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II

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Der Arzt kam, machte dreizehn Stiche, sedierte Mrs McKechnie und steckte sie ins Bett. Eine Stunde später kamen zwei Polizisten, entschuldigten sich für die Verzögerung und redeten sich auf Personalknappheit hinaus; sie stellten fest, dass das Opfer schwer betäubt war, richteten ein paar Fragen an Mr McKechnie, die nichts erbrachten, verboten ihm, irgendetwas anzufassen – »Was soll das heißen: Irgendetwas?«, gab er zurück –, inspizierten beiläufig Türen und Fenster und versprachen, am nächsten Tag wiederzukommen.

Mr McKechnie saß vor einer Fertigsuppe, Geschmacksrichtung Ochsenschwanz, und rätselte, warum jemand seine Frau überfallen und ihr dabei den Namen seiner Geliebten nennen sollte. Er wusste von keinerlei Feinden. Seine Geliebte, die im Nebenberuf als seine Sekretärin tätig war, war nicht verheiratet; und obwohl sie ihre Haare durchaus reizvoll auftürmte, fremden Männern zulächelte und beim Gehen ihren Hintern etwas heftiger als unbedingt nötig schwenkte, wusste er doch von keinem, der ihm ihre Zuneigung streitig machen würde. Davon abgesehen, dass Brian, falls sich doch ein Konkurrent melden sollte, nicht gar so sehr an ihr hing: Sie konnte jederzeit gehen, wenn sie es wünschte. Die Zeiten, da er noch um eine Frau gekämpft hatte, waren vorbei, und zu einem Kampf wäre er überhaupt nicht in der Lage gewesen. Die einzige Sportart, in der er sich verausgabte, war das Hantieren mit Messer und Gabel; beim Treppensteigen ging ihm die Luft aus, er kam leicht ins Schwitzen, war etwas übergewichtig und hatte erst vergangenes Jahr einen leichten mahnenden Herzanfall gehabt.

Am nächsten Tag saß ein Kommissar der Kriminalpolizei von Guildford zusammen mit einem Kollegen am Bett von Rosie McKechnie. Schritt für Schritt trugen sie zusammen, was sie wusste, obwohl es größtenteils das war, was sie nicht wusste. Ein großer Mann mit rowdyhaftem Cockney-Akzent und braunem Pullover; ein kleiner Mann mit möglicherweise irischem Akzent, der sich, wie es Rosie vorsichtig formulierte, über Godfrey »abfällig geäußert« hatte. Der Kleine hieß möglicherweise Stanley. Zweimal – fast dreimal – war nachdrücklich eine gewisse Barbara erwähnt worden. Auch jemand, der als Boss bezeichnet wurde, war mehrfach erwähnt worden.

»Hatten Sie Streit mit jemandem, Mrs McKechnie?«

»Nein – ich streite mich nicht. Außer mit der Putzfrau. Welche Art von Streit denn?«

»Na, Kräche, Reibereien, Sie wissen schon, Wortgefechte, etwas in der Art.«

»Nein.«

»Kennen Sie einen Stanley?«

»Da wäre Brians Onkel, aber …«

»Schon klar, Mrs McKechnie. Wie steht es mit Barbara?«

»Darüber habe ich mir auch Gedanken gemacht. Aber ich kenne keine Barbara, überhaupt keine.«

»Dann können wir wohl nur auf die Kollegen vom Labor hoffen. Es sei denn, dass uns Ihr Mann irgendwie weiterhelfen kann.«

Die beiden Polizisten gingen mit Mr McKechnie langsam die Treppe hinunter.

»Probleme, Sir«, sagte Bayliss, der Kommissar, ein rotblonder, etwas heftiger Mann im blauen Anzug. »Probleme. Keinerlei Hinweise zur Identität der beiden, oder jedenfalls keine, mit der nicht der größte Teil der englischen Bevölkerung unter Verdacht stünde. Keinerlei Fingerabdrücke, sagt der Kollege. Nichts gestohlen. Kein offensichtliches Motiv, oder wüssten Sie eins?«

»Ich wüsste keins.«

»Und ein besonders gemeines Verbrechen. Ganz abgesehen von der Katze. Die Frage, die sich hier stellt: die Tat eines Wahnsinnigen, von zwei Wahnsinnigen, oder nicht? Wenn es nur um die Katze ginge, würde ich sagen, ja. Da laufen genug Schwerverrückte frei herum. Ich weiß von Wahnsinnigen, die Katzen zum reinen Vergnügen von Hochhäusern runtergeschmissen haben. Aber aufspießen und rösten – das kannte ich noch nicht. Sie etwa, Willett?«

