Читать книгу Wasser, Fische und Agenten - Claus Beese - Страница 6
Aller Anfang ist schwer
ОглавлениеKnappe sechs Wochen, mehr nicht! Nicht viel Zeit, sich an ein neues Schiff zu gewöhnen, nicht wahr? Geprobt wurde Anlegemanöver, Ablegemanöver, Mann-über-Bord-Manöver, Schleusenmanöver und was es sonst noch an Manövern gibt. Und das mit äußerster Vorsicht. Die Maschine wurde auf Herz und Nieren getestet und Heinz, der sich rühmte, das schnellste Boot am Steg zu haben, durfte sich unser Hecklicht besehen.
Zwischendurch wurde gebunkert, was die Haushaltskasse hergab, denn schließlich wollten wir ja eine weite Reise machen. Wir hatten keine Ahnung, wie sich Entfernungen für Skipper darstellen, wir wussten nur, dass wir wohl etwas mehr als drei Stunden, wie mit dem Auto, zur Ostsee brauchen würden. Uns war klar, dass wir keine Rakete, wohl aber einen recht schnellen Verdränger hatten, der durch seine Halbgleiterbauweise sogar noch recht sparsam im Verbrauch war. Was wir jedoch an Zeit einplanen mussten, das wussten die Götter.
Zum ersten Mal ging es die Weser abwärts bis nach Bremerhaven und als wir am Midgaard-Kai in Nordenham an den riesigen Frachtern vorbeifuhren, ragten sie vor uns auf wie Gebirge aus Stahl. Die Weser wurde ganz schön breit hier unten und dem weiblichen Teil der Besatzung wurde recht mulmig, als sich die schützenden Ufer plötzlich weit öffneten und den Blick auf die Nordsee freigaben.
Die Wellen wurden etwas höher und meine Augen hingen wie gebannt auf der Seekarte. Neptun, wo war die nächste Tonne und wieso war plötzlich an Steuerbord so viel Wasser? Ich war mir sicher, dass ich genau auf dem Tonnenstrich fuhr. Ach so, die Fahrrinne verlief sehr weit am westlichen Ufer und an Steuerbord war die Frachter-Reede. Mann, das muss einem ja gesagt werden. Wer weiß das schon? Aha, Fähranleger Nordenham querab. Dann müsste man doch schon..., Tochter, jetzt brauche ich das Fernglas. Also, her damit! Klar, da drüben waren sie, die Leuchtfeuer der Geeste-Einfahrt. Ich konnte fast direkten Kurs darauf nehmen. Ein bisschen ungemütlich war es vor der Einfahrt. Das Wasser war ein wenig rau, aber für das Boot kein Problem. Meine hübsche, gelbe Norwegerin war für so etwas gebaut.
»Sieh mal, Claudi! Da drüben geht es auf die Nordsee. Und da hinten ist die Columbuskaje!«
»Und vor uns ist die Autofähre!«, schrie meine Bestfrau und machte Anstalten, über Bord zu springen.
Oh, verfl...! Da kam der Riesenpott schon um die Ecke und uns blieb kaum Platz zum Ausweichen. Ich hatte das Hornsignal überhört. Trottel! Idiot! Nichtskönner! Wo war das Mauseloch, durch das wir entschlüpfen konnten? Dann hatte der Fährmann uns bemerkt und gab kurz Seitenschub, um auszuweichen. Die Lücke wurde ein wenig weiter und das Wasser zwischen Mole und Fährschiff war herrlich ruhig, denn nun stoppten die Maschinen auf dem großen Schiff. Ich verstand sofort und gab Vollgas. Wir quetschten uns durch die Lücke und ich winkte dem Mann auf der Brücke dankbar zu. Hätte er nicht Gas weggenommen, hätte uns sein Schraubenschwell an die Mole gedrückt. Und das hätte unangenehm werden können.
Es war also gerade noch mal gut gegangen, aber wo, zur Hölle, waren wir? Erst mal Fahrt wegnehmen und orientieren. Da, an Steuerbord, das mussten die Tore zur Fischereihafenschleuse sein. Da wollten wir nicht hin. Geradeaus war der Fähranleger, auch nicht das Richtige für uns. Und an Backbord lagen Schlepper und Lotsenboote, mit denen wollten wir eigentlich auch nichts zu tun haben.
