Читать книгу Flor Peeters (1903-1986) - Clemens Morgenthaler - Страница 11

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Konzerttätigkeit

Dass Flor Peeters ein Musiker der Superlative war, zeigt sich im Besonderen in der Vielzahl seiner Orgelkonzerte (weit über 2000) und Tourneen weltweit. Diese Konzerttätigkeit begann 1925 und endete erst im Jahr seines Todes 1986. Seine Konzertreisen in alle Welt musste er aber ab 1978 wegen zunehmender körperlicher Beschwerden einstellen. Eine ausführliche Auflistung seiner Konzertreisen findet sich in der chronologischen Biografie. Hier aber einige Schlaglichter auf seine über 60-jährige Laufbahn als hochgeschätzter Orgelvirtuose.

Er spielte u. a. 476 Konzerte in Belgien (Mechelen, Brüssel, Antwerpen, Gent, Brügge, Löwen etc.), 253 in den USA (New York, Washington, Chicago, Philadephia, Detroit etc.), 105 in den Niederlanden (Utrecht, Den Haag, Haarlem, Amsterdam, Rotterdam, Groningen etc.), 42 in Deutschland (Köln, Aachen, Stuttgart, Freiburg etc.), 115 in Großbritannien (London, Liverpool, Birmingham, Leeds etc.).16 Zahlreiche Konzerte gab er auch in Dänemark, Frankreich (Paris), der Schweiz, Italien, der Tschechoslowakei und Schweden und produzierte viele Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen. Er spielte 126 Orgel-Einweihungskonzerte, wobei er besonders die Orgeln von Firmen wie Stevens, Klais, von Beckerath, Marcussen und Flentrop schätzte.17

Was seine Laufbahn aber gegenüber den meisten seiner damaligen Kollegen heraushebt, sind seine zahlreichen Konzerte in doch eher entlegenen Orgellandschaften wie beispielsweise Südafrika, Kanada, Australien, Neuseeland, die Sowjetunion oder die Philippinen. Die Vereinigten Staaten von Amerika wurden auch von anderen prominenten Kollegen wie etwa Louis Vierne (1870–1937), Marcel Dupré (1886–1971) und Jean Langlais (1907–1991) bereist. Im Jahr 1946 startete Flor Peeters seine erste von insgesamt zehn Nordamerika-Tourneen, die ihn mit 15 Konzerten in den Nordosten der USA und nach Kanada führen sollte. Sein Kollege und Freund Marcel Dupré hatte ihn dem amerikanischen Impressario Bernard La Berge empfohlen und in diesem Empfehlungsschreiben den belgischen Organisten als eine Art Nachfolger seiner selbst beschrieben. Diese Konzertserie sollte so erfolgreich verlaufen, dass weitere Empfehlungen fortan nicht mehr nötig waren. So stand im Boston Pilot vom 30. April 1946 Folgendes zu lesen: »(…) Mr. Peeters is one of the finest exponents of the art of organ playing in the world«18; oder Christopher Terley (Washington chapter, American Guild of organists): »We have never had a recitalist here who has been more enthusiastically received.«19 Der Erfolg war überwältigend und die nächste Amerika-Tournee 1947 umfasste bereits 35 Konzerte. Nach dieser zweiten Amerika-Tournee ließ sich Mechelens Kardinal van Roey von der Reise berichten. Der Ruhm seines Domorganisten im Ausland strahlte nun auch auf seine Kathedrale und sein Erzbistum aus.20 Die Tatsache, dass der Katholik Peeters auch in nicht-katholischen Kirchen und Universitäten (besonders in den USA) konzertierte, war noch in den 40er, 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit. Auf Vermittlung des befreundeten Komponisten Dmitri Kabalewski, den Flor Peeters bei der Weltausstellung 1958 in Brüssel kennengelernt und der in der Folge eine Meisterklasse an Peetersʼ Konservatorium in Antwerpen gehalten hatte, konnten in den Jahren 1963 und 1964 Konzertreisen in die damalige UDSSR stattfinden. Während die baltischen Staaten bis zur Annexion durch die Sowjetunion 1940 eine reiche Orgelkultur hatten, stellte sich die Orgelsituation in der übrigen Sowjetunion als wesentlich bescheidener dar. Die Gründe liegen hauptsächlich im orthodoxen Christentum, das ja in seinen Kirchen und seiner Liturgie keine Orgel und Orgelmusik kennt, sowie im damaligen kommunistischen System, das jede Art religiöser Betätigung missbilligte und verfolgte und somit einem Musikinstrument, das wie kein anderes für den christlichen Glauben stand, äußerst kritisch gegenüber eingestellt war. Gleichwohl fanden und finden sich in einigen Konzertsälen und Konservatorien des Landes Orgeln verschiedenster Provenienz. Flor Peeters spielte umjubelte Konzerte in Leningrad, Moskau, Riga, Vilnius, Minsk, Tallinn und Taschkent. Das Publikum der stets ausverkauften Konzerte war begeistert und manches Recital musste sogar wiederholt werden. Flor Peeters bemerkte einmal, dass das Publikum in den USA und in der Sowjetunion viel emotionaler (»mit Tränen in den Augen«) reagieren würde als das europäische. Russische Zuhörer schrieben oft während der Konzerte Gedichte, welche sie dann dem Interpreten nach dem Konzert überreichten. Ein besonderes Konzertereignis fand am 5. Dezember 1958 zur Einweihung der neuen Orgel in der Kathedrale von Manila durch Flor Peeters statt, mit 1000 Zuhörern in und 2000 Zuhörern außerhalb der Kathedrale. Im Flugzeug nach Manila, das vom Vatikan gechartert worden war, waren neben einigen Kardinälen auch der Chor der Sixtinischen Kapelle mit seinem Leiter Monsignore Domenico Bartolucci. Im Pontifikalamt zur Orgelweihe erklang Peetersʼ »Missa Sancti Josephi« op. 21, gesungen vom Chor der Kathedrale von Manila und der Capella Sistina. Auf der Rückreise über Rom wurde Flor Peeters in Privataudienz von Papst Johannes XXIII. empfangen.21