Sein Kollege ließ einen Augenblick lang alle Verbrechen gegen Feliden, mit denen er bisher zu tun gehabt hatte, Revue passieren. »Da gab’s Ertränkungen und, na ja, Verstümmelungen«, erwiderte der. »Und dann war da mal was mit einem Benzinkanister, aber das ist schon länger her. Aber so etwas nicht.«

»Andererseits«, fuhr Bayliss fort, »andererseits deutet alles darauf hin, dass die Verletzung Ihrer Frau genau geplant war. Sie kannten ihren Namen, sie wussten offenbar, wann sie zu Hause war, und, es tut mir leid, das sagen zu müssen, sie wussten ganz genau, was sie ihr antun wollten. Oder etwa nicht?«

»Sie sind die Experten.«

»Ja, das sind wir wohl. Nett von Ihnen, das zu sagen, Sir. Worauf ich hinauswill, Mr McKechnie, ist ein Motiv. Willett, was meinte Mrs McKechnie gleich wieder, dass sie über diesen Burschen Stanley sagten?«

Willett klappte seinen Notizblock auf und blätterte ein paar Seiten zurück. »›Zeit für Stanley‹ oder so ähnlich hat der Lange ihrer Meinung nach gesagt.«

»›Zeit für Stanley.‹ Das klingt fast danach, als sollte der andere losgelassen werden. Fast als würde man ihn von der Leine lassen. Kennen Sie irgendwelche Stanleys, Sir?«

»Mein Onkel, aber …«

»Wohl kaum. Sonst jemand?«

»Leider nein.«

»Na gut. Kommen wir zum einfacheren Teil. Wer ist Barbara?«

»Keine Ahnung.«

»Sie sind doch ein kleiner Schürzenjäger, nicht wahr, Sir?«

»Was soll das heißen? Alles andere.«

»Nie ein Seitensprung in allen Ehren? An Gelegenheiten wird es ja nicht gefehlt haben, wenn ich das mal so sagen darf. Nie über die Stränge geschlagen?«

»Bestimmt nicht. Ich bin fünfundfünfzig. Letztes Jahr hatte ich einen Herzanfall. Diese Art von Sportlichkeit würde mich wahrscheinlich umbringen.« (Das war insofern richtig, als Barbara und er es gelegentlich etwas vorsichtiger angehen lassen mussten; das wär’s natürlich, so den Löffel abzugeben, überlegte er manchmal, wenn er nur imstande wäre, den peinlichen Aspekt davon auszuhalten. Obwohl er ja kaum noch was aushalten müsste; er wäre ja gar nicht mehr dabei.)

»Also Sie und Mrs McKechnie …?« Bayliss bezog sich ohne Zweifel auf die Tatsache, dass Rosie ein eigenes Schlafzimmer hatte.

»Nachdem es Sie offenbar hochbringt, über derartige Dinge Bescheid zu wissen: Die Antwort lautet in der Tat: Nein, wir tun’s nicht mehr. Wir sind allerdings nach wie vor die besten Freunde.«

»Das würde ich keinen Augenblick bezweifeln wollen, Mr McKechnie. Was jetzt Ihre Frau angeht: Hat sie … hat sie gelegentlich Besucher?«

»Jetzt reicht’s mir aber. Mit welchem Recht glauben Sie eigentlich, mir solche Fragen stellen zu können? Meine Frau wurde mit dem Messer angegriffen, sie ist nicht vergewaltigt worden. Warum suchen Sie nicht nach der Tatwaffe oder sonst was? Was soll denn in Teufels Namen bei dieser Art Verhör herauskommen?«

»Das nun weiß man nicht immer so genau, ehe man nicht die Antworten bekommen hat. Also kein Stanley, keine Barbara, auch kein Herumgevögel; und was ist mit dieser Figur, die Boss genannt wurde?«

»Könnte jeder sein. Jeder hat einen Boss.«

»Da haben Sie zweifellos recht, Mr McKechnie. Aber eine komische Geschichte ist es doch, meinen Sie nicht? Da sind also diese beiden Herrschaften, die brechen in Ihr Haus ein, überfallen Ihre Frau, bringen Ihren Kater um und erwähnen die Namen von drei Leuten, aber keiner scheint irgendwas über irgendeinen zu wissen. Wer ist denn Ihr Boss, Mr McKechnie?« Bayliss wirkte nicht ausgesprochen freundlich.

