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Was ist Tod? Phasen des Todes, Scheintote und Wiedergänger

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Lebendig begraben zu werden

ist ohne Zweifel die gräßlichste unter den Qualen,

die das Schicksal einem Sterblichen zuteilen kann.

Und daß dies oft, sehr oft geschieht,

wird kein Nachdenkender leugnen können.

Die Grenzlinien, die das Leben vom Tod trennen,

sind immer schattenhaft und unbestimmt.

Wer vermag zu sagen, wo das eine endet und das andere beginnt?

(Edgar Allan Poe: ,Die Scheintoten‘)3

Zwischen Leben und Tod gibt es keine fein säuberlich trennende Linie. Der Tod eines Menschen erfolgt nicht von einer Sekunde auf die andere, sondern tritt in mehreren Phasen ein. Am Ende dieses Prozesses steht die nicht mehr umkehrbare Beendigung aller Lebensvorgänge. Atmungs-, Kreislauf- und Zentralnervensystem arbeiten dann nicht mehr.

In der ersten Phase, die Medizin spricht vom klinischen Tod, kommt es zum völligen Kreislaufstillstand. Der Mensch ist bewusstlos. Puls, Herzschlag und Atmung fehlen. Die Pupillen sind maximal geweitet und reagieren nicht auf Licht. Auch die meisten anderen Reflexe sind erloschen. Auf dem Gesicht zeigt sich die typische grau-weiße Totenblässe, Schleimhaut und Haut sind bläulich verfärbt. Die Augen sind glasig und verlieren in den folgenden Minuten ihren Glanz. Das Großhirn hat seine Tätigkeit eingestellt. In dieser Phase kann der Mensch einige Minuten lang durch Herzmassage, Einsatz eines Defibrillators, künstliche Beatmung und andere Maßnahmen ins Leben zurückgeholt werden.4 Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass der Mensch nicht mehr selbst in der Lage ist, Entscheidungen bezüglich lebensrettender Maßnahmen zu treffen, sodass die Verantwortung der Ärzte in dieser Hinsicht gewachsen ist.5

Seit dem I. September 2009 gilt das neue Bundesgesetz über Patientenverfügungen (Patientenverfügungsgesetz, PatVG). „Eine Patientenverfügung im Sinn dieses Bundesgesetzes ist eine Willenserklärung, mit der ein Patient eine medizinische Behandlung ablehnt und die dann wirksam werden soll, wenn er im Zeitpunkt der Behandlung nicht einsichts-, urteils- oder äußerungsfähig ist.“6 Die Patientenverfügung basiert auf einer freiwilligen Entscheidung des Verfassers. Sie kann jederzeit widerrufen werden. Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) beispielsweise begrüßte das neue Gesetz. Ein Vertreter der katholischen Kirche sprach von einer einseitigen Betonung der Selbstbestimmung, aber auch die evangelische Kirche vermisste die „Balance zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge“.7

Erfolgt also keine Reanimation, zum Beispiel weil sie in der Patientenverfügung abgelehnt wird oder weil sie keine Aussicht auf Erfolg bietet, tritt der Hirntod ein. Hirnströme sind nun nicht mehr zu verzeichnen, der Funktionsverlust von Großhirn und Hirnstamm ist endgültig. Die Pupillen sind weit und lichtstarr. Der Hirntod ist das vom Gesetzgeber anerkannte Zeichen des Todeseintritts und wird auch als Individualtod bezeichnet. Überprüfbar ist der Hirntod durch ein Elektroenzephalogramm (EEG), das in dem Fall eine Nulllinie anzeigt und somit bestätigt, dass der Hirnkreislauf eingestellt ist. Fehlen auch die Spontanatmung und jegliche Reflexe und arbeitet das Zentralnervensystem nicht mehr, ist der biologische Tod eingetreten. Organ- und Zellfunktionen sind ebenfalls erloschen, aber einige Zellen und Organe können den biologischen Tod des Organismus noch eine Zeit lang überstehen, wie zum Beispiel die Nieren, die bis zu sechs Stunden nach dem Tod transplantabel bleiben, oder die Spermien, die auch nach 120 Stunden noch befruchtungsfähig sind.8 Alkohol kann von der Leber noch Stunden nach dem klinischen Tod abgebaut werden.9

Verschiedene Zeichen charakterisieren die jeweiligen Phasen des Todes. Fehlende Atmung sowie fehlende Herz- und Gehirntätigkeit deuten auf den klinischen Tod hin und werden als unsichere Todeszeichen bezeichnet. Sichere Todeszeichen hingegen werden unterteilt in frühe und späte. Zu den frühen sicheren Todeszeichen zählen Todesflecken und Leichenstarre, das allmähliche Erstarren der Muskulatur. Die Lösung der Totenstarre durch Autolyse (Selbstauflösung), Zersetzung, Tierfraß, Fäulnis und Mumifizierung sind späte sichere Todeszeichen.10

