passende Reißverschlüsse in allen nur denkbaren Längen und Kilometerweise passendes Nähgarn. Was also wollte der kleine Heimwerker mehr?

Als nächstes wurde der Wagen ausquartiert und die Garage zu einer Schneiderei umgestaltet. Zuschneide-Tische wurden installiert, Nähmaschinen in der Verwandtschaft eingesammelt und aufgestellt, Scheren und Teppichmesser gewetzt und Unmengen an Nadeln bereitgestellt. Mit Elan stürzten wir uns auf die Arbeit, frei nach dem Motto: wenn für andere eine Herausforderung zum Problem wird, machen wir aus dem Problem eine Herausforderung. Nichts würde uns stoppen. Die Vorstellung, dass bald Schluss mit den Tagestouren sein könnte, war verlockend. Nie wieder für eine Mütze voll Schlaf abends zurück an den Steg um dann nach Hause zu fahren. Die Zeiten waren vorbei, wenn wir erst einmal unsere Betten an Bord hatten.

Wir nahmen gehörig Maß, rechneten hin und her und waren überrascht, dass nach mehrmaligem Abschneiden der Stoff immer noch zu kurz war. Na, was sollte es? Ein bisschen Schwund gibt es immer. Aber man lernt ja auch aus den Fehlern und schon nach den ersten paar verschnittenen Quadratmetern wussten wir, worauf es ankam. Der Ballen Stoff, von dem wir großzügig abschnitten, wurde eigenartigerweise kaum kleiner. Waren denn zwanzig Quadratmeter wirklich so viel? Oder hatte ich mich irgendwie vertan? Na ja, in Mathe war ich nie wirklich gut gewesen, und jetzt hatten wir eben den Vorteil, dass trotz des Verschnitts noch ausreichend Material da war. Mein holdes weibliches Schneiderlein saß an der Maschine und ratterte die ersten Nähte herunter. Ich war stolz auf sie. Hach, dieses Frauenzimmer war einfach ein Hans Dampf in allen Gassen. Es gab kaum etwas, was sie nicht fertig brachte. Auch die zehn Nähnadeln, die sie am ersten Tag benötigte, brach sie nicht etwa einfach nur entzwei. Nein! Sie zerbröselte sie sauber in viele kleine Teile!

Richtig Spaß hatten wir, als sie versuchte, den ersten Reißverschluss einzusetzen. Die Stofflagen waren nun so dick geworden, dass die Nadel kaum mehr hindurch drang. Ich Schnitt gerade ein weiteres Bezugteil zu, als mir ein eigenartiger Geruch in die Nase stach. Donnerwetter! Das roch ja, als ob …! Ja, wirklich, als ob hier irgendetwas brannte. Im gleichen Moment sprang meine Nähmaschinen-Pilotin mit einem Schreckensschrei auf und flitzte aus der Garage. Die Nähmaschine, vor der sie gesessen hatte, hauchte soeben ihre Seele in Form von kleinen weißen Wölkchen aus. Aha! Klarer Fall von „Ich ergebe mich freiwillig!“, oder, wie ich es eher interpretieren würde: „Feigheit vor dem Feind!“ Kleine lustige Flämmchen schlugen aus dem Chassis und leckten an der Kunststoffverkleidung empor.

Im nächsten Moment flog die Tür wieder auf und mein unerschrockener weiblicher Feuerlöscher trat in Aktion. Ein Zehn-Liter-Eimer voll Wasser löschte den Brand, machte aber zu allem Überfluss aus unserer Schneiderei einen Swimming-Pool. Ich schaute mir die Sauerei schweigend an, dann warf ich meinem holden Weib einen strafenden Blick zu.

»Du bist immer ein wenig drastisch in deinen Maßnahmen!«, tadelte ich kopfschüttelnd und duckte mich rechtzeitig vor dem im Anflug befindlichen Wassereimer.

