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Spuklichter und Podderaale

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»Irgendwie bin ich froh, dass euch die Polster auf eurem ersten Kahn damals denn doch noch gelungen sind«, meinte Heinz und schob die Kirchentür hinter sich zu. »Ohne die Dinger wären wir doch damals nie zum Poddern rausgefahren und die ganze Sache wäre katastrophal ausgegangen.«

Der Verdener Dom war schon ein imposantes Bauwerk und auch die Innenarchitektur des Gotteshauses konnte sich sehen lassen. Wir hatten beschlossen, uns die Innenstadt ein wenig näher anzusehen. Als unsere Frauen zum Generalangriff auf den Verdener Einzelhandel geblasen hatten, war für uns Männer der Zeitpunkt zum Absetzen günstig gewesen. So waren wir also durch die malerische Altstadt des Ortes geschlendert, durch Gassen und Gässchen in denen die Zeit still zu stehen schien, und waren irgendwann am Dom gelandet. Es sprach für uns, dass unsere Wissbegier in kulturellen Dingen groß genug war, hineinzugehen um uns das Bauwerk auch von innen anzusehen.

»Macht sich immer gut, wenn wir unseren Frauen nachher erzählen können, dass wir in der Kirche waren«, behauptete Wolfgang und Kurt lachte: »Bist du sicher, dass sie uns das auch glauben werden?«

»Genug Kultur!«, entgegnete Kalli und zog die Tür vom „Goldenen Anker“ auf. »Ich brauch jetzt was Feuchtes. Und außerdem: welche Sache? Und was ist Poddern?«

Kallis Idee, uns alle auf ein kühles Blondes einzuladen, fand großen Anklang. Kultur und Bildung konnte ja soooo durstig machen. Nicht umsonst hieß es „Wissensdurst“. Und den gedachten wir hier ausgiebig zu löschen.

»Poddern?«, merkte der Wirt hinter Theke auf. »Kennst das nich, mien Jung? Kiekbusch, da hast nen langen Knüppel mit’m Bindfaden an. Und unten kommt ein Gewicht und ein Knäuel Würmer drrran, die du vorhäär aufn Wollfaden gezogen hast. Das Ganze lässte bis auf’n Grrrund rrrunnäär, un wenn die Aale da rrreinbeißen, värhäddäärn se sich mit die Zähne innen feinen Wollfaden. Na, und denn kannst se rrrausziehen. Feine Sache! Mach ich auch immäär!«

Wir waren alle in Reih und Glied stehen geblieben und lauschten ergriffen und mit offenem Mund den Ausführungen des Wirtes. Der musterte uns der Reihe nach und fing breit an zu grinsen.

»Sssteht da nich rrrum wie die Orgelpfeifen, setzt euch anne Theke oder annen Tisch und macht ne Ansage!«

Erst jetzt merkten wir, dass wir sauber gestaffelt nach Größe in einer Reihe vor der Theke standen und den Herrn über die Fässer anstaunten wie das siebte Weltwunder.

»Äh! Fünf Bier!«, stammelte Kalli und hatte Mühe sich zu sammeln. Der Wirt starrte einen Moment an Kurt empor und ließ dann seinen Blick über die Reihe bis zu mir hinabgleiten.

»Große oder kleine?«, fragte er mit einem scheelen Grinsen.

»Große«, beeilte ich mich zu sagen.

»Kleine«, meinte dagegen der Lange.

»Kein Problem«, grinste der Wirt. »Setzt Euch, Jungs! Der Grrroße kricht `n kleines, der Lütte da hinten kricht `n grrroßes und die andern kriegen ein nulldrrrei, alles klar!«

Da kein Widerspruch erfolgte, griff er sich die entsprechenden Gläser und fing an sie zu füllen, während wir uns wortlos an einen der Tische setzten.

»So, was war nun mit Poddern?«, fragte Kalli noch immer irritiert. Ich deutete mit dem Daumen über die Schulter in Richtung Theke, wo mit leisem Zischen der kühle Gerstensaft aus dem Hahn in die Gläser floss.

»Haste doch gehört! Dem ist absolut nichts hinzuzufügen«, lachte ich.

»Blödmann! Das hab ich ja mitgekriegt. Aber was war damals in besagter Nacht?«

»Los, Heinz. Du bist dran!« Heinz wehrte entschieden ab.

