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Kapitel 2

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„Du wolltest doch auch damit aufhören, Ramon“, flehte sie ihn an.

„Ich weiß. Nur noch dieses eine Mal, bitte Carmen. Du willst das hier alles doch auch nicht aufgeben?“

Sie hielten sich in der Küche ihres Bungalows auf. In der Doppelgarage parkte sein weißer BMW X6 und ihr Audi A3 Cabrio in himmelblau-metallic.

„Nein, natürlich nicht. Aber ich kann nicht länger mit dieser Angst und den Schuldgefühlen leben“, antwortete sie frustriert.


Ramon war ein hochgewachsener, südländisch wirkender Typ im mittleren Alter. Er erzählte gerne, dass er spanischer oder italienischer Herkunft sei, je nach Situation und wie es passte. Dabei war er Deutscher mit polnischen Wurzeln und hieß in Wirklichkeit Roman.

Er verdiente sein Geld mit kriminellen Aufträgen, die er hin und wieder ausführte. Sein Onkel hatte ihn schon sehr früh ‚angelernt’. Durch ihn hatte Ramon im Laufe der Zeit viele wichtige Kontakte für sein zwielichtiges ‚Geschäft‘ knüpfen können.

Aufgrund seiner kriminellen Machenschaften kam er in den Genuss, ein ausschweifendes Leben zu führen. Wenn es finanzielle Engpässe gab, war es für ihn recht einfach, sich immer wieder Geld bei einem seiner Auftraggeber zu „günstigen Zinsen“ zu leihen. Er lebte gut damit, kam viel herum, kannte unzählige Leute, die viel auf sich hielten, und war ein gern gesehener Gast auf deren Partys. Auf einer dieser Partys hatte er vor ein paar Jahren Carmen kennengelernt.

Carmen war immer schon eine Lebefrau. Der Sinn stand ihr nach Spaß und Vergnügen. Sie war außergewöhnlich hübsch und sexy. Sie war groß, langbeinig, schlank und hatte langes blondes Haar, dass ihr in Wellen über den Rücken fiel.

Gerne hätte sie einen Job als Model oder Schauspielerin gehabt. Aber alle Jobangebote führten in die falsche Richtung. Von ihren erfolglosen Versuchen, Berühmtheit zu erlangen, ließ sie sich nicht beirren. Allein durch ihr Äußeres bekam sie Zutritt zu jeder Art von Promi-Party. Dort lernte sie genug reiche Männer kennen. Warum sollte sie sich weiter um die Jobsuche kümmern, wenn es reiche Männer gab, die ihr auch so ein angenehmes Leben bieten konnten. Sie hatte sich daran gewöhnt, das süße Accessoire an der Seite von irgendwelchen gutbetuchten Typen zu sein. Als sie Ramon kennenlernte, war es jedoch anders. Lange schon hatte sie sich nicht mehr so ernstgenommen gefühlt.

„Das verstehe ich ja“, versuchte Ramon sie zu besänftigen. „Ich habe den Auftrag aber schon angenommen. Wie du weißt, stehe ich immer noch bei Marek in der Kreide. Außerdem bezahlt der Typ uns nicht schlecht.“

„Aber ist es dann wirklich das letzte Mal? Ich such’ mir auch wieder einen Job“, entgegnete sie.

„Nein das will ich nicht. Du musst nicht arbeiten gehen. Du bist viel zu schön dafür.“

„Hör auf, mir zu schmeicheln. Ich mach nur noch dieses eine Mal mit“, antwortete sie in einem endgültigen Ton.

„Ok, unser Flug geht morgen. Die Yacht habe ich schon gemietet.“

„Oh, eine Yacht?“, fragte Carmen, nun doch neugierig geworden. „Wohin geht es denn?“

„Wir machen sozusagen ein paar Tage Yachturlaub und sind Sonntagabend wieder zurück.“, antwortete Ramon.

Das erfüllte sie nun doch mit Freude. „Und um was geht es diesmal?“, fragte sie weiter.

„Nichts Besonderes. Wir machen nur ein paar Besorgungen.“

„Und für wen?“

„Ich erzähl dir unterwegs alles. Lass uns jetzt mit den Vorbereitungen anfangen“, damit beendete Ramon das Gespräch.


Ramon nutzte Carmen aus. Er benutzte ihre Schönheit und ihren Reiz auf Männer. Er schickte sie vor, und sie schlüpfte für ihn in die verschiedensten Rollen, um Vorteile für ihn zu verschaffen, zu locken oder abzulenken. Es war sehr einfach für beide, damit durchzukommen. Meistens ging es um die Beschaffung von Informationen, Daten, Plänen, Fotografien, um alle möglichen Geheimnisse, an die man auf normalem Wege nicht herankam.

