Читать книгу Tod zum Dessert - Conny Schwarz - Страница 5
Böses Erwachen
ОглавлениеLutz rollte gerade die Schubkarre voller Mist zu den Rosenbeeten, als ein roter Opel Corsa vor dem Haus bremste. Eine Dame in einem eleganten Kleid entstieg dem kleinen Auto und winkte übertrieben fröhlich in seine Richtung.
„Will die etwa zu uns?“, fragte Lutz seine Frau, die mit derben grünen Arbeitshosen auf der Erde kniete und Unkraut jätete. Mit einem leisen Stöhnen richtete sich Ute auf.
„Oh Gott, Tante Hilla!“, flüsterte sie. „Die erkennt man ja gar nicht wieder!“
Die Beerdigung von Hillas Mann Lothar lag kaum ein Jahr zurück. Damals wirkte die Tante grau wie ein Novembermorgen, jetzt aber sah sie, trotz ihres fortgeschrittenen Alters, frisch und bunt aus wie der einbrechende Frühling. Sie war dezent geschminkt, trug ein farbenfrohes Streublümchenkleid und ihr Goldcollier funkelte in der Sonne.
„Überraschung!“, flötete sie und fiel Lutz und Ute ungeniert um den Hals. Für einen Moment verdrängte ein frischer Duft nach teurem Parfum den herben Gestank nach Mist.
„Ich mache eine kleine Rundreise durch diesen herrlichen Frühling und wollte mal bei euch Hübschen nach dem Rechten sehen!“
„Na das ist ja eine Freude“, sagte Ute, wirkte dabei aber nicht übertrieben froh.
„Die Überraschung ist dir auf jeden Fall gelungen“, knurrte Lutz.
Etwas widerwillig luden die beiden die Tante in ihr Haus ein und platzierten sie in der guten Stube. Lutz warf die Kaffeemaschine an und überließ Ute die schwierigere Aufgabe, den gerade volljährig gewordenen Sohn aus seinem Verschlag zu holen. Nico sah überhaupt nicht ein, warum er die fremde Tante begrüßen sollte.
„Wie soll die denn mit mir verwandt sein?“
Genau konnte Ute ihm das auch nicht erklären, sie wusste nur, dass sie selbst es war, die über ein paar dunkle Ecken mit dieser Hilla versippt war.
Nach dem Abendessen hatte sich die kleine Familie endlich an Hilla gewöhnt, die immerhin eine Kiste Prosecco mitgebracht hatte und außerdem gutgemeinte Geschenke wie selbstgehäkelte Topflappen und Salzstreuer in Häschenform. Auch war sie überaus gut gelaunt, jedenfalls bis die Rede auf ihren Sohn kam: Auf Dietmar, diesen „Nichtsnutz“, schimpfte sie lauthals. Seit dem Tod seines Vater sei er wie ausgewechselt und hätte sich falsche Freunde zugelegt.
„Na, dieses Problem kennen wir auch, stimmt’s Nico?“, konnte Ute sich nicht verkneifen.
Tante Hilla aber erhob Einwände.
„Der Nico ist doch jung, da verwächst sich das noch, stimmt’s Nico?“
Doch statt diese Frage mit einem zackigen „Jawoll!“ zu beantworten, zündete sich Nico mitten im Wohnzimmer eine Zigarette an.
„Das geht aber nicht!“, schrie Tante Hilla auf und wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht, als wolle sie böse Geister verjagen. „Ich ersticke!“
„Geh doch zum Rauchen bitte ausnahmsweise vor die Tür, Nikki“, ermahnte die Mutter den Jungen.
Das ließ sich Nico nicht zweimal sagen. Wütend packt er seine Schachtel Zigaretten und verabschiedete sich. Auf Utes Frage, wo er denn hinwolle, schnauzte der Junge die Mutter an.
„Na zu meinen falschen Freunden!“
Dieser kleine Zwischenfall aber konnte die gute Stimmung nicht nachhaltig trüben und erst gegen Mitternacht, nachdem die letzte Flasche Prosecco geleert und der neueste Familienklatsch ausdiskutiert war, taumelten die drei endlich in ihre Betten.
In den frühen Morgenstunden riss ein gellender Schrei Ute aus ihrem komatösen Schlaf. Verdutzt über die fremde Frauenstimme in ihrem Haus schreckte sie im Bett hoch. Da fiel ihr Tante Hilla wieder ein. Sofort rüttelte sie Lutz wach und keine Minute später eilten die beiden hinunter zum Gästezimmer, dessen Tür weit offen stand.