»Ich bin mein eigener Boss.«

»So sagen Sie uns doch bitte, Mr McKechnie, wovon Sie der Boss sind.«

McKechnie GmbH & Co. KG. Eingetragen im Handelsregister. Geschäftssitz der Firma: Rupert Street, W1. Einfuhr von und Handel mit Spielzeug, Scherzartikeln, Boutiquenbedarf, Faschingskostümen, Kleinfeuerwerkskörpern, Zauberkästen und Karnevalsmasken. Polizistenhelme im Sortiment, aber nur in Kindergrößen. Geschäftsgang saisonabhängig, flau im Sommer, Spitzen in der Vorweihnachtszeit, versteht sich. Die Bücher in Ordnung. Umsatz sechsstellig. Der Warenbestand in zwei kleinen Lagerhäusern, eines in der Lexington Street, das andere in einem kleinen Hinterhof in der Greek Street. Ein kleines, einträgliches, ehrenhaftes Unternehmen. So weit Mr McKechnies Geschichte.

»Klingt beinah zu schön, um wahr zu sein. Hätten Sie was dagegen, wenn wir einmal vorbeischauen und uns in Ihrem Büro mit Ihnen unterhalten?«

»Natürlich nicht. Den Rest der Woche werde ich zu Hause bleiben und mich um meine Frau kümmern. Sie können dann, wenn Sie einen Sinn darin sehen, Anfang nächster Woche vorbeikommen.«

»Sehr entgegenkommend von Ihnen. Jetzt aber zu dem, was wir hier haben. Ich schicke morgen den Polizeiarzt herüber, damit der sich die Verletzung Ihrer Frau ansieht – vielleicht stellt er etwas fest, was uns Aufschluss über die verwendete Waffe geben könnte. Wir nehmen den Kater mit, falls Sie nichts dagegen haben, und wir hätten auch gerne das Kleid, das Ihre Frau trug. Sollte Ihnen zu diesen Namen doch noch etwas einfallen, dann geben Sie uns Bescheid, nicht wahr?«

»Ja, natürlich.«

Kaum waren die Polizisten aus dem Haus, rief McKechnie schon in seinem Büro an. Barbara ging dran; das war zu erwarten – denn sonst gab es niemanden dort. Er fragte sie, ob er nicht immer lieb zu ihr gewesen sei, und sie bestätigte es. Er fragte sie, ob sie ihm einen Gefallen tun könne, und sie sagte, sie hoffe, es sei der gleiche wie sonst, der mache ihr nämlich Spaß. Er sagte, nein, diesmal nicht, du kleine Verführerin, diesmal sei es ein bisschen was anderes. Er habe gewisse Schwierigkeiten, die er ihr ein andermal erklären würde. Er bitte sie darum, das Büro dichtzumachen und drei Wochen bezahlten Urlaub zu nehmen. Nein, die drei Wochen Jahresurlaub blieben ihr, die könne sie später mal nehmen. Nein, das solle nicht heißen, dass er sie rausschmeiße. Ja, er habe sie noch immer sehr gern. Ja, das würden sie auch bald wieder machen. Bald, sehr bald. Und er werde ihr einen Scheck mit einem Monatsgehalt an ihre Wohnanschrift schicken.

Mit einem weiteren Anruf wandte er sich an eine Zeitarbeitsvermittlung in der Shaftesbury Avenue und bestellte eine Sekretärin für zwei Wochen; sie sollte am nächsten Montag anfangen. Anschließend setzte er sich hin und überlegte, ob er damit das Richtige getan habe.

Das war an einem Dienstag. Am Mittwoch kam der Polizeiarzt, untersuchte Mrs McKechnie, äußerte sein Beileid für Godfrey und brummte im Weggehen etwas von islamischen Strafpraktiken.

Am Donnerstag geschahen zwei Dinge. Der Guildford Advertiser erschien mit einer Schlagzeile über die halbe Seite Sieben: PERVERSER KATZENMORD BEI RÄTSELHAFTEM ÜBERFALL: POLIZEI JAGT IRRE. Und Polizeikommissar Bayliss tauchte wieder auf, in seinem Schlepptau Willett.

