Читать книгу Jesse - Conny Walker - Страница 5

++Edward++

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08:30Uhr

Der Duft von frischem Kaffee stieg ihm in die Nase. Die Uhranzeige auf dem Radiowecker verriet ihm die aktuelle Zeit. Die Sonne war längst aufgegangen, ließ die Außentemperaturen wieder nach oben klettern. Die Menschen machten sich wieder auf dem Weg in die Arbeit oder zur Schule, lange Blechlawinen durchzogen die Straßen. Ein ganz normaler Tag.

Nicht für Edward und seine Familie.

In der letzten Nacht hatte er kein Auge zu gemacht, konnte nicht schlafen. Musste die ganze Zeit an Jesse denken, an Jerry und an dessen Mutter Andrea. Was war nur geschehen? Warum ging niemand der Drei ans Telefon? Wo waren sie? Bis gestern war stets Verlass auf Jerrys Mutter. Jedes Mal brachte sie Jesse pünktlich und sicher nach Hause. Rief an, wenn es später werden würde. Nur gestern nicht. Er zermarterte sich das Hirn, versuchte die Situation zu verstehen. Es gelang ihm aber nicht.

Als er am Abend, oder eher nachts, von der Polizei nach Hause kam, erwartete Amy ihn bereits sehnsüchtig. Ohne Worte umarmten sie sich eine Ewigkeit. Beide wussten in dem Moment, Jesse musste etwas zugestoßen sein. Warum sonst kam sie nicht nach Hause? Meldete sich nicht?

Am Morgen am Frühstückstisch erzählte Edward seinen anderen Kindern von Jesses Verschwinden. Da sprach er es zum ersten Mal laut aus: „Jesse ist verschwunden!“ Malcolm reagierte besorgt, stellte sofort die Frage, ob die Polizei schon etwas herausgefunden hatte. Bei Linda konnte Edward einen Hauch von Freude erkennen, was ihn beunruhigte und missfiel. Steven konnte er nicht entschlüsseln. War er besorgt? War es ihm gleichgültig? Verstand er überhaupt, was dies zu bedeuten hatte, dass seine Schwester verschwunden war? Edward wusste es nicht. Amy kochte in der Zeit mehr Kaffee und ein paar Pfannkuchen. Aus reiner Gewohnheit hatte sie auch ein Gedeck für Jesse hergerichtet. Als sie es bemerkte, stockte sie kurz in ihrer Bewegung und blieb ganz starr. Edward nahm ihre Hand, sie aber zog sie weg, verweigerte den Körperkontakt und wandte sich ab. Edward ließ sie in Ruhe und fuhr seine Kinder zur Schule. Für sie musste der normale Alltag weitergehen, auch wenn er heute nicht an seine Arbeit denken konnte. Zum ersten Mal, seit dem überraschenden Tod von Amys Mutter im letzten Jahr, würde er nicht in die Kirche fahren. Würde keine Hausbesuche machen bei Problemfamilien. Keine Beratungsstunden abhalten für junge Brautpaare oder hilfesuchende Süchtige. Dieses Mal hatte er selbst ein sehr großes Problem, welches seine gesamte Aufmerksamkeit erforderte.

Kurz nach halb neun ertönte die Türklingel. Mit gemischten Gefühlen lief Edward zur Tür. Einerseits voller Hoffnung auf gute Nachrichten, Jesse sei gefunden worden, andererseits voller Angst, Jesse sei nicht gefunden worden. Sergeant DeWald kam in Begleitung zweier weiterer Personen in schicken Anzügen, eine Frau und ein Mann.

„Morgen, Reverend. Das sind die Agents Frank Wilson und Jeryl Donaldson vom FBI. Dürfen wir reinkommen?“ FBI? Edward wusste nicht, ob er erleichtert sein sollte, dass die Bundespolizei mitmischte oder nicht. Es beunruhigte ihn eher umso mehr. Im Wohnzimmer setzten sich die Gäste aufs lange Sofa, Edward selbst nahm in seinem Sessel Platz. Das FBI und DeWald wollten alleine mit ihm reden, Amy wurde zurück in die Küche geschickt, sie solle dort warten, bis die Agents Zeit hatten mit ihr zu reden. Angeblich wäre dies das übliche Verfahren laut Agent Donaldson.

Wilson übernahm das Wort. „Mr. Carson, ich muss ihnen noch ein paar Fragen stellen.“ Der Agent zückte ein Notizbuch und einen Stift.

