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Die Moorwaage

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»Junge, und du bist dir deiner Sache völlig sicher? Du willst wirklich von Bord gehen?«

Man konnte es dem alten Kapitän ansehen, dass es ihm nicht recht war seinen besten Matrosen zu verlieren. Die Gedanken des „Alten“ kehrten zurück zu dem Zeitpunkt, als der Junge vor ihm auf dem Kai stand. Zerlumpt, abgerissen und abgemagert, eher ein Häuflein halb verhungertes Elend, als das Abbild eines Matrosen. Die nackten Füße schmutzig, das lange Haar wirr und ohne erkennbare Frisur.

»Na Moses! Wo kommst du denn her?«, wollte der Kapitän von ihm wissen und der Junge zeigte die Lesum hinauf, den kleinen Nebenfluss der Weser, der seinen Ursprung hoch oben in den Mooren weit hinter Bremen hatte und hier am Vegesacker Hafen in den großen Strom mündete.

»Und wohin willst du?«, forschte der Kommandant des Handelsseglers weiter.

Johannes deutete einfach nur auf das Schiff und zeigte dann die Weser hinab in Richtung Meer.

»Junge, und du bist dir deiner Sache völlig sicher? Du willst hier an Bord anheuern?«

Johannes nickte einfach nur und der „Alte“ winkte ihm an Bord zu kommen. Johannes erklomm die Gangway und stand einen Herzschlag später vor seinem Kapitän, der von nun an nicht nur sein oberster Herr sein sollte. Der Junge lernte auf dem Segelschiff sein Handwerk, stieg auf vom Moses bis zum Bootsmaat und wuchs zu einem großen und kräftigen jungen Mann heran. Den Atlantik hatte er überquert, war durch das Mittelmeer bis nach Konstantinopel, dem früheren Byzanz gesegelt. Er kannte das Kap und den Tafelberg an der Südspitze Afrikas und die Häfen der arabischen Welt. Er durchkreuzte Taifune im indischen Ozean und kehrte mit den besten Seidenstoffen und seltensten Gewürzen zurück. Wertvolle Edelsteine, ausgesuchte Teesorten, Säcke voller Kaffeebohnen, es gab nichts, was nicht schon im Laderaum der „Katharina“ befördert worden war.

Doch jetzt sollte es genug sein. Der Lederbeutel, in dem er seine Heuer und den Anteil am Erlös der Ladung stets gehortet hatte, war prallvoll und das Geld würde ihm und seiner Mutter ein bescheidenes aber sorgloses Leben ermöglichen. Sein Blick wanderte hinauf in die Lesummündung, seine Gedanken eilten zurück an den Ort, von dem er vor langer Zeit ohne Abschied aufgebrochen war und er hoffte, bei seiner Rückkehr noch alles so vorzufinden, wie er es kannte. Ein tiefer Blick in die Augen des „Alten“, der ihn die Jahre über mehr wie einen Sohn denn wie einen Matrosen gehalten hatte, sagte beiden mehr als Worte. Der Abschied war kurz aber Johannes wusste, dass er auf der „Katharina“ stets einen Platz finden würde. Er warf sich seinen Seesack über die Schulter und stieg über die Gangway hinab auf den Kai. Der junge Seemann brauchte nicht lang zu gehen, denn nicht weit vom Liegeplatz des Handelsschiffes lagen die Kähne der Torfschiffer. Sie fuhren den in den Mooren abgebauten Torf die Lesum hinab in die Hafenstadt an der Weser, wo er als Brennstoff für den Winter diente und in den Herden zum Kochen verfeuert wurde. Schnell war er sich mit einem der Bootsführer einig, ein paar kleine Münzen wechselten den Besitzer und Johannes ging an Bord des flachen Frachtkahns.

