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ОглавлениеDie Luft roch nach Karamell und weißer Schokolade. Köstlich und verführerisch wie die feinste Süßigkeit, welche ihn lockte, fort – weit fort – von der Welt. Weg von dem Grau, der Kälte, der Pein des Lebens. Er schwebte davon, hinein in ein glänzendes, warmes Licht. Friede umschloss sein Herz und er wusste, dass das Kämpfen ein Ende hatte. Hier konnte er in Ruhe verweilen.
Und doch ...
Ein Traum. Ein Trugbild seines Geistes.
Dieser Ort war reines Sehnen. Es gab ihn nicht.
Zach öffnete die Augen und fühlte, wie die Tränen rannen. Heiß tropften sie auf das weiche weiße Kissen unter ihm und so sehr die Matratze ihn auch gemütlich bettete, sein Rücken schrie im Moment des Erwachens schmerzlichst auf.
Als wenn das nicht reichte, grüßte ihn eine alte Freundin, die Migräne. Sie fraß an seiner linken Schläfe wie eine Ratte am Stromkabel und für einen kurzen Moment wusste Zach nicht, was ihm mehr wehtat. Er war chronisch reif für den Müll.
Morgens war es immer am schlimmsten.
Seit er denken konnte, begleiteten ihn diese körperlichen Leiden, nur waren sie zu seiner Jugendzeit nicht so stark ausgeprägt. Da hatte er es noch überspielen können, wenn es etwas in seinem Kopf oder Kreuz zwickte, aber mit knapp fünfzehn nahmen die Schmerzen dermaßen zu, dass er mit Anfang zwanzig bereits zu kämpfen hatte, überhaupt aufrecht zu stehen. Gegen Nachmittag flauten die Qualen für gewöhnlich ab, jedoch waren sie stets bei ihm.
Wie seine Depression.
Jeden neuen Tag fühlte er sich noch elender als in der Nacht. Traurig und frustriert.
Wenn er dann diese Träume hatte, wo alles viel schöner und besser war als hier – dann war er kurz davor, sich in den nächstbesten Tod zu stürzen und allem Elend ein Ende zu setzen. Wie oft schon hatte er es satt?
Konnte er nicht friedlich schlafen wie die Frau neben ihn im Bett? Die schien noch nicht einmal ein Bombenhagel wecken zu können, so tief war sie im Traumland versunken. Nackt – wie er selbst – lag sie unter der dicken Daunendecke und ihr langes, rostrotes Haar war ganz wirr. Anscheinend war sie völlig fertig von ihm.
Zach setzte sich gezwungenermaßen auf und stöhnte leise, während er versuchte, die wichtigsten Dinge in seinem Kopf zu organisieren.
Wo war er? Offensichtlich im Hafen, in einer bekannten Dachwohnung.
Wer war bei ihm? Alicia, die er noch für die Nacht bezahlen musste. Dass sie ihren Job gut gemacht hatte, stand außer Frage.
Was hatte er getan? Gearbeitet, definitiv.
Der gestrige Abend war ertragreich gewesen und beim Kartenspiel hatte er viel verdient. Das Geld der Teenager vermehrte sich mit dem der Matrosen, dass hinterrücks gemunkelt wurde, es ginge mit dem Teufel zu.
Was sollte er machen? Er war ein guter Spieler, der fast nie eine Partie verlor – außer, er wollte es so, war unkonzentriert oder vom Alkohol zu stark benebelt. Er riskierte den Einsatz nie zu hoch und wusste mit einer Art inneren Kompass, wann jemand bluffte oder wirklich ein starkes Blatt besaß. Sein Gefühl beriet ihm meist richtig zum Mitgehen, Aussteigen oder All In – fast so, als besäße Zach einen sechsten Sinn für das Pokern.
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Hatte er Ärger gemacht? Dazu war es nicht gekommen. Die Seemänner waren nicht begeistert über ihren Verlust, aber sie suchten auch keinen großen Streit.
Was wurde aus dem Geld? Er hatte es teils versoffen, wie immer. Und da von der Summe noch etwas abfiel und Alicia gerade mal anwesend war, klopfte er bei ihr an und wurde nicht enttäuscht.
Sein Verhältnis zu Frauen stand unter einem ähnlichen Glücksstern wie sein Geschick beim Poker.
Nicht zuletzt, weil er für sein Alter noch ziemlich unverbraucht oder gar gesagt hübsch aussah, gab es keine Hure, die ihn abgewiesen hätte, selbst wenn er nicht ihren Preis zahlen konnte. Seine Qualitäten standen in der Damenwelt des Hafens nicht zur Debatte. Früher wollte Zach einmal Buch führen über die Namen seine Liebschaften, doch als die Liste anfing, sich alphabetisch vorwärts wie rückwärts zu wiederholen, gab er das Unterfangen auf und nahm die Frauen, wie sie kamen.
Die letzte Frage: Wo waren seine Klamotten? Im Raum verteilt.
