Читать книгу Abelia und die Mönchsrobbe - Cordula Hamann - Страница 5

Der Aufbruch

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„Was heißt das: Du fährst nicht mit uns in die Ferien?“, brauste die Mutter auf.

„Was willst du denn nur machen, Kind?“, fragte der Vater besorgt.

„Onkel Pete passt auf mich auf. Ich könnte im Garten spielen, mich mit meinen Freundinnen treffen. Wisst ihr eigentlich, dass Marie und Susanne auch nicht verreisen. Ich könnte sie besuchen oder …“

„Ich versteh dich nicht. Bei der Tante in den Bergen hat es dir doch immer gefallen“, unterbrach sie die Mutter und Abelia spürte, dass sie auch ein wenig beleidigt war, dass ihre Tochter das Alleinsein vorzog.

„Hat es doch auch, Mutter“, besänftigte Abelia sie. „Aber diese Ferien möchte ich einmal hier zu Hause verleben.“

„Aber so allein. Kind, ich mache mir Sorgen“, gab der Vater zu bedenken.

„Onkel Pete ist doch da. Vater, vertraust du mir?“

Onkel Pete arbeitete schon seit Abelias Geburt auf dem Hof der Eltern. Er war so lieb, dass er für Abelia wie einen zweiter Vater geworden war. Ihm erzählte sie alle Geheimnisse, die sie den Eltern besser verschwieg. Der Vater zögerte nur kurz und nickte dann.

„Dann ist alles gut. Ich wünsche Euch schöne Ferien. Grüßt mir die Tante schön, ja“, nutzte Abelia fröhlich das kurzfristige Schweigen der Eltern und schon war sie aus dem Zimmer.

Sichtlich schweren Herzens fuhren die Eltern sehr früh am nächsten Morgen allein in die Ferien. Abelia schlief noch. Als sie wach wurde, fand sie einen Zettel ihrer Mutter vor: „Meine liebe Abelia, noch ist genug Essen und Trinken im Haus. Pete wird, solange wir weg sind, im Haus Gästezimmer schlafen. Er wird dir auch Geld geben, wenn du neues brauchst. Geh sorgsam damit um und verliere es nicht. Und geh auf gar keinen Fall in der Dunkelheit allein hinaus. Onkel Pete wird dich abholen, wenn du länger bei deinen Freundinnen bleibst. Ich habe mit Susannes und Maries Mutter gesprochen. Die Mädchen dürfen auch mal hier bei dir schlafen. Bis bald. Pass gut auf dich auf. Deine Mama.“

Abelia erschrak. Sie hatte gehofft, die Mutter würde das Geld zum Einkaufen dort lassen, wo sie es immer hatte: in der alten unansehnlichen Schachtel im Küchenschrank. Woher sollte sie nun das Fahrgeld für den Zug nach Huera nehmen? Sie hatte etwas Taschengeld gespart, aber bei weitem nicht genug. Huera lag fünfhundert Kilometer entfernt und entsprechend teuer war die Fahrkarte. Trotzdem. Es musste sich irgendein Weg finden, um der armen Almut zu helfen. Schnell, bevor Onkel Pete zum Frühstück herunterkam, griff Abelia nach Zettel und Stift: „Lieber Onkel Pete. Bitte vertrau mir und verrate mich nicht. Ich muss etwas sehr wichtiges erledigen. In spätestens drei Tagen bin ich wieder da. Bitte, bitte, sag meinen Eltern nichts und mach dir keine Sorgen. Ich nehme Lazarro mit. Ich hab dich lieb. Deine Abelia“

Sie rief ihren Hund. „Komm, lass uns packen; mir wird schon etwas einfallen.“

Nachdem sie auch das Gartentor hinter sich zugezogen hatte, lief sie zielstrebig in Richtung Hauptstraße. Lazarro bellte hinter ihr und blieb immer wieder stehen. Sie spürte, dass er mit ihrem Aufbruch nicht einverstanden war. Doch sie ging festen Schrittes weiter. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als hinter seinem Frauchen herzutrotten. „Es wird sich schon eine Möglichkeit finden. Du wirst schon sehen“, ermutigte sie Lazarro, sein Ohren nicht so hängen zu lassen.

Nach zwanzig Minuten hatten sie die Hauptstraße erreicht, die im großen Bogen um ihr Dorf herumführte. Sie stellte sich direkt an die Bordsteinkante, hob den Arm mit einem ausgestreckten Daumen in die Höhe und blickte fröhlich dem mäßig fließenden Verkehr entgegen. Sie musste nicht lange warten, bis der Fahrer eines kleinen Lastwagens anhielt. Er hatte auf der offenen Ladefläche Obstkisten geladen. Ein gewohntes Bild, denn es gab viele Bauern in der Gegend. Ein freundlicher junger Mann hieß sie willkommen, doch als er den Hund sah, sagte er: „Nein, mein Fräulein, der Hund muss nach hinten. Hier vorne kommt mir kein Viech herein.“ Abelia warf Lazarro einen entschuldigenden Blick zu, aber der sprang bereits verständnisvoll auf die Ladefläche und suchte einen geschützten Platz zwischen den Kisten. „Mein Hund ist kein Viech“, murmelte sie, als sie in die Fahrerkabine auf den Beifahrersitz kletterte. Sie durfte nicht zu unfreundlich sein, denn schließlich sollte der Fahrer sie möglichst weit ihrem Ziel entgegenbringen. Also grinste sie ihn gleich nach ihrem Widerspruch freundlich an. Der junge Mann schüttelte nur lachend den Kopf und fuhr los.