»Nee, nee, Jungs. Ich kann das nicht! Lasst Claus man erzählen!«

»Oh! `ne Geschichte übers Poddern? Moment, Frrreunde! Hier kommt das Biäär! Hähä! Wenn der Lütte dor hinten der Geschichtenerzähler is, sind die Getrrränke ja rrrichtig verteilt!«

Damit stellte der Wirt die Gläser vor uns auf den Tisch und tatsächlich bekam ich als einziger einen halben Liter.

»So!«, forderte der Herr der Zapfhähne. »Nu öl man schnell und denn fang an!« Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu uns an den Tisch. Fünf Augenpaare richteten sich erstaunt auf den Mann mit dem nördlichen Akzent. Der legte den Zeigefinger auf die Lippen, machte: »Psssst!« und deutete dann auf mich. Kalli fing verdächtig an zu glucksen, und auch wir anderen schmunzelten oder kicherten leise vor uns hin. Schließlich dröhnte lautes Gelächter durch die Schankstube und wir klopften uns vor Vergnügen auf die Schenkel.

»Also gut!«, willigte ich ein und wischte mir die Lachtränen aus den Augen. »Dann hört mal alle her! Es war Hochsommer und die Schwüle kaum noch auszuhalten. Heinz und ich saßen auf dem Steg und badeten unsere Köder. Irgendwie war es aber selbst den Fischen zu warm. Sie dachten gar nicht daran, sich die Bäuche vollzuschlagen. Ich konnte das verstehen, denn bei der Hitze war selbst das Essen eine anstrengende Angelegenheit.

»Ich glaube, heute beißt eh nix«, murmelte Heinz schlaff.

»Komisch, früher haben wir bei solchem Wetter die dicksten Brocken gefangen.«

Trotz der Hitze war mein Verstand noch in der Lage, derartige Anstrengungen auf sich zu nehmen und die Erinnerungen an bessere Zeiten aus dem hintersten Winkel der Gehirnwindungen hervorzukramen.

»Wäre eigentlich bestes Podderwetter«, gähnte der PINGO-Skipper. »Deine DODI wäre zum Poddern auch bestens geeignet. Schön flach, wenig Tiefgang. Damit könnte man schön in die kleine Weser.«

Ich überlegte kurz und schon waren sie wieder da, die Erinnerungen an alte Zeiten. Wie oft war ich in meiner Jugend mit Freunden aus dem Wassersportverein dorthin gefahren um in den engen Gräben der ausgedehnten Schilfwälder mit der Sperrlage zu fischen oder das fängige Wurmknäuel, den so genannten Podder, den Aalen in den flachen Gräben anzubieten? Jedes Mal war es ein Abenteuer gewesen, und ich bedauerte die Jugend von heute, die ihre spannendsten Erlebnisse vor dem Computer-Bildschirm hat. Ich erinnerte mich noch genau an die Fangfahrten mit der REIHER und an ihren knorrigen Besitzer Karl Bollmann, der überall der norddeutsche Kleiderschrank genannt wurde. Der alte Fischer hatte uns mit Geschichten über einen Reusensteller, der über Bord gegangen war, das Gruseln gelehrt. Man sollte den Mann erst nach Tagen gefunden haben, aufrecht im Schlick stehend und ertrunken. Mehrere Fluten waren angeblich über ihn hinweg gegangen. Karl hatte mir das Fischen mit der Sperrlage beigebracht, und zum Dank dafür hatte ich ihm später während einer Wettfahrt zwischen seinem REIHER und meinem STICHLING das Bodenblech seines schweren Angelkahns lädiert, indem ich ihn auf die Steinpackung der Hafenböschung auflaufen ließ. Aber dies sind Geschichten, die schon ein anderes Buch füllen.

»Da bin ich schon lange nicht mehr gewesen«, grübelte ich.

»Hast du Tauwürmer?«, fragte Heinz noch immer träge.

»Ein ganzes Glas voll«, bestätigte ich.

»Ich auch!«

»Haste nen Wollfaden?«, ging ich jetzt schon mehr ins Detail. Er grübelte eine Weile über meine Frage nach, stand dann ächzend auf und verschwand an Bord der PINGO.

»Jo!«, strahlte er, als er wieder auftauchte, und hielt mir das Kästchen mit Elfis Nähkram entgegen.

»Schiet!«, entfuhr es mir.

