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Hammel, Steaks und Haifischflossen

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Bodo lümmelte an der Reling der »Treuenfels«, die vor Dubai auf Seereede lag. Wie üblich war der Hafen überfüllt und es gab keine Möglichkeit für den Frachter, seine Ladung schnell zu löschen. Einige der wartenden Seeschiffe wurden schon mit Schuten geleichtert, das heißt, die Fracht wurde mit den Bordkränen auf kleine Boote umgeladen, um sie dann im Hafen an kleineren Kais zu löschen.

Der lang aufgeschossene Schlacks, der dem drohenden Dienst beim heimatlichen Militär dadurch entwischt war, dass er sich freiwillig zur Handelsmarine gemeldet hatte, tat an Bord des Schwergutfrachters Dienst als Messjunge. Seine Aufgabe war es, der Mannschaft und den Offizieren in der Bordmesse das Essen in einem ansprechenden Ambiente zu servieren. Und Bodo hatte seine Messe tipptopp in Schuss. Das schmutzige Geschirr war bereits abgewaschen und in die Schapps gestaut, Tische und Bänke erstklassig gesäubert. Auf den Tischen lagen Decken, was auf diesem Dampfer bisher nicht alltäglich gewesen war. Bodos Vorgänger an Bord hatte die Messe ganz schön verschlampen lassen, und als der Lange seinen Dienst antrat, war erst mal eine Grundrenovierung angesagt.

Den Kapitän hatte fast der Schlag getroffen, als er die ellenlange Liste von benötigten Gegenständen erhielt, die der neue, spindeldürre Moses angefertigt hatte. In den Schränken war fast nichts mehr gewesen, es fehlten Bestecke, Geschirr, Tischdecken, Servietten, Gläser. Einfach alles, was der Schlacks für seine Arbeit benötigte, um den Seeleuten das Leben an Bord angenehm zu machen, musste ergänzt oder neu beschafft werden.

»Wenn ich hier Dienst tun soll«, hatte der Lange schlicht gesagt, »dann brauche ich die Sachen. Sie fahren das Schiff doch auch nicht ohne Kompass, Käpten!«

»Herr Kapitän heißt das«, schnauzte der Zahlmeister, der Bodos sagenhafte Eigenart noch nicht kannte, über gewisse Dinge einfach hinwegzuhören.

»Also, Käpten, wat is nu?«

Der ‚Alte‘ hatte gottergeben geseufzt, die Liste dann aber unterschrieben und sie dem Zahlmeister gereicht.

»An den Schiffsausrüster«, hatte er gesagt. »Ich will die Sachen noch vor dem Auslaufen haben.«

»Aye, aye, Kapitän!«

Der Bootsmannsmaat und Zahlmeister hatte die Hacken zusammengeknallt und die Hand an die Schirmmütze gelegt. Dann hatte er zackig auf dem Absatz kehrt gemacht und war aus der Kajüte gestürmt. Diese Aktion ließ steile Falten auf der Stirn des Kapitäns der »Treuenfels« erscheinen.

»Mein Gott!«, hatte er gestöhnt. »Warum muss dieser olle Kommisskopp bloß auf meinem Dampfer fahren?«

Noch am selben Tag hatte Bodo kistenweise Ersatz für die fehlenden Gegenstände seiner Messe-Ausstattung bekommen und sofort alles ausgepackt und verstaut. Zum Abendessen machte die gesamte Mannschaft dann große Augen, denn so fein war der Speisesaal an Bord noch nie hergerichtet gewesen. Es wunderte daher niemanden, dass der Schlacks seither an Bord so eine gewisse Art von Narrenfreiheit besaß.

»No, Langa, was gieps?«

Hein lehnte sich neben dem Schlacks an die Reling und schaute hinunter aufs Wasser.

»Och so, Haie!«, lispelte er.

Die Mannschaft hatte schnell mitbekommen, dass der Schlacks einem eigenartigen Hobby nachging. So manches Mal hatte Bodo dafür gesorgt, dass der Smutje wirklich fangfrischen Fisch auf den Tisch bringen konnte, anstelle der normalerweise üblichen panierten Stäbchen.