Sein erstes Konzert in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bestritt Peeters am 30. Juni 1949 beim Nordwestdeutschen Rundfunk in Köln. Viele weitere Auftritte in Deutschland sollten folgen. Einige Zeitungskritiken mögen beispielhaft für die Resonanz stehen, die Flor Peeters bei seinen Deutschland-Konzerten zuteil wurde. Man möge dem Verfasser dieses Buches hierbei seinen Lokalpatriotismus nachsehen. So schrieb das Wertheimer Tageblatt am 21. September 1955 nach einem Konzert in Amorbach (Odenwald): »Hervorragendes Amorbacher Kirchenkonzert!Sein Spiel offenbarte, wie sehr jener Genius sein Wunder in sich birgt. Es wurde außerdem offenbar,dass der ›junge‹ Belgier wahrlich auf der Lichtseite des Lebens steht …«.22 Die Badische Zeitung schrieb am 21. Juli 1959 nach einem Orgelkonzert im Freiburger Münster: »Die Orgelabende zeigen ein für die heutige soziologische Situation des Musikers eigenes Bild, indem die Orgelkünstler am ehesten noch die Einheit des Schaffenden und Interpreten verkörpern – die Solisten der vorangegangenen Konzerte standen mit Flor Peeters beispielhaft dafür einPeeters mag manchem zuerst als Komponist begegnet sein. Dass aber ein virtuoser Orgelsolist hinter den vielfältigen Gattungen seiner Partituren steht, erklärt und begründet diese und jene Eigenart seines außerordentlich durchlichteten und vom Rhythmus besessenen Spiels …«.23 Nach einem Konzert im Konstanzer Münster las man im Südkurier vom 24. Juli 1959: »Dass die Bachauffassung eines Organisten wie Flor Peeters sich abseits jeden starren Schematismus bewegt, war vorauszusehen. Begriffe wie ›falsch‹ und ›richtig‹ hätten hier die durchdachte Eigenständigkeit der stilistischen Blickrichtung des Künstlers wohl nicht getroffen. In des Thomaskantors gewaltiger ›g-moll-Fantasie und Fuge‹ berührte zum mindestens die fast zeichnerisch ›dünne‹ Klangproportionierung der Fantasie und die Art darin oft über den Spannungswert der Pausen hinwegzuspielen etwas fremd, während die groß, klar und nachsichtig artikulierte Fuge eindrucksstark profiliert war …«.24 Am 30. Oktober 1963 stand in den Stuttgarter Nachrichten nach einem Konzert in der dortigen Stiftskirche folgendes zu lesen: »Kleine und eigentlich selbstverständliche Nuancen der Phrasierung, klügste Disposition der Register – und Manualwahl und – als wesentlich bezeichnend – eine höchst kultivierte Anschlagskunst geben dem Spiel dieses belgischen Organisten das Gepräge einer unnachahmlichen Vollkommenheit …«.25 Über seine 1961 im Christophorus Herder Verlag Freiburg erschienene Aufnahme mit Werken von Franck, Tournemire und Peeters finden sich folgende Rezensionen, Beschreibungen und Aussagen: »Die reichen Möglichkeiten der großartigen Kathedralorgel in Mechelen nutzt der belgische Organist Flor Peeters; seine Klangphantasie, die Durchsichtigkeit der Darstellung, die virtuose Spieltechnik finden auf zwei Platten neu Bestätigung.« (Dr. G.A. Trumpff, in: „Neue Zeitschrift für Musik“, November 1961);»… Durchdrungen von den Baumitteln unserer Zeit, ergeben die alten Grundfesten einen Orgelstil, der zwischen Liturgie und weltlicher Orgelkunst steht.« (Musica-Schallplatte, Bärenreiter, September 1961); „… Sowohl durch den Wert der Kompositionen wie durch die spieltechnisch hervorragende Wiedergabe durch einen der angesehensten Orgelspieler (…) dürften die Platten guten Anklang bei den Orgelfreunden finden.« (Erbe und Auftrag, Beuron, 2/1962).26

