Читать книгу Meine allerbeste Feindin - Conny Schwarz - Страница 3
Prolog
ОглавлениеEs gibt Tage, da stimmt einfach alles.
Das sehe ich schon beim Augenaufschlagen, wie das Schicksal mir wohlwollend zuzwinkert. Und mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen kuschle mich noch einmal eng an den warmen, weichen Körper, der neben mir liegt, bis der leise brummt. Andere Geräusche höre ich hingegen erfreulich lange nicht. Bis ich sie schließlich doch vermisse. Kurz bevor ich nervös werde, stehe ich auf – selbstverständlich mit dem richtigen Fuß – und sehe nach, was meine Jungs so treiben. Vorsichtig öffne ich die Tür zum Kinderzimmer und spähe durch einen winzigen Spalt hinein.
Boris und Igor, meine kleinen Racker, lümmeln sich auf dem grünen Teppichboden ihres geräumigen Zimmers unter der Dachschräge herum und bauen, derart vertieft, dass sie mich gar nicht bemerken, aus Lego- und Duplosteinen eine kunterbunte Ritterburg. Mit einem erleichterten Seufzer schließe ich langsam und leise die Tür und krieche noch einmal zurück ins warme, weiche Bett.
Herrlich warm und weich sind auch die Schrippen an diesen Morgen, so dass sie beim Aufschneiden kein bisschen bröseln. Ausnahmsweise redet Bernd während des Frühstücks mit mir, während die Jungs ohne einen Mucks ihr Müsli löffeln. Da sein erster Außentermin abgesagt wurde, bietet Bernd mir an, die Kinder in Schule und Kita zu bringen. Das ist natürlich nicht nötig und das sage ich ihm auch – kann jedoch sein freundliches Angebot unmöglich ablehnen.
Sind meine Männer aus dem Haus, genieße ich für fünf, sechs oder gar sieben Minuten diese betörende Stille, die sie mir hinterlassen, bevor ich – nun ja – den Fernseher einschalte. Denn während das sympathische Moderatorenpaar vom Morgenmagazin aufgedreht das Neueste aus Politik, Kultur und Klatsch bequasselt, bügeln sich die Hemden wie von selbst.
Um neun wird es höchste Zeit für einen Cappuccino aus unserm neuen Hightech-Kaffeeautomaten, mit dessen Bedienung ich diesmal auf Anhieb klarkomme. Mit meiner dicken, weißen Lieblingstasse, die ich mit beiden Händen umklammere, als würde ich mich an ihr festhalten wie an einem Rettungsseil, so wie das zerbrechlich wirkende Schönheiten in amerikanischen Serien gern tun, trete ich durch die hintere Tür über die Terrasse hinaus in mein kleines Paradies. Die Sonne strahlt mich fröhlich an, überall grünt und blüht es. Bienen summen aufgedreht, Vögel zwitschern übermütig.
Mit der Tasse in den Händen laufe ich ein paar Schritte durch den Garten und konstatiere, dass an der alten Pflaume ein toter Ast abgesägt und das Gemüsebeet ausgejätet werden muss, ansonsten aber alles in schönster Ordnung ist. Genau wie drinnen im Haus, wo ich erst gestern komplett reinegemacht habe und jeder Winkel entweder nach Zitronen oder Orangen duftet.
Zufrieden hole ich mein pinkfarbenes Netbook und setze mich damit auf die Hollywoodschaukel. Einen verwirrenden Augenblick lang kokettiere ich mit der Idee, ob ich mir nicht einen heimlichen Liebhaber zulegen sollte. So einen Kerl wie aus der Pralinenwerbung, mit schokobraunen Haaren, blauen Augen und absurd weißen Zähnen, die einen kräftig in den Nacken oder gar in den nackten Hintern beißen könnten, was prima in meinen perfekten Tag passen würde! Zumindest als Fantasie. In der Realität würde mich eine heimliche Affäre vermutlich organisatorisch und emotional komplett überfordern.
Nachdem ich den Pralinenmann mental abserviert habe, wage ich mich endlich ins Internet, um dort also nicht nach attraktiven Kerlen, sondern nach ebensolchen Jobs zu suchen. Igor wird bald sechs und Boris ist auch schon drei. Die Einschläge werden dichter. Als ginge sie es irgendetwas an, erkundigen sich sämtliche Leute um mich herum ungeduldig danach, wann ich endlich wieder arbeiten gehe: Erzieher, Mütter, Lehrer, Verwandte, Bekannte, die Frisörin – neulich sogar der Postbote. Und Bernd, der als Versicherungsmakler nicht schlecht verdient, hätte auch nichts dagegen, wenn ich „einer kleinen Beschäftigung“ nachginge, die zusätzliches Geld in die Haushaltskasse spült. Höchste Zeit also, sich darum zu kümmern. Und zwar eher heute als morgen, denn jünger wird man bekanntlich leider nicht.