»Nach dem, was uns der Polizeiarzt berichtet hat«, sagte Bayliss, »können wir Ihren Onkel Stanley mit Sicherheit ausschließen.« McKechnie wirkte verwirrt. Bayliss zog ein kurzes, maschinengeschriebenes Dokument aus seiner Mappe und las daraus vor: »›Opfer … Wunde … Wundhof …‹ Ah ja, hier: ›Mögliche Tatwaffe: mittleres bis schweres Messer mit schmaler Klinge. Von der Klinge wurde nur eine kleine Fläche benutzt, also handelt es sich vermutlich weder um eine Art Klappmesser noch um ein nachgeschliffenes Küchenmesser, sondern eher um eine Art Zuschneidemesser oder auch um ein Spezialwerkzeug zur Holzbearbeitung. Für einen vorangegangenen Gebrauch des Messers ließen sich keine Spuren finden, da die Wunde zum Zeitpunkt der polizeilichen Untersuchung bereits gründlich gereinigt war. Möglicherweise aber ein Spezialwerkzeug, etwa ein Stanleymesser.‹«

Bayliss sah hoch und lächelte selbstzufrieden; dann nickte er Willett zu, der in seinem Notizblock suchte und neuerlich Mrs McKechnies Worte zitierte: »›Zeit für Stanley‹ oder so ähnlich.«

Bayliss hatte noch immer diese Selbstzufriedenheit im Gesicht. McKechnie konnte sich nicht vorstellen, warum es Bayliss irgendwie freuen konnte, dass einer der wenigen Hinweise, die er überhaupt hatte, hinfällig geworden war. Bayliss erklärte:

»Nun, bisher haben wir nach jedem gesucht, der auf den Namen Stanley hört. Jetzt suchen wir nur mehr nach Leuten mit Stanleymessern. Das müsste unsere Chancen eigentlich etwas verbessern.«

McKechnie wusste nicht, ob Bayliss ein Blödmann war oder bloß schnoddrig.

In der Woche darauf tauchten Bayliss und Willett in McKechnies Büro in der Rupert Street auf. Seine neue Sekretärin Belinda führte sie herein. Er hatte der Agentur ohne Umschweife klargemacht, dass er ein wirklich tüchtiges Mädchen wolle, weil er diese Flittchen mit kurzem Rock wirklich satthabe, die nur seine Ausgaben für Tipp-Ex verdoppelten und das auszubügeln meinten, wenn sie beim Aktenablegen ihr Höschen aufblitzen ließen. In der Agentur begriff man, was er meinte, schrieb das firmeninterne Kürzel »fromm« auf die Rückseite der Karteikarte und schickte ihm Belinda, ein Mädchen, das ein wenig hinkte und zwischen deren Brüsten ein riesiges silbernes Kreuz baumelte, als sollten damit alle schwitzigen Männerhände abgewehrt werden. McKechnie war mit ihr recht zufrieden, obwohl sie keineswegs tüchtiger war als die Mädchen, die bereits am ersten Nachmittag ihren Zwickel aufreizend ins Spiel brachten.

Als Bayliss hereinkam, fragte er beiläufig, wie lange Belinda schon da arbeite, doch McKechnie war auf die Frage gefasst. Er habe immer Aushilfskräfte, sagte er, er finde sie zuverlässiger, und die Arbeit sei nicht allzu anspruchsvoll, und bisweilen mache er den Laden wochenlang dicht, und außerdem sei das Büro sowieso so klein, dass er es nicht darauf ankommen lassen könne, eine Sekretärin am Hals zu haben, mit der er nicht klarkäme. Oh, sie kämen von allen möglichen Agenturen, mal von der, mal von jener; er wisse schon gar nicht mehr, wo er Belinda her habe. Aber sie könnten sie ja selber fragen, wenn sie wollten. Der Name seiner vorhergehenden Sekretärin? Oh, Sheila, und die davor, Tracy, und vor der, ach, Millie oder so ähnlich.

Als Bayliss und Willett gingen, fühlte sich McKechnie, als hätte er ein sattes Geschäft an Land gezogen. Er ging zu Bianchi hinüber und verwöhnte sich mit dem Besten, das die Küche zu bieten hatte, nur um zu zeigen, wie zufrieden er mit sich war.

In der folgenden Woche erhielt er den ersten Anruf. Belinda sagte ihm, dass ein Mr Salvatore am Apparat sei.

»Mr McKechnie?«

»Ja.«

»Und wie geht es uns heute?«

»Kann nicht klagen.«

»Sind Sie da sicher?«

»Allerdings. Was kann ich für Sie tun?« Diese Ausländer ließen sich aber auch Zeit – sie hielten das wohl für besonders britische Umgangsformen. McKechnie kannte einen griechischen Einzelhändler, der jedes Mal, wenn er ans Ende seines einleitenden Verbeugens und Kratzfüßelns gelangt war, den Anlass seines Anrufs vergessen hatte. Dann musste er wegen seiner Bestellung später noch mal anrufen.

