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WAS DAS LEBEN AUSMACHT

Es ist die größte Krise seit Ende des zweiten Weltkrieges, sagt die erste Frau im Staat während einer Pressekonferenz. Der erste Mann im Staat ist an der Stelle eher im Hintergrund. Hauptsächlich zur Repräsentation der Republik und zum Unterzeichnen der Gesetzgebung, wenngleich auch er hin und wieder mit getragenen staatsmännischen Worten auf den Zusammenhalt und die erforderliche Disziplin in der aktuellen Lage hinweist..

Nun, im Fall des zweiten Weltkrieges, ich bin erst deutlich später auf die Welt gekommen. Ich kenne ihn nur aus den fragmentarischen Erzählungen meiner Mutter.

Von den Großmüttern höre ich fast nichts über diese Zeit. Allenfalls weiß ich von der zeit ihres Lebens großen Abneigung einer meiner Großmütter gegenüber den Kohlrüben, die wegen der Lebensmittelknappheit in allen möglichen Versionen gegessen wurde. Meine Großmutter hat nach Ende des ersten Weltkrieges keine Kohlrübe mehr in den Einkaufskorb gelegt, geschweige denn als Essen serviert.

Meine Mutter erlebte den Krieg als kleines Kind. Vieles was damals geschehen ist, kann man als Kind weder in der Gesamtheit erfassen, noch entsprechend einordnen. Aber es gibt Anzeichen, die auf diese Erlebnisse Rückschlüsse erlauben mit der entsprechenden Nachhaltigkeit. Sie kommen unter anderem darin zum Ausdruck, dass sie sich Zeit ihres Lebens, nur sehr schwer von Lebensmitteln trennen konnte, selbst wenn diese schon mehrere Jahre das Verfallsdatum überschritten hatten.

Ein Effekt, der ihr vermutlich nie selbst bewusst geworden ist, der mit Sicherheit aber aus dem erlebten Mangel an Nahrungsmitteln erwachsen ist, den sie als kleines Kind erlebt hat.

In einer ihrer Erzählungen hat meine Großmutter aus selbst gesammelten Brennsesseln „Spinat“ gekocht, damit die Familie in der entbehrungsreichen Zeit zu Essen hatte. Obwohl gleichsam die Versorgung auf dem Land wahrscheinlich noch anders möglich war als in den Städten. Dort konnte man nicht mal auf Federvieh aus dem Stall und auch nicht auf die dazu gehörigen Eier zurückgreifen. Auch die kleine Ernte von Selbstangebautem blieb eigentlich nur denen möglich, die über eine kleine Scholle mitten in der Stadt sich freuen konnten. Aber auch Brecht wusste: erst kommt das Fressen und dann die Moral. Wer großen Hunger hat, denkt wahrscheinlich eher nicht über rechtmäßen Erwerb nach. Schon gar nicht, wenn der Mangel schier endlos ist.

Auch wenn Bedrohung durch Soldaten, so hat sie es empfunden, Mangel an allem möglichen und Flüchtlinge, die gab es auch zu dieser Zeit, sicherlich auch ihre Spuren hinterlassen haben.

Nun, der Krieg und all seine Auswirkungen sind weit weg. Ich bin zu spät dafür geboren. Und alle anderen Ereignisse der Zeitgeschichte, zum Beispiel die Studentenunruhen der ´68 Jahre habe ich damals, obwohl schon in dieser Welt anwesend, nicht mitbekommen. Meine Eltern führen ein kleinbürgerliches Leben. Was sie in dieser Zeit politisch denken, erfahre ich nicht.

In dieser Zeit stecke ich noch in meiner eigenen kleinen Welt, wenngleich ich ja eigentlich direkt in der Stadt gelebt habe, in dem sich Studenten für neue Ideen zu großen Demonstrationen in den Straßen versammelt haben.

