Читать книгу Wasser, Fische und Agenten - Claus Beese - Страница 7
Aufgelaufen
Оглавление»Hier rühre ich mich keinen Zentimeter mehr weg!«, bemerkte meine bessere Hälfte mit Bestimmtheit und ließ sich ächzend auf ihren Stammplatz fallen.
Ich wischte mir verstohlen den Schweiß von der Stirn und hatte ein gewisses Verständnis für ihre Feststellung. Das war bislang unser bei weitem chaotischstes Anlegemanöver gewesen, obwohl ich sagen musste, dass wir es wahrscheinlich schlimmer fanden als andere.
Es fing schon damit an, dass wir gutgelaunt auf die Einfahrt von Laboe zuhielten, ohne weiter auf die Seekarten zu achten. Das hatte sich postwendend gerächt, denn plötzlich war unter dem Rumpf ein verdächtiges Knirschen zu vernehmen. Ein Blick auf das Echolot machte mir schnell klar: Null Wasser unter dem Kiel. Ein weiterer Blick aus dem Seitenfenster zeigte, dass ich hier ohne Probleme Kieselsteine auf dem Grund zählen konnte. Aber das war nicht das, was ich heute noch wollte!
Also, Rückwärtsgang rein, dass es kracht, die Mannschaft auf die Steuerbordseite kommandiert, bis das Boot krängt. Hurra! Es klappte. Wir kamen frei. Mit blasser Nasenspitze kurvte ich um die Untiefe herum und orientierte mich dabei neu. Ach, da war ja auch die Rinne. Nicht ganz leicht zu finden für jemanden, der sich nicht auskannte. Das konnte, sollte aber nicht passieren. Leicht entnervt machte meine Frau die Leinen klar, während ich langsam durch den Hafen tourte, der sich nicht nur als gut besucht, sondern auch als absolut voll erwies. Ha! Da vorne war noch eine Box frei und das Schild zeigte grün. Also, nix wie rein!
Oha! Was war jetzt? Eine Leine über den Dalben, aber wo war der andere verflixte Pfahl? Junge, Junge, standen die Dinger hier weit auseinander. Ich musste nach hinten, um uns mit einem kräftigen Schubs abzudrücken, damit wir in Reichweite des zweiten Pfahles kamen. Der leichte Seewind fasste nach unseren Aufbauten und schon standen wir fast quer in der Box. Egal, Leine rüber, fertig! Jetzt hatte ich das Problem mit der Manövrierfähigkeit eines Langkielers im Rückwärtsgang. Der Dampfer ging überall hin, nur nicht in die Richtung, in die er sollte. Mein Bestmann stand inzwischen mit dem Bootshaken bewaffnet am Bug und hielt uns von der Bordwand einer großen Segelyacht weg. Eine Schramme in dem Teil hätte meine Versicherungsprämie wahrscheinlich in Schwindel erregende Höhen steigen lassen.
Mit Mühe und Not bekam ich unser Boot wieder gerade zwischen die Dalben und fuhr nun langsam auf den Steg zu. Ich war in der Mitte der Box, als von achtern aufgeregtes Geschrei ertönte. Die Leinen waren zu kurz und gerade flutschten die Enden meinen beiden Matrosen durch die Finger. Na ja, wozu hat man einen Rückwärtsgang? Vorsichtig und mit viel Gefühl retour! Es hätte gerade noch gefehlt, dass uns die Leinen in die Schraube geraten! Nur gut, dass ich noch einen zweiten Bootshaken organisiert hatte. Wir fingen also unsere Leinen wieder ein und während ich verzweifelt das Boot am Dalben festhielt, kramte meine Stauerin die Langleinen heraus. Doch alles ist relativ, auch Länge. Erst, als wir unsere »normalen« Festmacher noch dazu steckten, reichte es gerade so. Ganz offensichtlich war dieser Liegeplatz für Schiffe gedacht, und weniger für „Boote“.
Vorn auf dem Steg hatte sich inzwischen eine Menschentraube gebildet, die voller Begeisterung unsere Manöver mit Applaus bedachte. Wenigstens erbarmte sich einer unserer Zuschauer und nahm eine Leine entgegen, um ein nochmaliges Vertreiben durch den Seewind zu verhindern.
»So ein Theater beim Einparken, bloß weil unser Kahn Babymaße hat! Ich hab‘ doch von Anfang an gesagt, dass unser Schiff zu klein ist!«, behauptete ich mit einem verhaltenen Grinsen und einem Anflug von Ironie. Prompt erntete ich dafür einen vernichtenden Blick von meiner Finanzministerin.
»Und wenn der Herr Kapitän das nächste Mal eine etwas kleinere Box auswählen würde?«, fragte mein holdes Weib mit ätzender Stimme.