»Und Ihre Frau, Mr McKechnie, befindet sich auch wohl?«

McKechnie war empört, obwohl sich der Ton des Anrufers nicht verändert hatte. »Es geht ihr gut. Was kann ich für Sie tun?«

»Dort, von wo ich herkomme, haben wir nämlich ein Sprichwort – die Gattin eines Mannes ist das Prunkstück seiner Tafel. Ist das nicht ein wunderschöner Ausdruck, ein überaus galanter Ausdruck?«

McKechnie legte auf. Wer immer der Mann war, er sollte entweder zur Sache kommen oder ihm gestohlen bleiben. Abgesehen davon, dass McKechnie gern etwas Zeit gehabt hätte, um darüber nachzudenken, was da im Busch war.

Er bekam sie nicht. Das Telefon klingelte fast sofort wieder, und Belinda sagte entschuldigend:

»Die Verbindung ist wiederhergestellt, Mr McKechnie. Entschuldigen Sie die Unterbrechung, ich muss einen falschen Knopf gedrückt haben.« Das war die Sorte Sekretärinnen, die sie einem heutzutage schickten – der alte Typ, und selbst manche von den Zwickelblitzerinnen, wusste wenigstens, wann sie einen unterbrochen hatten. Diese hier wussten nicht einmal, ob sie es jetzt getan hatten oder nicht; sie gingen einfach davon aus – und das zu Recht –, dass sie was falsch gemacht hatten.

»Schrecklich, dieses Telefonsystem bei Ihnen, Mr McKechnie«, sagte die Stimme. »Ich habe mir sagen lassen, mit der Verstaatlichung sei alles den Bach runter, aber daran kann ich selbst mich natürlich nicht mehr erinnern.«

»Geht es um geschäftliche Dinge. Mr …?«

»Salvatore. Ja und nein, wie Sie sagen würden. Es gehört nicht zu meinen Praktiken, Unbekannte anzurufen, nur um dem Postminister beim Abbau des Defizits behilflich zu sein. Deshalb will ich Ihnen gerne den Grund meines Anrufs nennen. Ich rufe an, um Ihnen zu sagen, dass es mir leidtut wegen der Katze.«

»Der …«

»Ja, Mr McKechnie, es handelte sich, wie soll ich mich ausdrücken, Sie verstehen doch Französisch, Mr McKechnie, das war un peu trop d’enthousiasme. In schlichten Worten: Die Jungs sind etwas durchgedreht.«

»Sie … Arschloch.« McKechnie wusste nicht recht, was er sagen sollte; der Kater war ihm in Wahrheit ziemlich gleichgültig; der war immer, wie sie es selbst ausdrückte, Rosies Babylein gewesen.

»Nun, ich nehme Ihren Tadel hin. Was aber den zweiten Punkt betrifft, den ich ansprechen möchte, so hoffe ich, dass Ihre verehrte Frau Gemahlin sich von ihrem unangenehmen Martyrium erholt. Und ich möchte Ihnen empfehlen, nicht aufzulegen.« Der Ton war härter geworden. McKechnie antwortete nicht. Die Stimme fuhr fort: »Ich nehme mir die Freiheit, aus Ihrem Schweigen zu schließen, dass sie sich, wie man bei Ihnen sagt, auf dem Wege der Besserung befindet.«

Wieder antwortete McKechnie nicht.

»Und dann ist da noch der dritte Punkt, den ich mit Ihnen besprechen wollte. Erscheint es Ihnen nicht außerordentlich, dass die Polizei überhaupt keine Ahnung hat, was da vorgefallen ist oder warum es geschehen ist oder wer so etwas getan haben könnte? Nur am Rande: Ich darf doch annehmen, dass Sie ihr nicht von Ihrer hübschen Sekretärin erzählt haben, die anscheinend nicht mehr bei Ihnen tätig ist?«

McKechnie antwortete noch immer nicht. Auf dem Notizblock neben dem Telefon versuchte er so viel wie möglich von dem Gespräch festzuhalten.

»Nein, haben Sie nicht. Da darf ich mir wohl sicher sein. Wenn ich also zusammenfassen darf, Mr McKechnie, es geht mir um Folgendes: Ist es nicht außergewöhnlich und auch ein wenig beängstigend, dass in Ihrem eigenen Haus zwei derart unangenehme Dinge geschehen konnten und dass die Polizei auch nach einer gründlichen Untersuchung auf keinerlei Hinweise gestoßen ist, die ihr irgendwie weiterhelfen würden? Es entbehrt doch auch nicht einer gewissen Ironie, dass der einzige Hinweis, der sie weitergeführt hätte, von Ihnen selbst vorenthalten wurde. Keine ganz angenehme Situation, Mr McKechnie, jedenfalls nicht für Sie, was meinen Sie? Es geht doch darum, nicht wahr, dass etwas Ähnliches oder – es fällt mir nicht leicht, das zu sagen – sogar etwas wesentlich Schlimmeres passieren könnte und dass Sie mit einiger Sicherheit annehmen müssen, dass die Polizei wiederum nichts ausrichten könnte. Was sagen Sie dazu, Mr McKechnie?«