Benno Ohnesorg kommt in meinem Universum einfach nicht vor. Die Kommune eins, mit all ihren damals revolutionären Ideen, die die biedere und geschichtsverdrängenden Bundesrepublik hinterfragten, all das war ganz weit weg. Die damals jungen Leute, die zu der Generation der Nachkriegskinder gehörten und die die Auseinandersetzung der Altvorderen mit der eigenen Rolle in der Geschichte aufforderten. Die die blütenweißen Westen, jener Amts und Würdenträger des öffentlichen Lebens anzweifelten, die durch Persilscheine ausgestattet, weiterhin unbeschadet in der noch nicht so alten Republik angesehene Mitglieder der Gesellschaft waren. Unter den Talaren, der Muff von tausendend Jahren….

Stattdessen beobachte ich an schönen Tagen im Vorgarten die Feuerkäfer, die mit ihrem auffälligen rot-schwarzen Panzern an der von Sonnenstrahlen gewärmten Hauswand zu Heerscharen, mal einzeln, vielfach auch zu zweit, fest miteinander verbunden empor klommen.

Rollschuhfahren in der Straße vor dem Haus ist mein größtes Vergnügen. Dort wo die Gehwegplatten so verlegt sind, dass sie eine relativ ebene Fläche bilden. Bei den großen Granitplatten, die mit einem größeren Abstand verlegt sind, habe ich irgendwann auch den richtigen Rhythmus raus und werde immer schneller und es hat fast etwas Rauschhaftes. Mungo Jerry mit:“ in the summertime“, im Radio.

In den Siebzigern, ich bin ein Kind der Mauer, prägte meine Lebenswirklichkeit die Beklemmung an der Grenze. Das mulmige Gefühl, das sich schon im Büro für Besuchs- und Reiseangelegenheiten einstellte, wenn man einen Passierschein beantragen wollte.

Und die Angst, etwas falsches zu tun oder zu sagen, dass der Grenzbeamte, alles Stasimitarbeiter, wie im Nachhinein bekannt wurde, dazu veranlassen konnte, sehr genau hinzuschauen, einen aus der Menge der Wartenden zu ziehen und das eigene Auto, die mitgeführte Tasche oder was sonst auch immer, gründlich zu filzen.

Der Humor jener Zeit äußert sich in der Frage nach „Gänsefleisch“- „Gänse fleisch mal den Kofferraum uffmachn?“ Viele der Grenzer kamen schließlich aus dem Tal der Ahnungslosen, in dem zwar gut sächseln aber kein „Westempfang“ möglich war.

Irgendwie hatten wir uns alle in dieser morbiden subventionierten Stadt mit den Gegebenheiten arrangiert. Lebten ein Inselleben und waren anders als alle anderen. Es gab die Wessis, die Ossis und es gab uns. Wir saßen auf unsere Insel und wurden bestens bewacht. Die einzige kurze Strecke, die man für eine kleine Dauer schnell fahren konnte, also so, wie auf westdeutschen Autobahnen üblich, ohne Geschwindigkeitsbeschränkung, war die AVUS, bis einem dann kurz vor Dreilinden, wieder klar war, wo man eigentlich wohnte, ja zu Hause war. Wir Berliner hatten unser ganz eigenes Lebensgefühl. Und westdeutsche Besuchergruppen, die abends über den Kudamm bummelten und über unsere nie wirklich schlafende Stadt staunten, sie kamen uns manchmal recht bieder vor. Hier war nicht chic, hier war Verfall, hier wehte ein anderer Wind.

Zu Beginn der Achtziger, in denen wir in die Welt drängten und sie kennen lernen wollten, da war ein „Durchwinken“ der Grenzposten an der Deutsch-Französischen Grenze eine außergewöhnliche Erfahrung.

Da haben wir uns in einem alten Kadett auf den Weg gemacht, der bergab und mit Rückenwind grad mal hundertsechzig lief. Solide war und langsam fuhr, aufgemacht in die große weite Welt, die doch meist nur ins westeuropäische Ausland führte.

Sich mit den anderen Kumpels aus der Heimatstadt auf einem südfranzösischen Campingplatz, nahe dem Atlantik, zu treffen war unbeschwerte Freiheit. War Abenteuer und hat uns das Leben der Nachbarn näher gebracht. Deutsch- Französische -Freundschaft wurde erfahren und gelebt, von den einen mehr, von den anderen zumindest mit dem verbundenen Spaß, den wir damals alle miteinander hatten.

