Читать книгу Die sieben Todsünden - Corey Taylor - Страница 7

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Bevor es weitergeht, muss ich erst mal was klarstellen. Mir ist bewusst, dass ich einige Leute provozieren werde und mich somit zahlreichen Beschimpfungen aussetze, aber offen gesagt, habe ich so was schon erlebt. Hier kurz eine Tatsache. Ich weiß es und du weißt es. Tief in uns, in diesem bizarren Wartezimmer, das wir Seele nennen, sind wir uns alle einig, dass die bekannte Komikerin Roseanne Barr niemals lustig war – das ist eine unumstößliche Wahrheit. Niemand traut sich eine weitere Meinung offiziell zu verkünden, und so bin ich der Motherfucker, der das macht.

Kino-Nachos sind keine echten Nachos.

Sie sind es nicht! Kino-Nachos sind nicht mehr als Chips und Dip. Zuallererst haut man sich seine Nachos nicht selbst zusammen, und schon recht nicht in einem großen, dunklen Saal ohne Tisch. Zweitens: Echte Nachos sind mehr als beschissene Tortilla-Dreiecke in luftdicht verschlossenen Plastikbecherchen, voller würzigem, glibberigem Käse – und mir ist es scheißegal, wie lange der Mist in der Mikrowelle gebrutzelt wird.

Wahre Nachos sind ein unvergleichliches Erlebnis, eine den Gaumen betörende Mischung aus Fleisch, Käse, Pfeffer, Hühnchen, saurer Soße, Avocado-Pürree und knusprigen Maiswürstchen, zubereitet für zwei oder mehr Personen, die es darauf abgesehen haben, einen Frontalangriff auf die Magenwände zu starten. Nachos müssen eine gigantische Feuersbrunst im Mund entfachen, eine majestätische Tex-Mex-Erfahrung sein, bei der jeder Biss zu einer einzigartigen Delikatesse wird.

Kino-Nachos dagegen sind eine verdammte Verarsche. Sie sind der deutliche Hohn auf alles Essbare und eine Verarschung der Moral. Die Industrie hat so eine beschränkte Sichtweise, dass sie nicht mehr weiß, was einen Snack ausmacht, versucht damit eine ehemalige Gaumenfreude wieder ins Spiel zu bringen. Es ist nicht unsere Schuld, dass sich ihre Verkaufsschlager seit Jahren nicht geändert haben – Popcorn, Limo und Süßigkeiten. Das haben sie sich selbst zuzuschreiben. Hätten sie uns eine breitere Palette an Leckereien angeboten, wäre jetzt diese dämliche Diskussion überflüssig. Ich aber werde nicht meine geliebten Nachos dem Diktat der Konzerne opfern. Mit jedem Atemzug werde ich für meine unverfälschten, reinen und unglaublich raffinierten Nachos kämpfen. Mit jedem Atemzug, ihr Motherfucker.

Gut, jetzt bin ich so richtig angepisst. Also ist es der ideale Zeitpunkt, um über Zorn zu sprechen.

Du kennst das Gefühl. An beiden Seiten deines Blickfelds tauchen schwarze Balken auf. Deine klare Sicht verschwimmt. Du kannst schon die Dämonen erkennen, die deinem Blick folgen, der durch den Raum schweift. Deine Mundhöhle wird trocken. Statt der Spucke scheint sich ein gefährliches Gift gebildet zu haben. Die Fäuste ballen und öffnen sich, und aus der Handinnenfläche rinnt Blut, das sich auf die traurige Reise zu deinen Fingern begibt, eine Art Karte von den Ereignissen zeichnet, die zu dieser labilen Gemütsfassung führten. Psychologisch betrachtet sind jetzt unterschiedlichste Ausdrucksformen möglich. Du kannst laut und aggressiv werden, deine Freunde und die Familie beschimpfen, fluchen und/oder intellektuell auf das unterste Niveau abstürzen. Es ist auch möglich in eine Todesstille zu verfallen, der so genannten Ruhe vor dem Sturm. Mit der Stille erstickst du die Umwelt, die ahnt, dass gleich die Hölle aus den Tiefen ausbrechen wird. Doch es gibt eine Parallele zu einer anderen Emotion. Die Leidenschaftlichkeit des Zorns oder der Wut lässt sich in ihrer Intensität kaum von der Liebe unterscheiden – beide bilden jeweils ein episches Ende des Malstroms, der uns zu Menschen macht.

Klar, das ist leicht gesagt. Es ist leicht, sich poetisch über diesen simplen Mechanismus auszulassen. Wir alle kennen das Gefühl nur zu gut. Einige Menschen weinen, die anderen schreien sich den Hals blutig. Aber letztendlich ist es die „Sünde“ auf unserer Liste, die uns alle eint. Die meisten können mit ihrer Lust, ihrem Appetit, der Antriebslosigkeit, der Eigennützigkeit und der Begierde umgehen oder unterdrücken sie ganz einfach.

Aber bei uns allen brennt mal eine Sicherung durch.

Gib es zu.

Gib es verdammt noch mal zu.

Wir alle rasten mal aus.

Persönlich kann und möchte ich das nicht verurteilen.

Wut empfinden, bedeutet zu fühlen. Auch Liebe und Hass sind starke Emotionen. Aber die beiden zuletzt genannten Gefühle zählen nicht zu den „Tödlichen Sieben“.

Das stimmt doch, oder?

Es gibt einen feinen Unterschied, warum die Wut/der Zorn keine Sünden sind. Als Ventil wirken sie kathartisch, also befreiend. Es gibt ein gutes Gefühl, sich den Scheiß von der Seele zu schreien, auch wenn dieser Scheißhaufen in den Haaren eines anderen landet. Wir nörgeln, schreien, beschweren uns, lassen Dampf ab, zetern, toben, giften uns an und versuchen so etwas loszuwerden, weil es sich wirklich gut anfühlt. Das kann doch nichts Negatives sein! Für uns ist das eine Art auszuatmen, die stickige Luft zu reinigen und zu dem zurückzukehren, womit sich diese Spezies namens Mensch die Zeit vertreiben sollte – in den Straßen zu tanzen und Freude am Leben zu empfinden.

Wie dem auch sei, der Zorn ist die einzige „Sünde“ auf der Liste, der eine Dunkelheit ausstrahlt, die sofort wahrgenommen werden kann. Die Emotion kann augenblicklich ausgelöst werden. Mit anderen Worten – der Zorn ist ansteckend. Er kann wie ein Blitz in deine Realität fahren und eine Trauer verursachen, die dein ganzes Leben lang anhält.

Glücklicherweise wird ein starker Charakter den Menschen beschuldigen und nicht den Zorn.

Unglücklicherweise habe ich selbst erlebt, welch ein Schaden Wut anrichten kann.