Carmen machte ihre Sache sehr gut. Sie konnte einfach jeden Mann um den Finger wickeln. Ihr selbst gefiel ihre Aufgabe jedoch nicht. Sie war immer sehr aufgeregt und nervös. Im Nachhinein waren die Aufträge zwar in der Regel einfacher abgelaufen, als sie gedacht hatte, aber sie tat es eigentlich nur für Ramon. Sie liebte ihn wirklich.

Ramon bereitete alles mit sehr viel Bedacht vor und minimierte mögliche Gefahren auf das Geringste. Er wollte auf keinen Fall noch einmal in den Knast, denn er hatte früher schon einmal das Vergnügen. Während seine Kumpel damals ihre Volljährigkeit genossen, hatte er für ein paar Schlägereien und Raubüberfälle einige Zeit hinter Gittern verbracht. Das hatte ihm gereicht.

Fast zwei Jahre ging es mit den Beiden schon so. Er hatte Carmen damals spielerisch eingearbeitet. Die Idee, sie als Lockvogel zu benutzen, kam ihm sofort, als er sie das erste Mal sah. Ihr bereitete es anfangs Spaß. Sie fühlte sich bestätigt und hatte eine Aufgabe. Aber mittlerweile wurde es ihr zu viel. Auch bemerkte sie Ramons zunehmend angespannte Strenge und Zielstrebigkeit. Ihr wurde es immer unbehaglicher. Mittlerweile war ihr klar, dass ihnen die Sache aus den Händen glitt. Natürlich fühlte sie sich von Ramon umsorgt, was ihr gefiel. Er sprach nur selten von Geldsorgen und sie lebten ausgesprochen gut.

Ramon hatte sich aber während seiner Beziehung mit Carmen viel Geld zusätzlich geliehen. Die Aufträge gingen insgesamt zurück. Es wurde zunehmend schwerer, die guten Zeiten aufrechtzuerhalten. Jetzt stand er hoch in der Schuld seines Auftraggebers Marek.

Er hätte sich besser kein Geld von Marek geliehen. Für ihn arbeitete Ramon sowieso nie gerne. Man durfte bei ihm nicht versagen. Marek hatte Wind von Ramons Geldproblemen bekommen, ihm deswegen ein attraktives Angebot unterbreitet, und ihm das Geld direkt in die Hand gedrückt.

Ramon hatte es nicht ausschlagen können. Er musste jetzt einfach alle möglichen Aufträge an Land ziehen, um nicht weiter in Mareks Schuld zu stehen, koste es was es wolle. Wenn es um viel Geld ging, konnte Marek unangenehm werden. Deshalb nahm Ramon diesmal auch einen Auftrag von einer ihm unbekannten Person entgegen. Das war riskant.

Er war in einen Teufelskreis geraten. Auf der einen Seite galt es Carmen bei Laune und das schöne Leben aufrecht zu halten, auf der anderen Seite würden die nächsten Aufträge nur Schulden abtragen. Meist musste er für die Vorbereitungen, wie Flüge, Hotels etc. und jetzt sogar eine Yacht, auch noch in Vorkasse gehen. Die Flucht musste ebenfalls gut vorbereitet werden. Öffentliche Wege wurden mittlerweile so gut überwacht. dass es kaum Chancen gab, ungesehenen wegzukommen.

Jetzt kam noch das Theater von Carmen hinzu und erschwerte ihm sein Vorhaben. Sie war doch so gut eingearbeitet. Was hatte sie nur, die letzten Coups liefen doch wie geschmiert, dachte Ramon.


*


„Guten Morgen Herr Schuster!“

„Guten Morgen Frau Jansen!“, antwortete ich ihr gut gelaunt.

Es war Punkt acht Uhr morgens, und ich befand mich im Büro der Sekretärin meines Chefs. Frau Jansen saß hinter ihrem Schreibtisch und sah mich fragend an. Sie war wahrscheinlich so Mitte fünfzig, aber das Alter konnte ich bei stark geschminkten Frauen nicht sehr gut einschätzen. Es war mir auch egal, solange sie gut aussahen und so freundlich wie Frau Jansen waren. Frau Jansen war etwas übergewichtig und hatte eine nicht zu übersehende Oberweite. Sie konnte sich aber äußerst gut zurechtmachen.

