Читать книгу Imke - Abseitsfalle - Corinna Behrens - Страница 9

Ein komplizierter Abend

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»Tanja, Lydia, Dani – hier bei mir spielt die Musik«, rief Hannah den drei Mädchen zu, die kichernd zusammenstanden. Sie sahen zur anderen Seite des Platzes, auf der zeitgleich die männliche B-Jugend des SV Winkelbach trainierte.

Hannah klatschte laut in die Hände: »Auch wenn es schwerfällt, wir haben noch einiges vor.«

»Kommt schon«, rief Karin, die vorbildliche Spielführerin der Mannschaft. »Ich will trainieren.«

»Ist ja gut«, sagte Dani. »Wir sind doch da.«

Die drei schlenderten, immer noch feixend, zu ihren Mitspielerinnen. Tina, die Torhüterin und mit Tanja zusammen Imkes beste Freundin, verdrehte die Augen. »Mensch, was ihr an diesen Bubis nur findet.«

Einige Mädchen lachten.

»Wieso, wir beobachten doch nur«, sagte Dani. »Die wollen ja was von uns.«

»Das könnt ihr nach dem Training ausdiskutieren.« Hannah schüttelte den Kopf. »Auf meinem Trainingsplan stehen noch ein paar Torschussübungen und ein kleines Abschlussspielchen. Am Wochenende wartet schließlich ein schweres Spiel auf uns.«

»Oh, cool«, rief Dani. Torschüsse und Abschlussspiel waren für alle die Highlights einer Trainingseinheit.

Entsprechend motiviert bestritten sie den Rest der Trainings.

Am Ende rief Hannah die Spielerinnen zusammen: »Ich habe noch eine tolle Nachricht.« Erwartungsvoll sahen die Mädchen die Trainerin an.


Imke stürzte in die Küche. Ihre Eltern saßen beim Abendessen und schauten verdutzt auf ihre aufgeregte Tochter. Ihre kurzen schwarzen Haare standen ungekämmt in alle Himmelsrichtungen, das Gesicht war knallrot vor Aufregung und die graublauen Augen strahlten vor Freude.

»Imke, was ist passiert?«, fragte ihre Mutter. »Du hast immer noch deine dreckigen Trainingsklamotten an«, stellte sie tadelnd fest. »Warum duscht ihr Mädchen nie nach dem Training?«

»Das ist doch jetzt egal, Mama.« Atemlos stützte sich Imke am Tisch ab. »Ich gehöre zum Auswahlkader und spiele bei einem Kreisauswahl-Vergleichsturnier mit!«

Martin Strobel zog die Augenbrauen hoch: »Auswahlkader? Turnier?«

»Hannah hat mir die Einladung gezeigt. Ich gehöre dazu!« Ihre Augen glänzten. »Stellt euch das vor. Die besten Spielerinnen haben dabei die Chance, in den Landesauswahlkader zu kommen.«

Imkes Eltern schauten sich verschmitzt an.

»Kleine, das ist ja super.« Ihre Mutter und nahm sie in den Arm. »Ich bin stolz auf dich.«

Martin Strobel biss herzhaft in sein Wurstbrot und lächelte vor sich hin. «Jetzt ist die Nationalelf also nicht mehr weit weg?«

»Ach, Papa, das ist das nächste Ziel!« Imke setzte sich auf einen Stuhl und nahm sich ein Stück Käse.

»Imke, mit deinem dreckigen Zeug am Tisch … Also ehrlich.« Irene Strobel schüttelte verständnislos den Kopf.

»Mama, jetzt schimpf mich nicht. Ich freue mich doch so auf das Turnier!«

»Wo und wann findet es denn statt?«, fragte ihr Vater.

»Auf der Anlage von Mainstetten. Im Oktober! Ich glaube, am ersten Wochenende«, entgegnete Imke kauend.

Es wurde still. Ihre Eltern schauten sich an.

»Ist was?«, fragte Imke.

»Na ja, nun, Imke …«

Frau Strobel sah ihren Mann kopfschüttelnd an. »Also, bis du zum Punkt kommst. Imke, du weißt doch, dass Oma sechzig Jahre alt wird und wir zu ihr fahren. Das ist doch längst alles ausgemacht!«

Imkes Herzschlag setzte für einen Moment aus. »Nein, Mama, das geht nicht! Ich muss spielen!«

Auf der Stirn von Frau Strobel bildeten sich tiefe Falten. »Mein liebes Fräulein! Wir respektieren nicht nur deinen Sport, wir fiebern fast jedes Wochenende am Spielfeldrand mit dir mit. Aber meiner Mutter werde ich bestimmt nicht wegen eines Fußballturniers absagen und schon gar nicht ihre Feier zum sechzigsten Geburtstag!«

Imkes Lippen verzogen sich schmollend. Tränen tropften aus ihren Augen. »Ihr könnt ja fahren. Ich bleibe zu Hause!«

»Also, Imke!« Kopfschüttelnd sah Irene Strobel ihre Tochter an. »Oma würde dich sowieso lieber im Ballettkleidchen Schwanensee tanzen sehen als in kurzen Hosen auf der Fußballbühne. Du brichst ihr das Herz, wenn du ein Fußballturnier ihr vorziehst! Das kann nicht dein Ernst sein!«

Imke sah in Gedanken ihre Oma vor sich. Eigentlich war Oma das falsche Wort. Sie wirkte wie die ältere Schwester ihrer Mutter: chic, modern und unternehmungslustig. Sie arbeitete halbtags in einer Bibliothek. Doch in Bezug auf Imkes Hobby war sie äußerst konservativ.

Voller Verzweiflung blickte Imke zu ihrem Vater, der aber sofort wegsah und sich auf sein Essen konzentrierte. Sie drehte sich um, rannte aus dem Zimmer und hörte weder ihre Mutter rufen noch die beruhigende Stimme des Vaters.