»Da geht’s lang!«, jubelte meine bessere Hälfte und deutete auf ein schmales Stück Wasser zwischen Schleppern und Fähranleger.
Tatsächlich, da hinten war ja auch das Geeste-Sperrwerk. Da mussten wir durch. Ich glaube nicht nur wir, sondern auch alle anderen Hafennutzer waren froh, als wir verschwunden waren. Völlig ruhig lag der kleine Fluss vor uns, und wir schipperten stromauf. Fassungslos starrte ich auf die teilweise verrotteten Helgen einer Werft, die an diesem schmalen Flüsschen lag. Ich konnte mich noch daran erinnern, dass ich mal im Fernsehen gesehen hatte, wie sie hier einen großen Frachter vom Stapel gelassen hatten. Meine Güte, wie hatten sie den bloß um die Flussbiegungen gekriegt? Der Bach hatte hier gewaltig enge Kurven. Egal, da vorne war Rotlicht. Was war denn das schon wieder? Aha, eine Schleuse. Kein Problem, wir waren ja jetzt geübt. Mist, es tat sich nichts. Und wo sollte man hier festmachen? Weit und breit war kein Anleger in Sicht.
Einige Boote lagen bereits vor der Schleuse und ich traute mich bis auf Rufweite heran.
»Mittagspause«, erklärte mir ein Skipper lakonisch und bot mir an, längsseits zu gehen.
Dankbar nahmen wir an. Ein kleines Päuschen würde auch uns gut tun. Natürlich hatten wir geübt, und so eine relativ kleine Schleuse wie diese sollte eigentlich kein Problem darstellen, ....wenn denn Platz genug gewesen wäre. Während der Wartezeit erschienen immer mehr Boote, die den Weg zur Elbe über die Geeste in geschütztem Revier nehmen wollten. Und wie sich das so für gesittete und zivilisierte Westeuropäer gehört, setzte ein Gewimmel von Booten und ein regelrechter Run auf das offene Schleusentor ein, noch bevor der Wärter die Schotten ganz geöffnet hatte. Irgendwie hatte ich das Kommen sehen und zeitig die Leinen losgemacht. Und urplötzlich befanden wir uns mitten drin in einem perfekten Tohuwabohu, das seinesgleichen suchte.
Irgendwie schafften wir die Schleuse und genossen anschließend das ruhige Dahintuckern auf der Geeste. Der sich daran anschließende Kanal des Elbe-Weser-Schifffahrtsweges zog sich endlos hin und meine Crew aalte sich in der Sonne. Warum auch nicht? Der Steuermann kannte zwar nicht den Weg, aber verfahren konnte er sich hier nicht. Der Weg war sozusagen idiotensicher.
Eine absolute Besonderheit für alle Freizeitskipper ist die Otterndorfer Schleuse. Das Becken der Schleuse liegt hinter dem Deich, also im Binnenland. Passiert man das seewärtige Schleusentor, führt der Weg durch einen Tunnel unter dem Seedeich hindurch und man muss schon aufpassen. Der Wasserstand lässt einem manchmal nicht allzuviel Spielraum in dem engen Loch.
Wir waren begeistert, als das Tageslicht uns am Ende des Tunnels wieder begrüßte, unser Boot noch schwamm und wir bei dem Manöver auch niemand anderen versenkt hatten. Voller Tatendrang fuhren wir am Yachthafen von Otterndorf vorbei, was sollten wir da auch? Unser Ziel hieß Rendsburg. Und nichts konnte uns stoppen!
Wir umfuhren Kap Jakob, wie die Einheimischen hier die Landzunge an der Hafeneinfahrt zu nennen pflegen, und als wir im Prickenweg durch das Otterndorfer Watt zur Elbe waren, öffnete sich vor uns der Blick auf - eine schier endlose Wasserfläche.
»Ist das die Nordsee?«, wollte unser Nachwuchs staunend wissen.
»Nee, die Elbe!«, murmelte ich tonlos.
»Und wer hat das andere Ufer geklaut?« Mein treues Eheweib sprach das aus, was auch mich beschäftigte.
