Читать книгу Im Jahr des Kronenkoboldes - C.R. Waterlily - Страница 5
ОглавлениеDAS JAHR MIT DEM KLEINEN KRONENKOBOLD
Der Definition des Dudens nach handelt es sich beim Kobold um einen neckischen Geist. Geister kann man ja bekanntlich nicht sehen. Es sei denn, sie heißen Pumukl und tragen rote Haare und wohnen bei einem Schreinermeister. Aber auch dieser bekannte Zeitgenosse aus der phantasievollen Feder des Schriftstellers entsprungen, macht seinem Meister Eder das Leben gern mal schwer. Wenn auch die kleinen Neckereien und die besondere Denkweise, die dort zu erleben ist, auch liebenswürdig erscheinen mag.
Wehe dem, der sich unter Umständen böse Gesellen dieser Gattung ins Haus geholt hat, oder es auf andere Weise mit ihnen zu tun hat. Ähnlich verhält es sich wohl auch ein wenig in dieser Zeit.
Im Januar höre ich in den Nachrichten und wahrscheinlich auch mehrere Millionen anderer Menschen, von einem neuartigen Virus, das in China ausbricht und sich als eine nie dagewesene Gefahr darstellt. Was auf der Welt sich so ereignet, dass nimmt man eher als Information hin.
Vor ein paar Jahren gab es schon die Vogelgrippe, die Schweinepest und irgendwie haben wir in der Landwirtschaft das Keulen des Federviehs zur Kenntnis genommen.
Auch den Rinderwahnsinn, der schon zu anderer Zeit verstörende Bilder von taumelnden und zusammenbrechenden Rindern über Wochen und Monate die Berichterstattung in den Medien dominierte.
Na, dann kaufen wir eben kein Rindfleisch mehr, oder nur das vom Biobauern. Oder mit immer kleiner werdendem schlechtem Gewissen, das aus der konventionellen Haltung. Überlegen uns, weniger Fleisch, ist eh besser und führen unsere Leben halt weiter wie gewohnt.
Die in China erstmals auftretende neuartige Krankheit, zeigt immer stärkere Auswirkungen.
Wir schauen die Abendnachrichten und China, ist trotz Vielfliegerei, immer noch verdammt weit weg.
Viren hat es schon immer gegeben, erinnere ich mich zu einer Kollegin noch im Januar sagen. Man muss mal überlegen, dass es ja immer ein gewisses Risiko gibt und alles wahrscheinlich ziemlich hysterisch ist wenn wir von Menschen aus dem weiteren Umfeld hören, die auf Grund der Nachrichtenlage sich überlegen, nicht mehr in die jeweiligen Gruppen zu kommen.
Damals fanden wir diesen Gedanken noch äußerst abstrus.
Ziemlich schnell entschließt sich die chinesische Regierung zu drastischen Maßnahmen. Na die können es ja machen, mit ihrer zentralistischen Regierungsform. Dulden ohnehin ja längst nicht, was wir in unserer europäischen Lebensweise über die Jahrzehnte als Grundfeiler der westlichen Zivilisation ansehen.
In Rekordzeit entsteht in der ersten Ausbruchsregion ein Krankenhaus.
Ja, manche Nationen kriegen einige Dinge eher schnell, wenn auch zu manchmal einem hohen Preis auf unterschiedlichen Ebenen gestemmt. Aber das ist ja eine andere Geschichte.
Auf jeden Fall hört man in den Nachrichten von einer immer größer werden Anzahl an Toten. Naja, Tote gibt’s gewissenmaßen an jeder Ecke, auch wenn das einigermaßen zynisch ist. Kriege nehmen die meisten von uns auch eher als Nachricht hin. Das Elend, das damit verbunden ist, ist im menschlichen Mitgefühl meist untergeordnet präsent. Alles ganz schrecklich, aber man ist ja zum Glück nicht selbst betroffen und immer noch weit genug weg. Aber diesmal rückt die Tatsache mehr und mehr ins Bewusstsein, dass es für manche Ereignisse keine Landesgrenzen braucht.