Der Torf-Schiffer warf die Leinen los und ruderte das schwere, träge wirkende Gefährt in den Strom hinaus. Das jetzt zur Flut auflaufende Wasser würde es noch ein ganzes Stück die Lesum hinauftragen. Das kleine Segel gab dem Boot Vortrieb, so dass es gut zu steuern war und etwas schneller als die Strömung den Fluss hinauf glitt. An Backbord grüßte das hohe Ufer des bewaldeten Geestrückens, und das sich bereits bunt färbende Laub zeigte den beginnenden Herbst an. An Steuerbord dehnte sich die weite Sumpf- und Marschlandschaft des Werderlandes, Rinder und Schafe weideten auf den grünen Flächen. Die Schleifen und Kurven, welche der Fluss beschrieb, wurden immer enger und dann kam die Burg in Sicht. Hier an der Heerstraße gab es früher eine Furt durch den Fluss, die jedoch inzwischen mit einer Brücke überbaut worden war. Der Torfschiffer musste das Segel streichen und den Mast legen um sie zu passieren. Erst nach diesem Hindernis hatte das Boot wieder freie Fahrt.

Das Wasser verursachte ein leises Plätschern am Rumpf des Bootes, und Johannes fragte sich, was ihn wohl erwartete. Der Torfschiffer räusperte sich vernehmbar, wohl ein Zeichen, dass er sich gerne mit seinem Fahrgast unterhalten würde.

»Kommst du von weit her?«, fragte er und bemühte sich, hochdeutsch zu reden. Hier im Moor sprach sonst kaum jemand so, nur die gebildeten Herrschaften im fernen Bremen, die sich für etwas Besseres hielten, empfanden das alte Plattdeutsch wohl als nicht mehr standesgemäß.

»Jo!«, antwortet Johannes einsilbig und wenig erfreut darüber, dass ihn jemand aus seinen Gedanken riss.

»Un wo schall dat hengahn?«

Der Kahnskipper verfiel unbewusst in den ihm wesentlich genehmeren Dialekt seines Landstriches, als er den Jungen nach dem Wohin fragte.

»Ins Moor! Dort lebt meine Mutter«, antwortete Johannes und unterband damit weitere Fragen. Eine kleine Weile blieb es still im Boot, dann räusperte sich der Schiffer erneut.

»Dor deit se woll all lang leven, wat?«, erkundigte er sich in der Hoffnung, den Jungen ein wenig aus der Reserve locken zu können.

»Hm!«, gab dieser nur zur Antwort.

Plötzlich legte der Mann aus dem Moor seine Stirn in Falten und seine Stimme klang heiser, als er fragte: »Du büss all de Johannes, nich? De Jung vun de Gerti, de olle Moor…wief!«

Johannes registrierte dankbar, dass der Mann das Wort „Hexe“ nicht ausgesprochen hatte. Denn als solche war seine Mutter schon seit langem in der Gegend verschrien.

»Du hast keine Ahnung, was damals passierte?«, fragte er anstelle einer Antwort und der Mann am Ruder schüttelte den Kopf.

Johannes sprach leise, als er anfing zu erzählen. Er berichtete dem Torfschiffer von der Zeit, als seine Mutter Gerti noch ein junges Mädchen und als Magd in Stellung auf einem der Höfe im Moor war. Von diesen weit über das Land verstreuten Gehöften aus versuchte man, die ungastlichen Landstriche zu kultivieren. Das fröhliche Mädchen sah gut aus, und der Sohn des Moorbauern brachte es nicht fertig, seine Augen und später seine Finger von der schmucken Magd zu lassen. Zwischen den Beiden entwickelte sich eine große Liebe, die jedoch wegen der Standesunterschiede keine Aussicht auf dauerhaften Bestand haben konnte. Es kam, wie es kommen musste. Gerti trug alsbald ein Kind unter dem Herzen und weil sie verlangte, vom Jungbauern geheiratet zu werden, jagte man sie einfach vom Hof. Sie zog von Haus zu Haus, doch eine schwangere junge Frau wollte niemand einstellen. Keiner im Moor konnte es sich leisten, unnütze Esser durchzufüttern und so wies man sie an jeder Tür ab.

Gerti fand mitten im Moor auf einer kleinen Wurth einen alten, halbverfallenen Schafstall, in welchem sie sich verkroch und wenig später ihren Sohn zur Welt brachte. So gut es ging, dichtete sie den Schuppen mit Moos und Torf ab, erbettelte sich karge Nahrungsmittel von den Moorbauern und lebte mehr schlecht als recht von dem, was Mutter Natur ihr zu geben bereit war. Im Laufe der Zeit lernte sie die Heilkraft des Moores und der Kräuter zu nutzen und manch einer kam zu ihr, um sich sein Zipperlein kurieren zu lassen. Sie ließ sich stets in Nahrungsmitteln bezahlen und schaffte es, ihren Sohn zu einem halbwüchsigen Jungen heranzuziehen.