»Zugegeben, das wäre eine Möglichkeit. Nächstes Mal schicke ich dich als Vorauskommando zum Quartier machen. Dann schiebst du uns einfach eine Box frei. Wozu hast du denn den DLRG-Schein im Schwimmen?«
»Schwimmen?«, krähte es aus der Achterkajüte. »Moment, ich will mit! Geht bloß nicht ohne mich! Und ein Eis krieg ich auch, ja?«
»Nix Schwimmen, nix Eis! Jetzt wird erst einmal einklariert und Landanschluss gelegt, wie sich das gehört!«
»Wer sagt das?«, tat meine bessere Hälfte erstaunt und schlagartig erkannte ich, dass die Crew kurz vor einer Meuterei stand.
»Ich! Der Skipper! The man next to god! Hast du sonst noch Fragen?«, stellte ich die Rangordnung wieder her. Meine Bordelektrikerin bückte sich und verschwand mit merkwürdig glucksenden Geräuschen zur Hälfte in einem der Schränke, um das Landkabel zu suchen. Es dauerte verdächtig lange, und erst, nachdem das Glucksen aufgehört hatte traute sie sich wieder aus dem Schapp heraus.
»Hier, Eure Päpstliche Gnaden! Haltet mal die Rolle!«, murmelte sie mit zusammengebissenen Zähnen, drückte mir die Kabeltrommel in die Arme und kletterte mit dem Stecker in der Hand, das Stromkabel hinter sich herziehend aus dem Boot. Kaum war sie aus dem Salon, brach sie in lautes Gelächter aus. Was war jetzt bitte so lustig daran, einen Landanschluss zu legen? Verdammt, verstehe einer die Langhaarigen!
Es kam der Zeitpunkt, da alle Formalitäten beim Hafenmeister erledigt waren und auch der Kühlschrank Saft hatte. Nun bestand unser Ableger auf seinen Rechten. Also, Badezeug unter den Arm geklemmt und ab, an den Strand. Hach, war das herrlich. Es war eine völlig neue Erfahrung für mich, dass man mit Ostseewasser noch etwas anderes machen konnte, als darin zu angeln oder darauf zu fahren. Man konnte sogar darin baden! Mannomann! Wer hätte das gedacht? Himmel, wie vielseitig war doch dieses wunderbare Element.
Nach dem Badespaß und einer Riesenportion Eis rekelte ich mich genüsslich in der Plicht. Aaah! War das Leben herrlich! Man müsste immer Urlaub haben.
»Hast du gesehen, wer da drüben liegt?«, fragte meine mir Angetraute und stupste mich in die Seite. Ich linste zu dem Steg hinüber, der sich in unserem Rücken befand. Neptun und Poseidon, war man vor dem denn nirgends sicher? Am Nachbarsteg, nur ein paar Boxen weiter, lag der weiße Pott aus Hamburg mit dem Bügelfalten-Heini. Ich kniff die Augen zusammen, denn ich wurde durch die Lichtreflexe des güldenen Geschmeides geblendet, welches er am Körper trug.
»Wenn der ins Wasser springt, geht er unter«, stellte ich fest.
»Woher willst du wissen, dass er nicht schwimmen kann?«, forschte mein Weib erstaunt.
»Och, das wird er wohl können, aber bestimmt nicht mit ‘nem Zentner Gold am Leib.«
Wir beschlossen, zum Abendessen an Land zu gehen, denn wir hatten am Strand gehört, dass es hier eine gute Pizzeria geben sollte. Wir fanden sie nach kurzer Suche und stellten fest, dass sie wirklich hervorragend war. Der Lambrusco perlte gut gekühlt in den Gläsern, die Pizza war einsame Spitzenklasse. Das Personal war nett, was wollte man mehr?
Leicht beschwingt kamen wir zurück an Bord und unser Flaggenmaat barg als erstes die Nationale, denn die Sonne ging gerade als roter Ball unter.
»Immer ich!«, maulte Claudi und zog einen Flunsch.
»Natürlich immer du! Erstens ist das ein verantwortungsvoller Job und zweitens bist du die einzige, die nüchtern genug ist, um nicht über Bord zu fallen.«
Wir erzählten ihr von dem schönen Brauch, dass man Flaggen, die nach Sonnenuntergang nicht gestrichen waren, dem Skipper abmontieren durfte. Er würde sie erst am nächsten Tag gegen eine Kiste Bier auslösen können.