»Wieso Schiet?«

»Habe keinen Sprit mehr an Bord.«

»Aber ganz leer ist der Tank doch auch nicht, oder?«

»Nö! Zwanzig Liter Gemisch hab ich wohl noch. Aber die reichen nicht mal für die Hinfahrt«, brummte ich und verfluchte die Tatsache, dass ich den Außenborder für unser damaliges Schiff eine Nummer zu klein gewählt hatte. Wir schwiegen eine Weile und man konnte Heinz deutlich ansehen, dass er eigentlich nicht gewillt war, Elfis Wollgarn wieder wegzupacken.

»Und wenn wir mit der PINGO runterfahren und DODI hinterher schleppen? Ich hab genug Diesel an Bord«, kam ihm plötzlich die rettende Idee. »Dann sind wir da unten voll einsatzfähig, und meinen Dampfer legen wir so auf Reede, dass er nicht trockenfällt.«

Ich schenkte Heinz einen anerkennenden Blick. Der Knabe konnte ja sogar mitdenken. Trotz der Hitze schien sein Gehirn noch wendig genug, um solche Pläne zu entwickeln. Der PINGO-Skipper stieg in meiner Achtung ein beträchtliches Stück. Wir waren uns einig. Ohne weitere, überflüssige Worte zu verlieren, kurbelten wir die Schnüre unserer Angelruten ein. Kurzer Motorencheck, Leinen los und ab ging es. DODI folgte treu und brav der PINGO an der langen Schleppleine. Heinz schnupperte wohl plötzlich Abenteuerluft, denn er legte den Hebel auf den Tisch und ließ seine Safir durch die Wellen preschen. Am Nordende der langen Weserinsel Harriersand bogen wir am frühen Abend in die kleine Weser ein und hatten Glück. Das Wasser fing gerade an aufzulaufen und wir tasteten uns in den flachen Nebenarm hinein. Es gab dort eine Stelle, die nicht trocken fiel, und an der immer genügend Wasser verblieb. Dort konnte die PINGO auch bei Ebbe liegen. Wir warfen Anker und steckten eine ausreichend lange Leine aus, denn der Tidenhub betrug hier etwa vier Meter. Heinz kochte Kaffee für die Nacht, während mir die ruhmreiche Aufgabe zuteilwurde, mittels einer groben Nadel an die 100 Tauwürmer auf zwei Wollfäden zu ziehen. Ja, als Angler muss man manchmal hart im Nehmen sein.

Die Sonne war bereits untergegangen, und die Dämmerung brach herein. Wir schlossen die Schotten der PINGO und wechselten auf die DODI hinüber. Um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, hatte ich die Persenning über der Plicht abgenommen. Wir lösten die Leinen und stießen von dem größeren Boot ab. Gemächlich trieb DODI tiefer in den Seitenarm der Weser hinein. Dann startete ich den Motor und steuerte das Boot in die Mitte der Fließrinne. Da die Strömung uns mit sich zog, brauchte ich nur wenig Gas zu geben, um das Boot manövrierfähig zu halten.

»Kennst du dich hier aus?«, fragte Heinz und man konnte merken, dass ihm nicht wohl dabei war, wenn ein anderer das Ruder hielt.

»Wie in meiner Westentasche«, beruhigte ich ihn und steuerte auf das Aschwardener Siel zu, in dessen Auslaufrinne ich vor den starken Sieltoren dicke Aale zu fangen gedachte. Es kam darauf an, mit der steigenden Flut langsam an den Schlickbänken emporzusteigen und dabei Rinnen zu finden, die über die Schlickkante hinweg ins Hinterland führten. Die Aale nahmen nachts bei auflaufendem Wasser diesen Weg in die breiten Schilfgürtel, um sich an allerlei Getier satt zu fressen. Mit ablaufender Tide verließen sie die Gräben wieder und schwammen mit dem Ebbstrom zurück in den großen Fluss.

Heinz merkte schnell, dass ich meine DODI genauso sicher führte, wie er sein eigenes Boot. Meine umsichtigen Manöver beruhigten ihn und er fing an, Vertrauen in meine seemännischen Fähigkeiten zu fassen. Wir wählten den Platz sorgfältig aus, ankerten und bliesen das Kinderplanschbecken auf, das Heinz aus den unergründlichen Tiefen seines Frachters gekramt hatte. Wir banden es neben unserem Boot fest, denn die Aale würden den Köder loslassen, sobald sie aus dem Wasser gehievt wurden. Dann fielen sie unweigerlich wieder zurück, wenn wir es nicht schafften, sie vorher über die aufgeblasenen Gummiwülste in den Mini-Swimmingpool zu befördern.