Es kam der Tag, an dem der Junge zerlumpt auf dem Hof seines Vaters erschien und um Arbeit nachfragte. Der Schrecken auf dem Hof war groß, denn der Junge war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Ein jeder konnte sehen, dass hier sehr enge Verwandtschaft bestand. Es war der Großvater, der seinen Enkel mit einem Knüppel vom Hof prügelte, während der Vater im Haus hinter dem Fenster stand und sich verleugnen ließ.

»Elende Brut!«, brüllte der Alte ungerührt. »Jetzt wollt ihr also an mein Geld, was? Fort! Fort von hier, oder ich schlage dich windelweich!«

Der Knüppel sauste herab und Johannes taumelte zurück.

»Ich werde euch lehren, auf meinem Hof zu betteln! Ersäufen werde ich die ganze Sippschaft! Die Moorhexe und ihren Wechselbalg! Im Moor ersäufen, wo es am tiefsten ist!«

Panik stand in den Augen des Jungen. Prügel konnte er einstecken, das war nichts Neues für ihn. Aber seine Mutter -, ihr durfte nichts geschehen!

»Wenn du meine Mutter verschonst, verspreche ich Dir von hier weg zu gehen. Du wirst mich nie wieder sehen!«, schrie der Junge und wich weiteren Schlägen aus.

»Vater!«, kam jetzt eine energische Stimme vom Haupthaus her. »Lass ihn gehen! Es ist genug!«

Dann wandte sich der Mann, der Johannes Vater war an den Jungen.

»Und dir verspreche ich, dass deiner Mutter kein Leid zugefügt wird!«, rief er, drehte sich um und verschwand wieder im Haus.

»Noch in derselben Stunde bin ich fort«, erzählte Johannes mit leiser Stimme, fast übertönt vom Plätschern der Wellen. »Ich habe meine Mutter seither nicht wieder gesehen. Nach jeder Reise erkundigte ich mich im Hafen von Vegesack nach ihr und war froh, wenn ich hörte, dass sie am Leben war.«

Es herrschte eine Zeit lang Schweigen. Dann räusperte sich der Schiffer wieder.

»Un nu? Wat schall nu weern?«, fragte er mit belegter Stimme.

»Ich habe als Matrose ein wenig Geld verdient, und jetzt gehe ich und hole sie von da weg. Sie hat genug gelitten und verdient, dass ich ihr irgendwo ein kleines Heim schaffe.«

Johannes schaute den Kahnführer jetzt direkt an.

»Sie ist doch noch da, oder? Und lebt?«, fragte er ängstlich.

Der Torfschiffer nickte, stand auf und kramte aus seiner Hose die Münzen hervor. Er hielt sie Johannes hin und begegnete dem fragenden Blick des Jungen.

»Vun di will ick keen Daler! Nimm hen un beholl dat. Scha’st man beter dien Moder geven!«

Johannes dankte und steckte das Geld weg. Er hatte nicht damit gerechnet, hier Menschen anzutreffen, die ein Herz in der Brust trugen und auch noch auf dessen Schlag hörten.

Der schwarze Torfkahn hatte längst die Stelle passiert, an der aus dem Zusammenfluss des aus dem Moor kommenden Flüsschens Hamme und der nach Süden abzweigenden Wümme die Lesum entstand. Die Geesthügel des Osterholzes und der Weyer Berg nahe dem Örtchen Worpswede waren zurückgeblieben und der Schiffer steuerte den Kahn in das weite, flache Moorland hinaus. Die Sonne begann im Westen zu versinken, und mit der Dämmerung wurde es kühl im Boot. Johannes erschauerte und schloss die Knöpfe an seiner Jacke. Aus den sumpfigen Wiesen stieg erster Dunst auf und wehte mit der leichten Brise, die das Segel blähte, über das Land. Der Bug des hölzernen Kahns bohrte sich in das weiche Ufer und Johannes nahm sein Bündel und verabschiedete sich von seinem Skipper. An dieser Stelle trennten sich ihre Wege und Johannes musste von hier ab den Seinen zu Fuß durch das Moor suchen. Er stieß das Boot ab und schaute ihm versonnen nach, bis das graue Segel hinter der nächsten Flussbiegung verschwand.

