Читать книгу Tschinku im Gastland - Constant Kpao Sarè - Страница 7
&&& Familie Tschinku Wagner
ОглавлениеAm Ende des Semesters fiel die Entscheidung, die mich ganz und gar von allen Freunden trennen sollte. Uta hatte versprochen, mich zu unterstützen, bis ich mit meinem Studium fertig war. Je weiter die Schwangerschaft sich entwickelte, desto weniger konnte die Arme aber zur Arbeit gehen. Was mich anging, hatte ich nichts anderes zu tun, als meine Frau, meine liebe Uta aufzumuntern, als wäre ich auch schon einmal schwanger gewesen. Wenn sie gestresst oder schlecht gelaunt war, verwandelte ich mich wie auf Knopfdruck in einen richtigen Lobsänger. Ich versuchte ganz brav, Märchen, erfundene und wahre Geschichten, Gesänge, Volkslieder, Gedichte, Chansons, Witze und so weiter zu erzählen, um uns das gemeinsame Leben lebendiger zu machen.
Jedes Wochenende war für uns dieselbe Routine. Ich musste früh aufstehen und für uns Kaffee vorbereiten, den ich ihr ans Bett brachte. Wir tranken zusammen. Ich mochte es eigentlich gar nicht, etwas zu trinken oder zu essen, bevor ich überhaupt gebadet und die Zähne geputzt hatte. Aber ich musste mich daran gewöhnen. Ich hatte keine Wahl. Denn Uta mochte es so und war den ganzen Tag glücklich, wenn ich mit ihr am Bett gefrühstückt hatte. Nach dem Frühstück blieben wir noch im Bett. Für Uta war es leichter als für mich. Sie war daran gewohnt, sich zu langweilen und hatte ohnehin eine Faulenzernatur. Obendrein kam dazu, dass sie schwanger war. Du kennst noch den Spruch: „Der Wind ist immer willkommen für einen Vogel, der sowieso fliegen wollte“.
Uta lag also den ganzen Vormittag im Bett und ich musste meistens dabei liegen. Natürlich war das Kochen auch Männersache. Ich war die männliche Küchenfee im Haus. Du weißt selbst, dass ich damals schon gern gekocht habe. Aber diesmal blieb mir definitiv nichts andere übrig. Anstatt meine schwangere Frau vor Hunger sterben zu lassen, musste ich meinen Machoreflexen ein für alle Mal Einhalt gebieten. Außerdem war das Kochen für mich eine gute Abwechslung, wenn ich es satthatte, den guten Ehemann zu spielen. Indem ich meine Frau mit kalkulierten Küssen verwöhnte, verdrängte ich das alltägliche „mir tut dies oder das weh“, „mir ist schlecht“, „mir ist übel“ und so weiter.
Leider war meine Flucht in die Küchenangelegenheiten auch nicht die richtige Lösung, da Uta extra einen Hocker in der Küche installieren ließ, um mich beim Kochen zu beobachten und mich ständig mit „Schatz, bitte nicht zu scharf“, oder „Liebling, bitte nicht so viel Fett“ anzupöbeln. Am Anfang ging mir das ganze Theater auf die Nerven und ich reagierte mit „Wenn du schon weißt, wie es geht, dann koch doch selbst!“. Aber ich verstand ganz schnell, dass ich unser Zusammenleben mit meinen gereizten Nerven nicht angenehmer machte. Und so gewöhnte ich es mir an, Uta einfach immer zu zeigen welche Gewürze ich in welcher Menge benutzte, bevor ich sie in den Topf einwarf.
Die ganze Situation war mir nur peinlich, weil es nach der Geburt von Conny genauso weiter ging. Auch wenn ich von der Arbeit kam und Uta zu Hause war, hatte sie bereits auf mich gewartet, damit ich uns bekochte. Meistens hieß es: „Schatz, willst du ein belegtes Brötchen essen, bevor du kochst?“. Diese Frage nervte mich auch, aber ich hatte mich nicht beschwert. Ich hatte ihr nicht gesagt, dass ich die guten Brötchen bei der Arbeit aß und die von zu Hause nicht runter bekam. Ich hatte das nicht gesagt, seit sie mich zu Beginn ihrer Schwangerschaft danach fragte. Und da ich mich damit begnügt hatte, immer nur „nein“ zu sagen, ist diese Frage längst auch zur Gewohnheit geworden. „Gewohnheiten sind wie eine zweite Natur“, das wusste ich.