Mit elf Jahren machte ich diese Erfahrung, und danach fühlte ich mich nie wieder unschuldig. Ich musste schnell erwachsen werden, und das war ein Job, den ich vermasselte, zumindest in einigen Bereichen. Es ist schon erstaunlich und traurig, was wir manchmal über uns ergehen lassen müssen, nur um zu überleben. Als ich mit der hässlichen Seite der Menschheit konfrontiert wurde, zerbrachen mein Weltbild und das Gefühl des Schutzes und des Geborgenseins.

Meine Schwester und ich blieben nach einem Barbecue in dem Haus eines „Freundes“ meiner Mutter. Es lag nur einige Meilen von unserem Zuhause entfernt. Ich glaube, alle Gäste übernachteten da, denn jeder war voll bis obenhin und wollte nicht besoffen zurückfahren. Vielleicht wollten sich die Leute am Morgen aber noch einen genehmigen, um dann wieder zu den „Verpflichtungen“ des realen Lebens zurückzukriechen. Was für ein Schwachsinn! Niemand fühlte sich zuständig, mich und meine Schwester zu beschützen und abzuschirmen. Schon jahrelang peinigten uns alle nur erdenklichen Schattierungen des Hasses und der Wut, doch an diesem Abend sollte es noch schlimmer kommen. Was geschieht mit dir, wenn plötzlich die ganze Welt auf dich einstürzt?

Meine Schwester und ich hielten uns im Wohnzimmer auf. Wir hatten beide jeweils eine Couch zum Pennen. Die Bewohner des Hauses möchte ich mal Jim und Sadie nennen, vor allem, weil ich mich lange Zeit bemüht habe, ihre Namen zu vergessen. Sie stellten so was wie „professionelle Jugendliche“ dar, denn obwohl in den Dreißigern, verhielten sie sich noch wie 16-Jährige. Delinquenten beim Bluffen zuzuschauen wirkt manchmal so, als würden Affen Poker spielen. In dem Moment, in dem es so scheint, als wüssten sie, was sie machen, scheißen sie andere Leute an. Jim war arbeitslos, aber im Grunde genommen noch am meisten „beisammen“. Er verbrachte sogar die Zeit mit uns, machte Lunch und kümmerte sich um alles. Sadie lässt sich, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, als eine miese, versoffene Drogenabhängige beschreiben – einfach ein Loch, in das Männer ihr Ding rein steckten. Und sie dachte noch, diese Typen gäben wirklich was auf sie. Sie hatte drei Kinder von drei verschiedenen Kerlen, und um alle kümmerte sich Jim – Respekt, mein Freund! Sie war eine zweitklassige Frau in drittklassigen Klamotten – unausstehlich, laut und ignorant. Sadie scherte sich um nichts, und machte keinen Hehl daraus. Ich werde nie verstehen, wie Jim es mit so einer schäbigen Schlampe aushalten konnte. Aber er lebte ja nicht allzu lang mit ihr zusammen.

In dieser Nacht, nach dem Barbecue, hatte sich Sadie abgesetzt, um auf eine andere Party zu gehen – ohne jemanden Bescheid zu sagen. Sie verließ die Kids ohne nachzudenken, um noch mehr Alkohol zu kippen und sich anderen Scheiß zu besorgen. Ich glaube, meine Mutter begleitete sie, denn ich kann mich nicht erinnern, wo Mum in dieser Nacht schlief. Ich beobachtete Jim, der stündlich wütender und wütender wurde, denn Sadie ließ auf sich warten. Er brachte ihre Kinder ins Bett. Immer noch kein Zeichen von ihr. Er setzte sich mit mir und meiner Schwester vor den Fernseher. Nichts. Kurz danach schliefen wir auf der Couch ein. Jim schlummerte in seinem Lehnstuhl. Noch immer war sie nicht aufgeschlagen.

Ich wachte auf, als jemand an die Haustür hämmerte und laut schrie. Gerade als ich neugierig meinen Kopf hob, wurde klar, dass es kein Hämmern, sondern lautes Treten war. Da trat jemand mit voller Kraft gegen die Tür, weil der Sicherheitsriegel das Schloss blockierte.

Alles lief in Zeitlupe ab: Jim sprang aus dem Sessel, die Tür sprang mit einem lauten Bersten auf und Sadie stand da, ein Fuß noch auf dem Treppenabsatz.

Dann schlug ihr Jim voll ins Gesicht.

Sadie flog rückwärts in den Vorgarten, viel zu besoffen um sich zu verteidigen. Sie schrie um Hilfe und verdammte Jim mit jedem nur erdenklichen Fluch. Er hatte die ganzen Stunden der Stille ertragen, in denen sie eine Party feierte, um ihre Leere zu überspielen, und ihn ohne schlechtes Gewissen mit einem Haus voller Kinder zurückließ – die noch nicht mal seine eigenen waren. Er konnte nur noch seine Füße spüren, mit denen er ihr in den Rücken trat. Dann fiel er über Sadie her und würgte sie. In der Ferne hörte ich eine unbekannte Stimme, die die beiden „heißblütigen Liebenden“ warnte, dass gleich die Cops kämen. Aber Jim war das egal – er empfand sich als Mensch, der verarscht und ausgenutzt wurde, in Bezug auf seine Wünsche und Bedürfnisse degradiert auf einen flüchtigen Gedanken seiner „Freundin“. Wie ein außer Kontrolle geratener Dampfkessel stand er vor dem Platzen, würde nicht schnell jemand das Sicherheitsventil aufdrehen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Wut abzulassen, die sich aufgestaut und angesammelt hatte. Er wirkte wie eine Bombe mit zwei Fäusten, wie ein Vesuv auf zwei Beinen. Er wollte zerstören.

Ich beobachtete das alles, auch das unvermeidbare Nachspiel. Sadie versuchte zu flüchten und Jim verfolgte sie, ohne dabei an die Kinder zu denken. Ich setzte mich hin und wartete mit den jüngeren Kids. Die Cops tauchten auf, Hände auf die Pistolen gelegt. Meine Schwester fing an zu weinen und steckte damit die anderen an. Ich erklärte den Polizisten, dass die beiden weggerannt waren. Einige Cops liefen in die ungefähre Richtung. Irgendwann später führten sie Jim in Handschellen ab, während Sadie in einem Polizeiauto saß und wie wild schrie. Ein Beamter fragte mich nach der Telefonnummer.

Ein entfernter Freund meiner Mutter kam, um uns abzuholen und nach Hause zu bringen. Die Sonne ging auf. Mehrere Tage lang sagte meine Schwester nichts mehr. Wir sahen diese Leute nie wieder.

