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Mord oder Unfall: Tutanchamun (1323 v. Chr.)

Tutanchamun ist ein Name, der klingt wie kein zweiter. Man verbindet ihn mit wundersamen Goldschätzen, geheimnisvollen Flüchen und frühzeitigem Tod. Vor wenigen Jahren sprengte eine Ausstellung, in der lediglich Repliken der in seinem Grab gefundenen Schätze zu sehen waren, Besucher- und Eintrittspreisrekorde. Tutanchamuns Regierungszeit gehört zum sogenannten Neuen Reich, der wohl bekanntesten Epoche in der ägyptischen Geschichte, in der es viele legendäre Herrschergestalten gibt – Amenophis III., Echnaton, Nofretete und Hatschepsut. Dabei kannte zu Beginn des 20. Jahrhunderts kaum jemand überhaupt nur den Namen des Pharao – erst seit der Entdeckung seines Grabs mit den vielen kostbaren Grabbeigaben durch Howard Carter im Jahr 1922 ist auch Tutanchamun eine Legende.


Tutanchamun im Streitwagen. Vorderseite der Kriegs- und Jagdtruhe aus dem Grab des Tutanchamun, Tal der Könige, Theben. Holz, stuckiert und bemalt.

Von der sechsjährigen Suche nach dem Grab bis zur abenteuerlichen Bergung der Schätze – die „Aufzeichnungen Carters … lesen sich wie ein Detektivroman“ (Wagner, 9). Doch auch wenn wir das Innere des Grabs Tutanchamuns mit den buchstäblich Tausenden von Kunstgegenständen heute sehr genau kennen, wissen wir immer noch recht wenig über das Leben Tutanchamuns selbst. Und das wenige, das wir wissen, trägt zum Mythos noch bei, denn sicherlich liegt die Faszination für diesen Pharao zum Teil auch daran, dass er eine ebenso prachtvolle wie tragische Figur der Geschichte ist: Mit nur 19 Jahren stirbt Tutanchamun, nach knapp einem Jahrzehnt Regierungszeit. Er hinterlässt keine Nachkommen, und so endet mit ihm die 18. Dynastie der ägyptischen Pharaonen (vgl. Schlögl, 244). Doch bis heute sind die Umstände seines Todes nicht geklärt. War es ein Unfall – oder war es Mord?

1999 veröffentlicht der angesehene US-amerikanische Ägyptologe Bob Brier das Buch Der Mordfall Tutanchamun (The Murder of Tutankhamen). Brier ist von der Mordtheorie überzeugt. Sein Hauptindiz für einen gewaltsamen Tod: Eine alte Röntgenaufnahme der Mumie Tutanchamuns weist eine Absplitterung des Schädelknochens auf – ist der Pharao erschlagen worden? Falls Tutanchamun ermordet worden ist, so führt die Spur zu mehreren Personen, die für seinen Tod verantwortlich sein könnten. Die Instabilität des Umfelds Tutanchamuns könnte dabei eine wichtige Rolle spielen (vgl. Brier, 16 ff.).

Tutanchamuns Vater, Echnaton, hat das Leben und die Kultur in Ägypten verändert: Er führt anstelle des traditionellen Polytheismus die Verehrung eines einzigen Gottes (Aton) ein – eine geradezu unerhörte Neuerung. Auch wenn er die Existenz der anderen Götter nicht verleugnet, so räumt er Aton doch einen Stellenwert ein, der fast einem Monotheismus gleichkommt. Für regelrechtes Entsetzen unter den Zeitgenossen sorgt die Schließung des Tempels des Amun in Karnak, die „nicht nur die Gläubigen [verletzt], sondern vor allem auch die Priesterschaft des Gottes, die bisher von der Wirtschaftsmacht des Tempels gelebt und ihren Einfluß und ihre Pfründe daraus bezogen“ hat (Schlögl, 136). Zwar ist Echnatons „Revolution“ nicht von Dauer, und seine Neuerungen halten keine 50 Jahre. Aber sie sorgen dafür, dass das durch Priester geprägte Umfeld des Königshauses an Stabilität einbüßt. Als sein Vater stirbt, ist Tutanchamun noch ein Kind; mit etwa neun Jahren muss er den Thron besteigen. Zu diesem Zeitpunkt nennt er sich noch Tutanchaton – sein Geburtsname, in dem sich der Monolatrismus des Vaters widerspiegelt („lebendes Abbild des Aton“, des vom Vater verehrten Sonnengottes).