Apropos Gewohnheiten: weißt du, dass ich heute noch meinen Reis ganzschön sauber wasche, bevor ich ihn koche? Stell dir vor, ich nehme mir schön Zeit, um meinen teuren Basmati-Reis aus dem Pandschab oder meinen Riz parfumé auszusuchen, und trotzdem kann ich vor dem Kochen nicht vermeiden, das ganze Aroma wegzuwaschen. Meine Frau fragt natürlich immer: „Warum kaufen wir eigentlich diesen teuren Reis, wenn du sowieso den Beigeschmack wegwäschst?“. Aber die ganze Operation läuft bei mir im Unterbewusstsein. Sobald ich mit dem Reiskochen anfange, gellen mir die Worte meiner Oma im Gehirn, wie ein kategorischer Imperativ. Jedes Mal, wenn Oma ihren mit allerlei Steinsorten versetzten Bergreis kochen wollte, hatte sie ihn nicht nur stundenlang aussortieren, reinigen und waschen müssen, sondern auch immer wieder laut hörbar und eindringlich über die Lebensgefahr berichtet, die man eingeht, wenn man den ungewaschenen Reis isst. Obwohl sie im Grunde sehr wenig Ahnung vom Verdauungsapparat hatte - das Wort Appendizitis bedeutete bei ihr gewiss genauso viel wie Penizillin oder Aspirin - hatte Oma ständig und unermüdlich darauf hingewiesen, dass der Reis nie sauber genug sein konnte und dass man auf das Waschen nie verzichten sollte.
Mein Freund, das war nur eine Klammer über die Macht der Gewohnheiten. Aber kommen wir zu meinen belegten Brötchen zurück. Nicht nur weil Gewohnheiten eine zweite Natur sind, sondern auch weil die „Wiederholung pädagogisch ist“, hatte ich zugegebenermaßen ab und zu doch mein belegtes Brötchen gegessen. Und zwar wenn ich sehr hungrig von der Arbeit zurückkam. Wenn ich ehrlich bin muss ich zugeben, dass ich am Anfang sogar froh über das belegte Brötchen war. Auch wenn es fast immer gleich belegt war. Und wenn meine schwangere Frau bei meiner Rückkehr von der Arbeit nachfragte, ob ich noch ein Butterbrot wollte, war ich von ihrer Fürsorge berührt. Mussten manche meiner Kollegen, besonders die, die noch gattenlos waren, in der Kantine nicht jedes Mal Geld für genau dieselben belegten Brötchen ausgeben? Es waren wirklich dieselben Brötchen, die ich von meiner Frau bekam. Belegt mit Lyoner, Bierwurst, Fleischwurst, Fleischkäse, Käse, oder Salami, oder Frikadelle – je nachdem.
Ich schätzte mich somit eigentlich glücklicher als die anderen, die dieselben Brötchen für teures Geld in der Kantine kauften, die ich stattdessen einfach in meiner Arbeitstasche fand, ohne mir darüber Sorgen zu machen, wie sie dort gelandet waren. Die Frage, ob ich noch ein belegtes Brot wollte, wurde allerdings auf die Dauer sinnlos, da ich sie ohnehin sehr selten bejaht hatte.
Aber Barka, hab‘ keine Angst. Uta ist nicht mehr so. Jetzt kann sie gut kochen und tut es auch gern. Wenn du zu uns kommst, wird sie dich bestimmt mit ihrer Kochkunst begeistern. Manchmal überrascht sie mich sogar mit unseren Spezialitäten.
Uta hat mit dem Kochen angefangen, als ich eine Zeit lang krank war und für zwei Wochen ins evangelische Krankenhaus aufgenommen wurde. Ich wurde wegen eines Leistenbruchs operiert. Apropos Krankenhaus, das war das erste und bis jetzt überhaupt das einzige Mal, das ich beim Arzt war. Und wie es so schön bekannt ist, lernt man nie aus. Auch in meiner Lage als Patient musste ich unsere guten Manieren lernen. Ich hatte vorher zum Beispiel gar nicht gewusst, dass man einen Termin vereinbaren muss, bevor man zum Arzt geht. An dem besagten Tag war ich jedenfalls allein zu Hause. Uta war mit den Kindern auf einer Kinderparty, bei Burger King. Gott weiß, wie viele Mal ich meine Frau oder die Kinder zum Arzt gebracht hatte. Stell dir vor, Uta hat immer vorher angerufen, um Termin zu vereinbaren, und dein Afrikaner hat das nie mitbekommen.
