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John Silver auf Klamottensuche

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»Meine Güte, du wirst doch wohl noch irgendwo irgendwas zum Anziehen finden!«, tönte es erbost aus dem Untergeschoss des Hauses nach oben, wo ich ziemlich ratlos vor dem geöffneten Kleiderschrank stand.

»Schatz, ich sage dir, ich habe reinweg nichts anzuziehen, was der Ausstattung eines Seglers auch nur entfernt nahe kommt«, meinte ich deprimiert und schloss die Schwebetüren unserer Kledagerie.

»Das gibt es doch gar nicht! Wieso hast du nichts anzuziehen? Außerdem ist dies Argument doch immer mein Part!?«, fragte sie unwirsch und schob mich beiseite. Dann öffnete sie die Schranktür erneut und war beinahe verschwunden.

»Na bitte«, hörte ich sie undeutlich aus den Tiefen der hölzernen Kleiderkammer brummen. »Pullover, Sweatshirts, Jeans, alles da und frisch gewaschen!«

»Aber keine Thermo-Unterwäsche, kein wasserdichter Anorak, Thermo-Socken, Rolli, Handschuh, Mütze und was weiß ich, was der Segler von Welt eben so braucht!«

»Segeln, hä? Wenn ich dich so höre, bist du drauf und dran eine Südpolexpedition zu starten. Mann, wach auf, es ist fast Sommer und du willst Schiff fahren, nicht Ski!«

»Ja, mein Mäuslein! Ich weiß! Aber wir Segler fangen ja dann erst richtig an, wenn ihr Motorbootfahrer schon im Hafen liegt. Wenn ihr bei 4 Beaufort Schluss macht, holen wir erst die Segel aus der Kiste. Dann geht es da draußen aber anders zu, das sag ich dir.«

»Ihr Segler, hä? Wir Motorbootfahrer, wie? Du solltest besser auf dein Schienbein aufpassen, Skipper«, gab sie amüsiert zurück.

»Schienbein? Wieso Schienbein?«

»Darum«, sagte sie und trat mir voll dagegen. Wie immer verzichtete sie darauf, mit einem Steinbock zu diskutieren. Sie hatte Ihre eigene Art, den Gatten auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.

»Aaaah!«, brüllte ich auf und hüpfte auf einem Bein durch das Schlafzimmer. »Bist du von Sinnen, Weib? Wolfgang erwartet ein völlig intaktes, kerngesundes und durchtrainiertes Besatzungsmitglied, und keinen hinkenden John Silver!«

»Wenn du den gewaltigen Vogel unter deinem Pony hervorholst und ihn dir auf die Schulter setzt, könnte es bis auf eine Kleinigkeit sogar passen«, stellte sie fest.

»Welche Kleinigkeit?«

»John Silver, der Koch aus Stevenson’s Buch ›Die Schatzinsel‹, hatte nicht nur ein Bein, sondern auch nur ein Auge«, trumpfte sie auf und bohrte mir ihren Zeigefinger in die Pupille. Das hatte sie mal in einem uralten Laurel und Hardy Film gesehen und fand es urkomisch. Ich hingegen konnte darüber gar nicht lachen. Mit einer Hand hielt ich mein sicherlich gebrochenes Schienbein, mit der anderen rieb ich mein tränendes Auge.

»So, du kerngesundes und durchtrainiertes Besatzungsmitglied«, meinte sie dann bestimmt und griff an mir vorbei in den Kleiderschrank. »Da hast du zwei lange Unterhosen, hier zwei Unterhemden mit langem Arm. Da deine Winterpudelmütze und die Hände steckst du einfach in die Hosentasche.«

»Das ist nicht dein ernst!«, stellte ich kreidebleich und tonlos fest. »Segeln ist ein elitärer Sport, da kannst du mich nicht hinschicken in diesen …, äh …, oh nein, das geht nicht!«

Mir fehlten für diese Unaussprechlichen die Worte, und ich ließ sie fallen, als wären sie mit der Pest infiziert.

»Und was die Jacken betrifft, so hast du in der Garage einen ganzen Schrank voll mit Angelparkas. Einer davon wird auch zum Segeln reichen.«

Na gut, wenigstens guten Willen wollte ich zeigen. Also ging ich in die Garage und öffnete meinen Angelschrank. Oh, fein! Mein Weib hatte aufgeräumt. Alles, was nach Angeln aussah, hatte sie in den Schrank gestopft und einfach die Türen verschlossen. Und als ich jetzt den Schlüssel drehte, öffneten sie sich wie von Geisterhand …!