Seufzend wischte Zach sich über das Gesicht und rieb die müden Augen. Jetzt, wo alles wieder klarer wurde, musste er an Dinge denken, die ihn real beschäftigten, bevor seine Tiefseestimmung die Oberhand gewann, sonst würde er erneut in Tränen ausbrechen. Vor Alicia wollte er diese Schwäche ungern zeigen.
Was sagte das Wetter?
Das kleine Fenster seitlich vom Bett berichtete ihm, dass es noch dunkel draußen war. Leichter Schneegriesel fiel. Der Wind pfiff heulend über das Dach und außerhalb des warmen Bettes herrschte die Kälte.
Ein normaler Mann hätte sich wieder hingelegt, die Frau in die Arme genommen, sie geküsst und zu einer weiteren Runde Zweisamkeit verführt – und Alicia hätte sicher nicht nein gesagt.
Doch er war nicht normal.
Zach stand zähneknirschend auf, suchte nach seiner Unterhose und der schwarzen Wildlederhose und zog beides an. Als er sein Unterhemd und den dunkelgrauen Pullover überzog, warf er einen genaueren Blick über die Stadt.
Der frühe Tag dämmerte blau im Osten. Bald würde die Sonne aufgehen. Das Hafengebiet lag still und schlafend unter einer dünnen Schneeschicht, der Himmel war fast klar und die Sterne verblassten langsam. Knapp über dem Mond leuchtete der Morgenstern.
Die Zeit schätzte Zach auf ungefähr fünf Uhr. Die Stunde null war lange um und die Geister der Dunkelheit zogen sich zurück. Er hob seinen Gürtel mit dem Messer vom Boden auf und legte es sicher an.
Alicia drehte ihren kurvenreichen Körper im Schlaf.
Er legte einige Scheine für sie auf die Kommode, klaute drei Zigaretten aus ihrer Schachtel und verließ so leise wie es ihm seine Stiefel erlaubten das Zimmer.
Mit hochgeschlagenem Kragen trotzte er dem Frost der Nacht. Die Flocken verdichteten sich und die Wolken zogen den Himmel zu. Das gewohnte Wetterbild der Nordstadt.
Der Weg nach Hause dauerte seine Zeit. Alicia wohnte nicht gerade in seiner Nähe, weswegen er sonst selten mit ihr anbändelte, egal, wie schön sie war.
Zach stoppte. Seine Augen wurden groß.
Vor ihm auf der Straße bewegte sich etwas. Ein Tier.
Ein Hund. Ein Streuner auf Futtersuche.
Rasch öffnete Zach seinen Mantel und zog das Messer. Den Griff hielt er fest, damit er seinen zitternden Fingern nicht entglitt.
Der Hund trottete zottig und hager an ihm vorbei, mit hängendem Kopf und sicherem Abstand.
Vielleicht hatte der verlauste Köter mehr Furcht vor ihm als Zach, dennoch war dem der Schrecken tief in die Knochen gefahren, dass er sogar seine Schmerzen vergaß. In seiner kindlichen Angst hatte er schon die Hörner wachsen sehen.
Er schaute dem Streuner nach, bis dieser in der Dunkelheit verschwand. Ein ganz normaler alter Hund, der irgendwann an Hunger krepieren würde – nichts weiter.
Durchatmend löste sich Zach von seiner Anspannung und steckte das Messer weg. Zog den Mantel zu.
„Blödes Vieh“, murrte er halblaut, mit einem leichten Zittern in der Stimme, dem Hund nach und wandte sich ab, um seinen Weg fortzusetzen.
„Verdammter Eisengrind“, fluchte er derber und trat zornig gegen eine Schneewehe, „lass mich endlich in Ruhe!“
Seine Nachbarn weckten ihn. Erstaunlicherweise mit ... Liebe.
Das rhythmische Gestöhne kannte er zwar, allerdings war er wenig begeistert, in die Rolle des ungewollten Voyeurs gepresst zu werden. Stille war ihm wesentlich angenehmer und er mochte diese albernen Anspornsprüche nicht.
Schnaufend verdrehte Zach die Augen. Er brüllte mal nicht los. War ja nur menschlich und immer noch besser als ihre Streiterei.
Er hätte es auch so haben können, aber nein. Lieber versuchte er allein vergeblich in seinem Loch von Zuhause etwas zu finden, was es nirgends in dieser Welt gab. Wenn jemand dieses Gesuchte beim Namen nennen könnte, wäre ihm besser geholfen gewesen. Es war halt eben bloß das Gefühl, dass etwas fehlte.
Eine Leere im Herzen.
Zach stand von der Matratze auf, warf seinen Mantel über und verließ das Haus.
Für die Kneipentour war der Tag noch zu jung.
Dabei fühlte er sich so alt, wie nach jeder durchzechten Nacht.