Jedenfalls war ich diesmal allein zu Hause, als ich mich plötzlich schwach fühlte. Irgendwas hinderte mich daran, normal zu laufen. Ich zog mich aus und merkte, dass der Körperteil zwischen Oberschenkel und Bauch irgendwie geschwollen war. Ohne zu zögern fuhr ich direkt zu unserem Hausarzt. Als ich da ankam, fragte mich die Arzthelferin natürlich, ob ich Termin hatte. Und ich konnte meinen Ohren nicht glauben.
Ich: „Ich sagte gerade, ich bin krank und muss den Arzt sehen.“
Sie: „Ja, ich habe gehört. Aber Sie sollten immer zuerst anrufen, um einen Termin zu vereinbaren.“
In dem Moment fing ich an, die Geduld zu verlieren.
Ich: „Hören Sie zu, ich habe ja auch keinen Termin mit der Krankheit vereinbart. Wie kann ich denn vorher wissen, dass ich heute krank sein werde und vorher einen Termin vereinbaren?“
Sie: „Herr ...? Wie ist ihr Name, noch einmal?“
Ich: „Tschinku, T-s-c-h-i-n-k-u.“
Sie: „Ja, Herr Tschinku. Wie Sie sehen, klingt ihr Name für uns ganz anders. Ich hoffe, sie sind mir deswegen nicht böse.“
Ich: „Nein.“
Sie: „Okay, was ich sagen wollte: es ist nicht schlimm. Sie müssen nur ein bisschen warten.“
„Warten? Das ist sowieso der tägliche Lorbeer eines Afrikaners, dachte ich. Dafür könnte ich ganz locker die goldene Medaille bekommen“. Ich war entschlossen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und auf keinen Fall die Nerven zu verlieren.
Im Warteraum angekommen hatte ich allerdings meine Geduld auf die Probe stellen müssen. Ohne zu wissen, was auf mich zukommen sollte, saß ich geschlagene zwei Stunden lang auf glühenden Kohlen und schmökerte durch alle Prospekte und Kataloge des Allgemeinarztes. Ich las alle Lebensmottos, Bildstreifen und Witze, die aufs Papier gedruckt und an der Wand geklebt waren, um meine sich immer steigernde Nervosität zu verstecken. Ich blätterte durch Modezeitschriften, Comichefte, Boulevardpresse, Tageszeitungen, Wochenmagazine, um dadurch die Langeweile zu bekämpfen. Ich zählte alle Patienten auf, die kamen, und ohne zu warten zum Arzt gingen und entweder glücklich oder mit einem angsterfüllten Blick wieder rauskamen. Endlich durfte ich das Lächeln der Arzthelferin sehen, die mich bat, in den Untersuchungsraum einzutreten. Ich brauchte mich dann nur auszuziehen, und schon diagnostizierte der Arzt einen „Leistenbruch“:
- Sie haben Glück, dass Sie direkt zu mir gekommen sind. Waren Sie bei der Arbeit? Haben Sie schweres Material gehoben? Hätten Sie so weitergearbeitet oder wären Sie noch lange gelaufen, hätte es sein können, dass die hügelartige Beule die Sie hier sehen, aufgeplatzt wäre. Das wäre dann deutlich komplizierter. Ich werde Sie sofort ans Krankenhaus verweisen. Ich gehe davon aus, dass der Spezialist vor Ort Sie sofort operieren wird.
Das Wort, das ich so gefürchtet hatte, war gefallen: Operation. Und ob ich gelaufen war? Natürlich war ich bis zur Bushaltestelle und wieder von der Bushaltstelle bis in die Klinik gelaufen. Ich weiß nicht, ob die ganze Angstmacherei meines Hausarztes nur dazu diente, mich für die Operation vorzubereiten und meine Krankenkasse zum Trauern zu bringen. Jedenfalls waren nicht nur diese beiden Ziele erreicht, sondern auch ich war nun ausdrücklich darüber belehrt, dass ein Familienvater - auch wenn er Tschinku heißt - in diesem Land einen Führerschein besitzen musste. Denn nachdem ich sehr teuer für das Taxi bezahlt hatte das mich zum Krankenhaus fuhr, war ich entschlossen, in die Fahrschule zu gehen, wenn alles vorbei war. Und das tat ich auch, sobald ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde.