Die Wut an sich ist keine Sünde, kann aber ein Auslöser sein, Sünden zu begehen. Wenn wir Gefühle aufstauen und uns nicht eingestehen, dass wir den Ärger zulassen müssen, wird das zu einem richtigen Problem. Es kann ziemlich viel Mist passieren, wenn sich die Leute selbst täuschen und einreden, alles wäre in Ordnung. Ich bin mir sicher, dass Jim ein echt anständiger Kerl war, und Sadie sich um ihre Kinder Gedanken machte. Dieses Urteil basiert natürlich auf den vagen Erinnerungen eines Elfjährigen. Die genauen Geschehnisse sind im Rückblick eher verschwommen, die damit verbundenen Gefühle empfinde ich aber nach wie vor umso deutlicher. Diese Erfahrung blieb wie Scheiße an mir kleben. Niemand schützte mich und meine Schwester vor dem puren Hass und der tobenden Wut. Damit wurde mir klar, dass ein Mensch mit dem „richtigen“ Schubs und dem „richtigen“ Druck zu jeder Zeit verletzt werden kann. Das wiederum machte mich wütend, brachte mich dazu, die Welt zu hassen und anderen zu misstrauen. So eine Kindheit war ganz einfach nicht gerecht – ich hätte nicht so aufwachsen dürfen. Für die meisten Menschen ist das der Beginn einer kriminellen Karriere. Ich verwandelte diese Erfahrungen in Musik.

Aber trotz alledem bleibe ich dabei, dass Zorn keine Sünde ist. Wut und Zorn können einen Nutzen haben, wenn sie in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Viele der bedeutendsten künstlerischen Errungenschaften wirken wütend, erschütternd und zerrissen. Mäßigung ist hier das Schlüsselwort – versuche dich zu mäßigen. Aus einem offensichtlichen Grund kann nicht der „Sünde“ die Schuld zugeschoben werden. Wenn einer beschuldigt wird, müssen auch alle anderen beschuldigt werden. Die Leute, die einfach zusahen und nicht handelten, sind schuldig. Die, die lachten und das lustig fanden, sind schuldig. Die, die still litten, statt etwas zu sagen, sind schuldig. Stell dir einen Stammbaum vor, in dem nur die Namen der Leute stehen, die an dem Abend dabei waren – dann wird klar, was ich meine.

Zorn hat aber auch eine Kehrseite, da wir in so einer Lage oft merkwürdige Dinge veranstalten. Warst du jemals so sauer, dass du nichts mehr sagen konntest? So sauer, dass aus deinem Mund der größte Scheiß kam, der der Menschheit je in die Ohrmuscheln gedrückt wurde? Diese Dummheit kann genau so ansteckend sein wie die Wut selbst. Versuch mal mit einem anderen zu reden, wenn dich alles ankotzt – die Worte sprudeln nur so hervor, alles wird lauter und lauter bis zu dem Punkt der einsilbigen Stammeleien, die wie ein luftloses Bellen klingen. Das klingt wie ein Auktionator mit Tourette-Syndrom.

Auf einen außenstehenden Beobachter können die offensichtlichen Anzeichen eines Wutanfalls sehr komisch wirken. Er sieht ein rotes Gesicht, dessen Farbe in Purpurrot umschlägt. Es mag sein, dass der Wütende zu lächeln oder zu lachen beginnt und dabei den Kopf schüttelt. Die Lippen pressen sich zusammen und die Augen verschleiern sich, während der Kampfgeist eines Clint Eastwood oder Steven Seagal in ihn fährt. Beobachte die Hände – je nach Mentalität beginnen sie entweder zu schwitzen oder sie verkrampfen sich. Wenn die Kinnlade nicht wie von einem Schock der Fassungslosigkeit runterklappt, mahlen die Zähne aufeinander. Das zu beobachten wirkt auf mich verflucht komisch, und ich ertappe mich oft beim Kichern, während sich andere Leute vor Zorn aufplustern. Das wiederum verschärft die Situation noch weiter, aber ich kann nichts dagegen machen. Es beeindruckt mich immer aufs Neue. Aber wenn ich das Ziel der Wut bin, raste ich aus und kann mich nicht mehr kontrollieren. Dann ist es das Beste, einfach zu verschwinden.

Sünden sind Schmutzflecken des spirituellen Lebenslaufs. Warum soll uns also ein Gefühl, das schon fast zum Alltag gehört, angekreidet werden? Ah, ich verstehe – der Zorn bringt uns auf einen verwirrenden Weg, auf dem wir Taten vollbringen, die unsere Reinheit beflecken. Aber angepisst zu sein, sollte nicht mit der Aussicht verknüpft sein, in der Hölle zu schmoren. Auszurasten ist die Reaktion auf einen Moment im Leben, der sich deiner Kontrolle entzieht. So ein Gefühl zählt zu den menschlichsten Empfindungen. Und warum, bitte, soll das eine Sünde sein?

Ich möchte euch mal eine Sünde aufzeigen, vielleicht eher eine traurige Tatsache, etwas wofür man sich schämt. Ungefähr zu Beginn der Neunziger war es im Heavy Metal angesagt zu schreien. Ich fand das nicht schlecht, gehörte ich doch zu den Vorläufern dieser ganzen Bewegung und schrie mir jeden Abend mein kleines, dunkles Herz aus dem Hals. Aber dann entwickelte sich was wirklich Beschissenes daraus. Die Leute hielten die Schreierei für ein ehrliches Gefühl, die Wut wurde zum Synonym aller Gefühle. Um leidenschaftlich zu erscheinen, musste man also nur in einer Metal-Band spielen – „Oh, er hat ja so viel Feeling.“ Ihr verfluchten Judas Priest, wollt ihr mich verarschen? Jeden Abend stellen sich Jazz-Sänger auf die Bühne und offenbaren uns ihre ganze Seele, und keinen interessiert das. Fuckbucket, der Lead-Sänger der Band Fill (deren Logo der Musik ähnelt – verworren, unlogisch, abgedroschen), bölkt das gesangliche Äquivalent von Kotze in ein SM57-Mikrofon, schmeißt noch eine gehörige Portion „Dad“ und „Fuck“ da rein und die Leute feiern ihn als den nächsten Jim Morrison.

Hier zeigt sich folglich keine reale Emotion, die wirklich gefühlt wird, sondern eine alte Erfahrung, die beim Schreien im Metal zur Schau gestellt wird. Es ist also vollkommen unmöglich über eine Emotion definiert zu werden, wenn keiner weiß, was genau man fühlt und ob dies wirklich gefühlt wird. Die besagte „Sünde“ bezieht sich also nur auf ein von außen wahrgenommenes Gefühl. Warum hat die Kirche so viel Angst vor fühlenden Menschen? Ich habe da eine Theorie. Die institutionalisierte Religion versucht alles, um das Handeln der Menschen zu kontrollieren, und so ist es auch sinnvoll, die Emotionen zu kontrollieren, besonders den Zorn, da dieser eine natürliche Reaktion auf Institutionen oder Einzelne darstellt, die andere unterdrücken wollen. Wie können Menschen also an einem zornigen Reflex gehindert werden, wenn ihnen ihre Taten und Gedanken vorgeschrieben werden? Erzähl ihnen einfach, dass es eine Sünde ist. Es ist eine Philosophie, die die Selbstverwirklichung verhindert. Je weiter man sich von dem Ursprung entfernt, desto undurchdringlicher wird das Ganze. Zur Zeit von Martin Luther mag es noch möglich gewesen sein, solch einen manipulativen Mechanismus umzukehren. Heute jedoch, nach Hunderten Jahren des Dogmas und der erfolgreichen Gehirnwäsche, kann man sich die Fäuste an der Mauer der blinden Akzeptanz blutig hämmern – so lange man will. Am Ende hast du dann nur blutüberströmte Knöchel und fühlst einen Anflug der Frustration der Moderne.