Wir haben auch in den Folgejahren andere Urlaubsbekanntschaften gemacht, die uns entweder Unterschlupf bei der Rückreise und eine Verschnaufpause ermöglicht haben oder uns einfach durch ihre naive Fragestellung nur verwunderten.

Dachten sie doch, dass die deutsch-deutsche Grenze, ähnlich der chinesischen Mauer ein Bauwerk ist, das man in aller Ruhe und mit touristischem Erkundungsdrang einfach mal besteigt, um gemütlich darauf entlang zu wandeln. Sich die andere Hälfte der Welt Mal mehr oder weniger interessiert anzusehen.

Wir wussten es besser. Kamen wir doch direkt von jener Insel, ausgestattet mit dem antifaschistischem Schutzwall und einem ausgeklügeltem Überwachungssystem. Mitte der Achtziger hatten wir schon mal eine Bedrohung, von der man weder etwas hören, sehen, riechen, schmecken, noch sonst es mit einem menschlichem Sinn erfassen konnte, zu tun.

Der Super GAU, der größte anzunehmende Unfall eines Atomkraftwerkes in der Ukraine nahm damals die Welt über Wochen in seinen Bann. Becquerel war das Wort der Zeit. Spielplätze durften nicht mehr betreten werden. Kindern musste erklärt werden, warum sie nicht bei schönstem Sonnenschein unbeirrt nach draußen gehen durften. Besorgte Eltern forderten und vollzogen, teils auf eigene Kosten den Austausch von Buddelsand.

Vom bestimmten Speisen, wurde dringend abgeraten, weil sie besonders gut die radioaktiven Bestandteile aus dem Boden aufnehmen und speichern.

Insbesondere der Verzehr von Pilzen aus den Gebieten, über die die radioaktive Wolke gezogen war, war nicht angeraten. Es war eine Bedrohung, die auch damals niemand greifen konnte und die trotzdem real war. Seit dieser Zeit mache ich auch heute noch um Pfifferlinge einen Bogen, obwohl sie längst wieder im Herbst in den Auslagen der Lebensmittelhändler zu finden sind. Aber der Mensch verdrängt wahrscheinlich immer wieder auch die Geschichte, die trotzdem immer noch vorhanden ist, wie die Halbwertzeit eines zerfallenden radioaktiven Fallouts. Sie gehört nicht mehr zum medialen Interesse und findet daher mit Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr in den Köpfen statt.

Gegen Ende der Achtziger gab es ein Ereignis, an das wohl kaum noch jemand geglaubt haben mag. Es war jedoch eines, dass uns in den ersten Tagen sehr ungläubig hat staunen lassen, dass es geschehen könnte. Eine ganze Nation befindet sich im Ausnahmezustand. Menschen laufen zusammen, plötzlich ist der Gestank der Trabbis nicht mehr auf eine Stadthälfte begrenzt. Die Luft ist geschwängert mit Zweitaktergemisch. Auf den Straßen ist die Hölle los. Man kommt kaum noch irgendwo durch. Die Leute werden begrüßt, bejubelt. Jeder Erstbesucher erhält 100 Deutsche Mark Begrüßungsgeld. So bilden sich Schlangen vor den Ausgabestellen, sprich Banken und dann vor den Geschäften. Die müssen zeitweilig sogar wegen Überfüllung geschlossen werden, weil nun sich mit der harten Währung zumindest kleinere Wünsche erfüllen lassen.

Später werden Einige in Interviews erzählen, dass sie auch total unnützes Zeug gekauft haben. Überfordert von der plötzlichen Menge an Konsumgütern.

In den kommenden Tagen bilden sich überall Schlangen vor und in den kleineren und größeren Geschäften. Wie Heuschrecken fallen jetzt die Menschen in die Läden ein und kaufen, als gäbe es kein Morgen.