Das war also der Tag, an dem ich lernen musste, dass ich sowohl einen Termin mit der Krankheit und dann einen mit dem Arzt vereinbaren musste, wenn ich überhaupt krank sein wollte. Das war der Tag, an dem meine Frau lernen musste, dass das Wort „Handy“ die umgangssprachliche Form von „Mobiltelefon“ war und deswegen so genannt wurde, weil man es immer mitschleppen musste, um überall erreichbar zu sein. Da das kleine Gerät aber stattdessen ausgerechnet an diesem Tag ins Autotelefon verwandelt wurde, musste ich ganz geduldig darauf warten, dass Uta nach Hause zurückkam, bevor sie darüber informiert wurde, dass ihr Mann voll narkotisiert auf einem Operationstisch wie ein Stück Fleisch lag, nachdem er zwei Liter Wasser in einer Stunde trinken musste, damit sein Blut dünner wurde.
Das war der Tag, an dem Uta erfahren musste, dass die großen, imposanten Krankenhäuser schwächer als die immer winzigeren und leicht zerbrechlichen Handygeräte waren und deswegen die Priorität genossen, genauso wie die Fußgänger auf den Zebrastreifen das Vorzugsrecht vor den Autos besaßen. Nachdem sie meine verpassten Anrufe bemerkt hatte, hatte sie mehrere Male erfolglos versucht, mich zu erreichen und musste jedes Mal vollbremsen, wenn Fußgänger vorbeigingen, die es mindestens genauso eilig wie meine Chirurgen hatten.
Ehe Uta im Krankenhaus eintraf, war ich schon operiert und lag im Bett. So groggy wie nach einem Kampf. Ich war von der Narkose noch nicht ganz wach, als ich meine Frau und meine Kinder sehen durfte. Während einem ihrer täglichen Besuche im Krankenhaus kam Uta einmal mit einem Teller Riz au gras als gelungene Überraschung vorbei. Mittlerweile muss ich um meine Rechte als Küchenchef kämpfen, bevor sie mich kochen lässt. Unsere Kochstunden waren doch nicht umsonst. Glaubst du nicht, Barka?“
Diesmal konnte und wollte ich etwas sagen. Ich fühlte, dass ich unbedingt in meine Rolle als Kultusminister einsteigen musste, damit unsere Unterhaltung weniger privat wird. So sagte ich sprunghaft und mit dem ganzen Ernst:
- „Mein Freund, es gibt Geschichten, auf die wir oft zugreifen, wenn es darum geht, Angst einzujagen und dadurch Respekt zu predigen: Respekt vor den Älteren, vor der Tradition und der Vergangenheit oder vor der vorgeschriebenen Zukunft, wie in deinem Fall. Ich gebe dir ein Beispiel. Jahrhundertelang hatte man es in mündlichen Überlieferungen meines Sprachgebietes geschafft, die Untreue in der Ehe mit Hilfe einer einzigen Legende zu bekämpfen. Es ist nicht meine Ansicht, dir Angst einzujagen. Aber ich erzähle sie trotzdem, damit du siehst, welche Macht das kollektive Gedächtnis gerade in den Fragen der Moral und Ethik spielen kann. Du kannst meine Erzählung eine Schöpfungslegende nennen, wenn du möchtest. So etwa spricht der Griot, der Lobsänger, der Bewahrer der mündlichen Überlieferung unserer Tradition.“:
Der Große Gott, der Gott aller Götter, des Gottes der Meere, des Gottes des Donners, des Gottes der Fruchtbarkeit, des Gottes des Regens, ja, der Allmächtige Gott schaffte dieses gesegnete Land für uns. Er ließ alle diese Gottheiten vom blauen Himmel zu uns runterkommen, um uns alles zu gewähren, was wir brauchen. Brauchen wir Regen, so wenden wir uns an den Gott des Regens. Ist einer verzweifelt, weil er keine Kinder bekommen kann, so braucht er nur ein Opfer für den Gott der Fruchtbarkeit zu bringen.