»Ich würde sagen, man weiß es nie.«

»Und ich sage Ihnen, Mr McKechnie, dass manche von uns es doch wissen. Nehmen wir beispielshalber den vorliegenden Fall. Nehmen wir an, Sie gehen noch einmal zur Polizei. Sie erzählen denen, dass es Ihnen leidtut, sie belogen und nichts von Barbara gesagt zu haben. Glauben Sie etwa, dass die sich doppelt so viel Mühe geben werden, wenn Sie bei ihnen auftauchen und ihnen sagen, dass Sie vorher gelogen haben? Das sind schließlich auch nur Menschen, Mr McKechnie, die würden annehmen, dass Sie ihnen noch mehr Lügen auftischen wollten, und sie würden sich vermutlich untereinander dahingehend bereden, dass sie, wie es bei Ihnen heißt, sagen ›Der kann uns mal!‹ Auf der anderen Seite, wenn Sie tatsächlich Glück haben bei der Polizei, wo würde denn diese neue Information hinführen? Würde sie die Polizisten ihrem Ziel wirklich näherbringen? Jeden Tag geschehen neue Verbrechen, selbst draußen bei Ihnen in der Pampa.«

»Was wollen Sie?«

»Oh, ich bin so glücklich, dass Sie mich das fragen, Mr McKechnie. Das beweist zumindest, dass Sie kein Dummkopf sind. Was ich von Ihnen will, ist, dass Sie nachdenken. Ich will, dass Sie über das nachdenken, was man Aspekte und Perspektiven nennt. Das ist im Augenblick alles, was ich von Ihnen will. Und jetzt werde ich die Leitung frei geben, damit Sie weiter Ihren ehrbaren Geschäften nachgehen können.«

Der Hörer wurde aufgelegt.

Gehorsam begann McKechnie über die verschiedenen Aspekte nachzudenken. Wurde er erpresst? Bis jetzt jedenfalls nicht. Wurde er für eine Erpressung weichgeklopft? Wenn ja, dann gingen sie nach einer ausgefallenen Methode vor. War seine Frau zu Hause sicher? War er sicher? Sollte er sich noch mal an die Polizei in Guildford wenden? Sollte er zu der Wache hier in West Central, in der Broadwick Street, gehen? Sollte er womöglich versuchen, die Untersuchung nach West Central überwiesen zu bekommen in der Hoffnung, dass die Sache mit Barbara unterwegs verloren ginge? Doch was konnte er denen hier schon erzählen? Eins konnte er auf jeden Fall tun: mit Shaw sprechen, dem Kommissar in West Central, mit dem er hin und wieder einen trank. Vielleicht sollte er das erst mal tun.

Er rief die Wache West Central an, wo man ihm sagte, dass Shaw eine Woche Urlaub habe. Ob er mit jemand anderem sprechen wolle. Nein, danke.

Zwei Tage später stellte Belinda durch und sagte ihm, Mr Salvatore sei wieder am Apparat.

»Mr McKechnie, geht’s noch immer gut? Schön. Ich will nicht zu viel von Ihrer kostbaren Zeit beanspruchen. Ich darf annehmen, dass Sie ein wenig nachgedacht haben. Sie haben sich natürlich nicht noch mal bei der Polizei gemeldet, um Ihre kleine Beichte abzulegen?«

McKechnie schwieg.

»Nein, natürlich nicht. Jetzt will ich Ihnen sagen, was Sie für mich tun sollen. Sie werden mir mit etwas Geld aushelfen. Nicht sehr viel. Eigentlich sehr wenig Geld. Zwanzig Pfund. Nein, sagen wir fünfundzwanzig. Sie gehen also morgen zu Ihrer Bank – oder Sie nehmen es aus der Portokasse, da bin ich nicht kleinlich – und warten dann auf meinen nächsten Anruf, in dem ich Ihnen sagen werde, was Sie damit tun sollen. Ziemlich simpel, das Ganze, Mr McKechnie. Oh, und Sie dürfen versichert sein, auch wenn das neu für Sie sein sollte, für mich ist es das nicht.«

Das Telefon verstummte. McKechnie holte tief Luft, zog sein Sakko über, sagte Belinda, dass er für ein paar Minuten weggehe, und marschierte dann zur West-Central-Wache.

