Читать книгу Mit schwarzen Flügeln - Daimon Legion - Страница 4
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ОглавлениеVon der Außenseite blies der Wind Flocken an die Fensterscheibe. Für einen kurzen Moment konnten seine Augen das feingliedrige, komplexe Muster erkennen, bevor die nächste frostige Brise das zerbrechliche Eisgebilde zerstörte. Dafür verbanden sich die Splitterfragmente bald mit neuen Kristallen und langsam wuchs die weiße Kruste auf dem Rahmen.
Sein Blick schweifte ab vom wandernden Schnee, hin zu dem stummen Gesicht im Glas.
Das Kind, welches ihm aus der Spiegelwelt heraus betrachtete, erschien ihm so blass, abgestumpft und gelangweilt, dass er sich für einen Moment wünschte, es sei ein anderes. Ein fremdes Leben, nicht das seinige.
„Hallo“, grüßte er sein Spiegelselbst. „Was schaust du so traurig aus? Ist bei dir nicht alles besser?“
Wohl nicht. Sein zweites Ich schien nicht glücklicher als er zu sein.
Schweigend zog er mit seinem Zeigefinger unsichtbare Linie über die Scheibe. Malte Kreise und klopfte Takte, die keinen Sinn ergaben. Wenn Ines die winzigen Spuren entdeckte, würde sie wieder schimpfen. Sie mochte ihr Heim sauber und ordentlich. Besser, er wischte die Flecken weg, bevor sie wiederkam.
„Was spielen?“, tat der Junge, als hätte sein imaginärer Freund ihm diesen Vorschlag unterbreitet. Schnaufend sah er über die eigene Schulter hinweg, zu einem Berg aus Spielzeugen. Dort lagen Plastiksoldaten, Gummiindianer, Metallautos, Malstifte aller Art und ein Stapel aus teuren Videospielen, die er über seine neue Konsole auf dem Fernseher übertragend spielen konnte.
Alles Dinge, die sie ihm geschenkt hatten, um ihn still zu halten. Er sollte beschäftigt sein und keinen Unsinn anstellen, solange Patrick auf seiner Geschäftsreise war und Ines mit ihren Freundinnen um die Häuser zog – so, wie es der letzte Tag des alten Jahres von den Erwachsenen verlangte. Beide waren der festen Ansicht gewesen, einen Achtjährigen konnte sie für diese Zeit ruhig allein lassen.
Allein.
Ja, wie so oft bin ich allein.
„Mag nicht“, antwortete er auf die eigene Frage. „Wer soll auch schon mit mir spielen?“
Warum hatten Patrick und Ines ihn überhaupt adoptiert? In ihrem Leben war doch gar kein Platz für ein Kind. Beide hatten ihre Arbeit, waren recht jung und lebten das auch aus – wozu also ein Kind, um das sie sich kümmern sollten?
Weil der alte Pastor sie gebeten hat. Nur deswegen. Vor zwei Jahren warteten im Waisenheim so viele andere Kinder auf ein neues Zuhause und denen hätte es hier vielleicht besser gefallen als ihm. Und es hätte auch Patrick und Ines möglicherweise besser gefallen, wenn es ein anderes Kind gewesen wäre. Ein normales Kind wäre für sie wahrscheinlich in Ordnung gegangen. Trotz anfänglichem Bedenken, konnte man ihnen damals die schwarze Katze im Sack andrehen und jetzt wohnte er bei ihnen.
Mal sehen, wie lang sie mich ertragen können.
„Sie wollen mich immer alle schnell loswerden, bevor ich was Komisches anstelle“, murmelte er seine Gedanken laut.
Solange er denken konnte, hielten die Leute ihn für seltsam. Die barmherzigen Schwestern mochten ihn aus irgendeinem Grund nicht leiden und den anderen Waisen war er auch nicht geheuer. Angeblich strahlte er etwas aus, das den Menschen Angst machte. Was die Menschen wütend machte. Dieses Etwas machte ihn unbequem für die Welt. Und dieses Etwas musste es auch gewesen sein, das seine Mutter dazu veranlasst hatte, ihn als Baby wegzugeben. Nie hatte er je wieder was von ihr gehört. Von seinem unbekannten Vater erst recht kein Wort.
„Ist blöd, wenn einen niemand will.“
Damit musste er halt lernen zu leben. Egal, wie schwer es fiel.