Ja, und falls du es bis jetzt nicht bemerkt haben solltest – ich habe ein großes Problem mit Religionen. Die organisierte Religion wurde schon immer als Blaupause für unzählige Fehltritte missbraucht, häufiger als alle anderen Institutionen, die mir in meinem Leben begegneten. Schon früh wurde mir eins klar: Für eine Glaubensgemeinschaft, die das Glorreiche der Liebe preist und Zorn als Sünde auffasst, sind sie aber eine Gruppe voreingenommener und aggressiver Menschen, nicht wahr? Wie ich schon sagte – die Scheinheiligkeit ist eine der größten Sünden in der Welt, denn die Auswirkungen sind verheerend. Die Gläubigen werden in eine Richtung gelenkt, während sich die „Rechtschaffenen“ alles erlauben können.

Letztere sollten sich genüsslich selbst ficken!

Ähnlich der Wollust, die einzige andere „Sünde“, die vordergründig als Emotion falsch interpretiert werden kann, ist der Zorn mit einem Stigma behaftet, das sich durch jahrhundertelange Falschdarstellung und Furcht ins Unendliche gesteigert hat. Wenn ein Mensch wütend wird, denken die anderen zwangsläufig, dass etwas Schlimmes geschehen wird – darauf sind sie konditioniert. Das lässt sich zum Teil auf das, ich will es mal scherzhafterweise „Höhlenmenschen-Gen“ nennen, zurückführen, aber auch auf die Propaganda der Religionen. Wenn ich wütend werde, denkt ein Großteil der Menschen automatisch, dass ich jemanden umbringen, meine Kinder schlagen, ein Pferd vergewaltigen oder etwas ähnlich „Langweiliges“ machen werde. Was ist denn hier die größere Sünde? Der Zorn oder die ganze Schlammschlacht, die um dieses Gefühl geschlagen wird?

Wut wird zu einer Sünde, wenn Eltern ihre Kinder schlagen. Ein wahrer Sünder ist der Mörder, der sein Opfer bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Oder ein Lehrer, den seine negativen Gefühle zu Kindern davon abhalten, ihnen etwas beizubringen. Zu den Sündern zählt eine Frau, die ihren Mann betrügt, nur weil er ihr keinen großen Diamantring zum Geburtstag gekauft hat. Die Räder eines Busses mögen „rundlaufen“, aber ein Bus wird dich überrollen, wenn kein Fahrer am Steuer sitzt und ihn lenkt.

Der Zorn ist eine vielschichtige Emotion mit unterschiedlichster Intensität, die sich sogar im positiven Sinn auswirken kann, hat aber durch viele Jahrhunderte unreflektierter Anprangerung seine Narben hinterlassen. Der Zorn kann im Kampf um die Menschlichkeit zu einer mächtigen Waffe werden. Einige würden sogar so weit gehen, diese Emotion zu verdrängen und die Menschlichkeit sich selbst überlassen, was die Frage aufwirft: Welche Sünde ist größer – der Zorn oder die Furcht? Warum sollte ein guter Mensch nichts tun, um die Welt zu verbessern? Ist es besser, das Unbekannte zu fürchten oder das Feuer ausbrechen zu lassen, das den Kampf entfacht?

Ich möchte an dieser Stelle mal eine merkwürdige Idee vorstellen: Was ist Tapferkeit, wenn nicht eine potente Kombination von Zorn und Furcht? Lässt sich der Wagemut nicht darauf zurückführen, dass ein Mensch so wütend und ängstlich ist, dass ihm das Undenkbare gelingt? Wut durchdringt die Gesellschaft. Wenn die Nettigkeiten verflogen sind, kommt der uralte „Kämpfe oder flüchte“-Instinkt, der Überlebenstrieb, zum Vorschein. Können wir überhaupt mit wütenden Menschen klarkommen? Ja sicher, denn das müssen wir jeden Tag. Können wir ein Leben ohne den Zorn führen? Mit aller Deutlichkeit – nein! Eine friedliche Koexistenz ist nicht in unserer DNS festgeschrieben. Es gelingt uns, eine gewisse Freundlichkeit zu spielen, doch wir werden nie die Ruhe und den Frieden finden, in denen keine Wut existiert. Und warum sollen wir dieses Gefühl in die Kategorie „Todsünde“ einordnen? Vergiss, was Idealisten und Hippies behaupten – der Zorn ist allgegenwärtig und wird es immer sein.

Das Thema geht mir ziemlich unter die Haut, denn ich bin immer wütend gewesen. Im Alter von neun Jahren habe ich die Fröhlichkeit und Ausgelassenheit aus meinem Leben gestrichen. Als meine Welt aus den Fugen geriet, gehörte die Idylle der Vergangenheit an. In meiner frühen Kindheit musste ich Armut, Erniedrigung, Schikanen und Missbrauch erleben, und je mehr sich meine Muskeln anspannten, desto wütender wurde ich. Mit jedem Schlag, den ich wegsteckte, ersehnte ich mir mehr und mehr den Tag der Abrechnung, an dem ich auf jeder Straße in jedem Land dieser Welt meine geballten Aggressionen ausleben könnte. Ich wünschte mir ein Karma, das Pflöcke in die finsteren Herzen derer trieb, die Schuld an der Verbitterung trugen, die mich einen Großteil meines Erwachsenenlebens plagte. Meine Erinnerung ist lückenlos: Ich erinnere mich daran, wie ich über und über mit Essen bekleckert die Schule verließ, weil die Klassenrüpel mit ihren Tabletts nach mir geworfen hatten. Ich musste mir sichere Wege nach Hause einfallen lassen, da einige Idioten scheinbar nichts besseres zu tun hatten, als mich plötzlich anzuspringen und zu Boden zu reißen. Und dann riefen sie noch an, verarschten mich und warfen Klopapier in unsere Bäume, sodass ich das Gefühl bekam, niemals geschützt und geborgen zu sein. Jeden Morgen bevor ich zur Schule ging, hätte ich in Tränen ausbrechen können. Ich erinnere mich an die Scham und die Verletzungen – und ich erinnere mich daran, in ein Haus zurückzukehren, das auch nicht sicher war.

Ja, noch heute kann ich mich an die Namen der ganzen Typen erinnern.