Ich schob den ganzen Berg Anglerkrempel, der sich über mich ergoss, mit einigen energischen Armbewegungen beiseite und erhob mich stöhnend. Da hingen tatsächlich acht Jacken im Schrank! Meine Güte! Richtig gute Allwetterparkas, na ja, in feinstem Jäger- bzw. Anglergrün, aber es könnte vielleicht gehen. Hauptsache warm. Ich probierte eine nach der anderen an, und fand schnell heraus, warum sie im Schrank hingen. Fünf von Ihnen waren wohl irgendwie aus meiner Jugendzeit. Hatte ich etwas falsch gemacht? Hatte ich vergessen, mit dem Wachstum aufzuhören? Oder hatte ich die Richtung verwechselt, in die ich weitergewachsen war? Statt in die Länge war es wohl mehr in die Breite gegangen. Zwei der Jacken gaben krachend in ihren Nähten nach, die anderen drei verweigerten mir bereits in den Ärmeln den Zutritt. Die sechste war einer Stacheldrahtattacke zum Opfer gefallen, als meine beiden Jugendfreunde und ich mal versucht hatten, alte Zeiten wieder heraufzubeschwören und bei Nacht und Nebel an die uns eigentlich verbotenen Angelgewässer geschlichen waren. Ich schüttelte traurig den Kopf. Die Jacke war eigentlich nicht mehr zu retten. Ein klarer Fall für die Lumpensammlung. Nummer Sieben passte wie angegossen, war aber so schwer, dass ich Mühe hatte, damit zehn Schritte zu gehen. Nummer Acht roch ein wenig merkwürdig, und bei näherer Untersuchung fand ich in der einen Tasche eine kleine offene Plastikdose mit einer Hand voll vertrockneter Würmer, in der anderen ein grünliches Etwas, das einmal ein Leberwurstbrot gewesen sein mochte. Notdürftig stopfte ich alles zurück in den Spind und drehte den Schlüssel zweimal um. Wenn ich demnächst mal Zeit hatte, würde ich mich darum kümmern. Ich ging zurück ins Haus, um meiner Angebeteten missglückten Vollzug zu melden. Meine beiden Seejungfrauen saßen vor dem Fernseher. Sie schnupperten angewidert in der Luft herum, als ich ins Wohnzimmer kam.

»Mama! Papa stinkt!«

»Ah! Ich rieche es, du hast tatsächlich nachgesehen! Und so wie du duftest, hast du zwar das tote Stinktier in deinem Schrank gefunden, aber sicher nichts Brauchbares zum Anziehen.«

»Stimmt!«, strahlte ich. Ich hatte eine kluge Frau. Woher sie solche Sachen bloß immer wusste?

»Geh duschen«, näselte sie und hielt sich ihr süßes Näschen mit zwei Fingern zu. »Wir reden nachher weiter!«

Pladdernass kam ich aus dem Bad gestürzt und rannte in den Keller, wo ich meine ganzen Angel- und Bootszeitschriften hortete. Da mussten doch auch irgendwo ein paar Kataloge von Bootsausrüstern sein. Damit wollte ich ihr mal zeigen, was ein gestandener Segler so brauchte, wollte er Wind und Wellen widerstehen.

Mein Töchterlein bekam einen Lachkrampf, als ich versuchte, das Badetuch über meinen nicht mehr vorhandenen Hüften zu verknoten.

»Verdammt!«, knurrte ich gereizt. »Wie machen die Maori das nur, dass die Dinger halten?«

»Die nehmen größere Tücher, Papa!«

»Was willst du damit sagen, Tochter? So ein Badetuch wird ja wohl reichen, um den sportgestählten Körper deines Erzeugers zu verhüllen!«

»Gib Papa mal einen Gürtel, dann kann er sich das Tuch wie Tarzan um die Lenden wickeln«, schlug meine Bestfrau vor. Ich schaute sie an wie das siebte Weltwunder, befolgte dann aber den guten Rat meiner Angetrauten, was jedoch mein eigen Fleisch und Blut zu einem erneuten Lachanfall trieb.

»Papa in Pampers! Ich halt’s nicht aus«, prustete sie lachend und rannte aus dem Zimmer, weil meine dunkelrote Gesichtsfarbe ihr sagte, dass mein Verständnis für weiblichen Humor nun ausgeschöpft war.

»Da!«, sagte ich und drückte meiner Bordfrau den Katalog eines Yachtausrüsters in die Hand. Sie blätterte darin herum und nickte einige Male anerkennend.