„Da!“, schrie Hilla und zeigte in den Garten, in dem der Morgen dämmerte. Lutz und Ute aber konnten beim besten Willen nichts erkennen. Nur ihren gepflegten Garten.
„Da zwischen den Tannen, seid ihr denn blind?“, rief Hilla ärgerlich.
Tatsächlich sahen sie gerade noch, wie sich am Ende der Wiese eine dunkle Gestalt zu bewegen schien. Im nächsten Augenblick aber war sie schon verschwunden. Geflohen vermutlich.
„Hier im Zimmer stand er! Direkt neben meinem Bett!“
Die Erinnerung daran ließ die Tante erschaudern.
„Fehlt denn was?“, erkundigte sich Ute.
Hilla sah sich im Zimmer um, dann blickte sie auf den Nachttisch.
„Mein Schmuck!“, kreischte sie auf, so dass nun auch noch Nico wach wurde und schlaftrunken ins Zimmer gestolpert kam.
Lutz fragte sich laut, wie der Dieb wohl ins Haus gekommen war, und wie auf Kommando eilten alle zur Haustür. Dort drückte Lutz die Klinke – und die Tür ließ sich problemlos öffnen.
„Nico?!“, fragte Lutz seinen Sohn drohend. „Hast du heute Nacht etwa die Tür nicht abgeschlossen?“
Ratlos zuckte der Junge mit seinen hängenden Schultern und konnte sich mal wieder nicht erinnern.
Die Polizei wurde gerufen, eine Anzeige aufgenommen. Die Beamten aber zeigten sich wenig optimistisch, dass der Dieb gefunden würde. Und die Versicherung würde auch keinen Cent zahlen, weil die Haustür nicht abgeschlossen war. Verzweifelt raufte sich Lutz das schütter werdende Haar.
„Was war der Schmuck denn wert?“, fragte Ute zögernd.
„Unbezahlbar war der!“, schluchzte Hilla. „Dieses Ensemble aus 750er Gold war nämlich Lothars letztes Geschenk an mich.“
Betretenes Schweigen beim morgendlichen Kaffeetrinken.
In Lutz aber keimte ein Verdacht auf, den er Ute diskret ins Ohr flüsterte. Die sah ihren Mann zunächst empört an. Dann aber ließ sie sich auf seinen Vorschlag ein und führte Hilla nach dem Frühstück durch ihren blühenden Garten, damit sie ihre neueste Blumenkollektion bewundern konnte – während Lutz in der Zwischenzeit sorgfältig das Gepäck der Tante durchsuchte. Genau wie ihr Mann war sich nämlich auch Ute gar nicht mehr sicher, ob sie tatsächlich eine Gestalt zwischen den Tannen gesehen hatte. Vielleicht hatten sie sich das nur einreden lassen. Tante Hilla konnte nämlich sehr überzeugend sein.
Als Ute mit Hilla ins Haus zurückkehrte, sah sie ihren Mann erwartungsvoll an. Der aber blickte enttäuscht zurück und schüttelte kaum merklich den Kopf.
„2000 Euro kostet der Schmuck, und das ist bloß der Materialwert“, gab Ute resigniert bekannt, was Tante Hilla ihr beim Spaziergang durch den Garten offenbart hatte. Die nickte dazu und guckte betroffen.
„Das ist keineswegs zu viel für einen so furchtbaren Verlust. Kette, Armband, Ringe, Ohrringe, alles aus massivem Gold. Und der ideelle Wert, den dieser Schmuck für mich hatte, lässt sich sowieso nicht in Euro berechnen!“, jammerte Hilla.
Lutz schluckte.
„Ihr könnt mir das Geld ja überweisen“, sagte die Tante, notierte rasch ihre Kontoverbindung und verabschiedete sich ebenso herzlich von ihren lieben Verwandten, wie sie sie am Nachmittag zuvor begrüßt hatte. Als der rote Corsa endlich hinter der nächsten Straßenecke verschwand, atmete Ute auf. Lutz aber sah seinen Sohn böse an und drohte ihm mit „Konsequenzen“.
Indessen hatte Hilla die Stadtgrenze erreicht und bremste scharf. Am Straßenrand wartete ein müde wirkender Mann mittleren Alters, der sofort die Beifahrertür öffnete und sich wortlos in das kleine Auto quetschte.
„Guten Morgen“, begrüßte Hilla ihren Sohn Dietmar fröhlich. „Und wem von unsern reizenden Verwandten statten wir als nächstes einen Besuch ab?“