Und der Allmächtige Gott gab uns nur ein einziges Verbot: „Du darfst nicht mit der Frau des Anderen ins Bett gehen!“. So sprach der blaue Himmel zu unserem Ururgroßvater. Und der Griot von unserem Ururgroßvater sprach zu unseren Urgroßvätern. Und der Griot unserer Urgroßväter sprach zu unseren Großvätern. Und der Griot unserer Großväter sprach zu unseren Vätern. Genauso muss ich heute zu euch sprechen, Kinder! Denn der omnipotente Gott sprach eines Tages aus seinem olympischen Thron: „Du darfst nicht mit der Frau des Anderen im Bett landen!“.
Und es passierte schon in der Generation unserer Urgroßväter, dass ein junger Mann - oh, wie schön war der! - von allen Frauen des ganzen Landstrichs begehrt wurde. Dieser junge Mann hieß Biti und gehörte einem Stammesverband, dessen Riten sowohl die Polygamie als auch die Polyandrie verboten. So makellos wie Biti war, war er schon mit fünfzehn mit der Prinzessin liiert. Und alle Götter segneten die Hochzeit. Durch diese Allianz wurde Biti ein Prinz und wohnte im Palast. Und die Frauen begehrten ihn immer noch.
Dann kam es doch, dass sich Biti in ein anderes Mädchen namens Trassi verliebte, das auch Augen für niemand Anderen als für Biti hatte. Und Biti musste sich zwischen seiner frischen Liebe und seinem neuen sozialen Stand entscheiden. Ließ er sich von seiner Frau, der Prinzessin, scheiden, so würde er so bettelarm werden, dass sogar Trassi, seine neue Liebe, von ihm nichts mehr wissen wollen würde.
Also sprach Trassi eines Tages: „Mein lieber Biti, unsere Herzen sind für immer gebunden. Und doch sind unsere Seelen getrennt. Lass mich bitte einen anderen Mann heiraten, dem ich meine Seele verschenken würde. Dir und nur dir würde für die Ewigkeit mein Herz gehören“. Diese enigmatische Sprache konnte Biti ganz schnell entziffern. Er antwortete: „Gut“.
Und Trassi heiratete Lebahu, den Griot des Königs. Und alle Götter segneten die Hochzeit. Tage vergingen und Biti konnte keinen idealen Treffpunkt finden, an dem er seine geliebte Trassi treffen konnte, um die Liebe prächtig sprechen zu lassen. So sagte er eines Tages dem Griot des Königs: „Lebahu! Wetten, dass du es nicht schaffst, zwei Tage lang ununterbrochen die Geschichte der königlichen Genealogie in der guten Reihenfolge zu rezitieren!“. Und Lebahu nahm die Wette an. Immerhin waren zwei Kühe als Preis ausgesetzt.
Schon am folgenden Tag, beim ersten Hahnkrähen, ging Lebahu ans Werk. „Top! Die Wette gilt!“ sagte Biti. Während der Wettpartner sich mit Ehrgeiz und Ausdauer konzentrierte, um seine Kunst möglichst lückenlos zu machen und seinen Namen in das Rekordbuch der Lobsänger schreiben zu lassen, verschwand Biti, um ganz unauffällig in die Ehewohnung des bald betrogenen Lebahus einzudringen. Dort beabsichtigte er, einen zweitägigen Urlaub mit seiner geheimen Liebe Trassi zu verbringen. Es geschah auch. Allerdings nicht, wie Biti es sich vorgestellt hatte.
Die Beiden hatten auf diesen Moment so lange gewartet. Es ging auch ganz schnell zur Sache, ohne dass eine des Prinzenstatus würdige erotische Stimmung mit Kerzen und teuren Parfums notwendig war. Küsse wurden getauscht. Es kribbelte den Beiden irgendwo unter der Gürtellinie. Schuhe flogen. Bluse und Gewand wurden vom Körper gerissen. Es rappelte bei den Beiden. Die Folge waren hysterisches Geschrei, lustvolles Gestöhne, quietschende Betten, feuchte Zungenküsse und schließlich ununterbrochener Koitus, ewiger Koitus.
Ja, Kinder, ihr habt richtig gehört. Das Glied blieb einfach in der Scheide stecken. Die besten Teile der beiden Sünder verwandelten sich in Hundegeschlechtsorgane. Wie bei der Hundekopulation nahm die Eichel an Volumen zu und bildete drinnen in der Scheide einen Knödel, so dass das Trennen der Beiden unmöglich war. Aufstehen ging nicht. Alle Bemühungen blieben erfolglos. So mussten die beiden Täter zwei Tage lang so aneinandergebunden bleiben, bis - Vertrag erfüllt, Wette gewonnen aber ganz erschöpft - Lebahu nach Hause zurückkam. Böse überrascht schaute er sich mit erstauntem Mund die Szene an, die da vor seinen Augen lief, ohne allen seinen Sinnesorganen vertrauen zu wollen.