»Ich glaub‘, du holst mal besser die Karten!«, murmelte ich, überwältigt von so viel Wasser.
Die Boote, die mit uns in der Schleuse gewesen waren, wandten sich nun über Steuerbord die Elbe aufwärts, wobei zwei Boote die Mahnung des Schleusenwärters voll in den Wind schlugen, den Prickenweg nur ja bis zum Ende zu befahren. Sie versuchten eine sehr frühzeitige Kursänderung und fanden sich prompt auf dem Otterndorfer Watt wieder. Da ablaufendes Wasser war, würden sie jetzt lange Zeit darüber nachdenken können, warum man den Ratschlägen eines Schleusenmeisters folgen sollte.
»Na, denn!«, murmelte ich und gab Gas.
Ich folgte erst einmal den anderen Booten im Kielwasser und orientierte mich anhand der Karten und des Kompasses. Die Elbe hatte hier starke Strömung und der Perkins hatte ordentlich zu tun, das Boot auf eine akzeptable Geschwindigkeit zu bringen. Doch was war das schon gegen die Fahrt, mit der die Großschifffahrt hier lang rauschte. Ständig wurden wir von Seeschiffen aller Art überholt und mussten oft genug die Nase in die mächtigen Wellenkämme stecken, die von achtern auf uns zurollten.
»Ein gutes Schiff«, hatte unser Stegwart gesagt und jetzt wusste ich, was er meinte.
Obwohl es uns hin und wieder recht ordentlich schüttelte, blieb das Topplicht dort, wo es hingehörte. Nämlich oben. Der Motor brummte zuverlässig und ganz langsam hörte ich auf zu schwitzen. Der schwierige Teil sollte allerdings noch kommen, denn querab von Brunsbüttel mussten wir die Elbe queren. Es war ein Verkehr wie auf der Autobahn, und ich legte den Gashebel auf den Tisch, um eine halbwegs passable Lücke in dem Gewusel zu nutzen. Wir kamen gerade zurecht. Eben ging das Schleusentor auf, es war kein anderes Schiff in der Kammer. Die übrigen Skipper hatten das Öffnen der Kammer nicht mitbekommen und kreisten auf ihrer Warteposition etwas oberhalb des Vorhafens.
»Du musst auf ein weißes Licht warten!«, sagte mein holdes Weib, aber ich hatte es schon erspäht.
Konnte ich denn ahnen, dass es auch noch blinken sollte? Nein, konnte ich nicht! Also, rein in die gute Stube! Oha, komfortabel, komfortabel. So eine schöne Schleuse, mit Schwimmstegen zum Festmachen, hatte ich noch nicht gesehen. Mein Weib schickte sich an, von Bord zu springen, um die Leinen zu belegen, als uns der Draht aus der Mütze flog. Aus allen Lautsprechern der Schleusenüberwachung brüllte uns irgendwer irgendwas zu und meine Frau zog es vor, statt eines Satzes nach vorn einen nach hinten zu machen. Flugs verschwand sie unter der Persenning. Halb taub von dem Gebrüll rieten wir, was man von uns wollte. Wir erhielten einen Vortrag über feste und blinkende Lichter und warteten im Übrigen darauf, dass man uns nun mit Mann und Maus versenken würde.
Plötzlich war es mucksmäuschenstill. Entweder hatte der Schleusenwärter sein Mikrophon verschluckt oder die Lautsprecher hatten den Dienst quittiert.
»Eins, zwei, eins, zwei!«, machte ich eine Hörprobe und war froh, dass meine Ohren noch funktionierten. Über uns tauchte einer in Uniform und mit schicker Mütze auf. Ich breitete entschuldigend die Arme aus.
»Sorry! Tut mir ehrlich leid, wenn ich was falsch gemacht habe. Ist unser erster Törn durch den Kanal. Soll auch nicht wieder vorkommen.«
Der Lamettaknilch winkte ab.
»Fahren Sie ganz nach vorne und machen Sie fest. Es kommt gleich ein Vermessungsschiff, das die Kammer nach Ablagerungen absucht. Es wird dicht auffahren, aber Sie können da vorn liegenbleiben.«
Ich war erleichtert. Irgendwie hätte ich auch überhaupt keine Lust gehabt, die nette, freundliche Schleusenkammer nochmals zu verlassen. Wir waren ja froh, dass wir drin waren. Nun hofften wir nur noch, dass der Steuermann des Arbeitsbootes Augen im Kopf hatte und man uns nicht für eine Ablagerung hielt.