Ich weiß, was sie machen und wie ihr Leben aussieht: Jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend verbringen die in einem dunklen Loch voller Ignoranz. Und weil ich immer noch wütend bin, und es immer sein werde, denke ich daran, wie diese Großkotze, die eins auf die Fresse kriegen müssten, geendet sind.

Und ich lächele.

Vielleicht werde ich meinen Zorn, meine Wut niemals los, aber ich werde auf immer und ewig den letzten Lacher haben.

Ist das schlimm? In Deutschland wird das Gefühl mit dem Wort Schadenfreude bezeichnet, was so viel bedeutet wie: „Spaß daran zu haben, das Pech oder Versagen eines anderen zu beobachten.“ Ist es falsch, sich einen abzulachen, weil aus den beschissenen Rabauken meiner Kindheit noch größere Versager geworden sind, als ich es mir jemals hätte vorstellen können, dass sie sich abstrampeln und ein Leben führen, mit dem ich mir noch nicht mal den Arsch abwischen würde?

Für einige wäre das falsch, aber für mich? Verdammt noch mal, nein!

Ist es eine Sünde? Natürlich nicht!

Es reicht schon an die Definition des Menschseins heran, wenn du Spaß dabei hast, dass deine Feinde in ihrem Leben eine größere Portion Scheiße aufgetischt bekommen, als du selbst. Wie könnten wir auch sonst „die schlimmsten Tage, die wir je erlebt haben“, überstehen? Für das, was wir erreicht haben, wird es immer eine Anerkennung geben, die uns aber nie ausfüllt – und wir werden uns darüber ärgern.

Können wir aber die Verbitterung loslassen?

Wenn du dich abreagiert hast, hinterlässt der Zorn einen widerlichen Nachgeschmack im Mund, und du fühlst dich schuldig. Auch wenn du Genugtuung erfahren hast, bleibt dennoch dieses verbitterte Gefühl. Wie ihr wisst, war ich in der Lage weiterzukommen. Ich konnte mich befreien, den Druckkessel des Hasses anzapfen und daraus etwas Positives machen. Aber diese schmerzliche Emotion umkreist mich wie stechender Zigarettenqualm. Möglicherweise wird das niemals verschwinden, aber dennoch ist es okay. Nur durch die Erfahrungen, die Reise des Lebens, kannst du dich selbst erkennen und daraus lernen.

Gut, dann unterhalten wir uns mal über was anderes, zum Beispiel über die Vorstellung andere umzubringen.

Bevor ihr jetzt meint, ich wäre total übergeschnappt und hätte Prügel verdient, will ich darauf hinweisen, dass so ein Wunsch nichts Ungewöhnliches ist. Jeder hat in seinem Leben schon hunderte Male völlig Fremden den Tod gewünscht. Dem Typen, der vor einem fährt und entweder eine Hausnummer sucht oder zu viele „Medikamente“ im System hat. Den Leuten auf dem Flughafen, die scheinbar über alle Zeit der Welt verfügen, vor sich hin schlendern und die anderen Fußgänger aufhalten. Dem Trottel in der Schlange bei McDonald’s, der „äh-äh-ähend“ ein Menü sucht, das es schon lange nicht mehr gibt, bis er schließlich die verfluchte Nummer 2 mit einer Coke bestellt – wie immer! Die lahmen Enten im Einkaufszentrum, die Leute, die mit ihrem Hund Gassi gehen, schnelle Spaziergänger, langsame Spaziergänger – sie alle frustrieren uns dermaßen, dass wir am liebsten Glas kauen, runterschlucken und an inneren Blutungen sterben würden. Die Ungeduld kann einen zur Raserei bringen, bis man sich heimtückischste und schäbigste Arten des Ablebens für die ausdenkt, die einem zu viel der eigenen, kostbaren Zeit klauen.

Gott weiß, dass auch mir solche Gedanken durch den Kopf schwirren.

Wenn du jetzt meinst, du wärst zu „reif“ für solche Gefühle, bist du entweder ein Lügner oder du verdrängst sie. Wir haben uns schon alle im „Jack-The Ripper“-Stil den Weg durch eine Menschenmenge gebahnt, zumindest in unseren kleinen, miesen Gedanken. Hier taucht wieder der selbstbezogene Scheiß auf, eine Haltung, die sich so beschreiben lässt: „Ich bin der einzige, der an diesem Tag existiert.“

Das ist alles in Ordnung und menschlich, aber du kannst es mir glauben: Es gibt nichts Schlimmeres als passiv-aggressive Wut. Ich bin genau so ein Zyniker, wie jeder andere auch, aber wenn sich die Verbitterung eines engen Freundes in beschissenen, neumalklugen Kommentaren niederschlägt, die dir den letzten Nerv rauben, ja, dann ist Schicht im Schacht! Ich bin sehr glücklich – über meine Karriere, meine Familie und sogar die Chance, dieses Buch zu schreiben. Aber wenn Leute, die ich seit Jahrzehnten kenne, mit diesem ganzen „Denk immer daran, wo du herkommst“-Unsinn ankommen, treibt mich das wirklich auf die „Straße der Mörder“. Noch schlimmer kommt es, wenn Leute deine Leistungen absichtlich übersehen und dich wie einen Grundschüler behandeln, der am Freitag einen Teil seines Milchgeldes abgeben soll. Schnappt euch Stift und Papier, meine Kinder, denn nun erteile ich euch eine kostenfreie Lektion! Die besten Freunde im Leben sind die, die dir nicht das Gefühl vermitteln, als würdest du ihnen was schulden. Einige meiner „Freunde“ versuchten Positionen einzunehmen, die ihnen nicht zustehen. Hey, verdammt – was willst du da? Und wenn du dazu ein paar hässliche Worte verlierst, bist du der Arsch, wirst gemieden und stehst allein da. Falls du überhaupt nichts sagst, ist das deine Schuld und du musst den Mist schlucken. Erkennst du die Problematik? Da ist es sogar noch „angenehmer“, wenn dir deine Familienbande Zusammenhalt bringen – vielen Dank, lieber Weihnachtsmann. Du bist das Schlimmste überhaupt! Hier muss ich Coca-Cola die Schuld in die Schuhe schieben, die daraus eine Kitschveranstaltung gemacht haben. Der gute, alte St. Leck-mich-doch sitzt da wie der Oberste Richter und beurteilt harmlose Kinderlein mit ihren kleinen Kerzchen – du darfst sie auch Elfen nennen, ich weiß es besser – und jedes Jahr läuft der gleiche Scheiß ab.