Hein, mit richtigem Namen Karl-Heinz, war Bodos Stubenkamerad an Bord. Sie teilten sich eine Kajüte und kamen ganz gut miteinander klar. Hein legte Wert darauf, dass ihn niemand mit seinem vollen Namen ansprach, denn der klang ihm zu wenig seemännisch. Aber Hein, das konnte er gelten lassen, der Name hatte eine maritime Tradition.

»No, was is nu? Willst ma deine Hairute ausprobiern?«

Hein sprach nicht viel, aber wenn er redete, dann in einem breiten Hamburger Slang, der keinen Zweifel darüber aufkommen ließ, wo sich sein Heimathafen befand.

»Von hier oben aus hab ich keine Chance«, brummelte der Schlacks. »Es ist einfach zu hoch! Wenn ich mal einen am Haken hab, krieg ich ihn gar nicht raus.«

»Oooch, das is doch kein Thema«, grinste Hein. »Hol du man deine Rude, den Rest mach ich denn schon!«

Bodo schaute seinen Freund skeptisch an, ging dann aber wirklich ins Logis um seinen Haiknüppel zu holen. Hein indes krabbelte auf den Führerstand des Ladebaumes und startete den Motor der Winde. Er pickte die Gangway an, die auf einer der Ladeluken lag und hob sie hoch. Geschickt brachte er sie an der Backbordseite des Dampfers außenbords und ließ sie in ihre Widerlager gleiten. Dann senkte er sie soweit ab, dass man wie auf einer Treppe bis hinab zum Wasser steigen konnte. So, nun konnte der Lange angeln. Hein war zufrieden.

Der Schlacks hatte nicht nur seine Haiangel geholt, sondern auch aus der Kombüse ein riesiges T-Bonesteak organisiert, welches er kunstvoll um die große Hakenspitze drapierte.

»Mein schönes Abendbrot, nu geht es dahin«, hatte Hein sinniert, als Bodo den Köder mit Schwung ins Wasser befördert hatte. Als guter Kumpel hatte er den Schlacks auf der schmalen Stiege nach unten begleitet, und nun standen sie auf der Gangway knapp über der Wasseroberfläche.

»Sach mol, Alter, woran merkst du oigentlich, das da ‘n Fisch angebissen hat?«

»Ach, Hein. Weißt du, die machen sich schon bemerkbar«, grinste Bodo, und wusste noch nicht, wie recht er hatte.

»Boh!«, brüllte er im nächsten Augenblick und hatte Mühe, seine Rute in den Griff zu bekommen. Wild schlug sie aus und hätte der Lange Zeit dazu gehabt, hätte er gespürt, wie sich ein großer blauer Fleck an seinen Rippen bildete. Dort hatte ihn der Knüppelgriff getroffen, als der Hai angebissen und die Rutenspitze heruntergerissen hatte. Bodo versuchte, den Fisch unter Kontrolle zu kriegen, aber die dicke Spezialsehne, die er als Schnur verwendete, wurde Meter um Meter von der Rolle gezogen. Urplötzlich änderte der Hai seine Richtung und schwamm auf Bodo zu. Der Schlacks kurbelte wie ein Besessener seine Schnur ein. Da tauchte der Fisch knappe drei Meter vor ihm auf. Ein riesiges Maul öffnete sich und ein paar Reihen messerscharfer Zähne bleckten Bodo an.

»Waaaah!«, brüllte der Lange, machte kehrt und rannte ein paar Stufen hinauf, bis Hein ihm den Weg versperrte.

»Ey, was is los, Alter? Los, runner mit dir. Mach ihn fäddich, gib ihm Saures!«, kommentierte der Hamburger Matrose die hastige Flucht. Bodo drehte sich zitternd um und stieg die Stufen wieder hinunter. Erneut zog der Fisch ab, und der Lange drehte langsam die Bremse fester. Den Hai beeindruckte das nicht im Geringsten. Ruhig und stetig zog er davon. In Bodo erwachte der Kämpfer. Noch fester und noch fester zog er die Rollenbremse. Dann blockierte das heißgelaufene Getriebe und die Rute machte eine heftige Verbeugung. Mit einem hässlichen Splittern verabschiedete sich die Rutenspitze, eine Sekunde später zerlegte sich die ganze Angelrute in kleine, handliche Teile, die man bequem in jede Mülltonne stecken konnte. Die Schnur brach mit einem lauten Knall, und Bodo saß urplötzlich auf seinen vier Buchstaben. Verdattert blickte er sich um.