Eine Stelle als „Office Managerin“ oder „Assistentin der Geschäftsführung“ wäre nicht übel. Obwohl ich mir bewusst bin, dass ich nach meinen überzogenen Babypausen nicht die allerbesten Karten für einen anspruchsvollen Job habe, glaube ich fest an mich. Einmal aus Prinzip, weil es ohne Glauben nun mal nicht geht. Und zum andern habe ich auch objektive Gründe für eine gute Portion Zuversicht, die da wären: Eine Kaufmännische Ausbildung, BWL-Studium, drei Fremdsprachen, fit am PC, diverse soft skills nicht zu vergessen. Manchmal sehe ich mich bereits in einem olivgrünen Kostüm mit klappernden Absätzen durch ein helles Großraumbüro eilen, im Arm wichtige Papiere, um sie meinem erfolgreichen und zugleich lustigen Chef zur Unterschrift vorzulegen. Das wär’s!
Nachdem ich zwei oder drei hoffnungsvolle Onlinebewerbungen in den Äther geschickt habe, lege ich das Netbook beiseite und hole den hölzernen Rechen aus dem Schuppen. Obwohl es nicht nötig ist, harke ich die Wiese ein wenig, denn dabei kommen mir einfach die besten Ideen. Und richtig. Keine drei Minuten halte ich die Harke in der Hand und schon fällt mir ein, was ich am Abend kochen werde: Lasagne mit Mozzarella und Hackfleisch!
Denn auch an einem perfekten Tag wie diesem wird mir das Kochen kaum erspart bleiben, sind doch meine Männer so verwöhnt, dass ich ihnen abends unmöglich Wurstbrot oder Käsestulle vorsetzen kann. Schuld daran bin ich selbst. Obwohl ich oft und gern über die Umstände schimpfe, die mir das allabendliche Kochen bereitet, tue ich es nämlich ausgesprochen gern.
Also schreibe ich fix eine Einkaufsliste und springe in meinen roten Corsa, um zu meinem Lieblings-Biosupermarkt zu fahren. Während ich die Danziger Straße runtersause – wo selbstverständlich alle Ampeln auf Grün stehen – fällt mir plötzlich ein, dass heute um zwölf der neue Zumba-Kurs beginnt! Da ich zufälligerweise meine Sporttasche im Kofferraum wähne, biege ich sofort links ab in Richtung Alex und mache einen Abstecher in mein Fitnessstudio.
Beim Zumba angekommen, staune ich nicht schlecht. Wen sehe ich da, als ich in den Kursraum betrete? Meine Freundin Katrin, die sich spontan einen Tag freigenommen hat, einfach so. Wir platzieren uns nebeneinander, so dicht es geht, hüpfen ausgelassen und schwingen die Hüften nach Latino-Art, powern uns so richtig aus.
Danach schlendern wir, angenehm erschöpft, in unser neues Lieblingscafé in der Oderberger Straße, wo man dabei zusehen könnte, wie die Kaffeebohnen in alten Maschinen frisch geröstet werden. Wir aber setzen uns lieber mit unserm Cappuccino draußen auf eine Holzbank, in die Sonne.
Da überrascht mich Katrin. Mit zart geröteten Wangen berichtet sie ausnahmsweise nicht von ihrer Arbeit, sondern von einem geheimnisvollen Lars, den sie über ein Dating-Portal kennengelernt und sogar schon, nach nur drei Tagen, im echten Leben getroffen hat. Sie spricht auch nicht wie sonst so kurz und knapp, als müsse sie eine Kurznachricht verfassen, sondern schwärmt in liebevoll verschachtelten Sätzen von diesem Mann, der aussieht wie Javier Bardem, ein Saab-Cabrio fährt und angeblich sogar einen ausgeprägten Kinderwunsch hat, sodass ich vor Verblüffung über dieses Mannwunder meine Einkäufe fast vergesse.
Mit der prickelnden Neugier im Herzen, wie es mit diesen beiden derart verschiedenen Menschen weitergehen mag, hauche ich meiner Freundin zum Abschied zwei Küsschen auf die Wangen und stelle zufrieden fest, dass mir noch hinreichend Zeit für einen gemütlichen Bummel durch den Biosupermarkt bleibt.