Der Rumpf des Schiffes kam uns gefährlich nah, aber es wurde dort mit solcher Vorsicht navigiert, dass unsere DODI nicht einmal an den Leinen zerrte. Schließlich war man fertig, und die Schleuse wurde wieder freigegeben. Wie ein Schwarm Heuschrecken fielen die wartenden Boote in die Kammer ein und eine große Hamburger Motoryacht machte hinter uns fest.
»Na, Herr Kapitän!? Wohl das erste Mal auf dem Wasser, wa? Vielleicht hätten Sie ihr Schlauchboot doch behalten sollen?«, feixte ein Typ in schwarzer Hose und weißem Pilotenhemd. Sogar eine Bügelfalte hatte der Kerl in seiner Büx. An Hals und Handgelenk blitzte und blinkte der Reichtum.
»Nö!«, gab ich scheinbar gelassen und mit einem diabolischen Grinsen zurück. »Als ich sah, dass Sie vor der Schleuse warteten, habe ich mir gedacht, dass ich besser als Erster reinfahren sollte. So würden Sie besser sehen können, wo die Schleuse zu Ende ist und außerdem hätte ich Ihnen die Leinen abnehmen können, um einen anständigen Knoten zu machen.«
Das Grinsen erstarb. Dann verschwand der Kerl von seiner Flybridge. Bügelfalte rannte auf seinem Dampfer entlang nach achtern, wo seine weibliche Begleitung verzweifelt mit den Festmachern kämpfte. Sein ganzer Frust entlud sich über ihr, was dazu führte, dass sie ihm außer dem ganzen Leinenknäuel noch ein paar nette Worte an den Kopf warf. Sie verschwand kurz unter Deck um Sekunden später, bewaffnet mit ihrem Handtäschchen, die Leiter in der Schleusenwand zu erklimmen. Dieses Manöver gestaltete sich naturgemäß mit den Stöckelschuhen etwas schwierig, was sie aber nicht davon abhielt, eine Schimpfkanonade erster Güte auf ihren Kapitän herabprasseln zu lassen. Kaum war sie oben angekommen, rief sie in den schrillsten Tönen: »Taxi! Taxi! Wo, zum Henker, gibt es hier Taxen?«
Ein Schleusenarbeiter zeigte ihr den Weg, und sie rauschte davon.
»Werden Sie denn jetzt ohne Mannschaft klar kommen? Vielleicht hätten Sie ihr schönes Schiff doch besser auf dem Pallholz stehen lassen sollen!«, rief ich übermütig zu dem Bügelfaltenskipper hinüber, der blitzschnell seine Leinen belegte und dann unter dem donnernden Gelächter der ganzen Schleuse unter Deck verschwand.
Die Tore schwangen auf.
Ich hatte jetzt alle Hände voll damit zu tun, heil aus dem Gewusel der ausschwärmenden Sportboote herauszukommen. Nord-Ostsee-Kanal oder NOK oder einfach Kiel-Kanal, das war schon mal die halbe Miete. Und wenn alles gut ging, würden wir morgen auf der Ostsee sein. Hach, war das alles aufregend. Bald hatten wir den Hafenbereich von Brunsbüttel verlassen und das Boot lief ruhig mit den erlaubten acht Knoten oder fünfzehn Stundenkilometern bei guten tausendachthundert Umdrehungen des Dieselmotors. Wir hielten diese Geschwindigkeit ohne Probleme, bis plötzlich ein lautes, herzhaftes Gähnen ertönte. Nie hätte ich vermutet, dass unser Nachwuchs seine Futterluke so weit aufreißen könnte. Mein Gott, ich war geschockt.
»Hich nech mich hinnn!«, murmelte sie bereits im Halbschlaf und wir fingen unseren Krümel auf, bevor er in sich zusammensackte.
Meine bessere Hälfte brachte sie in die Koje und deckte sie zu. Claudi merkte von allem nichts mehr, sie schnorchelte leise vor sich hin und ließ sich durch nichts stören.