»Houston, wir haben ein Problem«, ulkte meine bessere Hälfte, als wir den Löschteich wieder in den Eimer zurück feudelten. »Wir haben zwar noch einige Nähmaschinen hier stehen, aber hast du dir die mal angesehen? Ich glaube, die Maschine, die ich eben um die Ecke gebracht habe, war die mit dem stärksten Motor. Die anderen könnte ich ebenso gut gleich anstecken. Mit denen brauche ich gar nicht anzufangen.«

Ich inspizierte unseren Maschinenpark. Mein Gott, stellte ich erschüttert fest, ich war von armen Leuten umgeben. Niemand aus der Verwandtschaft schien genug Geld zu haben, um sich eine wirklich vernünftige Nähmaschine leisten zu können. Eine, die man sich ganz und gar ohne schlechtes Gewissen ausleihen konnte um notfalls auch mal Persenningstoff nähen zu können. Dabei wussten alle ganz genau, dass sie nunmehr Freizeitskipper in der Familie hatten! Da musste man doch einfach damit rechnen, dass die eine solche Maschine mal benötigen würden. Aber das war wieder typisch. Jeder dachte nur an sich, und keiner an uns!

»Dann nähen wir eben zu Fuß!«, entschied ich leichthin. Früher, als es noch keine Maschinen gab, hatten die Menschen so etwas ja auch hingekriegt. Mein holdes Weib machte sich seufzend an die Arbeit und stellte dabei überrascht fest, dass ihr Daumen weit weniger belastbar war, als sie angenommen hatte. Die Nadel ging den Weg des geringsten Widerstandes und bohrte sich in ihr Fleisch anstatt in den Stoff. Als ausgebildeter Sanitäter besah ich mir den Schaden an ihrem Finger, und als sie von mir forderte, ich solle ihr die Nadel aus demselben ziehen, griff ich beherzt zu …und fiel in Ohnmacht. Wutschnaubend versorgte sie erst mal ihren schlimmen Daumen, um dann mit einem kurzen Seitenblick auf mich wieder nach dem Zehn-Liter-Eimer zu greifen. Erneut setzte sie die Näherei unter Wasser, was sie anscheinend als Erste-Hilfe-Maßnahme bei Ohnmacht verstand. Gurgelnd und prustend kam ich zu mir.

»Muss das sein?«, fragte ich anklagend. »Du bist immer gleich so drastisch in deinen Maßn…!« Diesmal war ich zu langsam. Der Eimer traf und in Zeitlupe und mit erhobenem Zeigefinger kippte ich wieder hintenüber.

»Schlaffi!«, schnaubte sie verächtlich und fing an, um mich herum die Wasserlachen aufzuwischen.

Ich kaufte Fingerhüte en gros, schnitt aus dickem Leder Handballenschützer und griff schließlich sogar zum äußersten Mittel: Nachdem die Hände meines holden Weibes zu fast nichts mehr zu gebrauchen waren, begann ich selber zu nähen. Ja, wirklich! Man musste schon bereit sein Opfer zu bringen. Meter um Meter kämpfte ich mich durch den Stoff, und wenn auch die Nähte nicht unbedingt die schönsten waren, so würden sie doch für die Ewigkeit halten. Zwischendurch steckte ich die verpflasterten Finger immer wieder in den Zehn-Liter-Eimer mit Eiswasser, den mir mein treusorgendes Eheweib hingestellt hatte.

Dann kam der große Moment. Mit Freudentränen in den Augen und Händen, die aussahen als hätte ich mit einem Stachelschwein gerungen, machte ich den letzten Stich am letzten Polster.

»Jjjjja! Geschafft!«, jubelte ich und fühlte mich unendlich gut. Die Tür flog auf und meine beiden Meerjungfrauen stürmten herein.

»Hurra, hurra, hurra!« rief unser Leichtmatrose und schwenkte die Gläser, während mein holdes Weib den Draht vom Hals der Sektflasche tüddelte. Mit lautem Knall flog der Proppen aus der Flasche, sauste als Querschläger durch die ganze Garage und traf… mich!

»Ohhhh! Nich schon wieder…«, säuselte ich und verdrehte die Augen. »Ndu mist immer scho drassssdischhhhh…!« Es hieb mir die Beine unter dem Achtersteven weg und die Bootspolster bestanden ihre erste Bewährungsprobe. Sanft bremsten sie meinen Fall, als ich mitten in sie hineinschlug.

»Mama! Ich glaube, Papa verträgt keinen Sekt. Der fällt ja schon um, bevor er was getrunken hat!«

»Muss wohl an der Marke liegen!«, murmelte mein weiblicher Barmixer erstaunt. »Reich mir mal den Eimer Wasser da rüber, Claudia!« ......

Piraten, Gouda und Genever

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