Gegen vier hole ich meine Jungs von Kindergarten und Schulhort ab. Vor Freude, mich endlich wiederzusehen, springen die beiden ausgelassen wie junge Hunde an mir hoch. Nachdem sie mir übersprudelnd lustige Anekdoten aus ihrem aufregenden Tag erzählt haben – diesmal alle beide, sogar der stille Boris – erklären sie mir mit lauter, keinen Widerspruch duldender Stimme, dass sie für diesen Nachmittag – ausnahmsweise ebenfalls beide – mit Freunden verabredet sind. Ich schmolle angemessen, dann bringe ich Boris zu Lukas und Igor zu Max. Zwischen Tür und Angel schwatze ich kurz mit den gestressten Müttern, denen ich selbstverständlich anbiete, dass die Jungs auch gern in unserm Garten spielen könnten. Wobei ich genau weiß, dass diese Übermuttis mein Angebot auf keinen Fall in Erwägung ziehen werden.
Vergnügt darüber, aus heiterem Himmel noch eine gute Stunde für mich allein geschenkt bekommen zu haben, überlege auf dem Heimweg, was ich mit diesen sechzig, siebzig Minuten netto so alles anstellen könnte: Mich mit einem Schmöker von Lily Brett auf die Wiese legen. Im Fernsehen schräge Dokusoaps mit armen, dicken oder gestörten Menschen ansehen. Oder lieber Spanischvokabeln pauken, um im nächsten Urlaub vor der Familie mit meinen Sprachkenntnissen brillieren zu können. Oh ja, ich habe die Wahl – und das ist das Schönste daran! Und so schwanke ich hin und her, bis die Stunde um ist und ich am Ende nichts von alldem getan, sondern mir lediglich den einzig wahren Luxus gegönnt habe: Zeit zu verplempern.
Als ich die Jungs von ihren Freunden abhole, sind sie vom Herumtoben so knülle, dass sie sofort ins Bett wollen. Bernd, der heute ausnahmsweise früher nach Hause kommt, hält sie noch bis zum Abendessen bei Laune, während ich Hackfleisch anbrate, Mozzarella zerlege und die Lasagneplatten sorgfältig übereinanderschichte. Zwischendurch muss ich hinunter in den Keller, um die Bodenvase hochzuholen – für die riesige Sonnenblume, die Bernd mir mitgebracht hat, einfach so!
Nachdem meiner Familie das Abendessen draußen auf der Terrasse „superlecker“ geschmeckt hat, was diesmal von allen dreien offen zugegeben wird, machen Bernd und ich die Jungs, die heute besonders pflegeleicht sind, bettfertig. Katzenwäsche, Zähneputzen, Gute-Nacht-Geschichte. Ausnahmsweise sucht Igor eine dieser wunderbar schrulligen Erzählungen von Janosch aus und nicht zum hundertsten Mal das humorfreie Buch mit den sprechenden Lokomotiven. Mit großem Vergnügen und bühnenreifer Betonung lese ich den Kindern also „Oh, wie schön ist Panama!“ vor.
Just in dem Moment, als Tiger und Bär in dem Glauben, Panama gefunden zu haben, wieder daheim angekommen sind, und ich gerade filmreife Gute-Nacht-Küsschen an Boris und Igor verteilen will, höre ich durchs Fenster einen leisen Knall, der ein ahnungsvolles Lächeln auf mein Gesicht zaubert. Und ich habe mich nicht getäuscht. Als ich wenig später hinaus auf die Terrasse trete, steht eine Flasche Freixenet Cordon Negro auf dem Tisch. Bernd reicht mir eins der bunten Muranogläser, die wir aus dem letzten Toskanaurlaub mitgebracht haben und will mit mir anstoßen.
Natürlich erwarte ich, dass er wie immer auf den „Auf den Weltfrieden!“ trinken will, was er sich aus seinem Lieblingsfilm „Und täglich grüßt das Murmeltier“ abgeguckt hat – und werde überrascht.
„Auf uns!“, sagt Bernd feierlich, lässt die Gläser zärtlich klingen und guckt mir dabei so tief in meine braunen Augen wie seit Jahren nicht. Und was immer er dort entdeckt, es bringt ihn zum Strahlen.
„Und auf den Weltfrieden!“, ergänze ich mit klopfendem Herzen, weil ich doch weiß, wie sehr der meinem Mann am Herzen liegt.
Und wie immer an einem romantischen Abend wie diesem dreht Bernd das quietschende Dach der Hollywoodschaukel bis zum Anschlag nach oben. In weichen Polstern versunken blicken wir gemeinsam hoch in den funkelnden Sternenhimmel und suchen dort oben nach Sternschnuppen, die wir eigentlich gar nicht brauchen. Denn was sollten wir uns noch wünschen? Wir haben doch alles.
Und trotzdem fehlt da was.
Sogar an Tagen wie diesen.