Hatten wir geglaubt, dass wir auf dem Wasser den Schikanen der Straßenbauer entgehen konnten, so hatten wir uns getäuscht. Warum sollte es auch so sein? Immerhin waren wir auf einer der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt. Hier gab es zwar keine Schlaglöcher, die auszubessern waren, aber das hatte die Wasserstraßenbauer nicht daran gehindert, auch hier eine Baustelle einzurichten. Der Kanal musste verbreitert werden, um dem starken Güterverkehr noch gerecht werden zu können. Also, ein bisschen weniger Gas.
»Hmmm? Was is’n los?« Claudi krabbelte wieder aus der Achterkajüte und setzte sich verschlafen auf die Salonbank. Nur langsam wurde sie wach.
Die Baustelle zog sich eine ganze Ecke hin und unsere Tochter wollte jetzt Spielstunde einlegen. Also erbarmte sich mein holdes Eheweib und die beiden spielten eine Runde Autoquartett.
Dann, endlich! Die Baustelle war zu Ende. Ich konnte wieder auf tausendachthundert Touren gehen. Unser Ableger verdrehte die Augen und fiel stumpf zur Seite. Sie schaffte es gerade noch, sich ein Kissen unter den Kopf zu schieben, dann schlief sie wieder. Die Karten fielen zu Boden. Donnerwetter, den Trick musste ich mir merken. Sollte es mal Probleme im Umgang mit der Crew geben, brauchte ich nur auf tausendachthundert Motorumdrehungen zu schalten. Im Falle einer Meuterei hätte ich es dann schlagartig nur noch mit der Hälfte der Mannschaft zu tun. Genial!
Prompt kam sie auch wieder zu sich, als wir am frühen Abend bei Rendsburg in die Obereider einbogen. Die besten Liegeplätze sollte es ganz am Ende der Nebenwasserstraße geben und langsam tasteten wir uns das Flüsschen hinauf, welches sich völlig überraschend zu einem ziemlich großen See erweiterte. An seinem Ende liegt der Rendsburger Hafen und die Steganlage des Rudervereines Rendsburg.
Sehr zögerlich manövrierte ich unsere DODI an die Anlage heran und mit großen Augen betrachteten wir erst einmal aus der Ferne das Treiben auf den Stegen. Sofort fiel uns auf, wie merkwürdig hier angelegt wurde. Man fuhr zwischen zwei im Wasser stehenden Pfeilern hindurch, belegte achtern die Leinen auf den Dalben, um dann mit dem Bug bis an den Steg zu fahren. Dort wurde dann das Vorschiff festgemacht und als allerletztes die Achterleinen stramm gezogen und belegt.
»Boh, ey! Was stehen die Dalben weit auseinander!«, flüsterte mein holdes Eheweib erschüttert.
Wir fuhren langsam am Steg vorbei und sahen weiter hinten kleinere Boxen. Gerade wollte ich meine bessere Hälfte darauf aufmerksam machen, als wir recht zügig von einem Kajütboot unserer Größe geschnitten wurden. Der Skipper hatte eine freie Box entdeckt, flitzte zwischen die Dalben, warf geschickt wie ein Cowboy ganz lässig seine Lassos über die Pfähle und war im nächsten Moment am Steg fest. Das Zweite, was uns an Rendsburg auffiel, war ein erschütterndes Ereignis von der Tragweite einer Naturkatastrophe. Auf der Steganlage erhob sich ein Gebrüll, als wollten alle Skipper gleichzeitig übereinander herfallen. Wir versuchten die Quelle des Tumultes zu orten und sahen – nichts! Dann stürmte ein Männlein über den Steg, das unentwegt vor sich hin brüllte.
»SEEADLER, nimm deine Drahtesel vom Steg, sonst mach‘ ich Seepferdchen draus! MARIANNE, du sollst nicht drängeln, du kriegst gleich deinen Strom! Und du, Kaaskopp! Wenn deine Tölen hier auf den Steg kacken, versenk‘ ich deinen Käsetransporter eigenhändig!«
Das Männlein war jetzt vor der Box mit dem gerade angekommenen Kajütboot stehen geblieben und baute sich in voller Größe vor dem Skipper auf, der gerade einen Fuß anhob, um sein Schiff zu verlassen.