»Verdammt, Alter! Das ‘n Ding! Hassu den gesehen? Minnestens drei Meter lang, sach ich dir!«

Hein war vorsichtshalber die Gangway ein gutes Stück höher geklettert, als er die Zähne des Ungetüms gesehen hatte. Angst hatte er nicht, aber man konnte ja nie wissen. Schließlich war die Zeit der einbeinigen Seeleute vorbei, und wie John Silver auf einem Holzbein durch die Gegend hinken, wollte er auf keinen Fall. Das machte bei den Mädels im Hafen keinen guten Eindruck.

»Los, Langa! Den Bruder holn wir uns!«

Trotz seines großen Respekts vor dem Raubfisch war Hein jetzt heiß. So konnte man nicht mit seinem neuen Freund umgehen. Ihm einfach die Angelrute kaputt machen. Das durfte keiner wagen. Auch ein Hai nicht!

»Scherzkeks! Und womit?«

Anklagend hielt Bodo ihm die traurigen Überreste seines teuren Gerätes hin.

»Los, komm mit, Langa! Ich zeich dich, wie das gehen tut!«

Hein war nicht zu bremsen. Als erstes zog es ihn in die Tiefkühlkammer, wo die Fleischvorräte des Smutjes lagerten. Eine komplette Hammelkeule fiel ihm zum Opfer, und der Haken, an dem sie gehangen hatte, kam ihm auch gerade recht. Er wurde ebenfalls konfisziert. In der Schlosserwerkstatt wurde der Fleischhaken dann so hergerichtet, dass er wie ein überdimensionierter Angelhaken aussah. Ein Stück Stahlkette bildete das ideale Vorfach.

»Und wo willst du das dranbinden?«, wollte der Schlacks wissen. »Schließlich haben wir keine Rute mehr!?«

»Maaann, Alter! Vertrau mir!«

Die beiden schleppten das ganze Gedöns an Deck und Hein schäkelte es an einer langen, dünnen Stahltrosse fest, die von einem der kleineren Ladebäume herabhing.

»Für die einen isses nur ein Ladebaum, für die annern isses die stärkste Hairute vonne Welt«, grinste er, spießte die Hammelkeule auf den Haken und warf alles über Bord.

Bodo gab ihm Zeichen, und Hein ließ das Stahlseil von der Winde laufen, bis der prächtige Köder tief unter dem Dampfer im Wasser hing.

Bodo kratzte sich am Kopf. Er hatte in seinem jungen Leben auch schon so einiges angestellt, aber eine so unorthodoxe Angelmethode wäre selbst ihm nie in den Kopf gekommen. Hein jedenfalls war begeistert von seiner Idee.

»Und woran merkst du jetzt, dass einer angebissen hat?«, wollte er von Hein wissen.

»Twäng! Twäng!«, machte die Stahltrosse und spannte sich bedenklich.

»Das hör ich an die Leine. Die is wie so ein akustischen Bissanzeiger und macht dann ‚Twäng, Twäng‘!«

»Du«, stellte der Lange fest, »Ich glaub, da hat schon einer angebissen, ich hab deutlich das ‚Twäng, Twäng‘ gehört!«

Die beiden schauten über die Reling und sahen unten einen großen Hai an der Stahltrosse toben.

»Und nun?«, fragte der Lange.

»Warten, bis er müde is«, riet Hein und beide lehnten sich auf die Reling, steckten sich eine Zigarette an und rauchten genüsslich. Den Hai ließen sie einfach an der Trosse weiter toben.

»Meine Herren, haben sie Langeweile?«, fragte der Kapitän, der unbemerkt an die beiden herangetreten war.

»Nööö, Freiwache!«, antwortete Hein. »Warum?«

»Na, schauen sie sich doch mal um, wie das hier aussieht! Zwei Ladebäume außenbords geschwenkt, die Trossen hängen bis ins Wasser, und das auf meinem Dampfer!«

Er holte vor Empörung tief Luft, was jedoch in keiner Weise dazu beitrug, dass sich seine aufgeregte, rote Gesichtsfarbe zum Gesünderen hin veränderte.

