Читать книгу Der Ring der Niedersachsen - Cornelia Kuhnert, Bodo Dringenberg - Страница 6
ОглавлениеKarola Hagemann
Prolog
Verderben würde er die falsche Pharaonin mit ihrer Erhöhung der Isis – eine durchaus ehrenwerte Göttin sonst. Doch dem größten Gott der Ägypter, Amun-Re, musste wieder zu den gebührenden Ehren verholfen werden. Es konnte doch nicht angehen, dass Amun-Re, der Hauch des Lebens für alle Dinge, der dem Küken im Ei, den Fischen im Wasser, den Raubtieren, den Menschen, den Sternen das Leben gab, an die Seite gedrängt wurde und seine Priester, jahrtausendelang die Bestimmer der Geschicke Ägyptens, an Reichtum, Macht und Einfluss verloren. Sie, die im Namen des Amun-Re Pharaonen gekrönt, Ägypten zu seiner Größe verholfen hatten. Nein, diese griechische Usurpatorin musste fallen, und Isis – eine durchaus ehrenwerte Göttin – wieder an den Platz, der ihr gebührte, hinter Amun-Re.
Nicht umsonst hatte er hier in den Gewölben des Tempels zwanzig Jahre lang die Kunst der Magie studiert. Mit jedem winzigen Schnitt, mit dem er das Relief aus dem Stein holte, dem Karneol eine neue Form gab, mit jedem gemurmelten, dem Amun-Re heiligen Wort wurde das Verhängnis sicherer. Mit jedem Polieren das Schicksal der Griechin besiegelt. Nur gut, dass er als Priester des Amun-Re, als Magier dieses Gottes auch die Kunst des Steinschneidens und Goldschmiedens gelernt hatte, denn einem Schmuckstück konnte kaum ein Mensch widerstehen, einem so gelungenem wie diesem Ring mit dem feingearbeiteten Cameo schon gar nicht. Oh ja, er, Sephuris, wusste das, er kannte die Menschen.
Die Pharaonin würde glauben, dass dieser Ring mit dem Bildnis der Isis ihr Glück brächte, Isis – eine durchaus ehrenwerte Göttin –, deren Antlitz unter seinen Händen entstand, der Horusknabe an ihrer Brust, der Bruder Osiris an ihrer Seite, der Gott der Toten. Durch ihn, durch Osiris würde Amun-Re wirken. Mit jedem Polieren, mit jedem Wort wurde das Schmuckstück schöner, verführerischer, effektiver.
Noch ein wenig Weihrauch in die Schale für Amun-Re, damit der Fluch wirksamer werde. Oh, dieser Wohlgeruch, der seinen Geist benebelte, ihn Amun-Re näherbrachte, fast mit dem Gotte verschmelzen ließ, ja, er spürte es, das Antlitz der Isis würde umgedeutet, fehlgedeutet werden, diese Göttin mit ihren Mysterien für jeden, der das Geld, die Verbindungen hatte, ha, nichts war das im Vergleich zu den Mysterien des Amun-Re, die nur dessen Priester kannten. Ja, er sah das Schicksal der Isis voraus, ihr Sohn würde zum Gott werden und Unheil über die Welt bringen. Nun, nicht er selbst – jeder Gott war ja durchaus ehrenwert –, aber seine Priester, sie würden ihn zum alleinigen Gott machen, Isis würde zur Mutter degradiert und Osiris zum Erzeuger, nein, nicht einmal das, sein Geist würde das übernehmen. Lächerlich! Und Ströme von Blut würden die Welt erfüllen, Schlachten geschlagen, Städte geschleift, Türme gestürzt. Das Volk verdummt und geknechtet.
Das Gesicht schwand, gut, bedrückend, beängstigend war es gewesen. Er musste sich auf sein Werk konzentrieren, auf sein Ziel, die falsche Pharaonin vom ägyptischen Throne zu stürzen. Nun ja, ganz würde er die Zeit nicht zurückdrehen können, die Abkömmlinge der großen, der echten Pharaonen waren verschwunden, keiner würde sie ersetzen können. Doch das Wichtigste war, dass Amun-Re wieder die ihm zustehende Rolle einnahm. Und wenn dieser junge Römer Octavian dafür bezahlte, dass er, Sephuris, die griechische Usurpatorin des Pharaonenthrons beseitigte, so musste er dieses Angebot annehmen, alle Seiten würden davon profitieren. Zwar ging er anders vor, als der Römer sich es vorstellte, ein Mordkomplott hatte der im Kopf gehabt, so etwas Profanes, doch wäre sein Weg, der Fluch des Sephuris, nicht weniger wirksam, zudem viel ungefährlicher.
Noch ein wenig schleifen am Antlitz der Isis, noch ein wenig kratzen am Körper des Knaben, der letzte große, anstrengende, wirkungsvollste Zauberspruch, Weihrauch, Wein für den Widder des Amun-Re – das Werk war vollbracht. Oh, anstrengend war es gewesen, die Fackeln flackerten stärker, Sterne streuten sie vor seine Augen. Schwäche erfüllte die Glieder. Doch wirklich gelungen war der Ring, die Figuren sahen aus, als lebten sie. Wunderbar. Kleopatra würde nicht widerstehen können, und das wäre das Ende der Herrschaft der Ptolemäer. Dieser Ring würde die Welt verändern.