„Wie war der Ersthelfer-Kurs?“, fragte sie mich neugierig, „Gibt es Neuigkeiten bei der Mund-zu-Mund-Beatmung?“ „Nein“, antwortete ich, „aber die stabile Seitenlage hat sich vereinfacht, man kann jetzt auch größere Menschen rumkriegen!“

Sie verzog ihren Mund zu einer spitzen Schnute. Sie mochte es wohl nicht, wenn jemand auf ihre Körpermaße anzuspielen schien. Ich zwinkerte ihr nur unsicher zu und wollte noch etwas Nettes sagen, als Herr Herberts das Büro betrat. Herr Herberts war klein und dünn. Er hatte ein zusammengeknautschtes Gesicht, einen Haarkranz und eine viel zu große Brille auf der Nase. Er war auffällig bemüht, sich als respektabler Leiter der Abteilung zu präsentieren. Mir kam es meist aufgesetzt vor, und ich hatte nicht selten das Gefühl, in einem Theaterstück zu sitzen. Er rauschte an uns vorbei und begrüßte uns kurz per Kopfnicken. Im Vorbeigehen rief er über seine Schulter hinweg, „Herr Schuster, es ist drei nach acht, sie sind zu spät.“

Ich mochte seinen Humor nicht, er kam doch gerade zu spät! „Frau Jansen, seien sie so gut und schicken mir bitte den Herrn Schuster rein. Ach, und sagen sie ihm auch, dass er zum Friseur muss.“

Ich fühlte mich übergangen.

„Sie haben es wohl mitbekommen, Herr Schuster?“, zwinkerte mir Frau Jansen zu.

Mir blieb also nichts anderes übrig, als schnellstens zum Friseur zu gehen. Ich folgte meinem Chef in sein Büro. Er hatte schon seinen Platz hinter einem ausladenden mahagonifarbenen Schreibtisch eingenommen und blickte mir bereits etwas ungeduldig entgegen.

„Setzen sie sich bitte, Herr Schuster. Ich möchte mit ihnen ihren Auftrag der nächsten zwei Tage durchsprechen“, wies er mich an. Wie bitte, dachte ich, wieso für die nächsten zwei Tage? Wir hatten Freitag und das Wochenende stand bevor! „Wie sie sicher wissen“, fuhr er gewichtig fort, „haben wir erfolgreich an dem Projekt GTC mitgewirkt. Und unser Institut konnte durch umfassende Prüfungen tatsächlich noch kleinere Schwachstellen ausfindig machen und grundlegend beseitigen, womit wir die Effizienz der Anlage erheblich verbessern konnten.“

Mir fiel gerade in dem Augenblick leider nichts zum Thema GTC ein, aber ich versuchte, meinen Chef so wissend wie möglich anzuschauen.

„So, wie sie gerade schauen, wissen sie wahrscheinlich nicht wovon ich rede!? Das GTC, Herr Schuster, das GranTeCan ist das größte Teleskop Europas“, erklärte Herberts. Dabei lehnte er sich zurück und versank in seinem, für ihn etwas zu großen Sessel. Ich sammelte meine Gedanken, bevor ich etwas sagte. Klar, wusste ich nun wovon er sprach.

„Natürlich kenne ich das Gran Telescopio Canarias, Herr Herberts“, antwortete ich sicher, „allerdings erst jetzt unter dieser Abkürzung GTC.“

Ich konnte es nicht ausstehen, wenn Vorgesetzte unnötig unverständlich redeten und fachidiotische Abkürzungen verwendeten, die wahrscheinlich nur ihnen und einem sehr kleinen Kreis von Mitarbeitern geläufig waren. Er hatte mich damit leicht verärgert.

Aber ich sprach einfach weiter, „Das Teleskop wiegt 500 Tonnen und ist 41 Meter hoch, das entspricht einem 13-stöckigen Hochhaus. Es hat einen Parabolspiegel von 10,4 Metern Durchmesser und es steht auf dem 2400 Meter hohen Gipfel des ‚Roque de los Muchachos‘ auf La Palma“.

Nach meinem unaufgefordert abgelieferten Vortrag schaute ich ihn nun herausfordernd an.

„Richtig, Herr Schuster, und genau wie bei dem VLT hat wieder einmal unser Labor unabhängige Untersuchungen durchgeführt und erhebliche Verbesserungen entwickelt“, wiederholte sich Herberts noch einmal unbeeindruckt.

VLT, nicht auszuhalten, dachte ich und antwortete, „Dann kann es sich bei dem VLT ja nur um das Very Large Telescope auf Cerro Paranal in Chile handeln, welches von der ESO, der Europäischen Südsternwarte, betrieben wird.“

„Genau, und da sie ja so gut vorbereitet sind, Herr Schuster, wissen sie auch, dass wir neuste Technologien geliefert haben, die Justierungen der einzelnen Stellmotoren an den Parabolspiegeln neu berechneten und so durch unser Zutun die Modernisierung der Anlage erfolgreich beendet werden konnte“, gab er zurück und unterstrich noch einmal die Tatsache, dass das Unternehmen einen großen Beitrag zum Erfolg beigesteuert hatte.