»Und du!«, brüllte er den Skipper an, dass diesem die Haare auf Sturm standen. »Du schaffst sofort deine Streichholzschachtel aus der Box, die ist nämlich für Schiffe, nicht für Badewannen. Such dir da hinten ‘ne kleinere!«
Er deutete in die Richtung, in der auch wir einen Liegeplatz für uns vermutet hatten. Fluchend fuhr der Skipper sein Boot aus der Box und nahm Kurs auf die kleinere Anlage. Das mächtige Männlein winkte uns zu.
»Los, DODI! Trab an hier! Ich hab‘ nicht ewig Zeit! Oder wollt ihr da draußen auf Reede gehen? Meine Güte, Skipper, das kann doch nicht so schwer sein. Los, husch, durch die Pfähle, Tampen drüber und ran hier! Werner fängt euch schon auf!«
Das tat er wirklich. Kurz bevor wir gegen den Steg bumsten, lehnte er sich mit seiner schmächtigen Gestalt gegen den Bugkorb und drückte uns zurück.
»Wäre mächtig nett, wenn du mal den Gang rausnehmen könntest!«, presste er zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor und ich tat ihm den Gefallen. Er übernahm die Leinen und, zack, war DODI fest. Er begrüßte uns mit Handschlag, als wären wir alte Bekannte.
Bevor ich etwas sagen konnte, grinste er mich an und senkte etwas die Stimme.
»Hab‘ ich schon gesehen, dass es eure erste Tour ist. Wünschte mir, alle würden so vorsichtig fahren wie ihr. Aber solche Idioten, wie den eben, kann ich nich und kann ich nich ab! Am Liebsten hätt‘ ich ihn zur Getreideanlage geschickt. Soll er sich doch neben den staubigen Frachter legen, der Döskopp! So, nun sach mal Frauchen Bescheid, dass sie mit ihrem Stromkabel in die Gänge kommt, Werner hat noch ‘ne Dose frei für euch! Kommst denn nachher auf’n Bier vorbei zum Einklarier‘n, nich‘? Aber dusch vorher, du riechst wie ’n Iltis! Hier hast ‘ne Dusch-Marke, na gut, zwei!«
Er griff sich den Stecker des Landkabels, flitzte davon und nach genau drei Sekunden hatten wir Strom. Ein Mann wie ein Erdbeben. Aber er hatte seinen Laden in Schuss, das musste man ihm lassen. Bis in den späten Abend kamen noch Boote aus allen Ländern Europas an und Werner schickte keinen Skipper weg, obwohl es langsam eng wurde an seinen Stegen. Es wurde geschoben, gequetscht und gestapelt und alle fanden ein Plätzchen. Das Schöne war, jeder Skipper wusste zu jedem Zeitpunkt, wo sich der Hafenmeister aufhielt, denn Werner war einfach nicht zu überhören. Seine Flüche und die gebrüllten Anweisungen waren im ganzen Hafen deutlich vernehmbar.
Das dritte, was uns allerdings erst am nächsten Vormittag auffiel, war, dass man in Rendsburg wunderbar einkaufen konnte. Wir erreichten das Stadtzentrum nach kurzem Fußmarsch und waren begeistert von der liebevoll gestalteten Fußgängerzone mit ihren Gassen und Winkeln, den vielen kleinen Geschäften, in denen man herrlich stöbern konnte. Auch für das leibliche Wohl war hier ausreichend gesorgt. Egal, was man brauchte oder suchte, es gab hier alles.
Mittags warfen wir die Leinen los und ich manövrierte unsere DODI vorsichtig rückwärts aus der Box. Schnell noch an den Tanksteg, denn wer wusste schon, wo es wieder so bequem Sprit zu fassen gab. Die nächste Bunkermöglichkeit sollte in Kiel-Holtenau ein Tankschiff sein, das irgendwo im Vorhafen der Schleuse stationiert war. Wenn man Pech hatte, war es aber nicht da, sondern versorgte gerade einen Kümo oder sonst wen mit dem nötigen Diesel. Also: die Gelegenheit nutzen!