Draußen wurde der Nachthimmel von einem Feuerwerk erhellt. Knallend explodierten die Raketen und in vielen sprühenden Farben flogen die Funken. Dabei war es erst gegen neun. Die Menschen der Stadt waren vorfreudig und zündelten, sobald es dunkel wurde.
Silvester kümmerte ihn nicht. Das neue Jahr würde es für ihn nicht besser machen. In der Schule würde es weiterhin Probleme mit den Leitern und Kameraden geben und seine Zieheltern würden nicht plötzlich mit aller Liebe über ihn herfallen.
Es war ein Fest für Erwachsene. Damit sie sich stark betrinken und etwas in die Luft jagen konnten, ohne dafür belangt zu werden.
Seine Lehrerin hatte gesagt, der Ursprung der Silvesterknallerei liege darin, dass man die bösen Geister des alten Jahres vertreiben wollte. Auch sollte in diesen sogenannten „Rauchnächten“ die „Wilde Jagd“ umgehen. Eine tobende Horde von heidnischen Geistern, die Unvorsichtige mitzogen. Von ihren düsteren Gespenstergeschichten hatte die ganze Klasse gezittert.
Nur ihm jagte sie keine Angst ein.
So wenig, wie er an einen barmherzigen Gott glaubte, gab er etwas auf solche Märchen – weder zu Silvester noch zu anderen Jahreszeiten. Zu Halloween enttäuschten ihn die Erwachsenen mit billigen Kostümen von Vampiren und Werwölfen und kein einziger Zombie taumelte über den Friedhof. Zu Weihnachten glaubten die Leute, ein falscher Bart machte sie zum Weihnachtsmann und dass Kinder nur Geschenke bekamen, wenn sie denn artig geblieben waren. Den Sinn beim Osterhasen oder der Zahnfee suchte er bis heute vergeblich.
Solche Geschichten sagten ihm bloß, dass gute Kinder, die sich an die Regeln hielten, belohnt, und die, welche sie brachen, bestraft wurden. Sie waren reine Erziehungsmaßnahmen.
Diese „Wilde Jagd“ würde eben nur jene holen, die sich des Nachts noch draußen herumtrieben. Es war ihm so klar gewesen, seine Lehrerin hätte es gar nicht erst betonen müssen.
Elfen, Feen, Kobolde und Dämonen – wenn er jetzt auf Gott und Teufel fluchen würde, wäre keiner der beiden zur Stelle, um ihn dafür zu maßregeln. Es gab keinen Schwarzen Mann im Wandschrank und keinen blödelnden Gruselclown in den Kanalschächten.
Eigentlich schade. Er hätte sie sonst nämlich zu gern gesucht und herausgefordert. Mit den Monstern gekämpft, ein Abenteuer erlebt, Gefahren überwunden und Verbündete gefunden, Freunde -
Doch das war alles bloß Fantasie.
In dieser grauen Realität da draußen gab es nichts Dergleichen.
Wenn er durch den Spiegel treten könnte, wäre es dann anders?
„Wenn ich aus dem Fenster springe, was passiert dann?“, grinste er sein Ich an.
Zum Glück hatten Patrick und Ines das nicht gehört.
Die hätten ihn wieder nur zu einem Arzt geschickt, mit dem er reden musste und der ihm kluge Sachen sagte, wie: „Deine Probleme produzierst du selbst“, oder: „Deine Eltern haben viel Mühe mit dir, du solltest lernen, sie zu achten“, und so weiter ... Das Gefasel kannte er zur Genüge.
Er sah hinunter auf die Straße vor dem Haus. Erwachsene und Kinder gingen dort entlang, sie zündeten kleine Fontänen an und schmissen mit Knallerbsen.
Sollte er runtergehen? Sich unter die Menschen mischen?
Erneut schaute er in die Stille der Wohnung. Hier würde er nichts verpassen. Hier leistete ihm bloß die Einsamkeit Gesellschaft, aber das Leben war auf der Straße. Es konnte nichts schaden, ein paar Runden zu gehen, oder?
„Okay“, sagte er und drehte sich vom Fenster weg, verließ sein Zimmer und betrat den langen Flur, um dort Schal, Schuhe, Mütze und Winterjacke anzuziehen. Er ging jedes Zimmer ab, um zu prüfen, dass er nichts hatte brennen lassen oder sonst eine Quelle der Gefahr bestand. Nicht, dass etwas passierte. Patrick würde es ihm nicht noch einmal verzeihen.