Das Virus schafft es bis nach Europa. Zunächst ist Italien am stärksten betroffen und einige Mitarbeiter in Süddeutschland, die ein Meeting mit einer chinesischen Mitarbeiterin hatten. Hm, das ist schon irgendwie komisch. Aber die sechs, die da in Bayern betroffen sind, erfreuen sich trotz Erkrankung doch soweit eines guten Allgemeinzustandes.
In Italien ist dann sehr schnell der exponentielle Verlauf der ganzen Entwicklung zu beobachten. Jede Krise bringt auch ihr eigenes Vokabular mit sich, was in den Achtzigern, die Halbwertzeit und das Becquerel war, hat heute neue Schlagworte.
Also, die Zahlen, die da von Erkrankten und Toten berichten und das in einem europäischen Nachbarland, sorgen für immer neues und größeres Unbehagen.
Rasant schreitet die Entwicklung der ganzen Sache voran und nimmt gehörig Fahrt auf. Italien, in denen nun immer mehr Menschen der ganzen Epidemie zum Opfer fallen, entschließt sich zu drastischen Maßnahmen. Auch Süddeutschland hat immer größere Quoten in der Zahl der Erkrankten. Wohin soll das noch führen?
Plötzlich ist von Ausgangsverboten die Rede und man darf in Italien nicht mehr vor die Tür treten. Was geht da ab?
Die Fallzahlen entwickeln sich in einem Tempo, dass es kaum fassbar ist und jetzt bestimmen die Abendnachrichten immer stärker nur noch ein Thema.
Im Februar leben wir in Deutschland noch das gewohnte Leben, mit allem alltäglichem, was uns die letzten Jahrzehnte beschäftig hat. Uneingeschränkt machen wir so weiter wie bisher.
Einer meiner Kollegen formuliert, was auch mir im Kopf ist; die Einschläge kommen näher. Auch wenn es sich nicht um Bomben handelt, es ist mit jedem Tag stärker spürbar. Manche, die in der Öffentlichkeit husten, werden jetzt argwöhnisch, mit gerunzelter Stirn und der dazu gehörigen Aufmerksamkeit, von den in der Umgebung befindlichen Anderen, registriert. Mag sein, dass einige sich in Bus und Bahn damit sogar einen größeren Freiraum verschaffen, als sonst gewohnt und jedes Hüsteln auch gezielt einsetzen.
Schon zwei Wochen später, ist plötzlich nichts mehr wie bisher.
Die beschlossenen Maßnahmen betreffen jetzt alle und sind von einem auf den anderen Tag sehr real. Jetzt gelten zwar nicht Ausgangsverbote aber Kontaktbeschränkungen. Jeder darf nur noch maximal zu zweit oder innerhalb der mit den im Haushalt befindlichen Personen ins Freie, zum Einkauf und zur Arbeit, sowie zum Arztbesuch nach draußen.
Spazieren gehen ist noch erlaubt und wird zur Bewegungsform der Stunde. Die Ordnungshüter setzten die neuen Bestimmungen, dort wo es Verstöße zu beobachten gibt, rigoros um. Das sich Niederlassen auf einer Wiese und sei man im Umkreis von zwanzig, dreißig Metern auch komplett alleine, ist nicht erlaubt.
Was da mit allen passiert, kann man in den ersten Tagen noch gar nicht richtig fassen.
Das Gebot der Stunde definiert sich über Abstand. Der Mindestabstand ist plötzlich eine Verhaltensregel, die wir in unserem Verhaltensrépertoire bis jetzt nur auf Leute angewandt haben, die wir entweder unsympathisch fanden oder sie auf Grund von schlechten Erfahrungen meiden möchten. Der Mensch braucht gemeinhin die Gruppe und die Zugehörigkeit einer ebensolchen. Sich nun anders zu verhalten als Soziologen in unzähligen Studien dokumentiert haben, ist uns nicht zu eigen. So ergibt es sich immer wieder, dass einige noch nicht im Kopf haben sich anders zu verhalten. Es ist ihnen noch nicht klar. Mir schon.
In den ersten Tagen werde ich schon nervös, wenn sich hinter mir, jemand zu dicht in der Kassenschlange anstellt. Unbehagen ist eines meiner häufigsten Gefühle in der Öffentlichkeit. Das ist kein von Kindesbeinen an erlerntes Verhalten.