Die Wunschliste in der einen Hand und in der anderen dieses Krawatten-Scheißding. Versteht mich bitte nicht falsch, ich mag die Dinger wie jeder andere auch, ziehe aber die Grenze bei Musik-Krawatten [Krawatten mit einem eingebauten Chip und einem Minilautsprecher, der ein Lied dudelt. Besonders in der Weihnachtszeit kann diese Geräuschkulisse zu einer Plage biblischen Ausmaßes werden]. Wer auch immer diese Teile erfunden hat, sollte sich hinstellen und mit jeder Krawatte, für die er die Verantwortung trägt, den Arsch voll kriegen. Ich werde wütend. Versuch jetzt bloß nicht, mich auf Pete Rose anzuquatschen, den Baseballspieler und –manager, der durch einen Wettskandal sein Ansehen verlor. Ihr gottverfluchten Cincinnati Reds – Johnny Bench darf in die Baseball Hall of Fame einziehen, weil er Hände wie Schaufeln hat, aber wenn der alte Pete ein paar Wetten macht, wird er angeschissen! Versucht mir hier bloß nicht zu erzählen, die anderen Spieler wären Unschuldslämmer – die sind doch alle total korrupt.

Wie in aller Welt und New Mexico lassen sich solche Ungerechtigkeiten erklären? Mal offen gesagt – da muss ich mich bepissen. Aber nur ein bisschen. Das ist aber längst getrocknet, wenn ich aus meiner kleinen Ecke in der Küche, in der ich schreiben darf, herausgekrochen bin, mir eine Kippe gedampft und meine Schlafklamotten angezogen habe. Wenn ich dann zu meiner Frau ins Bett steige, bin ich absolut pissefrei. Das, meine Freunde, kann man Zeitmanagement nennen! Es ist zugleich die Geschichte von Jesus. Wirklich. Wenn es darum geht, seine Kreuze oder Figuren zu putzen, denken die Leute nicht mehr an ihn, und darum stellen sie das alles in die Garage, wo es auch hingehört. Eine Garage ist einfach ein Stall für Pferde und Scheiß, oder um präziser zu sein, ihre Scheiße. Und solche Räume werden nur gemietet, wenn sie randvoll sind – mit Scheiße.

In Bezug auf den Zorn ist es wichtig, seine Sicherungen zu kennen und sich darüber klar zu sein, wer sie mit seinen fiesen Pfoten rausdrehen kann. Ich hasse es zum Beispiel, in L.A. mit dem Auto unterwegs zu sein, weil ich Leute anfahre. Damit meine ich nicht die Insassen anderer Autos. Ich fahre mit meiner Karre Fußgänger an. Die Einwohner von Los Angeles trotten über die Straßen und um Ecken, als würden sie entweder nach Hausnummern suchen (schon wieder so ein Fall!) oder gerade einem waschechten Engel begegnen. Die Schuld hierfür hat das „Pedestrian Right of Way Law“, jenes Gesetz, das Fußgängern die „Vorfahrt“ lässt. Da in Kalifornien wie auch in Florida verhältnismäßig viele alten Menschen leben, wurde es in Kraft gesetzt, um sie zu schützen.

Diese verdammten Idioten schlendern auf der Mitte einer Fahrbahn – betteln die wirklich darum, aus dem Genpool aussortiert zu werden? Und aus diesem Grund habe ich laut Statistik 47 Leute mit beinahe so vielen Autos angefahren. Aber keine Angst – niemand wird mich verhaften, denn als goldene Regel trage ich einen falschen Bart, wenn ich in irgendeiner Stadt unterwegs bin.

Kalifornien wirkt auf mich manchmal wie eine riesengroße Persiflage. Scheinbar jeder besitzt einen lebenslangen Vertrag für geistige Verzögerung, und so ist es auch nicht meine Schuld, wenn sie nach einer Kollision mit einem Chevy humpelnd oder verstümmelt durch die Gegend watscheln. Ist doch klar, oder? Scheiß doch auf sie – eine so geschniegelte, handzahme und dumme Gruppe von Menschen hat doch ein paar Wunden verdient. Das stärkt den Charakter. Hoffentlich sind sie jetzt ein wenig klüger.

Vielleicht sagst du dir jetzt: „Mag dieser Typ überhaupt irgendeinen Menschen?“ Das, mein mieser, kleiner Freund, ist die große Frage. Ich zweifele nicht daran, dass ich tief in mir drinnen tatsächlich meine galaktischen Brüder und Schwestern in ihren pinken Reisehöschen mag, die eine Runde auf dieser halbrunden Himmelscheibe abreißen, die wir unser Zuhause nennen. Aber meist kann ich gar keinen ab, dich eingeschlossen. Das ist aber nicht meine Schuld. Es ist deine! Ich habe alles versucht, um gut klar zu kommen. Du hast es vermasselt. Und das wiederum bringt mich zur Weißglut! Ist dir klar, was das bedeutet? Ganz einfach: Falls der Zorn eine Sünde sein soll, bin ich immer noch nicht schuldig, denn ihr Typen brachtet mich dazu, versehentlich zu sündigen. Ihr steht für die Sündenträger, die mit Gottlosigkeit wie mit Läusen um sich werfen. Nur wegen euch donnert der Blitz des Zorns vom Himmel herunter.

Hey, ich hab doch nur Spaß gemacht. Ach ja, und vielen Dank, dass ihr das Buch gekauft habt.


Mal ganz nebenbei dachte ich mir, dass Zorn eine Reaktion ist. Das Gefühl lässt sich nicht als eine Tat kategorisieren, die praktiziert wird. Es entsteht als Nebenprodukt verschiedener Stimuli. Dadurch erscheint unsere Gedankenkette in einem völlig neuen Licht. Wer soll zum Teufel noch mal beschuldigt werden, wenn die anderen dieses Gefühl aus dir herauskitzeln. Für mich sollten die Leute, die dir den Zorn entlocken, auch die Last der „Sünde“ tragen, falls man überhaupt von einer Sünde sprechen kann. Jeden Tag bringen strohdoofe Menschen das Schlimmste in anderen hervor und kommen ohne Strafe davon. Das ist doch die volle Ladung Affenscheiße. Wenn du einen anderen Menschen bis zum Durchdrehen reizt, sollst du die Sünde angekreidet bekommen. Falls du jemanden zur Gier anstachelst, erhältst du den Platzverweis. Das ist doch einfach nur gesunder Menschenverstand. Wenn du einen Mordauftrag erteilst, können sie dich zusammen mit dem Mörder belangen. Und wo liegt nun der Unterschied?