Gut, alles war in Ordnung.
Er schloss die Wohnungstür ab und kontrollierte es doppelt. Wäre nicht das erste Mal, dass er das Zuschließen vergessen hätte. Manchmal bekam er einfach seine Gedanken nicht zusammen, gerade wenn es um solche Kleinigkeiten ging. Und seine Zieheltern legten viel Wert auf diese.
Nach drei Stockwerken trat er aus der Haustür auf den geräumten Gehweg.
In der ersten Straße nach der Hausecke jagten ein paar Jugendliche Raketen in die Luft. Mit ihren Zigaretten zündeten sie die Schnur an und hielten beim Abfeuern den Stock in Händen. Sie lachten und tranken aus kleinen Schnapsflaschen billigen Alkohol.
Patrick würde ein solches Verhalten nicht tolerieren. Er hatte es ihm bereits angedroht. Sollte er sein Verhalten nicht ändern und weiter rebellieren, und sich als untragbar für sie beide herausstellen, wäre sein nächster Weg der in eine Besserungsanstalt.
... dann wären sie ihn los.
Einer der Kerle schmiss einen Knallfrosch nach ihm und er sprang schnell zur Seite.
Die Bande lachte, während der Böller gedämpft im Schnee verpuffte.
Er sollte weitergehen. Sie spürten ja das Etwas an ihm. Besser, er ließ es nicht zu noch mehr Ärger kommen.
In der zweiten Straße spielten Kleinkinder mit Wunderkerzen. Ihre Eltern zeigten ihnen, wie sie mit dem Feuerschein glühende Linien ziehen konnten. Die Kinder freuten sich. Sagten, dass sie ihre Eltern liebten.
Er schaute nicht länger zu.
Ines würde schimpfen. Es sei verantwortungslos, so kleine Kinder mit Feuer spielen zu lassen.
Die dritte Straße war menschenleer.
In der vierten Straße gab es eine kleine Gaststube, aus der fröhliche Stimmen grölten. Erwachsene saßen bei Bier und Zigaretten am Tresen, spielten mit Karten und erzählten derbe Witze. Man jubelte, klatschte, hörte Musik und bestellte die nächste Runde Likör.
Patrick mochte solche Leute nicht. Für ihn waren das Verlierer und er sollte nicht so enden. Kein Alkohol und keine Zigaretten. Keine zwielichtige Gesellschaft.
Er sollte Arzt oder Anwalt werden, Kaufmann auf dem Großmarkt, Aktienhändler. Irgendwas mit viel Geld und Ansehen. So wie sein „Vater“. Wenn er schon einen „Sohn“ hatte, sollte dieser auch etwas darstellen.
Seufzend verdrehte er die braunen Augen.
Vor der Kneipe standen zwei Männer und unterhielten sich abseits des Lärms.
Als er an ihnen vorbeiging, sprach der eine mit der Bierwampe ihn direkt an: „Hey, Kleiner!
Junge, es ist doch schon spät, du solltest hier nicht rumgeistern! Ist denn keiner bei dir? Geh mal lieber schnell nach Hause.“
Er zuckte ruhig die Schultern. „Bin schon auf dem Weg.“
„Dann hop-hop!“, scherzte der zweite Mann. „Pass auf, sonst erwischt dich der Eisengrind.“
„Wer?“
„Der Eisengrind, Kleiner!“, sprach erneut der erste und verstellte seine tiefe Stimme, was sie wohl gruseliger machen sollte, als er fortfuhr: „Ein böser Dämon. Der jagt in so einer kalten Nacht Kinder, die draußen allein herumspazieren und frisst sie auf. Schon viele sind verschwunden und man fand keinen Knochen mehr von ihnen.“
Sollte ihn diese Geschichte etwa erschrecken?
„Okay“, segnete er das Gesagte unbekümmert ab. „Dann geh ich besser schneller.“
Eisengrind, dachte er die ersten Schritte nach, ... noch nie gehört.
Drei Ecken weiter war ihm diese Geschichte entfallen. Was kümmerte ihn ein Geisterspuk? Bestimmt war es wieder dieses „Gutes Kind – Böses Kind“-Zeugs, eben damit er nach Hause ging und die Erwachsenen sich gehen lassen konnten.