Das Leben nimmt an Fahrt auf und wir sind mitten drin, in den Ereignissen der Zeit.

Damals wohnten wir direkt an einem Fleck, an dem die Teilung bis dahin immer gegenwärtig erfahren werden konnte. Stand man auf dem S-Bahnhof, hatte man einen Logenplatz, um direkt in den Todesstreifen sehen zu können. Grenzsoldaten, die in ihren Wachtürmen ausharrten. Sie nahmen alle genauestens durch die Ferngläser unter die Lupe, die da auf dem Bahnhof die Einfahrt des nächsten Zuges abwarteten. Einen peniblen Sandstreifen, in dem durch massiven Pestizideinsatz kein Halm mehr eine Chance hatte und die kläffenden scharfen Hunde mit den Hundeführern auf Patrouillengang.

Dass zwei Straßenecken weiter, Menschen „die Mauer muss weg“ skandieren, während entsprechendes schweres Gerät das Mauerwerk unterhalb der Stadtbahnunterführung freirissen, das ist schon ein historischer Moment.

Also man ist die letzten dreißig Jahre damit beschäftigt, zusammen wachsen zu lassen, was zusammen gehört und die Landschaften blühen mancherorts im Westen der Republik nach wie vor stärker als andernorts, in den ehemals von der sowjetischen Siegermacht geprägten Landesteilen. Auch wenn es in den dreißig Jahren auch im Pott zu sagenhaftem Verfall in diversen Städten gekommen ist und Thüringen sich eher zur aufstrebenden Region gemausert hat.

Hüben wie drüben haben sich Verwerfungen aufgetan. Und Mancher, der damals den Traum hatte sich von der Bevormundung und der Horch-und Guck Attitüde emanzipieren zu können, eine neue Form der Mitbestimmung nun erleben zu dürfen, sah sich bald bitter enttäuscht. Der Westen kam über den Osten und verleibte sich schnell nach Wirtschaftsmaßstäben ein, was Aussicht auf Gewinne hatte. Alles andere wurde abgewickelt und der Treuhand in die nicht immer treuen Hände überantwortet.

So gab es wieder, nach einem Jahr des Aufbruchs`89/´90 und vielen demokratischer Übungen dann den harten Aufschlag im Kapitalismus. Vieles, was Menschen als identitätsstiftend angesehen hatten, brach plötzlich weg. Viele haben sich zunächst im Westen umgesehen. Es sind nicht alle heimisch geworden. Einige kehrten wieder zurück, haben sich mit innovativen Ideen in der alten Heimat zu neuen Zielen aufgeschwungen und versuchen ihr Glück nun mit dem Heimatgefühl und der vertrauten Sozialisation.

Widerstand entsteht oftmals aus einem Gefühl des sich nicht mitgenommen Fühlens. Das sich als abgehängt zu erleben, ruft Frust und Neid auf den Plan, bietet Nährboden für die, die mit den einfachen Lösungen es dem Einzelnen vermeintlich bequem machen die Welt sich so zu denken, wie sie für einen selbst am besten passt und abzulehnen, was da nicht ins eigene Weltbild passt.

Demokratie ist immer komplex, bedeutet anstrengende Arbeit, ist manchmal unbequem, fordert immer Auseinandersetzung und hat zwei große Geschwister: Respekt und Toleranz. Dass jeder nach seiner eigenen Facon selig werden darf, wird von manchem nicht akzeptiert.

Die globale Vernetzung, die Handelsbeziehungen ziehen sich über den gesamten Erdball und vieles wird ausgelagert. Die Welt dreht sich augenscheinlich immer schneller. Alles erfolgt just in time. Wir fliegen inzwischen innerhalb Europas und der Welt zu Preisen, die in den frühen Jahren der Siebziger noch für viele vergleichsweise teuer bis unerschwinglich waren. Bahnfahren im eigenen Land ist ein größerer Luxus, als mal eben in eine andere europäische Hauptstadt zu jetten. Und es dauert auch entschieden länger, aber dafür ist es auch unpünktlicher und sorgt für verpasste Anschlusszüge.


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