Als die Erstaunenszeit überschritten war, unternahm Lebahu erfolglos, die beiden Sünder zu trennen. Es wurden zwei Mannschaften aus den kräftigsten Ringkämpfern gebildet, die jeweils den Mann und die Frau in gegenseitige Richtungen zogen, um sie auseinander zu bringen. Nichts half. Die beiden Mannschaften hatten sich keine Siegerehrung verdienen können.
Unter der Aufsicht des Königs wurde dann beschlossen, die Orakel zu befragen, was zu tun war, um den Fluch zu brechen. Gesagt, getan. Und der Himmel sprach abermals und legte als Sühne auf, dass beide Übeltäter jeden Tag auf den entsprechenden fünf Marktplätzen der Gegend zur Schau zu präsentieren seien, damit jedes Kind, jede Frau und jeder Mann demonstriert bekommt, was die Sünder erwartet. So wurden Biti und Trassi jeden Tag auf unterschiedliche Marktplätze transportiert und ausgestellt. „Kinder, habt ihr gesehen, was passiert, wenn man untreu ist?“ fragte jedes Mal Lebahu. Und die Kinder antworteten: „Ja, Biti ist nicht mehr unser Prinz“.
Am Abend des fünften Ausstellungstages, als der Markt zu Ende ging, wurden die beiden Sünder, wie aus Wunder, nach sieben Tagen auseinandergerissen, und sie liefen nackt in getrennte Richtungen fort. Seit diesem Tag hatte man kein Lebenszeichen von Biti und Trassi mehr bekommen. Und der blaue Himmel sprach wieder: „Gut, so sei es!“
„Ja, mein Lieber Jakubu. Diese Legende wurde von den Lobsängern von Generation zu Generation überliefert und weitergegeben. Man mag daran glauben oder nicht. Aber mit ausschließlich dieser Legende hatte das kollektive Gedächtnis es geschafft, mehrere Generationen so in Angst zu erziehen, dass niemand es wagte, den Schritt der Untreue zu überschreiten. Heiligt der Zweck nicht die Mittel? Aber ... ich sehe, du kennst solche Geschichten nicht mehr. Deswegen formuliere ich noch einmal meine Bitte: „Besuche uns von Zeit zu Zeit. Sogar deiner eigenen Sprache bist du jetzt unkundig geworden. Könnte es sein, dass du freiwillig entschieden hast, alles zu verlieren, uns zu verlieren?“
Ich wusste ganz genau auf welchem Gleis ich mich da bewegte, mit der Anspielung, Jakubu würde uns vergessen wollen. Aber die Provokation war absichtlich und perfekt und der Schlag gelungen. Denn mein Freund reagierte sofort mit:
- „Nein, um Gottes Willen. Verstehe mich nicht falsch! Ich will gar nichts verlieren. Ich will euch nicht vergessen und schon gar nicht meine Sprache. Euch vergessen? Ist das überhaupt möglich? Du hast hier auch eine Zeit lang gelebt, und du weißt genauso wie ich, dass es niemals möglich ist, die eigene Heimat zu vergessen. Im Gegenteil. Ich glaube, es ist immer die Heimat die einen vergisst. Du kannst sicher sein, dass ich an alle Menschen dort immer und immer wieder denken werde, die Toten wie die noch Lebenden. Aber versuche mal dir vorzustellen, wie viele Menschen dort noch an mich denken. Vielleicht denken Sie sogar, ich wäre tot. Und die haben Recht. Aber bei mir ist alles noch in Ordnung.