Er begegnete noch einigen Umherziehenden, besah das Funkenspektakel einer Batterie und durfte bei einem Fremden Heuler anzünden. Der düstere Kerl roch zwar sehr unangenehm nach feuchter Erde, war aber sonst freundlich gewesen.
Seine gedachte Runde um die Wohnblocks hatte er hinter sich gebracht und würde an der nächsten Kurve bereits wieder auf dem Weg zur Haustür sein – eben, wie es die großen Menschen gern von artigen Kindern wollten. Er würde hoch gehen, in die leere Wohnung, eine schnelle Mahlzeit aus dem Kühlschrank nehmen und sich wieder vor sein Fenster setzen, um das Mitternachtsfeuerwerk abzuwarten.
Wenn er jetzt rechts gehen würde.
Aber er ging links. Wählte den Weg einer Brücke, die, über eine Kleingartenanlage und stillgelegte Eisenbahngleise gespannt, in einen anderen Stadtteil führte. Es wäre nur eine kleine Verlängerung, er konnte jederzeit wieder umkehren. Nichts weiter.
Der Brückenpfad war von Laternen beschienen und die dicken Schneeflocken begruben unter sich schwarz verbrannte Überreste von explodierten Knallkörpern. Zu sehen war niemand, allein leere Schnaps-, Bier- oder Sektflaschen zeugten von der verblassten Anwesenheit Feiernder.
Von der Mitte der Brücke konnte er auf das hell erleuchtete Stadtzentrum sehen.
Seine Füße trugen ihn vorwärts und in der nächtlichen Dunkelheit zeichneten sich bald die Umrisse der Bauten im neu erschlossenen Viertel ab. Schwach hörte er den dumpfen Bassrhythmus einer Party, das Lachen von Menschen, Autolärm und das vereinzelte Tönen von Feuerwerk.
Bald war er wieder unter -
Ein Sturm spielte plötzlich auf. Wechselte jäh mehrmals den Kurs. Ein Pfeifen und Johlen folgte der Strömung, ein antreibendes Klatschen. Es war schwer auszumachen, woher die Geräusche kamen. Und dann war es still. Sanft rieselten die Flocken ...
Okay, dachte er verwirrt und blieb stehen. Das war ungewöhnlich. Aber nicht beunruhigend. So freistehend, wie die Brücke war, trieb ihr der Wind alles mögliche zu. Dem konnte auch niemand befehlen, wohin er wehte – warum also nicht kreuz und quer?
Eine logische Erklärung.
Es gibt keine Geister.
Der weiße Schnee reflektierte taghell das gelbe Laternenlicht, weshalb er keine Angst zeigte und weiter voranging. Immerhin erblickte er am Ende des Weges schon eine Straßenbahnhaltestelle, deren Leuchtstoffröhren kaltweiß brannten. Was auch immer gerade passiert war, es kümmerte ihn nicht -
Jetzt hielt er erneut.
Vor ihm bewegte sich etwas. Ja, ganz sicher.
Es kam aus den kargen Büschen am Brückenende und schritt ihm langsam entgegen.
Er kniff die Augen zusammen, um dieses Wesen durch den Flockenschleier besser sehen zu können, jedoch vernebelte das Eis seinen Blick. Was er aber erkannte, ließ ihn aufschrecken.
Der Körper dieser Kreatur war groß und mit zotteligem, dunklem Fell überzogen. Sie lief auf vier Beinen und machte so den Eindruck, als wäre sie nur ein Hund. Ein Streuner, der im Müll nach Fressen suchte.
Doch aus seinem Kopf ragten ... Hörner hervor.
Er musste blinzeln. Das gab es nicht. Es gab keine Hunde mit Hörnern.
Das Tier schien mit jedem Schritt größer zu werden. Aus seinem Schädel heraus glühten ihm feurige Augen entgegen und ein tiefes Knurren rollte über die Brücke hinweg.
Er schüttelte den Kopf. Das war ein Traum. Ein solches Tier existierte nicht. Das hier war die Realität, es gab keine Geister oder Dämonen!
Die Augen schließend, wünschte er sich dieses Trugbild weg. Aber es war noch immer da. Nur noch näher. Mit jedem Lidschlag kam es ganze Meter auf ihn zu, obwohl es nicht rannte.
Fünfzehn Meter entfernt. Zwinkern. Zehn Meter. Zwinkern. Fünf Meter.
Wie kann das möglich sein?