Schon in der Antike versicherten sich die Menschen auf verschiedene Weise des tatsächlichen Todes von Verstorbenen. Die Angst, lebendig begraben zu werden, lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Im Mittelalter galt die Furcht eher herumgeisternden Seelen, Untoten, Wiedergängern und anderen Fantasiegestalten. Diese wurden gefürchtet wie die Pest. Der Geschichtsprofessor und Mittelalterexperte Norbert Ohler beschreibt es so:

„Die Leichen Armer wurden in einen großen Graben gepackt und mit etwas Erde bedeckt. Wieso sollte auch jemand, der zu Lebzeiten kaum Platz zum Wohnen gehabt hatte, ein eigenes Grab erhalten? Hier ragte eine Hand aus der Erde heraus, dort ein Fuß; veränderte dieser seine Lage, weil die Leichen sich ,setzten‘, war der Grund gelegt für Schauermärchen vom lebenden‘ Leichnam.“11

Zu Wiedergängern konnten alle Verstorbenen werden, aber als besonders gefährlich galten diejenigen, die einen ,schlechten‘ Tod, also einen Tod ohne die Sakramente, erlitten hatten, auch jene, die qualvoll gestorben waren, oder Menschen mit Behinderung und Wöchnerinnen. Potenzielle Wiedergänger wurden oft auf dem Bauch liegend mit angewinkelten und wahrscheinlich zusammengebundenen Füßen bestattet.12 „In der Mark kannte man den ,Nachzehrer‘, in Preußen ging die Rede von einem geheimnisvollen ,Blutsauger‘ oder in Pommern vom schrecklichen ,Gierfraß‘.“13 Kerngebiet des Wiedergängerglaubens war Schlesien. Der süddeutsche Raum blieb davon nahezu unberührt. Der Höhepunkt des Wiedergängerglaubens lässt sich etwa auf die Mitte des 16. Jahrhunderts datieren. Doch noch für das Jahr 1913 ist aus Westpreußen der Fall eines geköpften Toten bekannt.14 Heute merkwürdig anmutende Riten sollten die Rückkehr von Verstorbenen verhindern. An Steinen im Mund sollten sich die Toten bei ihrer Wiederkehr die Zähne ausbeißen, denn das Fressen des Leichentuchs bedeutete Unheil für die Angehörigen und die jeweilige Dorfbevölkerung, so glaubten die Menschen. Das Fesseln, Enthaupten oder Durchbohren des Leichnams oder das Beschweren des Grabes mit einem Stein beruhigten die Hinterbliebenen, die sich nun sicher sein konnten, dass der Tote da blieb, wo er hingehörte. Auch wenn ungetaufte Kinder verstarben, fürchteten die Menschen, Schaden zu nehmen:

„Im Gegensatz zu einem getauften Kind, welches ohne Umweg über das Fegefeuer direkt als Engel in den Himmel eingeht und damit zu einem Fürbitter für die Lebenden wird und eine ähnliche Stellung wie die Heiligen einnimmt, findet ein ungetauftes keine Ruhe. Es wird zu einem Kobold oder zu einem Irrlicht und was der Vorstellungen mehr sind. Weiterhin fürchtete man sich vor seiner Rache, wie auch, daß es zum Auslöser von Seuchen werden könnte.“15

Um das zu verhindern und den Seelen den Aufenthalt im Limbus, einem Ort neben Himmel, Hölle und Fegefeuer, zu ersparen, bediente man sich häufig einer heute etwas makaber anmutenden Praxis. In Oberbüren, einem der bekanntesten spätmittelalterlichen Wallfahrtsorte der Schweiz, wurden bei Ausgrabungen von 1992 bis 1997 die Skelettreste von etwa 250 Totgeborenen gefunden. Diese waren zur Fundstelle, einer Marienkapelle, gebracht, dort erwärmt, getauft und dann sorgsam begraben worden.16

Im Zeitalter der Aufklärung herrschte allgemein eine große Angst vor dem Scheintod, der vita reducta oder vita minima. Diese Angst spiegelte sich auch in der Literatur wider. Vom Ende des 17. bis hinein ins 19. Jahrhundert kann von einer wahren Flut von Scheintodliteratur gesprochen werden.17

Zur Feststellung des Todes dienten Federn oder Spiegel zur Überprüfung der Atmung, aber auch recht brutale äußerliche Reizmittel wie Ansengen, Ätzen und Quetschen des Körpers. Auch das Auftropfen von Siegellack auf empfindliche Stellen der Haut war üblich, sodass der Scheintod mitunter noch rechtzeitig erkannt werden konnte, wie zeitgenössische Berichte zeigen:

„Die Haare wurden der Toten bis auf den letzten Wirbel abgeschoren, und auf die so entblößte Kopfhaut setzte der Arzt sein Glüheisen und brannte ihr ein Loch in die Kopfschwarte bis auf die Hirnschale. Zweimal. Ohne Erfolg. Aber beim dritten Ansetzen des Glüheisens schrie sie laut auf: Ach, Herr Jesus! Und griff sich an den Kopf.“18

Mit testamentarischen Festlegungen versuchten die Menschen zu verhindern, bei lebendigem Leibe begraben zu werden. Der Komponist Giacomo Meyerbeer beispielsweise trug immer eine Verfügung bei sich, in der er sich eine ausreichende Frist vor seiner Beerdigung ausbedungen hatte.19 Am Bett des dänischen Dichters Hans Christian Andersen lag stets ein Zettel mit den Worten: „Ich bin nicht tot. Ich schlafe nur.“20

Der Ruf nach staatlichen Maßnahmen zur Verhinderung der Bestattung Scheintoter, wie dem Bau von Leichenhäusern, wurde laut. Christoph Wilhelm Hufeland, Arzt und Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, setzte sich für den Bau von Häusern ein, in denen die Toten eine gewisse Zeit lang aufgebahrt werden sollten, bis sichere Zeichen des Todes sichtbar wären. 1792 erreichte er den Bau des ersten Leichenhauses in Weimar, das – sehr fortschrittlich – sogar über eine ,Fußbodenheizung‘ verfügte:

„Es lag auf dem alten Gottesacker und enthielt ein großes Zimmer, worin acht Leichen bequem liegen konnten. Es wurde durch Ofenröhren, welche unter dem Fußboden lagen, erwärmt und war mit Zugröhren versehen, um eine beständige Lufterneuerung hervorzubringen. Neben diesem größeren Zimmer befand sich eine Stube für den Wächter mit einem Glasfenster in der Thür zur Beobachtung der Leichen. (…) Eine Küche diente zur Bereitung der nötigen Hülfsmittel und namentlich warmer Bäder, wenn sich ja wiederkehrende Lebenszeichen darthun sollten.“21

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts spielte die Angst vor dem Scheintod keine große Rolle mehr. Der Bau und Ausbau von Leichenhäusern war immer mehr spezialisiert und erweitert worden. Leichenhäuser wurden zu Leichenhallen. Diese hatten nun in erster Linie eine hygienische Funktion. Auch gerieten tote Körper mehr und mehr in den Fokus wissenschaftlichen Interesses. Obduktionen nahmen zu und die Anatomie wurde eine eigene Forschungsdisziplin.


Zeichnung zu einer Patentschrift von 1880 für einen Rettungsapparat für Scheintote

Die Phase des Übergangs vom Leben zum Tod scheint auf den ersten Blick nicht beschreibbar zu sein. Doch schon seit Jahrhunderten existieren Berichte von Voroder Nahtoderfahrungen. Menschen, die dem Tode nahe gewesen bzw. aus dem Zustand des klinischen Todes zurückgeholt worden waren, schilderten ihre Erlebnisse. Im 20. Jahrhundert wurden zahlreiche empirische Forschungsarbeiten erstellt, welche die Existenz von Vortoderfahrungen belegen sollten. Nicht zuletzt wurde die Forschung angeregt durch Raymond Moodys Buch ,Life after Life‘, erschienen im Jahre 1975. Der Autor, Parapsychologe, Psychiater und Philosoph, hatte über 300 Personen interviewt, die dem Tode nahe gewesen waren. Trotz unterschiedlicher Wahrnehmungen ähneln sich die Erlebnisse der Befragten strukturell. Dazu gehört das Gefühl, den Körper zu verlassen und schwebend die Rettungsmaßnahmen von oben zu beobachten, ein beruhigendes Gefühl von Frieden und Schmerzfreiheit, ein rasanter Lebensrückblick, das Erscheinen einer Lichtgestalt und auch die Wahrnehmung eines Tunnels, an dessen Ende es hell leuchtet. Verschiedene wissenschaftliche Erklärungsansätze machen im Unterschied zu nichtwissenschaftlichen Erklärungen deutlich, „dass es sich um Erlebnisse von Menschen handelt, die eben nicht so tot waren, wie man es sein kann. Schließlich stammen die Berichte nicht von jenen, die in Leichenstarre oder Verwesung übergegangen sind. Rein aus logischen und methodologischen Gründen können diese Erfahrungen nichts über den Tod aussagen und kein Beweis für ein Leben nach dem Tod sein. Diese Aussage gilt auch für die Erfahrungen der Menschen, die auf dem Weg in den Tod nicht umkehren, sondern ihn zu Ende gehen.“

Komm, sanfter Tod, des Schlafes Bruder

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