Kurz nach unserer Abreise passierten wir die Autobahnbrücke der A 7.
»Schau mal, Claudi. Sonst haben wir auf dem Weg nach Dänemark von da oben immer runtergeguckt und den Kanal gesehen. Jetzt fahren wir auf dem Kanal und gucken mal nach oben!«
»Mann, is‘ das hoooooch!«, murmelte unser Ableger beeindruckt und legte den Kopf weit in den Nacken, um das imposante Bauwerk zu bestaunen.
Zweieinhalb Stunden bis nach Holtenau. Die Sonne schien, der Himmel war blau und wolkenlos, die Gegend sehr reizvoll. Mit jedem Kilometer, den wir weiter fuhren, wurde das Wasser im Kanal blauer und sauberer. Wir hatten das Brackwasser der Nordsee nun endgültig hinter uns gelassen.
In der alten Schleuse in Holtenau hieß es erst einmal zahlen. Ich amüsierte mich köstlich, als ich mitbekam, wie hier gefeilscht wurde. Je größer die Yacht, umso höher das Kanalgeld. Alles in allem keine sonderlich hohen Beträge, einmal Eis essen mit der ganzen Familie kostete in etwa das Gleiche, aber egal: Hier versuchte jeder Skipper ab zehn Metern Schiffslänge sein Boot kürzer zu machen, als es war. Die Schleusenmeister blieben jedoch unerbittlich.
»Bootsname?«
»WINDSBRAUT!«
»Länge?«
»Neunfünfundachtzig!«
Der Schleusenmeister warf einen kurzen Blick von der Plattform seines Turmes herab in die Schleusenkammer.
»Zwölffünfunddreißig!«, korrigierte er mit vorwurfsvollem Unterton und schaute den Eigner strafend an. »Mal ehrlich, haben Sie das nötig?«
Der Ertappte errötete in der Regel ein wenig und zahlte dann leise murrend den angezeigten Betrag.
»Möchte mal wissen, woran die das so schnell erkennen können«, brummelte einer der ertappten Skipper, mit dem ich zusammen durch das enge Treppenhaus wieder nach unten ging.
»Die wissen doch auf den Zentimeter genau, wie lang die Schlengel in der Schleuse sind«, gab ich grinsend zurück. »Und von oben kann man hervorragend Boote und Schlengel miteinander vergleichen. Sie hatten keine Chance.«
»Oh, verdammt!«, war alles, was dem verhinderten Teppichhändler dazu noch einfiel.
Es ging einen knappen halben Meter abwärts, dann öffneten sich die schwarzen Tore und ich holte tief Luft. Welch ein Anblick!
Vor uns lag im gleißenden Sonnenlicht die Kieler Förde. Blau und hellgrün das Wasser, gelb die Strände, dunkelgrün die Wälder an den Hängen der Ufer. Und auf dem Wasser schneeweiße Segel. Meine Güte, und wir gleich mittendrin.
»DODI! Bitte räumen Sie die Schleusenkammer!«, dröhnten die Lautsprecher auf. Also auch hier hatten sie diese Marterinstrumente. Ich startete den Diesel und fuhr aus der Schleuse. Mit weit mehr als zweitausend Touren ließ ich DODI durch die Wellen preschen. Die Gischt flog über das gesamte Schiff und die Sonnenstrahlen brachen ihr Licht in den Millionen Wassertropfen. Wir flogen in einem farbigen Nebel über die Förde und zogen einen kleinen Regenbogen hinter uns her.
»Willkommen daheim!« sangen die Wellen und ein Schwarm Möwen umkreiste laut schreiend unser Schiff. Ich blickte voraus, am Friedrichsorter Leuchtturm vorbei konnte ich schon das Marineehrenmal und die Windmühle von Laboe erkennen.
»Papa! Wo wollen wir hin? Fahren wir jetzt nach Dänemark?«
Ich sah in die entsetzten Augen meiner besseren Hälfte und musste lachen.
»Erst mal bleiben wir hier. Ich glaube, Mama hat eine kleine Erholungspause verdient.«
Ich genoss den schmatzenden Kuss, den sie mir dankbar auf die stoppelige Wange drückte, und nahm Kurs auf Laboe, einem schönen Urlaub entgegen.