Ja, ich hatte es verstanden. Ich wusste aber leider immer noch nicht, worum es genau ging. Ich hatte versäumt, mich umfassend zu informieren. Hätte ich doch gestern Abend besser noch meine dreihundert neuen E-Mails durchgecheckt, dann wäre ich jetzt besser vorbereitet gewesen. Aber ich hatte mich gestern Abend mit einem kühlem Bier dringend von den zwei Tagen Ersthelfer-Kurs erholen müssen und bin vor dem Fernseher eingenickt. Nachts bin ich noch einmal wach geworden und hatte mich ins Bett geschleppt. Ich hatte wieder verschlafen, da irgendetwas mit meinem Wecker nicht stimmte. Es blieb mir gerade noch genug Zeit zum Rasieren.

Ich musste jetzt eben ein bisschen improvisieren, um vor meinem Vorgesetzten nicht als "Loser" dazustehen, und kratzte mir noch den Rest meiner Kenntnisse aus den Gehirnwindungen.

Ich fragte, „Aber das GranTeCan ist doch erst seit 2008 in Betrieb, war denn eine Modernisierung schon notwendig?“ „Auf dem Gelände“, antwortete Herberts, „betreiben das IAC, das Astrophysikalische Institut der Kanaren, und andere Forschungszentren bereits mehrere Sternwarten. Speziell auf La Palma befindet sich das Astrophysische Observatorium La Palma. Unter der Beteiligung internationaler Astrophysiker aus circa zwanzig Ländern und fast sechzig Institutionen wurde 1984 das ‚Observatorio Astrofisico‘ errichtet und ständig weiter entwickelt. Eine Sternwarte, die zu den bestausgerüsteten weltweit zählt. An diesem Standort der Europäischen Nordsternwarte stehen 15 Teleskope für Grundlagenforschung.“

„Ja, ich habe schon viel von dem Vorgänger, dem Wilhelm-Herschel-Teleskop, gehört, das bis zur Eröffnung des GranTeCan das größte Teleskop auf La Palma war. Betrieben wird es von Großbritannien aus und ist nach wie vor eines der wichtigsten Teleskope weltweit. Es dient der Beobachtung von Planeten, Asteroiden, Kometen, Schwarzen Löchern und Galaxien“, warf ich dazwischen.

„Ständige Weiterentwicklungen sind da nichts Außergewöhnliches, Herr Schuster“, sprach Herberts unbeirrt weiter, „und morgen Nachmittag findet im GTC eine Presseveranstaltung statt. In dieser werden die Neuigkeiten der Öffentlichkeit vorgestellt und wir möchten dort vertreten sein. Einladungen wurden hierfür nicht verteilt. Trotzdem werden wir sie nach La Palma schicken. Sie werden dort unser Institut präsentieren und den Gästen von unserem außerordentlich erfolgreichen Beitrag zur Entwicklung berichten. Hierüber erhalten wir die Möglichkeit, unser Unternehmen in der Welt noch bekannter zu machen.“

Meine Gedanken überschlugen sich. Ich sollte auf die Kanaren fliegen und das auf Firmenkosten! In mir kam Freude auf und das Urlaubsfeeling war wieder da. Endlich raus aus diesem kalten Regenwetter! Aber, eigentlich war doch auch Wochenende und die Party bei Kathy würde ich dann wohl auch verpassen, dachte ich. Aber die Partys auf La Palma waren vielleicht besser als bei Kathy.

„An wen muss ich mich denn vor Ort wenden, Herr Herberts?“, fragte ich.

„Das werden sie schon selbst herausfinden! Sie werden noch umfassend vorbereitet werden.“

Das klang nach Anstrengung. Sofort sank meine gerade angehauchte Urlaubstimmung nach unten, und zwar bis weit unter den Gefrierpunkt, also bis fast -273 Grad. Das ist die durchschnittliche Temperatur im Weltall.

Ich war auf einmal aufgeregt und nervös, sagte aber nichts mehr dazu. Ich stand auf, verabschiedete mich mit einem knappen Kopfnicken und begab mich schon zur Tür, als Herberts mich noch einmal ansprach.

„Denken sie daran, dass ihre Firmenkreditkarte für diese Zeit bis maximal eintausend Euro belastbar ist, Herr Schuster!“

„Ja natürlich“, antwortete ich knapp.

„Und bringen sie die Belege und Quittungen mit.“

Auch das bejahte ich noch, während ich das Büro verließ. Eintausend Euro, damit könnte ich sicher ein schönes Wochenende auf La Palma verbringen. Schon besserte sich meine Laune wieder. Den Rest des Tages verbrachte ich mit den Vorbereitungen für meinen Aufenthalt auf La Palma.


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