»Ich gebe zu, dass wir in Sachen wetterfeste Bekleidung nicht ganz optimal ausgerüstet sind«, gestand sie. »Aber, wenn du auch nur die als Mindestmaß geforderte Allwetter-Schutzkleidung beschaffen würdest, hättest du zwei gravierende Probleme!«

Ich sah mein Goldstück von der Seite her an. Ich hatte ja mit Widerstand gerechnet, aber dass sie so –Batz! – gleich zwei Gegenargumente fand …! Na gut, mal hören!

»Also, das erste Problem wird sein: Wo verstaust du die Sachen, wenn die Sonne scheint?«

Ich holte tief Luft um es ihr zu sagen, aber da erging es mir wie Wolfgang. Ich konnte den Mund zwar öffnen, aber mangels passender Idee fehlten mir ganz einfach die Worte. Ich klappte die Luke also wieder dicht.

»Tjaaa«, machte ich dann gedehnt und gestand so, dass auch mir dazu nichts Anderes einfiel, außer vielleicht das Boot zu unterkellern.

»Und das zweite Problem ist: Wenn du auch nur das eben genannte Mindestmaß an Segler-Ausrüstung kaufen willst, kannst du unsere DODI gleich komplett verhökern! Hast du mal die Preise gesehen? Mein Lieber! Für einmal Segeln gehen bist du da locker einen Tausender los, ist dir das klar? Das ist unser Urlaubsgeld! Ich denke gar nicht daran, auf meinen sauer verdienten Jahresurlaub zu verzichten, bloß weil mein klimaktierender Gatte in seiner Midlife-Krise meint, den Admirals-Cup gewinnen zu müssen.«

Ich war zerknirscht. Sie verstand es, mit ihren Argumenten meine Wünsche und Vorstellungen einfach so vom Tisch zu fegen.

»Gut! Ich gehe Wolfgang anrufen! Ich sag ihm, dass aus dem Törn nix wird. Tut mir wirklich leid für ihn, er hatte sich so sehr darauf gefreut. Schade auch, dass ich es bin, der ihn so hängen lässt.«

Ich schlurfte mit hängendem Kopf die Treppe nach oben um mich des denn doch etwas befremdlichen Lendenschurzes zu entledigen und mir etwas Würdigeres anzuziehen. Es gab Momente, da fragte man sich, was einen damals dazu bewogen hatte, sich in ein derartiges Frauenzimmer zu verlieben. Hartherzig und gemein gönnte sie mir nicht das kleine bisschen Spaß, mit einem Freund segeln zu gehen. Noch bevor ich aber das Telefon erreichte, kam die Hüterin meines Wirtschaftsetats hinterher.

»Also, pass auf. Ich wäre bereit, auf einen Teil meines Urlaubsgeldes zu verzichten, aber wirklich nur auf einen Teil! Wir kaufen dir leichte, wetterfeste Kleidung und du ziehst stinknormale dicke Pullis drunter, wenn es dir zu kalt wird. Diese sündhaft teuren Thermoklamotten kommen mir nicht ins Haus!«

War sie nicht ein Goldstück? Na gut, manchmal war ein Maulesel leichter zu händeln, aber irgendwie schnitt sie im näheren Vergleich denn doch besser ab. Nein, ganz ernsthaft! Es gab Momente, da war mir schon klar, warum ich mich damals in dieses Naturereignis verliebt hatte. Es hätte gar keine andere sein können.

»Guter Mann!«, meinte der Verkäufer herablassend. »Die Sonderpreise für Thermo-Overalls gelten nur für Normalgrößen!«

»He! Halt mal! Ich habe Normalgröße!«

Der abschätzende Blick des entnervten Verkäufers dieses exklusiven Bekleidungsgeschäftes für Off-Shore-Segler traf mich wie ein Schwerthieb, und ich überlegte, ob ich meinen Wikinger-Genen freien Lauf lassen sollte, die im Geiste bereits die schwere Doppelaxt sorgfältig schliffen. So ein Blödmann von einem Verkäufer, der hatte einfach keine Ahnung.

»Bei Ihrem Hüftumfang haben die Hersteller der Overalls an eine Körpergröße von etwa Zwometerzehn gedacht. Sie werden zugeben, dass sowohl das Eine als auch das Andere nicht ganz der Norm entspricht.«

Meine bessere Hälfte sah den Dampf aus meinen Ohren zischen und zog mich flugs aus dem Laden, bevor ich den Verkäufer auf Zwometerzehn Körpergröße bringen konnte. Ich war davon überzeugt, dass ich ihn durch gezielte Tritte ins Hinterteil bis auf eben dieses Maß hätte wachsen lassen können.

