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Die böse Fee Tomma

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Zweimal ermahnte sie der Lehrer, nicht zu träumen, sondern zuzuhören. Es störte Abelia nicht, denn ab übermorgen würden Ferien sein, die Zeugnisse waren geschrieben und sie war in die neunte Klasse versetzt. Wozu da noch aufpassen? Sie lief als erste aus dem Gebäude und nicht einmal Carlos, der Schuld daran war, dass sie ihre langen Haare in letzter Zeit ab und zu offen trug, anstatt sie mit einem einfachen Gummiband zusammenzubinden, konnte sie bewegen, noch länger auf dem Schulhof zu bleiben. Lazarro sprang ihr freudig entgegen. Sein Blick schien ihr verschwörerisch. „Ich sag nie wieder dummer Hund zu dir“, versprach sie lächelnd im Dauerlauf.

Der Nachmittag zog sich zäh in die Länge, aber endlich war es Zeit, sich auf den Weg zu machen. Leichtfüßig erklomm sie die zerklüftete Steinformation des Delfinkopfes und spähte aufgeregt in das bewegte und leicht schäumende Wasser unter ihr. Die Felsen hatten eine Minibucht ausgebildet, in der Sand angespült worden war. Sie kletterten hinunter und Abelia setzte sich auf einen der Steine und überließ den Ministrand ihrem Hund. Aufgeregt starrten beide ins Wasser. Sie mussten nicht lange warten, dann sahen sie Almuts Kopf aus dem Wasser auftauchen und Sekunden später robbte sie auf den Sand. Bellend machte Lazarro Platz. Ganz kurz berührten sich die Schnauzen der beiden Tiere. „Wie ein Kuss“, dachte Abelia gerührt.

„Hallo Almut. Nun erzähl schon. Ich konnte die Nacht kaum schlafen“, forderte sie die Robbe auf.

„Nun also hört meine Geschichte: Mein Herr und ich lebten in Marokko, an der Nordwestküste. Er heißt Eneas und ist ein Edelmann. Er hat mich vor dem Ertränken gerettet und groß gezogen und ich bin ihm dafür eine treue Gefährtin und Wächterin geworden. Ihr müsst wissen, Eneas ist jung, sieht gut aus und ist reich dazu. Und ich … naja … eine Deutsche Dogge ist schon ziemlich ungewöhnlich in Marokko. Wir waren ein stolzes Paar.“

„Du scheinst Eneas sehr zu lieben, nicht wahr?“, fragte Abelia. Die Robbe sah Lazarro an und antwortete dann: „Ebenso wie er dich liebt. So sind wir Hunde eben.“

„Aber wieso bist du jetzt keiner mehr. Was ist passiert?“

„Nicht so ungeduldig.“

Es schien Abelia, als ob die Robbe grinste, als sie weiter erzählte: „Alle Menschen lieben Eneas. Nicht wegen seines Aussehens oder seines Geldes, sondern weil er ein wirklich gutes Herz hat. Er gibt viel von seinem Reichtum an andere ab und hat immer ein offenes Ohr für jeden, der seine Hilfe erbittet. Er ist so gut, dass Tomma sich für ihn interessierte.“ Die Robbe stockte bei dem Ausspruch des Namens.

„Wer ist das?“, fragte Abelia, doch die Robbe schwieg.

Lazarro stand auf und legte sich dichter an Almut heran. Er leckte ihr über die Schnauze und dann über das ganze Gesicht. Als er an den winzigen Ohren angelangt war, rief sie plötzlich: „Hör auf, das kitzelt!“ Und es hörte sich an, als kichere sie.

„Ich erzähl ja schon weiter. Ihr müsst wissen, Tomma ist kein Mensch. Sie ist eine böse Fee. Die böse Fee schlechthin. Jeder fürchtet sich vor ihr. Immer, wenn die Menschen glücklich sind, dann lässt Tomma etwas Schreckliches passieren. Ich hasse sie!“

Lazarro knurrte zustimmend und Abelia fragte ungläubig: „Und die hat sich in Eneas verliebt?“

„Nein! Sie ist zu keiner wahren Liebe fähig. Verliebt sein heißt bei ihr nichts weiter, als besitzen zu wollen. – Sie wollte Eneas und sie holte sich ihn“, presste die Robbe hervor.

„Was meinst du damit?“

„Tomma lebt in ihrem Palast. Wen sie mit sich nimmt, der kommt allein nicht mehr zurück. Denn der Palast liegt in der Welt unterhalb der Meere.“

„Und dorthin hat sie deinen Eneas verschleppt?“, fragte Abelia erschrocken. Sie konnte Almuts Trauer förmlich spüren.

„Ich habe die Gefahr geahnt und da habe ich meinen Herrn noch aufmerksamer als sonst bewacht. Ich wusste: Solange ich bei ihm war, konnte ihm nichts passieren, denn Tomma hat panische Angst vor Hunden, vor so großen wie mir allemal.“

„Und trotzdem ist es ihr gelungen?“, fragte Abelia mitfühlend, denn sie hörte die Selbstvorwürfe in Almuts Worten.

„Sie hat einen ihrer menschlichen Diener heimlich in das Haus meines Herrn geschickt, der hat ein Zauberpulver unter mein Fressen gemischt hat. Es hat nicht anders als sonst geschmeckt und ich habe es gefressen.“

„Und dann?“ Abelias Blick hing an der Schnauze der Robbe, um ja kein Wort zu verpassen.