»Dann brauche ich sie wohl auch nicht zu fragen, ob sie etwas über verschwundene Lebensmittel wissen, was?«

»Wie? Verschwundene Lebensmittel?«

»Dem Smutje sind ein riesiges Steak und eine Lammkeule abhanden gekommen. Wissen sie was darüber?«

»Nööö, nich direkt«, murmelte Hein und Bodo winkte auch ab.

»Is uns nix in der Form begegnet, Käpten!«

»Sagen sie mal, warum wackelt die Trosse eigentlich so?«

Der ‚Alte‘ hatte jetzt doch bemerkt, dass da was nicht in Ordnung war. Er beugte sich über die Reling und sah unten im Wasser den Hai, der jetzt nur noch träge mit den Flossen wedelte und nur ab und zu noch einen müden Fluchtversuch unternahm.

»Gnutzmann!«, brüllte der Kapitän vor Begeisterung und schlug Bodo auf die Schulter, dass der in die Knie ging. »Sie sind ein Genie! Woher wussten sie, dass ich so gerne Haisteak und Haifischflossensuppe esse?«

»Och, das hat Hein mir erzählt, und da haben wir gedacht, wir machen ihnen eine kleine Freude«, murmelte der Schlacks bescheiden.

»Los, los, meine Herren. Der Fisch ist müde. Holen sie ihn an Bord, aber vorsichtig, damit er nicht doch noch entwischt. Ich hole nen Fotoapparat. Und den Koch! Der kann ihn schlachten und zerlegen. Oooh, Haifischflossen-Suppe! Herrlich!«

Noch nie hatte jemand den Kapitän so eilig gesehen. Wie ein Wiesel rannte der ‚Alte‘ davon, und seine beiden Matrosen zeigten sich beeindruckt.

»Na, denn wolln wir mal«, grinste Hein und klemmte sich hinter die Winsch. »Hast ja gehört, nä? Befehl is Befehl! Also, hoch mit ihm!«

Jaulend lief die Winde an und wickelte die Stahltrosse auf die Trommel. Im Nu schwebte der große Fisch an der Bordwand empor bis über die Reling. Hein drehte den leichten Kran über Deck und ließ den Hai auf die Lukendeckel sinken.

»Wo isser? Wo isser?«, brüllte der Smutje und kam keuchend angelaufen. In der einen Hand schwenkte er einen Baseballschläger, in der anderen das größte Fleischermesser, das seine Küche zu bieten hatte. Angesichts der Größe des Raubfisches erschienen ihm diese Mordwerkzeuge gerade ausreichend. Tatsache war, der Hai hatte ihnen nichts mehr entgegenzusetzen, und nach einer fachgerechten Betäubung mit dem Holzknüppel war sein Schicksal besiegelt. Ein schneller Stich mit der scharfen Klinge machte seinem Räuberdasein ein Ende.

»Moment! Noch nich zerschnippeln«, stoppte Hein den Smutje, der, nachdem er den Fisch mit einem Stich ins Herz getötet hatte, nun daran gehen wollte, ihn zu zerlegen. »Erst Fotos machen!«

Hein zog das Stahlseil wieder straff, bis der Fisch in seiner ganzen Pracht von über drei Metern am Ladebaum hing. Die beiden Petrijünger nahmen in Siegerpose Aufstellung und der Bootsmann musste fotografieren. Er verknipste einen ganzen Film, um sicherzustellen, dass wenigstens ein Foto dem ‚Alten‘ gefallen würde.

»Passen sie ja auf, dass sie alles drauf kriegen!«, forderte der Kapitän und schüttelte zum wiederholten Mal die Hände der beiden Matrosen. »Und dann will ich eine gerahmte Vergrößerung in die Messe haben, als Erinnerung an die beiden Jungs, die mir eine so große Freude bereitet haben.«

»Aye, aye, Sir!«

In diesem Augenblick rutschte die Hammelkeule aus dem weit geöffneten Rachen des Hais und polterte auf das Deck. Für einen Moment herrschte überraschtes Schweigen unter allen Anwesenden.

»Ach nee!«, grinste der Schiffskoch die beiden wackeren Angler an und tätschelte liebevoll seinen Baseballschläger, mit dem er zuvor den Hai ins Reich der Träume geschickt hatte. »Ich glaube, nun, wo sich der halbe Hammel wieder angefunden hat, brauch ich das Steak wohl auch nicht mehr länger zu suchen, oder was meint ihr?«

Strandgut

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