„Natürlich. Was wollen Sie wissen?“

„Was ist Jesse für ein Mensch?“

„Jesse ist ein liebes kleines Mädchen, stets hilfsbereit und freundlich gegenüber ihren Mitmenschen. Ein kleiner Engel.“

„Ist ihnen in letzter Zeit an ihrer Tochter etwas aufgefallen? War sie anders als sonst?“

„Nein. Sie war wie immer.“

„Hat sie Probleme in der Schule? Streit mit Mitschülern, Lehrern? Was machen ihre Noten? “

„Nein. Jesse geht dem Ärger eher aus dem Weg, ist meistens mit Jerry zusammen. Ihre Noten lassen in manchen Fächern etwas zu wünschen übrig, aber sonst ist sie ganz gut. Sie strengt sich sehr an.“

„Hatte sie Streit mit ihren Geschwistern?“

„Dass sich Geschwister streiten ist für doch völlig normal, finden Sie nicht?“

„Wie läuft ihre Ehe? Gibt es da Probleme?“ Edward verstand nicht ganz, was seine Ehe mit dem Verschwinden seiner Tochter zu tun haben soll. Die weibliche Agentin erklärte ihm, dass solche Fragen wichtig seien. „Wir müssen uns ein genaues Bild von ihrer Tochter machen, ihrem Umfeld. Das hat uns bisher immer geholfen die Gesuchten zu finden.“

„Meine Frau und ich lieben uns, wie am ersten Tag. Wir lieben unsere Kinder. Wir haben zwar des Öfteren Meinungsverschiedenheiten, aber die schaffen wir gemeinsam wieder aus der Welt.“ Edward warf einen fragenden Blick zu DeWald, dieser schien heute nur als Beobachter anwesend zu sein, was Edward sehr missfiel. Er hätte sich mehr Unterstützung von ihm gewünscht. Mehr Anteilnahme. Agent Wilson fuhr fort. „Haben sie in letzter Zeit Jemanden gesehen, der Jesse beobachtet hatte? Gefolgt war?“ Edward musste nachdenken. Auf so etwas hatte er nie wirklich geachtet. Er musste die Frage schließlich mit einem „Das weiß ich nicht“ beantworten.

„Was wissen Sie über Jeremy und Andrea Paciello?“

„Jesse und Jerry sind seit dem Kindergarten befreundet. Die beiden verbringen fast die gesamte Freizeit miteinander. Jesse hat schon oft bei ihm übernachtet und auch umgekehrt. Andrea ist eine gut situierte Frau, die mitten im Leben steht. Sie ist erfolgreich im Beruf und eine herausragende Mutter.“

„Können Sie sich vorstellen, dass Andrea Paciello Jesse entführt hat?“ Spontan hätte Edward die Frage sofort verneint. Aber das Wort kam nicht aus seinem Mund, er ertappte sich dabei, dass er sich bereits selbst diese Frage selbst gestellt hatte, nur noch nicht über die Antwort nachdachte oder eher nachdenken wollte.

„Nein“, sagte er schließlich, eher zögerlich. „Das kann ich mir nicht vorstellen.“

„Kennen Sie sonst jemanden, der Ihnen oder Ihrer Familie schaden will?“

Edward verneinte. Wer sollte ihm schon schaden wollen? Er war schließlich Reverend von Beruf und kein Anwalt, Banker oder Polizist.

Agent Donaldson beendete die Befragung mit der Bitte sich in Jesses Zimmer umsehen zu dürfen, auf der Suche nach einem Hinweis für ihr Verschwinden. Edward nickte und verriet ihr den Weg. DeWald folgte ihr.

„Mr. Carson, wo ist ihre Frau? Ich würde mich gern auch mit ihr unterhalten?“

„Amy ist in der Küche, einfach den Gang entlang.“ Agent Wilson bedankte sich und ließ Edward im Wohnzimmer allein.


Edward nahm das Telefon in die Hand, wählte eine Nummer und wartete:

Der Teilnehmer ist im Moment nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.“ Luigi ging noch immer nicht an sein Handy. Bei Jesse, Jerry und Andrea meldete sich nach wie vor nur die Mailbox. Edward lief nach oben in Jesses Zimmer, wollte die Agentin und DeWald beaufsichtigen, während sie im Privatleben seiner Tochter rumschnüffelten.

„Mr. Carson“, fing Agent Donaldson an, als sie Edward in der Tür entdeckte. „Was ist das für ein Gerät?“ Die Agentin zeigte auf einen Apparat auf dem Nachttisch von Jesses Bett.

„Das ist Jesses Pari Boy, ein Inhalationsgerät. Meine Tochter leidet an Asthma. Sie muss daher regelmäßig Medikamente einnehmen.“ Donaldson warf Edward verdutze Blicke zu.

„Warum haben Sie uns das nicht längst erzählt?!“ Edward blieb relativ gelassen.

„Jesse trägt ihre Notfallmedizin um den Hals. Amy hatte ihr eine Kette dran gemacht, weil sie den Inhalator permanent irgendwo hat liegen lassen.“

Edward war insgeheim froh über Amys Idee mit der Kette. Oft genug hatte er mitbekommen, wie Jesse einen Asthmaanfall hatte und ihr Inhalator nicht zur Hand war. Zweimal hatte sie ihn sogar am Freitag in der Schultoilette vergessen, dann musste er seine Tochter am Wochenende in die Notaufnahme bringen.













Jesse

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