Er war auf dem Weg, einen Teil seiner Ernte auf dem großen Markt der nächsten Stadt an Händler verkaufen, die die Ware dann weiter in andere große Städte oder außer Landes brachten.

„Warum verkaufst du nicht das Obst auf unserem Markt?“, fragte sie erstaunt. „Warum fährst du hundert Kilometer dafür?“

Er lachte wieder. „Weißt du, wie viele Bauern es hier in der Gegend gibt? Und wie wenig Menschen in den Dörfern und kleinen Städten um uns herum wohnen? Auf unserem Markt könnte ich nicht ein Zehntel meiner Ernte verkaufen. Nein, das ganze Land isst unser Obst. Sogar die Menschen in fernen Ländern.“

Sie nickte und ärgerte sich über ihre dumme Frage. Sie unterhielten sich angeregt und so verging die Zeit wie im Flug.

„Ich lass dich am großen Markt heraus. Vielleicht findest du einen Bauern, der aus der entgegengesetzten Richtung zum Markt gekommen ist und nun wieder nach Hause fährt“, schlug der junge Bauer vor.

Abelia schenkte ihm zum Abschied und zum Dank ein großes Stück selbstgebackenen Kuchen ihrer Mutter.

Ermutigt durch den problemlosen Beginn ihrer Reise, sah sich Abelia neugierig auf dem Parkplatz vor den Marktgebäuden um. Aufmerksam studierte sie die Nummernschilder der Fahrzeuge. Ein Mann mittleren Alters ging auf einen der Laster zu, der ein Kennzeichen trug, das Abelia nicht kannte. „Komm Lazarro! Den fragen wir.“

Ihre Vermutung war richtig. Der Bauer kam aus einer Stadt, die ungefähr 150 km entfernt lag. Sie nahm allen Mut zusammen, denn er sah keineswegs so freundlich aus wie der Fahrer aus ihrem Heimatort.

„Von mir aus kannst du mitfahren“, brummte der Mann, nachdem er sowohl Abelia als auch Lazarro eingehend gemustert hatte. „Aber der Hund muss nach hinten.“

Oh je, schon wieder ein Hundehasser, dachte sie und tätschelte kurz Lazarros Kopf, bevor er auf die Ladefläche sprang, wo außer leeren Obstkisten nur ein paar Holzscheite und alte Jutesäcke lagen.

Es kam kein Gespräch zustande. Auf jede ihrer fröhlichen Fragen brummte der Bauer nur knappe Antworten oder schwieg einfach. Ihr war unwohl zumute, denn ab und zu sah der Mann zu ihr herüber, als prüfe er etwas. Unwillkürlich schob sie die Schultern nach vorn, um ihre kleinen Brüste, auf die sie eigentlich doch so stolz war, möglichst unsichtbar zu machen. Gut, dass sie ihre langen blonden Haare für die Reise fest zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Nachdem ein Junge aus der Neunten ihr gesagt hatte, sie sehe mit offenen Haaren viel hübscher aus. Wenn doch nur Lazarro neben mir säße. Sie drehte sich zu dem kleinen Fenster um, durch das man auf die Ladefläche blicken konnte. Lazarro hatte sich dicht an das Fenster gesetzt und seinen Kopf auf die in der Ecke gestapelten Holzscheite gelegt, so dass er in das Innere der Fahrerkabine sehen konnte.

„Du hast kein Geld für eine Fahrkarte, oder?“, fragte der Bauer mit einem Mal.

„Nein, also ich habe schon Geld. Meine Eltern. Aber im Moment habe ich keines bei mir. Deshalb musste ich jemand bitten, mich mitzunehmen.“

„Aber du wohnst nicht in der Richtung, in der wir fahren, nicht wahr?“ Wieder musterte er sie vom Kopf bis Fuß.

„Ich, ähm, ich fahre zu meiner Tante. Die wohnt da.“ Sie sah aus dem Fenster. Sie fuhren gerade über einsame Landstraßen, links und rechts der Straße waren steile Berghänge ohne Bewuchs; von Wegen oder Häusern war weit und breit nichts zu sehen. In dieser Gegend konnte sie ihn unmöglich bitten, sie aussteigen zu lassen. Zur Beruhigung summte sie eine erfundene Melodie vor sich her. An der nächsten Tankstelle würde sie aussteigen. Soviel war gewiss.

Abelia und die Mönchsrobbe

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