Als kleiner Junge wusste er hier gut Bescheid und kannte jeden Busch und Pfad. Jedes Moorloch erkannte er von weitem, doch wie hatte sich die Landschaft in den Jahren seiner Abwesenheit verändert! Er schulterte seinen Seesack und marschierte los. Die alten, ihm vertrauten Pfade existierten nicht mehr, das von Gräben und Torfgruben durchzogene Land war ihm fremd geworden. Je weiter der junge Seemann in das Teufelsmoor vordrang, umso unwirtlicher wurde die Gegend, und die deutlichen Zeichen beginnender Zivilisation blieben zurück. Wasser quoll bei jedem Schritt unter den Stiefeln hervor, aus feinen Spalten fauchte das Sumpfgas oder brachte das Wasser der kleinen Tümpel zum Brodeln. Sumpfhühner ließen ihr grelles Pfeifen hören und im Schilf raschelte es, ohne dass Johannes den Grund dafür zu Gesicht bekam. Die Dämmerung schritt rasch voran, und die Dunstschleier, die über das Land wehten, tanzten einen Ringelreihen. Abgestorbene Baumstümpfe verloren ihre wahre Gestalt, duckten sich zu düsteren Ungeheuern, die am Rande kleiner Inseln auf einsame Wanderer lauerten. Johannes beeilte sich, denn er ahnte, dass es für ihn mehr als gefährlich werden würde, wenn ihn die Dunkelheit einholte. Noch vor Anbruch der mondlosen Nacht musste er die Hütte auf der kleinen Erhebung erreicht haben, sonst war er verloren.

Furcht und Zweifel breiteten sich in ihm aus und machten ihn unachtsam. Er fluchte laut, als er bis zum Knie in ein Moorloch sank, sich aber noch geistesgegenwärtig zur Seite warf, wo er mit Armen und Oberkörper wieder festen Halt fand. Mühsam zog er sich auf die kleine feste Stelle in dem schwankenden Untergrund und hielt einen Moment inne um zu verschnaufen.

»Nicht rasten!«, schoss es ihm durch den Kopf, »Weiter! Du musst weiter!«

Er stemmte sich hoch, orientierte sich und wandte sich nach Osten, wo der kleine Pfad sein musste, der ihn bis zur Hütte seiner Mutter bringen würde. Doch schon der nächste Schritt ließ ihn ins Leere fallen, die Grasbüschel hatten keinen festen Untergrund, schwammen trügerisch auf einem der Sumpflöcher und Johannes versank im moorastigen Wasser. Nichts war da, was er hätte fassen können. Nichts, was ihm irgendwie Halt geboten hätte. Voll Panik schlug er mit den Armen um sich, spürte das Wasser durch seine Kleidung dringen, fühlte den Tod, wie er mit kalten Klauen nach ihm griff und sank immer tiefer. Voller Grauen sprangen ihn die Spukgestalten aus den Geschichten vom Moor an, die knochigen Leiber der angeblichen Hexen, die man in die Sumpflöcher gestoßen hatte. Der Dieb, der während einer Hochzeitsfeier das Brautgeld stahl und dessen Flucht in einem der Moorlöcher endete. Kleine Kinder, die im arglosen Spiel einen unbedachten Schritt getan hatten, sie alle streckten ihre bleichen Hände nach ihm aus, griffen nach ihm, um ihn zu sich hinab zu ziehen in die braune Tiefe.

Die kleine, abgemagerte Frau hob den Kopf, als lausche sie auf ein fernes Geräusch. Man sah ihr das schwere Leben an den scharfen Linien an, die sich im Laufe der Jahre in ihr Gesicht gegraben hatten. Das Aufstehen fiel ihr schwer, doch sie erhob sich mühsam und ging gebeugt zu der aus Brettern notdürftig zusammengenagelten Tür, die windschief in den Angeln hing und beim Öffnen laut knarrte. Sie trat vor die niedrige Hütte, die als solche kaum noch zu erkennen war. Ein vorbeigehender Wanderer hätte wohl nur einen mit Moos bewachsenen Erdhügel wahrgenommen, aus dem ein moderiger Geruch strömte. Die Frau lauschte in die Dunkelheit und schaute auf die weißen Schwaden, die an ihr vorbei über das Moor schwebten.