Zu einem Zwischenfall kam es im Rahmen einer Konzertreise nach Australien und Neuseeland im Jahre 1975 bei einem Zwischenaufenthalt in Bangkok (Thailand). Peeters wurde in seinem Hotel von einigen Mitgliedern des Hotelpersonals überfallen und am Kopf schwer verletzt. Glücklicherweise hatte er keine Gehirnschäden davongetragen. Trotzdem hinterließ dieses traumatische Ereignis insofern einen Eindruck, als dass es den 71-jährigen Peeters auch daran gemahnte, seine umfangreiche internationale Konzertätigkeit doch etwas zu reduzieren und sich in Zukunft auf Europa zu beschränken, was ihm nicht leicht fiel.27 Die letzten zehn Jahre seines Lebens waren begleitet von fortschreitender Osteoporose und heftigen Rückenschmerzen, was wohl auch auf seine lange und intensiv betriebene Organistenkarriere zurückzuführen ist. Die Haltung und Gewichtsverteilung beim Orgelspiel mit dem frei beweglichen Spiel der Beine beim Pedalspiel ist für den Rücken stets eine große Belastung. Folglich musste Flor Peeters seine Konzerttätigkeit ab Ende der 70er Jahre deutlich einschränken. Seine Auftritte beschränkten sich fortan auf kurze Orgelmatineen im Anschluss an das sonntägliche Hochamt in der Mechelner Kathedrale, die aber gleichwohl zahlreiche Zuhörer aus dem In- und Ausland anzogen. Sein letztes Konzert im Ausland spielte Flor Peeters am 28. Juli 1980 im Dom zu Graz (Österreich).28

Besonderer Erwähnung bedarf die Tatsache, dass im Jahr 1967 das Flandern Festival unter tatkräftiger Mitwirkung von Flor Peeters gegründet wurde und er in diesem Rahmen viele Konzerte gab.

Schon diese wenigen Episoden und Schlaglichter auf die außergewöhnliche Konzertlaufbahn von Flor Peeters mögen genügen, um eine Ahnung von seiner herausgehobenen Bedeutung als weltweit konzertierender Organist und Künstler zu erhalten.