Er hätte losrennen müssen. Fliehen vor diesem Wesen. Doch er konnte nicht. Und er hätte auch keine Chance, ihm zu entkommen. Am ganzen Körper zitternd, sah er diesem Höllenhund entgegen, dessen Knurren ihm durch die Knochen ging.
Zwei Meter. Einen Meter.
Vor ihm ragte das riesige Maul auf. Er blickte auf gefährliche weiße Fangzähne, die vor Speichel tropften. Mit einem Biss würde es ihm den Kopf abreißen.
Die lodernden Augen waren auf ihn gerichtet. Ließen ihn nicht entkommen. Das Tier begann an ihm zu schnüffeln. Seine Stirn wurde von der bitterkalten Schnauze berührt. Der faulige Atem ließ ihn aufstoßen.
Der Kiefer klappte weit auf und er schaute der Bestie in den Rachen ... jedoch packten die Zähne nicht zu.
Stattdessen sprach der Hund mit grollender Stimme: „Bedauerlich. So leicht zu fressen und dann diese Enttäuschung.“
Mit einer seiner Pranken stieß das Tier ihn zu Boden, drückte ihn in den Schnee. Sein ganzes Gewicht schien auf den schwachen Kinderrippen zu liegen und der Junge keuchte auf vor Schreck und Schmerz.
„Besser, du meidest Eis und Dunkelheit, Kind. Ein andermal fress ich dich vielleicht doch!“, und mit einem gewaltigen Satz sprang diese Bestie über ihm hinweg. Verschwand in die Nacht, durch den Schleier der Schneeflocken.
Er blieb am Boden liegend zurück. Sein Herz hämmerte in der schmalen Brust. Heiße Tränen liefen die Wangen hinunter. Seine Hose fühlte sich sehr nass an, allerdings war ihm das gleich.
Gerade so war er dem Tod entkommen.
Dem Eisengrind.
Während draußen vor dem Fenster das Feuerwerk in aller Farbenpracht erstrahlte und der Lärm der Detonationen auf ein Höchstmaß anstieg, hockte er auf seinem Bett unter der Decke und zitterte vor Angst.
Seine Hose hatte er im Bad eingeweicht. Dennoch würde Patrick wütend sein. Er meinte, ein Junge in seinem Alter macht sich nicht mehr ein. Er war ja schließlich kein Kleinkind mehr.
Alle Spielsachen, alle Bilder, alle Gegenstände, die einen Hund darstellten oder auf denen ein Hund abgebildet war, verbannte er aus seinem Zimmer. Er konnte sie nicht mehr ansehen, ohne in Tränen auszubrechen.
Den flauschigen Plüschdrachen fest an den Oberkörper gepresst, versuchte er die Angst in den Griff zu bekommen. Er musste sich beruhigen.
Was würden die Erwachsenen sagen, wenn sie ihn so vorfänden? Was sollte er ihnen antworten? Sollte er ihnen erzählen, wie er beinahe von einem gigantischen Geisterhund gefressen wurde? Würden sie ihm denn Glauben schenken?
Aus dem Flur klingelte das Telefon. Er zuckte zusammen.
Das Band zeichnete das Gespräch auf. Es war Ines.
„Zacharias. Frohes neues Jahr.
Ich hoffe, du liegst schon im Bett. Bleib nicht zu lange wach. Ich übernachte heute bei jemanden und werde morgen Vormittag erst nach Hause kommen. Patrick wird später auch da sein, aber wir wollen abends noch mit Freunden essen gehen. Ich stelle dir was in den Kühlschrank.
Denk daran, dass du am zweiten Januar gleich zu Dr. Lore musst. Nicht, dass du es wieder vergisst. Und gib dir mehr Mühe in der Schule für dieses Jahr. Du willst doch mal etwas Anständiges werden.
Mach keinen Ärger. Wir sehen uns morgen.“
Nein, sie würden ihm nicht einmal zuhören.
Es wäre für sie nur ein weiteres Zeichen dafür, dass er nicht normal war.
Dass etwas an ihm anders war.
Ihm blieb nur, mit seinen Problemen zurechtzukommen. Mit seiner Angst. Mit seiner Traurigkeit. Mit seiner Einsamkeit.
Das Feuerwerk tönte laut. Der Krach tat gut.
Er verscheuchte die alten Geister.
Verscheuchte den Eisengrind.
Vorerst.