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Erster September. Das Kreischen der Möwen und ein nuschelnder Singsang aus dem Garten der Tapas-Bar unter ihr weckten Isabella auf. So klang Porto. Sie trat auf den kleinen Balkon ihres Hotels und sah die Kutter auf dem Fluss, Jongleure und Musikanten am Ufer, die São-Francisco-Kirche im Westen, die bunten, schmalen Häuser mit ihren verspielten Balkonen und Fliesen, eine weiße Katze, die zusammengerollt auf einer Bank in der Sonne döste. Isabella fühlte sich noch nicht bereit für den Herbst.

Sie war schon einen Tag früher als geplant aus San Sebastián abgereist, nach dem Nachmittag im Hotel hatte sie keine Lust mehr auf Abenteuer gehabt. Portugal war die letzte Station ihrer Reise. Zwei Stunden fuhr der Bus an der Küste entlang zurück zum Flughafen von Bilbao. Unterwegs checkte sie einen Flug nach Porto auf ihrem Smartphone. Von dem Mann im Bus in Bournemouth und David hatte sie nichts mehr gehört.

Lissabon kannte sie, konnte es förmlich riechen. Die Meeresluft des Atlantiks, den süßen Duft der Pastéis de Nata. Aber sie war nie in Porto gewesen.

In einer Doku des Senders ARTE, die ihr in Erinnerung geblieben war, schlenderte Gérard Depardieu in Shorts und einem verschwitzten T-Shirt den Strand entlang, erzählte vom Kochen und Essen, rümpfte seine Knollennase über so manche Speisekarte, testete Restaurants, indem er bis in die heiligen Küchen vordrang und dort seine Finger genüsslich in Kochtöpfe steckte. Auf dem Markt von Bolhão, der in Porto seit dem 18. Jahrhundert existiert, traf Depardieu dann seinen Freund, den Pariser Chefkoch Laurent Audiot. Die beiden schnüffelten Trüffel, drückten Avocados, rochen an Zuckermelonen und kosteten Weintrauben. Dann trafen sie den Kuttelhändler Arnaldo Lopes, der die milchweißen Gewebe in die Kamera hielt und erklärte, wie das 600 Jahre alte Gericht, das eng mit der Tradition der Stadt Porto verbunden ist, zubereitet wird. Dobrada. Schweinskutteln mit weißen Butterbohnen, Karotten und Chouriço, serviert mit weißem Reis.

Auf diese Kutteln, die in Portugal mit Zitronensaft blanchiert wurden, hatte sich Isabella seit langem gefreut. Sie aß sie an ihrem ersten Abend in einem Restaurant, das zwanzig Minuten vom Hotel bergauf im Osten der Stadt lag, versteckt in einer kleinen Seitengasse hinter einem Theater. Der Besitzer des Hotels hatte ihr erzählt, dass das Lokal berühmt sei für das Nationalgericht.

Im Dorf ihrer Kindheit wurden die weißen Kutteln der Kälber stundenlang unter kaltem Wasser gebürstet und, erst wenn sie rochen wie frisch gewaschen, in hauchdünne Streifen geschnitten. Diese rösteten die Frauen in großen Eisenpfannen in viel Butterschmalz, bestreut mit Salz und frisch gemahlenem Pfeffer und ganzem Kümmel, auf mittlerer Flamme, so lange, bis sie goldbraun waren. Dazu gab es Rösti.

Isabella mochte auch den Tessiner Kutteleintopf mit Tomaten und Polenta, Pacal, das ungarische Kuttelgulasch mit roten und grünen Paprika, viel Zwiebel und Knoblauch und Chili, das indonesische Kuttelcurry Gulai babat, und sie wollte irgendwann auch Motsu, die gekochten japanischen Kutteln, probieren. Sie hatte ein Faible für jede Art von Innereien, von Nieren, Leber und Herz über Hirn und Bries bis hin zu Stierhoden.

Dieses Kuttelessen war die Krönung ihres Porto-Aufenthalts. Am letzten Abend machte sie sich dann auf zu einem vier Kilometer langen Fußmarsch am Douro entlang. Der Fluss teilte die Stadt in zwei Hälften und mündete im Westen in den Atlantischen Ozean. Der Himmel war bewölkt, als sie die Küste erreichte, die Luft roch nach Salz, das zischende Meerwasser hatte 15 Grad.

»Kein Badewetter«, schrieb sie Prinz mit einem Augenroll-Emoji und schickte ein Foto vom fast menschenleeren Strand mit. Nur zwei Mutige stürzten sich vor ihr in die Fluten, wahrscheinlich Skandinavier oder Russen.

»Du könntest eisschwimmen«, kam zurück. Dazu drei blaue Kristalle.

Der Gedanke jagte Isabella kalte Schauer über den Rücken.

»Klingt wie eine gefährliche Drohung für mich«, tippte sie ins Handy. Sie konnte nicht einmal lauwarm duschen.

»Ist ein gutes Gefühl. Erklär ich dir, wenn du zurück bist«, schrieb Prinz.

Das war wieder einmal typisch für ihn. Hitze oder Kälte, Prinz war jede Energiequelle recht. Er saugte Energie ab wie ein Vampir. Lotete stets Grenzen aus, was Isabella anziehend fand. Praktizierte Krav Maga, die angeblich effizienteste Art der Selbstverteidigung, entwickelt vom israelischen Geheimdienst, war im offenen Meer mit meterlangen Makohaien getaucht, und träumte von Antarktis-Expeditionen oder Samurai-Kämpfen. Aber wenn er vor einem Teller mit gebackenen Sardinen saß, schaffte er es nicht, den Fischchen den Kopf abzubeißen. Vielleicht würde sie ihn einmal in die Gemütlichkeit ihrer Küche locken und geröstete Kutteln für ihn kochen. Oder ein butterweiches Rahmherz.

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