Tränen liefen über Imkes Gesicht. Sie schwang sich auf das Fahrrad und trat in die Pedale. Leere erfüllte sie, gepaart mit Wut und Verzweiflung. Vorhin schien ihre Welt perfekt. Hannah hatte vor der Mannschaft verkündet, dass sie für das Kreisauswahlturnier nominiert worden war. Doch dieser Traum zerfiel gerade wie ein Kartenhaus.


Automatisch fuhr sie zum Fußballplatz, der nur zehn Fahrradminuten entfernt lag. Sie stellte ihr Fahrrad ab und eilte auf die Anlage. Es war inzwischen kurz nach acht Uhr. Sie beobachtete, dass die Frauen- und Herrenteams ihre Trainings beendeten und die Bälle zusammensuchten. Mit schnellen Schritten lief sie zum Trainingsplatz. Einige Frauen und Männer kamen ihr entgegen.

»Hallo«, sagte Lisa Wimmer. »Was machst du denn noch auf der Anlage?« Lisa war die Mutter von Tina und spielte Fußball in der Frauenmannschaft.

»Ich muss noch kurz mit Hannah reden.« Sie hoffte, dass niemand bemerkte, wie aufgelöst sie war.

»Siehst du Samstag bei uns zu?«, fragte Julia, die stämmige Verteidigerin.

»Klar«, antwortete Imke im Vorbeilaufen.

Mit den Ballnetzen in der Hand kam ihr Christian Weber entgegen, der seit dieser Saison Hannahs Co-Trainer war. »Hey, Kleine, was machst du denn noch hier?«

Imke blieb stehen. »Ich muss noch mit Hannah reden.«

»Was ist los? Bist du traurig? Das war doch heute so eine tolle Nachricht für dich.«

Imkes Augen füllten sich mit Tränen. Christian legte die Bälle ab, um sie tröstend in den Arm zu nehmen, doch Imke wich ihm aus.

»Wo ist Hannah?«, fragte sie.

Er zeigte in Richtung des Trainingsplatzes. »Sie unterhält sich mit Grohmann.«

Imke lief weiter. Sie sah, dass nur noch Hannah und Günter Grohmann auf dem Platz standen.

Ihre Trainerin hatte die Hände in die Hüfte gestimmt.

»Wir brauchen eine Lösung! Wir haben dasselbe Recht zu trainieren wie ihr!« Hannahs Stimme klang ungewohnt aggressiv.

Imke suchte Schutz hinter einem Strauch. Sie hoffte, dass der Herrentrainer nicht mehr lange blieb.

Grohmann schob seine Hände in die Trainingshose. »Frauen sollten ihre Männer auf dem Fußballplatz anfeuern, zu Hause verwöhnen und ein leckeres Essen kochen. Stattdessen wollt ihr Fußball spielen und nehmt dabei den Jungs die Plätze weg.«

Der spinnt ja! Imke biss sich auf die Lippe. Es fiel ihr schwer, dem eingebildeten Grohmann nicht eine passende Antwort zuzurufen.

Sie hörte Hannah auflachen. »Also wirklich. Aus welchem Zeitfenster bist du denn entsprungen?«

Imke grinste. Das hätte gesessen, denn Grohmann schwieg. Dann trat er einen Schritt auf Hannah zu.

Er zog sie an sich.

»Was wird das?«, fragte Hannah. »Kommst du mit deinen Argumenten nicht weiter und versuchst es auf die harte Tour?«

»Hart bin ich nur zu meinen Jungs, aber nicht zu schönen Frauen.«

Imke verzog den Mund. Was für ein Geschwurbel.

»Okay, jetzt hattest du deinen Spaß. Lass mich …« den Satz konnte Hannah nicht beenden, denn Grohmann drückte seine Lippen auf ihren Mund. Seine Hände glitten über ihren Rücken und ihr Gesäß.

Imke war wie erstarrt. Ein tiefer Stich bohrte sich in ihre Brust. Tränen schossen aus ihren Augen. Sie wollte nur weg von dieser Szene, von Hannah. Kopflos trat sie aus dem Schutz des Gebüschs.

»Imke, was machst du hier?«, hörte sie ihre Trainerin sagen.

Sie hob den Kopf. Hannah schob Grohmann von sich.

»Du hast uns doch nicht heimlich beobachtet?« Günter Grohmann hob tadelnd den Finger und grinste.

»Ich muss mit dir reden«, flüsterte Imke.

»Du siehst doch, dass du störst«, sagte Grohmann.

Imke drehte sich um und rannte davon.

»Imke«, hörte sie Hannah rufen. »Bleib stehen!«

Doch Imke lief weiter.


Weinend saß Imke auf ihrem Fahrrad. Neben ihren Eltern, Tina und Tanja gehörte Hannah zu den wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Eine schreckliche Einsamkeit breitete sich in ihr aus. Warum hatte Hannah sie nicht aufgehalten? Aber die flirtete lieber mit diesem blöden Typen rum.

Imke stellte das Fahrrad in die Garage und schloss die Haustür auf. Ihr Vater kam ihr entgegen. »Wo warst du denn?«

Imke drängte sich an ihm vorbei und rannte wortlos die Treppe zu ihrem Zimmer hoch. Sie knallte die Tür hinter sich zu und schloss sie ab. Ohnmächtig vor Enttäuschung, Wut und Traurigkeit fiel sie in ihr Bett. Sie war weder fähig, ihre Trainingskleidung auszuziehen, noch sich zu waschen und ihre Zähne zu putzen. Sie lag nur da und verspürte einen heftigen Schmerz.

Imke - Abseitsfalle

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