Ich habe alles im Kopf, im Gedächtnis, wie früher. Mein am Fuß des Bergs gelegenes Dorf, wo die Wohnungen, Hütten, Buden und sogar das Haus des Dorfchefs alle gleichförmig sind. Da, wo alle schmalen und verwinkelten Wege nicht nach Rom, sondern zum Dorf führen: Verbindungswege von Haus zu Haus, Fahrradwege von Ansiedlung zu Ansiedlung, Sackgassen, Feldwege, Fußwege, Wanderwege, alle haben ein und dieselbe Kreuzung, die auf dem Dorfplatz liegt. Da, wo bis auf die kleine Kapelle und die Moschee, alle Räumlichkeiten rund sind: die Wohnräume, Schlafzimmer, die Küchen, die Ställe, die Vestibüle, die Empfangshallen, die Getreidespeicher, das Missionshaus, das Spital, der Entbindungsraum. Da wo alle Häuser gleich schön sind, große wie kleine, reiche wie arme Häuser, alle gleich wie ausgegossen, mit ihren pyramidalen, strohgedeckten Dächern, ihren niedrigen Türen ohne Rahmen und Schlösser, ihren minimalen Fenstern ohne Scheiben, ihren zerstampften Bodenplatten, ihren mit Kompost verkleideten Außenwänden und ihren mit tonhaltigem Lehm tapezierten Innenwänden. Da, wo alle Menschen, je nach Jahreszeit, mal ein karges Leben, mal ein pompöses Leben führen, aber alle zusammen und gemeinsam. Da, wo am Tag dieselbe heiße Sonne für alle brennt, in der Nacht die gleichen Lampions für alle Haushalte flackern und bei Gelegenheit die einzige Kerosinstehlampe für alle auf dem Festplatz brennt. Da, wo alle am Tag ein und dieselbe Beschäftigung, die landwirtschaftliche Nutzung haben.
Solange der segenreiche Regen nicht auf sich warten lässt, schöpfen sie Kraft aus ihrer Hoffnung auf fruchtbare Ernten, um mit der Arbeit weiter zu machen. Jeder mal von seiner Seite, mal alle gemeinsam, für den Wohlstand des Dorfchefs zusammenzuwirken oder um dem sozialen Schwächling, dem familienarmen Bauer oder dem verspäteten Verwandten bei gewissen Aufgaben ein bisschen nachzuhelfen. Bei bestimmten Arbeiten wie Säen, streuen mit Dünger oder Ernten wird sogar Solidarität von den Frauen erwartet. Auch in diesem Land der klaren Aufgabenteilung zwischen Geschlechtern hat auch der Gemeinschaftsgeist manchmal Vorrang. Denn unabhängig von dem sozialen Stand darf man in dieser gottgesegneten Regenzeit keinen Zollbreit zurückweichen. Je pünktlicher sich das Zusammengehörigkeitsgefühl in dieser Periode manifestierte, desto weniger Krisen würde es in der Trockenzeit geben, und umso wundervoller würden die Festtage sein.
Man würde dann mehr Zeit dafür bekommen, um die Trommel vorzubereiten, die Lieder zu erproben, mit neuen Tanzschritten zu experimentieren, die Getränke zu bestellen, den Schnaps zu brennen, neue prachtvolle Kleider schneiden zu lassen, Wildbeute für die Angelegenheit zu beschaffen, oder einfach Viehsucht zu betreiben. Nur so wird das Dorffest grandios. Nur so haben die Junggesellen überhaupt eine Chance, die noch nicht vergebenen Herzen zu entdecken. Nur so kann man sich bei dem Gott des Regens bedanken.
Alles von dort, wo ich zu Hause bin, wo ich wirklich zu Hause bin. Dort, wo alle mich damals erkannt hatten, denen ich auf dem Dorf, in der Stadt, auf der Straße, auf dem Weideplatz, beim Klauen von Früchten, auf dem Fußballfeld, auf der Jagd, beim Angeln, oder auf dem Markt begegnete. Die Frauen, die Männer, die Kinder, die Älteren, die Jüngeren, die Jugendlichen, allesamt hatten sie mich erkannt.
Alle wussten wer ich bin, ein Tschinku, ein Sohn des Regens. Alle nannten mich ihren Sohn, ihren Enkelsohn, ihren älteren Bruder, ihren jüngeren Bruder, ihren Cousin, ihren Neffen, ihren Bekannten, ihren Verwandten, ihren Nachbarn. Ja, ich gehörte zu ihnen. Sie sprachen meine Sprache, unsere Sprache.
Nichts davon habe ich vergessen. Was glaubst du denn? Meine Muttersprache vergessen? Das kann ich niemals. Auch wenn ich hier niemanden finde, mit dem ich Taneka sprechen kann. Nee ... nee.“
„Ich bitte dich also noch einmal“, sagte ich, „Versuch mal, uns von Zeit zu Zeit zu besuchen!“