Mittlerweile war es ganz dunkel geworden, und wir führten kein Licht, damit sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten.

»Na denn!«, gab ich das Startzeichen und wir senkten unsere Gewichte mit den Ködern hinab in das trübe Wasser. Selbst im dicksten Stock spürt man, wenn das Blei auf dem Grund aufsetzt. Man hebt es dann soweit an, dass der Köder eben über dem Boden schwebt und spürt den leisesten Zupfer des kleinsten Aales. Und heute zupften hier nicht nur die Kleinen. Es ging hoch her da unten, denn die schleimigen Gesellen hatten Kohldampf. Ein Aal nach dem anderen wanderte in unser Fangbecken.

»Hast du einen Räucherofen?«, wollte Heinz wissen und bei dem Gedanken an frisch geräucherte Aale lief ihm bereits das Wasser im Mund zusammen. Ich hatte! Irgendwo musste der alte Räucherschrank noch in einer dunklen Ecke eines Schuppens herumstehen und auf bessere Zeiten warten. Diese schienen heute anzubrechen. Wir fingen und fingen, und uns wären sicher die Arme abgefallen, wenn nicht irgendwann urplötzlich die Aale aufgehört hätten zu beißen. Wir nutzten den Moment, um einen Happen zu essen und uns einen Schluck heißen Kaffee zu gönnen. Selbst im Sommer sind die Nächte auf dem Wasser recht kühl.

»Komisch«, murmelte ich. »Bis Hochwasser ist es doch noch eine Stunde hin. Warum hören die Biester auf zu beißen?«

»Sag mal, hörst du das?«, nuschelte Heinz, denn er kaute mit vollen Backen. Ich lauschte angestrengt in das Dunkel der Nacht, konnte aber keinen Laut hören.

»Eben«, murmelte Heinz. »Es ist so still!«

Er hatte Recht. Es ging kein Hauch, das Schilf, das hier an den Ufern einen breiten, fast undurchdringlichen Gürtel bildete, regte sich nicht. Kein Tier war zu hören, nur in der Ferne schlug eine Turmuhr einmal.

»Ein Uhr! Gott sei Dank«, flüsterte Heinz.

»Wieso?«

»Na, dann ist Geisterstunde doch schon vorbei!«

»Bist du sicher?«, fragte ich und deutete hinaus auf den Strom. Irgendwo dort in der Dunkelheit bewegte sich ein schwaches Licht auf und nieder. Heinz fiel die Mettwurststulle aus der Hand. Sie klatschte mit einem dumpfen Laut auf den Holzboden.

»Was ist das?«, fragte er flüsternd, aber auch ich hatte darauf keine Antwort. Ein klagender Laut wehte über das Wasser und jagte uns einen kalten Schauer über den Rücken. Das Licht bewegte sich jetzt zur Seite, wurde dabei aber noch immer gehoben und gesenkt. Dann kehrte es wieder an seinen Ausgangspunkt zurück.

»Ein Licht heben und senken heißt doch, dass sich jemand in Gefahr befindet«, sagte ich laut und begann unruhig zu werden. Urplötzlich öffnete sich für einen Moment knarrend das Sieltor neben uns, obwohl dieses physikalisch eigentlich nicht möglich war. Der auf ihm lastende Wasserdruck hätte das niemals zugelassen. Dann krachten die Tore mit einem Knall wieder zu, dass ich vor Schreck zusammenfuhr.

»Wir müssen hier weg«, keuchte ich. »Los, Heinz, das Wasser aus dem Planschbecken, und die Luft raus! Wir stauen den ganzen Kram mitsamt den Aalen einfach in die Bilge.«

Jetzt kam auch Leben in den Skipper der PINGO. In Windeseile hatten wir alles zusammengepackt und DODI war klar bei Maschine.

»Mensch! Wo fährst du denn hin?«, hechelte er atemlos, als er merkte, dass ich Kurs auf das Licht nahm.

»Das will ich mir ansehen. Noch läuft das Wasser auf, also besteht für uns nicht die Gefahr irgendwo aufzulaufen. Aber ich will wissen, was das da ist.«

Angestrengt starrten wir durch die Scheiben des Ruderhauses.