»Lass ihn, der steht sowieso schon über den Dingen«, besänftigte sie mich und schob mich in den nächsten Laden.

»Was Wasserfestes zum Segeln? Haben wir! Haben wir! Wenn sie da mal eben hineinschlüpfen würden?«

Mit sicherer Hand hatte der Verkäufer ins Regal gegriffen und Hose und Jacke aus wirklich wasserdicht gummiertem Gewebe in Kreischgelb herausgezogen. Das gebündelte Paket knallte er mir vor den Latz, dass mir die Luft wegblieb. Er wusste, dass ich jetzt längere Zeit beschäftigt sein würde und wandte sich anderen Kunden zu.

Mein Bekleidungswart half mir nach Kräften, in die unhandliche Gummipelle zu kriechen. Und dann stand ich mit hochrotem Kopf vor ihr wie ein überdimensionaler Kanarienvogel.

»Piep! Piep!«, machte ich. »Du musst mich jetzt füttern!«

Aus dem ansonsten absolut wasserdichten Anzug lief mir inzwischen der Schweiß in Sturzbächen aus den Hosenbeinen.

»Na also! Passt doch wie angegossen«, freute sich der Verkäufer und gab mir einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. Er konnte nicht ahnen, dass der Vorgang des ›Mal-eben-hineinschlüpfens‹ mich sämtliche Kraftreserven gekostet hatte. Ich schoss also davon, quer durch zwei Kleiderständer, purzelte über zwei Grabbeltische und landete in einem Regal, auf dem ›Second-Hand – nicht mehr ganz neu‹ stand.

Der Verkäufer stand wie erstarrt da und betrachtete fassungslos seine Hand. Dann räusperte er sich und wandte sich an meine Bordfrau.


»Ich weiß ja nicht, um wie viel es im Testament geht, aber vielleicht sollten sie ihn in dem geschwächten Zustand nicht auf See lassen.«

Mein treu sorgendes Eheweib kniete sich neben mich und pellte mich aus der Gummiwurst.

»Liebling«, hauchte ich entkräftet. »Ich glaube, ich möchte auch gar nicht mehr segeln gehen!«

»Du wirst segeln gehen! Hah! Und wie du segeln gehen wirst! Das wäre doch gelacht, wenn wir für dich nix finden würden«, lachte sie bitter und anhand ihres Tonfalls ahnte ich nichts Gutes. Sie brauchte nicht lange, um festzustellen, dass der Teil ihres Urlaubsgeldes, den sie freiwillig diesem guten Zweck zu opfern gedachte, bei weitem nicht ausreichte, mir etwas zu kaufen, was auch nur entfernt an Seglerkleidung erinnerte. Mir war es mittlerweile völlig schnuppe. Meine Wikinger-Gene hatten mir klargemacht, dass die ollen Kämpen lange vor mir die Ostsee auch ohne Seglerkleidung befahren hatten. Wenn es kalt wurde, zogen sie ihre Fellwesten über, und wenn es nass wurde, dann wurden sie eben nass. Bei Thor und Odin!

Es waren halt harte Zeiten damals, aber dafür waren sie ja auch harte Kerle!

Und wenn ich mir eine Lungenentzündung holte – ich würde meinen Freund nicht im Stich lassen! Haha! So weit käme das noch! Den Nachfahren eines Wikingers konnten so kleine Unwägbarkeiten doch nicht umschmeißen, da mussten die Götter mit ganz anderen Dingen aufwarten.

Es war so weit. Ich warf den prallgestopften Seesack in den Kofferraum des Wagens, dass die Stoßdämpfer empört aufquiekten, und schmetterte den Deckel zu.

»Weib! Hüte mein Hab und Gut während ich auf Wikingfahrt bin! Du wirst es aus der Presse erfahren, wenn wir London erobert haben. Sollten wir noch ein wenig Zeit haben, überfallen wir noch schnell Paris, und ich bringe dir dann ein Gewand von Dior mit, edelste aller Edlen.«

»Mama! Bist du sicher, dass wir ihn wieder hereinlassen werden, wenn er zurückkommt?«

»Lass es uns entscheiden, wenn wir sehen, wie viel Beute er gemacht hat!«

»Tochter! Öffne das Tor, damit sich meinem Streitwagen nichts in den Weg stelle. Hier kommt Hägar, der Allerschrecklichste!«

Gutgelaunt küsste ich meine beiden Seejungfrauen zum Abschied und lenkte den Wagen vom Hof auf die Straße in Richtung Abenteuer, und dann immer geradeaus!

Bin ich Segler, oder was?

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