West Central war eine jener Polizeiwachen, die es einfach nie bis zur Modernisierung schafften. Vor zehn Jahren hatten sie die blaue Lampe von ihrer Konsole an der Mauer herabgenommen und nach fünf Jahren hatte man ein neues Schild angebracht, ein schmales weißes, das von einer Neonröhre beleuchtet wurde und auf dem WEST CENTRAL POLICE STATION zu lesen war. Doch danach verlangsamte sich der Prozess merklich: Die graue Wandfarbe drinnen wurde schwärzer; das Kantinengeschirr hatte jedes Jahr mehr angeschlagene Stellen; die Laune wurde mieser.

Shaw befand sich noch immer in Urlaub, und McKechnie wurde stattdessen an Hauptkommissar Sullivan verwiesen, einen mürrischen fleischigen Mann mit fünfundzwanzig, zehn davon auf dieser Piste verbrachten Dienstjahren, den Verbrechen aller und Kläger fast jeder Art nicht mehr beeindrucken konnten. McKechnie erzählte seine Geschichte – der Überfall auf seine Frau, der aufgespießte Kater, die Anrufe, die Geldforderung –, während Sullivan auf seinem Schreibtisch Papiere herumschob und gelegentlich mit einem Streichholz in seinen Ohren polkte.

Als er fertig war, sagte Sullivan nur:

»Das mit dem Kater hab ich noch nie gehört. Der Rest ist nichts Neues. Braucht ganz schön viel Kraft, um den Spieß durch einen Kater zu treiben. Man kriegt dabei wohl ein paar Kratzer ab, was?«

McKechnie war ungeduldig, weil die Polizei für den Tod seines Katers so viel Interesse aufbringen konnte.

»Und was ist mit der Verletzung meiner Frau und der Erpressung?«

»Woher wollen Sie wissen, dass es sich um Erpressung handelt?«

»Aber natürlich ist es Erpressung.«

»Sprach der Mann von dem, was er tun würde, wenn Sie nicht zahlen?«

»Nein.«

»Dann hat er es vielleicht nur mal probieren wollen. Vielleicht haben die beiden Geschichten auch gar nichts miteinander zu tun. Vielleicht hat er nur Ihr Lokalblättchen gelesen und gemeint, er könnte mal sein Glück versuchen.«

Das war ausgeschlossen, dachte McKechnie, weil dieser Salvatore über Barbara Bescheid wusste, und davon hatte nichts in der Zeitung gestanden. Doch er sagte bloß: »Nicht sehr wahrscheinlich, oder?«

»Aber möglich.« Sullivan war offenbar ganz wild darauf, seine Bemühungen um diesen Fall so gering wie möglich zu halten. McKechnie wartete. Schließlich verlagerte Sullivan sein Gewicht auf dem Stuhl, scharrte wieder im Ohr und sagte: »Ich könnte den Fall wohl hierher überwiesen bekommen.« Er ließ wenig Begeisterung erkennen. »Soll ich das tun?«

»Wenn Sie das für das Beste halten. Was immer da los ist, mit meinem Wohnort hat es jedenfalls nichts zu tun.«

Sullivan nickte, kam langsam auf die Füße und verschwand. Als er zurückkam, schien er womöglich noch weniger begeistert von McKechnies Anwesenheit in seinem Büro. Wenn McKechnie nur endlich gehen würde, so schien sein Blick anzudeuten, dann könnte er weitermachen und seine Ohren einer gründlichen Reinigung unterziehen.

»Also, die schicken mir die Unterlagen«, sagte er. »Ein Beamter namens Bayliss. Sagte, nach dem Laborbericht sei der Kater drei Stunden lang geröstet worden. Muss widerlich gestunken haben, was?«

»Weiß ich nicht mehr.«

»Na, na, Mr McKechnie, sicher wissen Sie das noch. Und, äh, wo wir grade bei widerlichen Gerüchen sind: Hier drin riecht es doch auch etwas eigenartig.«

McKechnie sah sich um.

»Nein, nein, Sie brauchen sich gar nicht umzusehen. Ich meine, dass da von Ihrem Stuhl auch ein ziemlich widerliches Gerüchlein aufsteigt, Mr McKechnie. Wir haben unser Näschen wohl nicht immer ganz sauber gehalten, was? Sind selber ein kleiner Gauner, nicht wahr, Mr McKechnie? Es bleibt doch noch ein Weilchen bei McKechnie? Denn falls Sie sich mit dem Gedanken tragen, mal wieder zu wechseln, saus ich schnell mal raus und bring Ihre Akte auf den neuesten Stand.«

»Das ist doch alles Jahre her.«

Und es war auch zweihundert Meilen weit entfernt gewesen. Schlechte Gesellschaft, Versuchung, so was konnte jedem passieren. Man kann kein Unternehmen leiten, ohne gelegentlich in Versuchung geführt zu werden. Doch wie war Sullivan an sein Strafregister rangekommen?