„Ich fiel in einen tiefen Schlaf und am Morgen hatte ich die Gestalt einer Mönchsrobbe. Eneas erschrak fürchterlich, als er erwachte. Ich nicht minder. Ich war völlig verwirrt. Doch dann merkte ich, dass ich die Menschensprache beherrschte. Ich sagte Eneas, dass ich Almut, seine Dogge sei und er glaubte mir. Wir wussten beide, wer dahinter steckte.“

Abelia beugte sich weiter vor. Hatte sie da wirklich Tränen in Almuts Augen gesehen? Nein, Robben konnten nicht weinen. Es mussten Wasserspritzer von der Gischt sein. Aber vielleicht … was war an dieser Robbe schon normal?

„Eneas brachte mich zum Meer und bestand darauf, dass ich mich zur Sicherheit einer vor der Küste lebenden Gruppe der Mönchsrobben anschließen sollte, bis es ihm gelungen sein würde, ein Gegenmittel des Zauberpulvers zu finden. Auf dem Weg zum Strand rief ich allen Hunden, die wir trafen zu, sie sollten an meiner Stelle über Eneas wachen. Doch in der Nacht holte sie ihn.“ Almut schwieg und legte ihren Kopf erschöpft auf den Sand. Abelia stand auf und drängelte sich zwischen Lazarro und die Robbe, um sie zum Trost ausgiebig zu streicheln.

„Du Arme. Haben die anderen Hunde es dir erzählt?“

„Ja“, antwortete Almut nur und ihre Stimme schien unendlich müde.

„Was hast du nun vor, liebe Almut?“

„Zuerst schwamm ich wie wild vor Trauer wochenlang hinaus ins weite Meer, weg von der Gruppe und außer Sichtweite der Küste. Doch dann merkte ich, dass es meinem Herrn am wenigsten half, wenn ich verhungern oder von Fischernetzen gefangen würde. Ich musste wenigstens irgendetwas tun. Ich begann, allen Meeresbewohnern meine Geschichte zu erzählen und sie zu fragen, ob sie eine Lösung wüssten. Ich traute mich sogar, einen einsamen Fischer in einem kleinen Boot zu fragen. Er sah mich zwar erst erstaunt an. Aber dann erzählte er mir seine Geschichte, die nicht minder traurig war wie Eneas’ und meine. Er sei mit seinem erwachsenen Sohn in einer absolut windstillen und klaren Vollmondnacht zum Fischen hinausgefahren. Sie hätten geredet und gelacht und dann wären sie, auf den Morgen und ein hoffentlich volles Netz wartend, eingeschlafen. Als er aufgewacht sei, sei der Sohn verschwunden gewesen. Voller Verzweiflung wäre er in das Wasser gesprungen und hätte überall nach ihm getaucht. Doch vergebens. Seitdem sei er nie wieder bei windstiller Vollmondnacht hinausgefahren. Auch an Land suchte er seinen Sohn, in der irrsinnigen Hoffnung, er hätte es vielleicht schwimmend an Land geschafft. Alte Fischer hätten ihm erzählt, dass nur in einer solchen Nacht die Türen des Palastes der bösen Fee für Tier und Menschen offen stünden und es deshalb sehr gefährlich sei, auf Meer hinauszufahren.“ Abelia hatte während der Erzählung zum Himmel geschaut. Die Sonne stand kurz vor ihrem Untergang und am anderen Ende des Horizontes konnte sie klar die Mondsichel erkennen. Es war heute also kein Vollmond.

„War eine solche Nacht auch, als sie deinen Herrn holte?“, fragte sie und die Robbe nickte. Lazarro bellte mit einem Mal fordernd Almut und sein Frauchen an.

„Was will er?“, fragte Abelia.

Doch die Robbe hörte offenbar erst aufmerksam dem Hund zu, bevor sie antwortete: „Lazarro meint, dass wir nur warten müssten bis zur nächsten windstillen Vollmondnacht und dann würde er mich begleiten und wir könnten meinen Herrn befreien.“

„Tapferer Lazarro“, lobte Abelia und pflichtete ihm bei: „Das ist eine gute Idee und ich komme auch mit. Gemeinsam schaffen wir das.“

„Ihr seid sehr mutig. Aber es geht nicht. Ihr wärt allein. Ich könnte als Robbe nicht in den Palast. Ich muss erst das Zaubergegenmittel finden. Dann, wenn ich wieder eine große Dogge wäre, hätten wir vielleicht eine Chance.“ Almut tauchte kurz unter Wasser, um sich den Sand aus dem Gesicht zu waschen. Als sie wieder auftauchte, wirkte sie entschlossener und zuversichtlicher.

„Ein Delfin erzählte mir, dass es in Huera eine gute Fee gebe, deren Zauberkraft um ein Vielfaches stärker sei als die Tommas’. Nur, Huera liegt nicht am Meer. Wie soll ich dorthin kommen?“

Dieses Mal brauchte Abelia keinen Dolmetscher. Sie sah ihren Hund an und eine feste Erwiderung ihres Blickes aus seinen großen braunen Augen überzeugte sie, dass sie beide das Gleiche dachten. „Wir werden es für dich holen.“

„Es könnte gefährlich sein. Und wie willst du allein dorthin gelangen? Und …“

Abelia unterbrach die Robbe. „Ab morgen habe ich große Ferien. Ich werde mir etwas einfallen lassen. Keine Sorge. Und jetzt erzähl alles ganz genau, was du über diese gute Fee weißt.“

Abelia und die Mönchsrobbe

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