In seine Regierungszeit fällt der Beginn der Aussöhnung mit dem traditionellen Glauben, von der sein neuer Name Tutanchamun („lebendes Abbild des Amun“) zeugt: Amun ist der ägyptische Gott der Fruchtbarkeit. Allerdings ist das Religionssystem, als Tutanchamun Pharao ist, noch stark erschüttert. Es ist eine Inschrift erhalten, die von den Anstrengungen des Pharao zeugt: „Der göttliche Herrscher tat dem Vater aller Götter [Amun] Gutes und baute ihm wieder auf, was an ewigen Monumenten verfallen war. […] Als seine Majestät gekrönt wurde, waren von Elephantine bis zum Marschland des Deltas die Tempel der Götter und Göttinnen der Vernachlässigung anheimgefallen, und ihre Schreine waren verwaist“ (nach Breasted, 344 f.). Und dennoch befindet sich unter den vielen Artefakten, die in Tutanchamuns Grab entdeckt wurden, ein Krummstab, der noch seinen alten Namen, Tutanchaton, trägt. Vielleicht hat er ihn zur Krö-nungszeremonie verwendet, denn die ist zum Zeitpunkt seines Todes noch nicht allzu lange her: Ganze zehn Jahre nach seinem Amtsantritt (1323 v. Chr. oder, nach anderer Datierung, 1309 v. Chr.) stirbt Tutanchamun, ohne dass eine Todesursache überliefert wird (vgl. Silverman u. a., 165 ff.).

Bericht über den Brief Anchesenamuns an Šuppiluliuma, König der Hethiter

Als mein Vater in Kargamiš war, da schickte er Lupakki und Tarhuntazalma in das Land von Amka. Sie griffen daraufhin Amka an und brachten Kriegsgefangene, Rinder und Schafe von meinem Vater zurück.

Als die Ägypter aber von dem Überfall auf Amka hörten, da packte sie die Furcht, und weil darüber hinaus ihr Anführer, Piphururijas, gestorben war, schickte die Frau des Königs von Ägypten eine Botschaft zu meinem Vater, in der sie Folgendes schrieb:

„Mein Ehemann ist verstorben und ich habe selbst keinen Sohn. Man sagt aber, dass du mehrere Söhne hast. Schicke mir doch einen deiner Söhne, damit er mein Ehemann wird. Niemals werde ich einen meiner Diener heiraten!“

Als mein Vater davon hörte, rief er seine Offiziere zusammen, beriet sich mit ihnen und sagte: „Seit ich denken kann, ist so etwas noch nicht vorgekommen!“ Er ließ seinen Kammerdiener Hattuzitiš holen und sagte zu ihm: „Geh dorthin und berichte mir wahrheitsgemäß, was vor sich geht. Vielleicht versucht sie, mich zu hintergehen. Berichte mir, ob sie nicht doch einen Sohn als Königsanwärter hat.“ […]

Die ägyptische Königin schickte ihm bald einen Brief, in dem sie schrieb: „Warum sagst du: ‚Vielleicht versucht sie, mich zu hintergehen‘? Wenn ich doch einen Sohn hätte, würde ich dann an ein fremdes Land schreiben, in einer für mich erniedrigenden Art und Weise? Du vertraust mir nicht, wenn du so etwas sagst. Mein Mann ist gestorben und ich habe keine männlichen Nachkommen. Ich kann doch nicht einen meiner eigenen Diener heiraten! Ich habe allein dir geschrieben, keinem anderen König oder Land. Man sagt, dass du mehrere Söhne hast. Schicke mir einen deiner Söhne, dann wird er mein Mann und König von Ägypten.“

Taten des Šuppiluliuma (CTH 40), Tf. 7 fr. 28

(Übers. nach Assmann, 239 f.)