Langsam kam der Hafen zur Ruhe. Die Kinder, die den ganzen Tag über die Stege getobt waren und mit ihren Keschern nach Krebsen geangelt hatten, waren auch endlich erledigt und lagen in den Kojen. Es mochte wohl so gegen halb elf sein, als es am Nachbarsteg laut wurde. Der Hamburger Bügelfalten-Heini kam vom Landgang zurück und schleppte noch ein paar weitere, feierlustige Leute an. Vorbei war es mit der Ruhe. Jetzt war Party angesagt. Laut dröhnte die teure Stereoanlage, die Gläser klirrten, die Frauen lachten, für meinen Geschmack etwas zu schrill. Gegen halb zwölf gingen die ersten Skipper rüber, um sich zu beschweren. Eine Weile wurde laut geschimpft, dann die Musik noch lauter gedreht.
»Proleten!«, erklang es von der Flybridge der Yacht. »Alles Proleten in diesem elenden Kaff!“
Gegen halb eins sorgte dann die Polizei für Ruhe. Der arg angetrunkene Skipper bekam eine saftige Anzeige wegen ruhestörenden Lärms und Beamtenbeleidigung. Dann war es still.
Wir schliefen tief und kurz, denn in aller Herrgottsfrühe weckte uns lautes Gelächter. Ich schlüpfte in die Klamotten und ging von Bord, um nachzusehen, was da los war. Auf den Stegen standen die Skipper und amüsierten sich köstlich über die große Nationale, die auf einem Dalben hoch über dem Wasser wehte. Es bestand kein Zweifel darüber, wem sie gehörte, denn auf der Flagge prangte überdeutlich das Emblem der Hammaburg, dem Gemäuer aus der Wikingerzeit, dem die Stadt ihren Namen verdankt. Fröhlich flatterte die Fahne im frischen Morgenwind. Natürlich wusste niemand, wie sie da hingekommen war. Derjenige, der es wissen musste, verfügte scheinbar über artistische Fähigkeiten, denn so einfach war es sicher nicht gewesen, völlig lautlos an dem glatten Dalben hochzuklettern, die Fahne dort festzuklemmen und wieder zu verschwinden.
Der Tag verging in quälender Langsamkeit. Kein Boot lief aus. Niemand verließ sein Schiff, jeder wartete gespannt auf die Reaktion der Bügelfalte. Aber es kam keine. Der Skipper lag achtern im Liegestuhl und sonnte sich. Hin und wieder drehte er den Kopf und linste zu seiner Flagge hinüber, tat aber nichts.
Der Nachmittag verging und auch der Abend. Der Hafen lag in relativer Dunkelheit, denn auf keinem der Boote brannte Licht. Tausend Augen starrten brennend auf die Hamburger Yacht, die ebenfalls im Dunkeln lag. Allmählich wurde es langweilig und ich überlegte, ob ich mich nicht in die Koje begeben sollte, als ein leises Plätschern zu hören war. Eine dunkle Gestalt schwamm quer durch den Hafen zu dem Dalben, auf dem in luftiger Höhe noch immer die Nationale steckte. Das Plätschern wurde energischer und zeigte an, dass sein Verursacher sich nun anschickte, den Dalben zu erklimmen. Leises Keuchen bewies, dass es sich um eine sehr kräftezehrende Angelegenheit handelte, dann ertönte ein halb erstickter Fluch und ein lautes Platschen ließ vermuten, dass die sportlichen Fähigkeiten der Bügelfalte nicht zum Bergen der Flagge ausreichten. Es folgten zwei weitere, aber ebenso erfolglose Versuche, die Flagge zu erreichen. Dann schwamm er zurück zum Schiff. Wir dachten schon, er würde aufgeben.
Doch weit gefehlt! Nur Minuten später plätscherte es wieder im stillen Hafenwasser und Bügelfalte kehrte zurück. Er hatte sich von Bord eine Leine geholt und versuchte nun, die Flagge mittels eines Lassos in Wildwestmanier vom Dalben zu holen. Wer jemals versucht hat, wassertretend ein Lasso zu werfen, der weiß, dass dieses Element keine Balken hat. Die Bügelfalte musste kübelweise salziges Ostseewasser schlucken und ich gönnte ihm jeden Zug von Herzen. Irgendwann gab er auf und paddelte keuchend zu seiner Yacht zurück. Dann war Ruhe.
Beim ersten Morgengrauen weckten uns anlaufende Dieselmotoren. Im Halbschlaf registrierte ich, dass der Motorenlärm aus Bügelfaltes Richtung kam. Das leichte Schaukeln unserer DODI konnte nur daher rühren, dass im Hafen manövriert wurde. Ich konnte mir vorstellen, wie Bügelfalte versuchte, sein Schiff an den Dalben zu bugsieren. Grinsend schlief ich wieder ein. Als ich aufstand, um Brötchen zu holen, war die Flagge weg. Und natürlich auch Bügelfalte. Aber das hat niemanden im Hafen gewundert.