Der Grund, warum sich so viele Menschen vor dem Zorn fürchten, liegt in der damit assoziierten Gewalt. Die Gewalt löst Ängstlichkeit aus, und ängstliche Menschen ziehen eine Trennlinie und kapseln sich ab. Wie schon erwähnt – jeder wird wütend, doch nicht jeder reagiert gleich. Die Gewalt – und hiermit meine ich unterschiedlichste Nuancen – versetzt die anderen in eine Starre und bringt sie dazu, die wahren Gefühle zu verleugnen. Durch die Gewalt befürchten Menschen bei einem ungewöhnlichen Geräusch in der U-Bahn schon das Schlimmste. Durch drohende Gewalt überlegen sich die Leute – wie könnte es auch anders sein – mit wem sie es zu tun haben. Darum halten wir unsere Frustrationen zurück und verschwenden Zeit und Geld, um unsere Probleme teilnahmslosen Therapeuten zu erzählen. Manchmal wird durch die Stagnation, das Verdängen der Wut, eine Feuersbrunst überschäumender Vergeltung ausgelöst, die die Kirchen niederbrennt und unsere gemeinsame Sicherheit beschmutzt. Mir ist klar, dass ich gerade so boshaft wie der Schauspieler und Entertainer Nipsey Russell klinge, aber ich betrachte die Welt ohne Überheblichkeit und unvoreingenommen. Darum kann ich mit Sicherheit behaupten, dass unsere Reaktionen immer die Früchte unserer Kreationen verderben werden. Wenn du mit einer Situation in einer bestimmten Art und Weise umgehst, wirst du ein spezifisches Resultat erhalten.


Vor langer Zeit glaubte ich noch daran, dass die Menschen die richtigen Entscheidungen treffen. Unglücklicherweise riss mich die Realität immer wieder aus dieser naiven Ansicht. Mit 19 hatte ich einen Traumjob – in einem Plattenladen. Der gehörte zwar zu einer großen Kette, was mich aber nicht weiter störte. Im Grunde genommen war es das musikalische Äquivalent eines Jobs bei einer Fastfood-Kette wie Wendy’s, aber auch das konnte mich nicht erschüttern. Ich hatte die Chance, mir den ganzen Tag Musik anzuhören, und bekam einen wirklich netten Rabatt auf die CDs. Es war eine tolle Arbeit, obwohl ich mich nett und adrett kleiden musste. Das nervte natürlich, aber ich nahm es in Kauf, da ich zum ersten Mal, mit der Ausnahme des Musikmachens, etwas wirklich gut konnte. Es mag dämlich klingen, aber der Job gab mir das Gefühl, normal zu sein, und das „Normale“ fühlt sich in gewissen Zeiten einfach gut an.

Doch es gab ein Problem. Ich hatte lange Haare. Nach heutigen Maßstäben klingt das völlig belanglos, aber noch vor 15 Jahren machten die eine große Sache daraus, speziell im Mittleren Westen. Die Haare waren weder gefärbt noch trug ich Dreadlocks oder eine abgefahrene Frisur, ich hatte einfach nur lange Haare. Und was kann daran so schlimm sein? Die Antwort auf die Frage lautete offensichtlich: „Das ist einfach sehr schlimm!“ In den Arbeitsvorschriften dieser Kette stand, dass die Haare eines männlichen Angestellten nicht den Hemdkragen berühren durften. Mir wäre das eigentlich egal gewesen, doch als ich eingestellt wurde, wies mich niemand darauf hin. Nach einigen Monaten kam der Besitzer zur Inspektion, um alles penibel zu kontrollieren. Ohne etwas zu ahnen, stellte ich mich vor. Er blickte mich kurz an, drehte sich zu seinem Assistenten um und meinte: „Der muss sich die Haare schneiden lassen, oder er kann gehen.“ Mein Vorgesetzter versuchte alles, um mich zu verteidigen, aber es war schon zu spät. Die setzten mich verflucht noch mal vor die Tür.

Bist du bereit für den noch beschisseneren Teil?

Am anderen Ende der Stadt, in einer anderen Filiale, arbeitete ein Typ mit wesentlich längeren Haaren – und das schon seit sieben Jahren. Sieben verdammte Jahre! Der Filialleiter verhielt sich so geschickt, ihn immer während der Inspektionen zu verstecken. Ich zog ihn als Argument heran, um meinen Job zu behalten, aber keiner wollte großes Aufsehen erregen und etwas sagen. Ich war gefeuert und er behielt seine Arbeit, bis die ganze Kette pleite machte. Ich bete dafür, dass er mit seinen Haaren nun die Dixie-Klos in Toledo, Ohio putzen muss.

Als es darauf ankam, haben mich die Leute, wie es so üblich ist, verraten und verkauft, um den eigenen Job nicht zu gefährden. Auch der langhaarige Typ hätte etwas sagen können, blieb aber mucksmäuschenstill. Du stellst dir jetzt sicherlich die Frage, warum ich immer noch ein wenig angefressen bin. Um ehrlich zu sein, hatte ich schon gar nicht mehr daran gedacht, bis ich mit diesen Zeilen begann. Scheinbar bin ich noch ärgerlich, und der Grund dafür liegt darin, dass es einfach nicht fair war – und ich hege einen unerschütterlichen Glauben an die Gerechtigkeit! Falls du ein faires Spiel verlierst, packst du das weg, lernst daraus und machst es beim nächsten Mal besser. Aber beschissen und abgezogen zu werden wie ein Freak, während sich die anderen noch ein paar Tage als was Besseres vorkommen, ja, darin liegt die Wurzel meiner andauernden Wut. Wenn ich mir vor Augen führe, was ich in den letzen Jahren erreicht habe, sollte mich das eigentlich nicht mehr jucken. Ja, es war ein zeitlich begrenzter Job und ich lernte eine Menge, indem ich meinen Stolz runterschluckte und akzeptierte, dass es immer noch Menschen gibt, denen Männer mit langen Haaren Unbehagen bereiten. Aber ist das Gerechtigkeit?

Bei meinem Job habe ich mir den Arsch aufgerissen und den Umsatz gesteigert. Ich habe die Kunden höflich und zuvorkommend behandelt. Wäre ich ein ganz normaler Typ gewesen, hätten die mich für eine Beförderung vorgeschlagen. Schon damals hielt ich nicht viel von Kompromissen, und im Großen und Ganzen betrachtet war es wirklich eine triviale Angelegenheit. Aber die langen Haare? Nein, die hätten wirklich keine Rolle spielen dürfen! Ich bin zwei Mal reingelegt worden – ein Mal von dem Besitzer und dann noch von meinen Freunden. Bist du jetzt immer noch erstaunt, warum ich so sauer bin? Man lässt viel zu viele Menschen in seine Nähe, zeigt ihnen seine wirklichen Gefühle und verliert dabei die Kontrolle. Ich habe daraus eine bittere Lektion in Sachen Loyalität und Gerechtigkeit gelernt. Glücklicherweise begegneten mir Menschen in meinem Leben, die mir wieder den Glauben an diese beiden wertvollen Charaktereigenschaften ermöglichten. Aber trotzdem beschleichen mich bei den meisten Leuten so meine Zweifel. Ich vermute, das wird sich nie ändern.