Einer der Hauptverdächtigen ist der Hofbeamte Eje, der nach Tutanchamun den Thron besteigt. Eines der Beweisstücke, die auf Eje hindeuten, ist ein Ring, der 1931 entdeckt wurde. Er zeigt, dass Eje kurz nach Tutanchamuns Tod Anchesenamun, eine Tochter Echnatons, heiratet. Dies macht ihn zum Pharao. Zusätzlich zu diesem Ring existieren Tafeln, die davon zeugen, dass Anchesenamun die Hethiter – mit denen Ägypten zu dieser Zeit verfeindet ist! – um Hilfe bittet; der hethitische König Šuppiluliuma solle einen Sohn nach Ägypten schicken, um sie zu heiraten – sie wolle auf keinen Fall einen ihrer eigenen Diener heiraten müssen (vgl. Steuer, 256). Ist dies ein verzweifelter letzter Versuch der Königstochter, den Thron vor dem Mörder Eje zu retten?

Ein weiterer Verdächtiger ist Haremhab, der zwar nicht direkt nach Tutanchamun, aber immerhin nach Eje, der nur vier Jahre regiert, Pharao wird. Haremhab ist der Stellvertreter, Vermögensverwalter und Oberbefehlshaber des jungen Königs. Er könne sich, so glaubt man, zum Ziel gesetzt haben, die alte religiöse Ordnung wiederherzustellen und den von Echnaton verfügten Monotheismus wieder abzuschaffen.

Erst 2006 gibt es neue Erkenntnisse, die ein wenig mehr Licht ins Dunkel bringen können. Der ägyptische Radiologe Ashraf Selim untersucht Tutanchamuns Mumie mittels Computertomographie, bei der der Körper in 1900 einzelne Bilder „zerschnitten“ wird. Er kommt zu erstaunlichen Ergebnissen: Zunächst stellt man fest, dass die Schädelverletzung, die auf den Mord durch Erschlagen hinzuweisen schien, erst nach dem Tod des Pharao eingetreten ist. Vielleicht ist die Mumie beschädigt worden, als Carter und seine Helfer die Totenmaske entfernten. Dabei könnte ein Stück vom Schädelknochen abgeplatzt sein. Des Weiteren fehlt das Herz des Pharao – ein merkwürdiger Umstand. Hin und wieder wurde Bestatteten zwar auch das Herz entnommen, das bei den Ägyptern als Sitz des Verstandes galt, aber in solchen Fällen hat man es stets durch einen Skarabäus ersetzt. Dieser fehlt bei Tutanchamun. Und außerdem entdeckt man einen komplizierten Bruch des linken Oberschenkels, eine Fraktur der rechten Kniescheibe und eine des rechten Unterschenkels. An diesen Knochenbrüchen könnte der Pharao, wie Experten meinen, durchaus gestorben sein, wenn es zu inneren Blutungen oder einer Blutvergiftung gekommen ist (vgl. Hawass, 25).

Seither gibt es die Theorie, Tutanchamun sei bei einem Jagd- bzw. Reitunfall verunglückt oder von einem Wagen überrollt worden und an den Folgen gestorben – wenngleich die Forscher einräumen müssen, dass es auch an dieser Hypothese weiterhin Zweifel gibt. Denn es ist natürlich ebenso denkbar, dass Tutanchamun diese Verletzungen vorsätzlich zugefügt worden sind: Man muss jemanden nicht auf den Kopf schlagen, um ihn zu ermorden, man kann ihm auch die Beine zerschmettern – zumal in einer Zeit, die noch keine Antibiotika oder Ähnliches kennt. So könnte eben auch der Reitunfall inszeniert gewesen sein, oder jemand hat den Pharao in voller Fahrt vom Streitwagen gestoßen oder mit einem solchen Wagen überfahren. Wir müssen letztlich wohl einsehen, dass wir heute zwar die Todesursache feststellen können, aber nicht die Hintergründe – diese liegen im Dunkel der Geschichte verborgen, das in diesem Fall die Computertomographie nicht zu erhellen vermag.

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