»Das Licht!«, stöhnte Heinz auf. »Es wandert weg. Es bewegt sich! Claus, stopp auf und dreh bei. Das geht nicht gut! Wer weiß, was das ist!«

»Mach mich nicht nervös! Ich sehe selber, dass es wandert. Aber die Fahrrinne macht hier eine Biegung, und das Licht wandert so, dass wir genau in der Fahrrinne sind, wenn wir drauf zu halten.«

»Das gibt’s doch gar nicht«, keuchte Heinz und sein Gesicht glänzte schweißnass in dem matten Schein der Instrumentenbeleuchtung. Das Licht vor uns wechselte unvermittelt auf die andere Uferseite und verharrte dort. Es beschrieb jetzt einen Kreis, als wolle es uns auffordern, ihm zu folgen. Die Geschichte wurde immer mysteriöser. Ich spähte aus dem Führerhäuschen hinaus in die Dunkelheit und versuchte etwas zu erkennen. Offensichtlich sollten wir zu der Stelle fahren, an der sich das Licht jetzt befand. Ich stoppte auf und schaltete den Motor aus. Von einer Sekunde zur anderen war es wieder ganz still.

»Da!«, flüsterte Heinz. »Hast du das gehört? Da schreit doch jemand! Na klar, da ruft einer um Hilfe!«

Ich hatte es gehört. Und dank der Ortskenntnisse, die ich von Karl Bollmann hatte, wusste ich auch, wo derjenige war, der da rief. Ich startete den Motor und gab Vollgas. Heinz schrie vor Schreck auf, als ich genau auf die Schilfwand zuhielt, die sich wie eine Mauer vor uns erhob. Noch bevor er etwas dagegen unternehmen konnte, teilte DODI die grüne Wand und preschte hinein in ein schmales Fließ, einen der Gräben, die ich noch von meinen früheren Exkursionen mit Karl und seiner REIHER her kannte. Ich nahm Fahrt aus dem Boot und manövrierte es mit traumwandlerischer Sicherheit durch die Dunkelheit.

»Scheinwerfer!«, rief ich, langte in eine Kiste und drückte Heinz die riesige Taschenlampe in die Hand. Heinz reagierte sofort und sprang aus der Plicht. Nur von draußen konnte er so mit der Lampe hantieren, das mich ihr Widerschein durch die Fenstergläser nicht blendete. Der starke Handscheinwerfer erleuchtete den schmalen Graben und wir sahen Gespenstisches vor uns. Aus dem Wasser des Grabens ragte ein Kopf, und ein Arm winkte uns kraftlos zu. Die Strömung drückte uns unaufhaltsam darauf zu, und ich ließ die Maschine rückwärtsgehen.

»Schnell, Heinz! Heckanker in die Modderbank setzen, nicht in den Graben!«

Auch jetzt reagierte Heinz genau richtig. Im Nu hatte er den Heckanker klar und feuerte ihn in den Schilfwald. Leine auf die Klampe und DODI stand auf der Stelle. Ich hatte den Motor gestoppt, nahm die Lampe und stürzte nach vorn.

»Zwei Meter nachlassen, Heinz! Und dann komm nach vorn!«

Ich griff die Festmacherleine, legte mich aufs Vordeck und beugte mich so tief ich konnte herunter. Heinz packte mich am Hosenbund um mir den nötigen Halt zu geben. Von dem Unglücklichen, der dort im Grabenschlick steckte, schaute inzwischen nur noch das Gesicht heraus und die Wellen begannen bereits, Mund und Nase zu überspülen. Ich schaffte es irgendwie, eine Leinenschlinge unter seine Arme zu bekommen.

»Hol tief Luft! Es wird weh tun!«, brüllte ich, warf die Leine um die Vorschiffsklampe und jagte zurück in die Plicht. Motor an und mit Gefühl zurück. Ich hatte keine Wahl. Der Schlick hielt den Verunglückten mit Macht fest und selbst zusammen hätten wir nicht die Kraft gehabt, ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien. Aber fünfundzwanzig Pferdestärken sollten hierfür ausreichen. Irgendwann machte DODI einen Satz zurück und ich hatte erreicht, was ich wollte. Blubbernd und spuckend war der Mann freigekommen und wir fischten ihn aus dem Graben. Wären wir nur fünf Minuten später gekommen, hätte er keine Chance mehr gehabt.«

Piraten, Gouda und Genever

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