Drängeln, schneller sein und andere damit auch immer, je nach Situation überforteilen, dass ist mitunter auch bei manchen, mehr oder minder bewusst, eine Art Volkssport.
Ich bin schneller als du und habe mir einen Vorteil daraus erschaffen. Sieh zu, wie du damit klar kommst. Was geht es mich an? Jetzt ist auf einmal Abstand. Wie gesagt, nicht unbedingt erlerntes verinnerlichtes Verhalten. Das muss erstmal in die Köpfe und in das daraus resultierende Bewegungsmuster rein. Viele tun sich schwer damit.
Ich haben beschlossen etwas dagegen zu tun. Gegen meine eigene Unbehaglichkeit, wenn mir einer zu nahe rückt, nehme ich auf einmal einen Zollstock mit zum Einkaufen. Ich will meine Sicherheit notfalls damit verteidigen, indem ich, wenn nötig, das Ding aus der Tasche hole und den Leuten mal zeige, wie weit zwei Meter sind.
Da sehe ich dann in dem Laden die ersten Bodenmarkierungen. Und ich empfinde echte Erleichterung.
Dort, wo sie fehlen, ist mein Wunsch nach meiner eigenen Sicherheit so groß, dass ich Fremde entweder per Handzeichen oder in direkter Ansprache auffordere, ein Stück zurück zu gehen. Dafür ernte ich auch Kommentare, wie sich rausstellt sogar durch Menschen, die es von Berufswegen besser und eher wissen müssten.
Mein Unverständnis ist in dem Moment nahezu grenzenlos.
Wochen später kursieren im Internet kleine Filmchen, die Menschen zeigen, wie sie sich mehr oder minder ungelenk mit Eigenkonstruktionen umhängend in der Werkstatt bei der Arbeit und auf den Straßen bewegen. Auch wenn es ein Lachen ins Gesicht zaubert und zur Erheiterung beiträgt, zeigt es, dass auch andere Menschen ähnliche Gedanken zu haben scheinen. Jede Krise bringt auch einen besonderen Humor zum Vorschein. Da verschicke ich mal so nebenbei, auch wenn Ostern noch etwas hin ist, ein Foto, indem immer eine Lücke zwischen zwei Eiern im Karton ist und kommentiere es entsprechend.
Hat schon ein wenig neurotisches an sich. Über einen kauzigen Ermittler, in einer Krimireihe, der einem aus Angst weder die Hand gibt, noch Türklinken mit der Hand öffnet, kann man ja noch mit einem gewissen Amüsement begegnen. Dessen schrullige Neurosen machten das Format der Serie aus. Wär hätte je vermutet, dass ganze Völker nun genau diese Verhaltensweisen praktizieren. Ich jedenfalls setze immer mehr meine Füße ein, wenn es gilt eine Tür offen zu halten und hole mir entsprechend viel blaue Flecken an den Unterarmen, bei dem Versuch die Klinken der großen Türen meines Wohnhauses nicht wie üblich zu öffnen.
Ich kann mich derzeit ohnehin gut und schnell aufregen. Über ignorante Zeitgenossen, über andere Dinge im Allgemeinen.
Ach ja, ich wollte ja was tun: jeden Freitag, ich wohne in einem Haus mit Kleingewerbe, kommen Leute um im Sudterrain einzukaufen.
Die Abstandsregel ist für mich zu einer zentralen Empfindung geworden.
Anderen geht es eher nicht so und das kann ich nur äußerst schlecht aushalten. So kommt dann wieder der Zollstock zum Einsatz und ein Klebeband, das äußerst gut auf der Rolle klebt und sich nur schnipselweise abreißen lässt.
Schließlich kriege ich halbwegs akzeptable Stücke abgerissen. Und damit auch der Letzte noch die Chance hat es zu merken, schreib ich auch gleich noch „zwei Meter“ drauf, bevor die Kunden überhaupt in den Laden gehen, gibt es eher diskrete Marker.
Zur Öffnungszeit des Ladens werfe ich einen Blick aus dem Fenster und feiere meinen Triumph.