Was ich damit eigentlich sagen will – im Leben wird es oft Momente geben, die dich wahnsinnig machen. Falls dir jemand was anderes erzählt, solltest du ihm oder ihr eine schallende Ohrfeige verpassen, denn es ist eine Lüge. Wie können diese Momente als Sünde bezeichnet werden, wenn sie ganz einfach zum Leben gehören? Der Mensch neigt zum Zorn. Die Scheinheiligen und Religiösen werden das als Beleg der ursprünglichen Sünde deuten; sie werden dir erzählen, dass Gott gnädig sein wird, wenn du ihn um Vergebung bittest. Wollt ihr mich verarschen? Wer seid ihr überhaupt? Ihr nehmt euch heraus von einem „Gott“ zu reden. Wenn es einen „Gott“ gibt, wie könnt ihr euch erdreisten, für ihn zu sprechen? Kennt ihr ihn? Habt ihr ihn getroffen? Hey, ich habe da eine viel leichtere Frage: Seid ihr verfluchte Lügner? Habt ihr euch schon mal Gedanken gemacht, die nicht von Gottes Ouija-Brett, seiner Buchstaben- und Zahlentafel für spiritistische Sitzungen, gefiltert wurde? Hat euch Gott aus dem Himmel eine Textbotschaft gesandt? Vielleicht mit einem Emoticon mit Heiligenschein? Diese schmierigen Scharlatane mit ihren Heilsversprechen sind so viel wert wie ein zerschossenes Glas, kennen aber jeden nur erdenklichen Weg, um den Durst der Einsamen zu löschen, die nur Antworten auf ihre Fragen suchen.

Wir begegnen den dunkelsten Momenten unseres Lebens in den Winkeln und Nischen, die wir vermeiden wollen. Wie Verzweifelte klammern wir uns an ein wackeliges Seil, während wir uns durch Zusammenstöße und Ereignisse hindurchwinden. Doch die Ironie des Schicksals dringt in diese Nischen ein und zieht uns mit. So begegnen wir den dunklen Seiten der anderen, die wiederum unsere negativen Emotionen erleben. Sind wir es, die unser Umfeld beschmutzen, oder ist es unser Umfeld, das uns beschmutzt? Was tauchte zuerst auf – der Zorn und die Zerrissenheit oder das Schicksal?

Von mir aus können wir alle in einem riesigen Sumpf der ungelösten Fragen untergehen. Ich hoffe, aus Stereo wird Mono. Ich hoffe, dass die Welt mit einer fehlenden Leber aufwacht, die zuvor von einer drogensüchtige Nutte kaputt gefixt wurde – das würde ihr nur recht geschehen, mich so anzupissen!

Aber ich habe es kapiert, kann mich in die Schwierigkeiten hineinversetzen. Wir haben alle unsere Probleme. Es gibt immer wieder diese Tage, an denen wir ein Zeug fressen, das nicht besser ist als Hundefutter. Tage, an denen wir das Gefühl haben, dass ein Schild mit der Aufschrift „Bitte hier reinpissen!“ über unserem Mund hängt. Wegen solcher Tage sind wir geneigt, uns gegenseitig böse Blicke zuzuwerfen, fast so, als würden Blitze aus unseren Augen schießen. Die Seelen der Welt schreien voller Qual die gleichen Worte: „Hau ab und verrecke!“

Doch man sollte sich stets daran erinnern, dass auch die anderen in diesem Mist stecken. Wir alle müssen das Gleiche durchmachen und warten darauf, dass der Dampf abgelassen wird. Wenn wir dadurch als Sünder bezeichnet werden, dann hört mir jetzt genau zu. Sucht euch einen Platz aus. Pflanzt euch hin. Rückt ein wenig näher zusammen. Bloß nicht schüchtern sein. Fühlen sich alle gut? Cool. Kapiert es endlich: Wir alle sündigen, weil sie es uns einreden. Und deshalb sollten wir nicht mehr zuhören. Wir schalten einfach einen anderen Sender in unserer lokalen Rundfunkstation ein. Wenn uns die Geistlichen und Gläubigen mit ihrem Schwachsinn in den Ohren liegen, sollten wir mit Taubheit reagieren. Stehe ich mit dieser Ansicht etwa allein da? Ich bin ein zynisches Arschloch. Diese beängstigende Gutenachtgeschichte – auch Bibel genannt – ist in Ordnung, aber nur als ein staubiger Wälzer für eine längst vergessene Zeit. Man darf die Tatsache nicht vergessen, dass vieles aus dem Alten Testament einem Plagiat der Tora, des ersten Teils des Tanach, der hebräischen Bibel, entspricht. Christen verfügen über so wenig Vorstellungskraft, dass sie sich für ihre eigene Religion etwas leihen oder sogar stehlen mussten. Und die denken wirklich, dass ihnen das keiner übel nimmt, was in Selbstbetrug ausartet. Die gläubigen Juden blicken auf die Christen herab, und die Christen auf die Mormonen.

Willst du wissen, was mich total aufregt?

Ihr alle regt mich verdammt noch mal auf!

Mir wird kotzspeiübel, wenn ich sehe, wie ihr euch gegenseitig fertig macht. Ihr löst in mir körperliche Schmerzen aus. Verdammt, wir hängen seit ungefähr 200.000 Jahren auf diesem Gesteinsbrocken und kriegen es immer noch nicht geregelt. Ihr alle seid traurige, verhungernde, ausgelutschte, bemitleidenswerte Klumpen einer abnormalen Zellmutation – und ich komme nicht darüber weg, wie sehr wir uns ähneln. Das allein reicht schon, um mir die Augäpfel aus den Höhlen zu reißen und sie durch die Schlitze einer Peepshow in einem Pornoladen zu schieben. Aber die Tatsache, dass ihr noch alle so zufrieden seid, alles in Ordnung findet, macht es für mich unerträglich. Hättet ihr mehr als zwei Beine, würdet ihr Mauern erklimmen. Hättet ihr aber mehr als zwei Augen, würde euer Atem immer noch nach Müll riechen und ihr würdet weniger sehen.

Und wisst ihr jetzt, was ich mache? Ich werden diese ganze ungenutzte Energie absorbieren, die ihr wie Sperma bei einer Verbindungsparty durch die Gegend schießt, und damit was Sinnvolles anstellen. Ich werde eure ganze Scheiße, euren Schweiß und den verfluchten Hass sammeln und eines Tages – wenn ihr wieder damit beschäftigt seid, euch das anzutun, was ihr euch immer antut – werde ich euch damit ersticken. Ich weiß nicht wie, und ich weiß nicht, wann es geschehen wird. Falls ich die ganze Welt dazu bringen könnte, für den Rest des Lebens Showgirls anzuschauen, würde mich das ein wenig milder stimmen. Aber das wird nicht möglich sein, und so werde ich warten. Was mich anbelangt, meine liebe Welt, reden wir nicht vom Jetzt. Ich weiß, ich weiß, ich werde schon noch darüber hinwegkommen, aber das wird noch ein Weilchen dauern, vielleicht sogar eine lange, lange Zeit.

Weißt du, warum ich so wütend bin?

Du bringst mich auf die Palme.

Deshalb werde ich zum Sünder.

Du machst einen Sünder aus mir.

Ach, fick dich doch.


Die sieben Todsünden

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