Sein verquerter Schlafzyklus machte ihn müde und schlaff, unkonzentriert und leichtsinnig. Das Rückgrat schmerzte zwar nicht mehr in der Form wie noch am Morgen, doch spürte er die Verspannung – besonders hartnäckig im rechten Schulterblatt. Wegen der Migräne taumelte sein Gleichgewicht und Zach wankte wie trunken durch die Gassen.
Bis zur Nacht musste er seinen Körper in den Griff bekommen, sonst wäre er leichte Beute für die Aasgeier des Hafens.
Hungrig holte er für seinen Magen zwei schnelle Bockwürste mit Brötchen auf die Hand bei einem fahrenden Händler und ein Starkbier zum Wachwerden bei Roxane im Getränkedepot bei Dock Vier. Dort traf er einige bekannte Gesichter an.
Die Dox-Brothers waren fünf immer zusammenhängende, bullig gebaute Kerle und Schläger für jede Gelegenheit. Die Werften heuerten sie gelegentlich für ihre Raufereien an. Er grüßte sie knapp mit einem Nicken und sie gaben es ebenso knapp zurück.
Lili Kit-Cat galt als Saufnutte und hatte ellenlang Kredit bei Roxi – sie war quasi schon Inventar. Sie zu grüßen hatte keinen Sinn. Ihr schwammiges Gedächtnis würde eh nicht mehr wissen, wer er war.
Walther war ein Halsabschneider, den Zach verachtete. Um des Friedens willen ignorierten sich beide.
Wenn es doch zu einer Schlägerei käme, würden ihm dann die Dox helfen? Bestimmt nicht, er hatte nicht für sie gezahlt.
In schlechten Zeiten merkte man doch angeblich, wer seine echten Freunde waren. Freunde in der Not, wo waren sie sein Leben lang geblieben?
Wohl in der Gerüchteküche eingekocht, denn diese Illusion von Freundschaft oder Liebe gehörte in die Welt der Kindermärchen, um ihnen noch etwas Hoffnung zu schenken, dass alles einmal besser werden könnte. Kleine Kinder glauben daran und stellen später fest, dass jeder Mensch im Grunde allein war. In diesem Moment starb die Unschuld.
Was soll’s ... allein war er am besten dran.
Zach entkronte sein Bier und nahm einen kräftigen Schluck, um gleich danach an seiner brennenden Zigarette zu ziehen.
Ja, das Alleinsein und -bleiben hatte er gut gelernt, danke an seine Zieheltern. Wenigstens etwas Nützliches hatten sie ihm beigebracht.
Er nahm noch einen Schluck. Betäubte sein Hirn, bevor es wieder zu viel nachdachte.
„Royal Flush“, offenbarte Zach am Abend seine Karten in einer anderen Destille.
Die Seemänner am Tisch machten große Augen und der letzte Matrose, der seinen Einsatz gehalten hatte, warf derb fluchend seine „Straße“ in die Luft.
Die Karten segelten zu Boden wie draußen die Schneeflocken.
„Das ist doch nicht möglich, verdammt! Nicht schon wieder! Wie viel Glück kannst du verlauster Hurensohn eigentlich haben, hä?“, brüllte der Schiffer durch den Raum, dass umstehende Gäste der Bar anfingen, sich für die Szene zu interessieren.
Zach steckte die gewonnenen Scheine ein und zuckte lässig die Schultern. „Willst du behaupten, ich betrüge?“
„Ja, das tu ich! Du Schweinehund hast mir entschieden zu oft ein gutes Blatt!“
„Was bin ich für ein Glückspilz“, war er von der Aggression seines Gegenübers wenig beeindruckt.
Schon schob der Seebär mit einem kräftigen Ruck den Pokertisch beiseite und wollte nach Zach greifen, ihn mit geballter Rechten treffen, aber der war flink aus der Reichweite des Hitzkopfs entkommen.
Sein Messer ließ er stecken – bei so einer kleinen Kneipenfehde musste kein Blut fließen. Dennoch ging Zach zum Angriff über, packte das Handgelenk des Mannes, zog ihn zu sich und rammte seine Faust in dessen Magen.
Der Matrose keuchte auf, beugte sich vorn über, da traf Zach ihn hart mit seinem Ellenbogen im Nacken. Das schickte ihn auf die Planken.
„Noch jemand?“, fragte Zach in die Runde, jedoch muckte niemand auf. Die Schaulustigen drehten sich wieder ihrem Bier und Schnaps zu und die Seefahrer hoben ihren Kameraden vom Boden auf, um kleinlaut zu verschwinden. Auch der Wirt wetterte nicht über den Gewaltausbruch und wischte weiter ruhig seine Gläser blank.
Zach stellte den Tisch wieder an seine ordnungsgemäße Stelle und hob die Karten auf. Keiner beobachtete ihn dabei oder machte eine scherzhafte, geschweige denn abfällige Bemerkung.
Bald schon zeigte sich ihm ein einladender Busen und Carmen stand ihm gesellig zur Seite. Die schöne Blonde würde er heute Nacht mitnehmen.
Wiederholungsschleife.
Sein ganz normaler Alltag.