Die Basis seiner Virtuosität war ein tägliches Übe-Pensum von sechs Stunden, das nicht nur an der Orgel, sondern auch am Klavier mit Fingerübungen und Etüden, z. B. von Chopin und Czerny, absolviert wurde. Bei seinem Übe-Programm, wie auch in seinen sonstigen musikalischen Aktivitäten ging er absolut methodisch, geplant und reflektiert vor. So wurden z. B. neu einzustudierende Werke erst nur mit den Händen, dann nur die Pedalstimme, dann in verschiedenen Kombinationen und erst am Schluss zusammengespielt. Merkmale seines Orgelspiels waren eine hohe Phrasierungskunst, eine sehr gute Pedaltechnik, rhythmisch energisches Spiel, Detailgenauigkeit, Frische, Musizierfreude und Brillianz, hohes Klanggefühl und Registrierkunst. Oft konnte er sein Konzertprogramm auswendig darbieten, was noch heute bei Organisten eher die Ausnahme darstellt. Seine vollkommen souveräne und dabei entspannte Spieltechnik stellte er stets in den Dienst des jeweiligen Werkes und legte besonderen Wert auf eine geistig-intellektuelle wie auch emotionale Durchdringung der Komposition. Flor Peeters bot in seinen Konzerten die Literatur aller Epochen und Länder dar. Sein Repertoire war umfassend und kannte keine Beschränkungen. Seine intelligenten und reflektierten Programm-Zusammenstellungen beachteten stets die gegebenen Bezüge zum jeweiligen Raum und dessen Akustik, zum Publikum und zum jeweiligen Instrument. Gerne stellte er in seinen Programmen auch Verbindungen von Komponisten, Epochen oder musikalisch-thematische Bezüge her (z. B. Buxtehude-Bach-Mendelssohn, Franck-Tournemire-Peeters, alte norddeutsche Meister, alte niederländische Meister, Passacaglia etc.). Neben Werken von Johann Sebastian Bach und eigenen Kompositionen bildeten die Werke von César Franck, Charles Tournemire und altniederländische Meister einen gewissen Repertoire-Schwerpunkt. Seine Konzertprogramme enthielten aber auch Werke von Jan Pieterszoon Sweelinck, Dieterich Buxtehude, François Couperin, Louis-Nicolas Clérambault, Johann Pachelbel, Robert Schumann, Franz Liszt, Johannes Brahms, Josef Gabriel Rheinberger, Max Reger (Fantasie und Fuge über B-A-C-H), Sigfrid Karg-Elert, Charles-Marie Widor (Symphonien), Louis Vierne (Symphonien), Léon Boëllmann, Joseph Jongen, Marcel Dupré (viele belgische Erstaufführungen wie »Variations sur un Noël« 1927 und »Symphonie-Passion« 1929) und Messiaen. Im Alter konzentrierte sich Peeters vor allem auf die Wiedergabe der Werke Bachs, Francks und eigener Werke.

Abschließend sei stellvertretend für viele andere Zeitzeugen Heinrich Lemacher zitiert, der in fast hymnischer Manier den Organisten Flor Peeters und seine Wirkung auf die Zuhörer beschreibt: »Und Flor Peeters an der Orgel! Wer Stunden seines faszinierenden Orgelspiels und nicht zuletzt seiner suggestiven Improvisationskunst miterlebt hat, wird sie als beglückendes und bewundernswertes Erlebnis in lebendiger Erinnerung behalten: Hier spricht durch ein überlegenes Können im Schöpferischen und Technischen der Überschwang und die Überlegenheit eines blutvollen und geistig disziplinierten Menschentums.«29


Flor Peeters

16 Vgl. Peeters, Schroyens, Allegro energico, S. 11.

17 Vgl. ebd., S. 165.

18 Hofmann, Flor Peeters, S. 52.

19 Ebd.

20 Vgl. Peeters, Schroyens, Allegro energico, S. 12.

21 Vgl. Hofmann, Flor Peeters, S. 70–71.

22 Peeters, Schroyens, Allegro energico, S. 250.

23 Ebd., S. 280.

24 Peeters, Schroyens, Allegro energico, S. 282.

25 Ebd., S. 329.

26 Ebd., S. 295, 297.

27 Vgl. Peeters, Schroyens, Allegro energico, S. 411.

28 Vgl. ebd., S. 432.

29 Heinrich Lemacher, »Flor Peeters«, in: Musica Sacra 77, Nr. 5 (1957), S. 151.

Flor Peeters (1903-1986)

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