»Johannes?«, fragte sie voller Hoffnung. »Johannes, bist du es? Kommst du endlich heim?«

Das Wispern im Schilf wurde lauter und die Frau schaute nach Westen.

»Jooohaaannes!«, schrie sie und erschrak vor ihrer eigenen Stimme, welche laut die Einsamkeit durchschnitt wie ein Schwert.

»Jaaaa! Er ist es«, wisperte das Moor und ein kalter Wind ließ die Frau frösteln. »Und er stirbt gerade!«

»Neiiiin!«

Es war ein Schrei voller Verzweiflung und Schmerz, der durch die Nacht hallte. »Moor! Hast du mich all die Jahre nur am Leben gehalten, um mir jetzt alles zu nehmen?«, schluchzte die Frau.

»Es ist, wie es ist«, raunte es aus den Wollgrasbüscheln. »Einzig und allein die Moorwaage könnte es noch verhindern!«

»Was ist das?«, schrie die in sich zusammengesunkene Gestalt vor der Hütte mit gepeinigter Seele.

»Was das Moor genommen hat, gibt es nicht wieder her«, murmelte es aus den tausend kleinen Quellen rund um die kleine Erhebung, auf der das armselige Häuschen stand. »Es sei denn, du gibst dem Moor etwas, das mehr Bedeutung hat, als das, was es sich schon nahm! So wird es das Genommene wieder hergeben!«

Gerti kam taumelnd auf die Füße.

»Etwas, das mehr aufwiegt als mein eigenes Kind?«, schrie sie voller Schmerz. »Was soll das sein?«

Sie wandte das tränenüberströmte Gesicht zum nachtschwarzen Himmel und sah die Sternschnuppe, die mit langem Schweif vorüberjagte um in der Lufthülle zu verglühen. Da wurde Gerti ganz ruhig.

»Ich kenne nur eines, das schwerer wiegt, als der Junge, den du mir nehmen willst«, murmelte sie und ging zum Rand der Insel, die über Jahre und Ewigkeiten hinweg ihre Heimat gewesen war. »Die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind«, hauchte sie.

Sie blieb nicht stehen, ging weiter, immer weiter, bis sie den festen Halt unter den Füßen verlor und in der endlosen Schwärze des nächtlichen Moores versank.

Johannes hörte, wie es um ihn herum blubberte. Sprudelnd stiegen von unten her Gasblasen in dem Sumpfloch empor, drangen unter seine Kleidung und hoben ihn hoch. Er fühlte deutlich, dass er empor geschwemmt wurde, kleine Wirbel beschleunigten seinen Auftrieb. Sein Kopf durchbrach die Oberfläche des Wasserlochs und der sprudelnde Luftwirbel trieb ihn an dessen Rand. Atemlos zog sich der Bootsmann auf das rettende Ufer, pumpte keuchend seine Lungen voll mit Luft, die kühl und würzig schmeckte, aber auch moderig und nach Tod. Das Letzte, was er wahrnahm, bevor ihn eine Ohnmacht umfing, war ein Raunen, das aus der Weite der Moorfläche zu kommen schien.

»Geh! Du bist frei! Die Liebe deiner Mutter hat dich aufgewogen!«

Dann verließen ihn seine Sinne.

Der Torfschiffer sah den Jungen am Ufer sitzen und änderte den Kurs. Mit leisem Scharren schob sich der Rumpf des Bootes auf das Ufer und Johannes sprang in den Kahn, der voll beladen war mit dem Torf aus dem Moor. Er stieß das Boot vom Ufer ab und setzte sich wortlos auf eine Bank. Der Schiffsführer brachte genau so wortlos das Boot wieder auf Kurs, stellte das Segel in den Wind und während sie mit leise rauschender Bugwelle die Hamme hinab zum Umschlagplatz der kleinen Stadt segelten, fiel nicht ein Wort zwischen ihnen.

Schon kamen die ersten Masten der Segelschiffe in Sicht, die im Hafen von Vegesack lagen, als der Torfschiffer sich räusperte und fragte: »Un? Hest all funnen, wat du sökt hest?«

Johannes nickte und sprang behände auf den Kai.

»Das, was von allem am schwersten wiegt«, erwiderte er. Seine Augen suchten und fanden die „Katharina“, auf der gerade die Segel gehisst wurden und er beeilte sich an Bord zu kommen.

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