»Das ist doch Jahre her«, wiederholte er. »Ich war der Meinung, es gäbe da so ’ne Verfügung über die Löschung von Vorstrafen, Verjährung und so?«

»Gibt es, Mr McKechnie, gibt es.« Sullivan wurde langsam munter. Er schien an diesem Teil der Unterhaltung seine helle Freude zu haben. »Aber die gilt jetzt nicht für uns, oder? Oder jedenfalls nicht so, wie es gedacht war. Und wenn sich jemand bei uns auf der Piste niederlässt, dann möchten wir gern ein bisschen was über ihn wissen, auch wenn er nur eine kleine Nummer ist.«

»Aber Sie wissen doch, Herr Hauptkommissar, man kann kein Unternehmen leiten, ohne gelegentlich in Versuchung geführt zu werden.«

»O ja, bestimmt, Mr McKechnie. Beim Lesen unserer kleinen Akte über Sie hat mich nur überrascht, dass es damals in Leeds nicht mehr Verkehrsunfälle gab.« Er kicherte. »Bei all dem Zeug, das den Lkw einfach so von der Ladefläche gefallen ist.«

McKechnie schwieg.

»Doch ich würde sagen, lassen wir Vergangenes vergessen sein.« Sullivan klang, als könne er kaum hoffen, auch nur sich selbst von diesem Grundsatz zu überzeugen, und schon gar nicht jemand anderen.

»Um zu meinen aktuellen Schwierigkeiten zurückzukehren, Herr Hauptkommissar.«

»O ja, natürlich.«

»Was soll ich wegen den fünfundzwanzig Pfund unternehmen?«

»Zahlen und als uneinbringliche Außenstände von der Steuer absetzen.«

»Ist das etwa Ihr Ernst?«

»Selbstverständlich. Sagt Ihnen das nicht auch Ihr natürlicher Instinkt? Würde das nicht jeder kleine Gauner, der was auf sich hält, auch so machen?«

»Das heißt also, ich soll mich verpissen?«

»Nein, ganz und gar nicht. Ich sage nur, Geschäft ist Geschäft. In Ihrem Geschäft hat man immer mal wieder kleinere Beträge abzuschreiben. Zu meinem Geschäft gehört es, dass ich nicht die Zeit meiner Leute verschwende, wenn ein Vorortganove das Blättchen in Guildford liest und aus einem anderen Vorortgauner fünfundzwanzig Mücken herausquetscht. Ist doch erstaunlich, wie rührig sich das private Unternehmertum zeigt, nicht wahr, Mr McKechnie? Einmal hatten wir einen Ganoven, der las immer die Todesanzeigen im Telegraph und schickte dann an die Adresse des Verstorbenen kleine Rechnungen von einer Änderungsschneiderei. Die Familie des Dahingeschiedenen erhielt die Rechnung – es handelte sich jeweils um vier oder fünf Pfund; er war nicht raffgierig – und zahlte in den meisten Fällen. Eigentlich ein natürlicher Instinkt. Wäre auch pietätlos, die Rechnungen eines lieben Verstorbenen nicht zu begleichen.«

»Was ging dann schief?«

»Wie? Ah, ja, irgendetwas geht immer schief, nicht wahr? Außer in den Fällen, wo nichts schief geht und wo es dann auch nichts zu erzählen gibt. Was schief ging, war ebenso simpel wie das, was so gut lief: Er beging den Fehler, eine Rechnung an einen Toten zu schicken, der aus einer Schneiderfamilie stammte. Das hat alle ziemlich amüsiert. Und es wurde ja niemand ernsthaft geschädigt. Er bekam nur zwei Jahre.«

»Haben Sie je von diesem Salvatore gehört?«

»O ja, den kennen wir. Großer Gangster hier am Ort. Mädchen, Hasch, bisschen Stoff, Hehlerei, Verladegeschäfte; ein sehr demokratischer Gangster, dieser Mr Salvatore.«

McKechnie war erstaunt; und verärgert. »Warum haben Sie mir das nicht eher gesagt? Jetzt können Sie sein Telefon anzapfen, wenn er mich morgen anruft.«

»Geduld, Mr McKechnie.« Sullivan hatte offenbar wieder seinen Spaß; für einen Moment hatte er sogar seine Ohren vergessen. »So ohne Weiteres können wir kein Telefon anzapfen. Das braucht erst einen fürchterlichen Papierkrieg, die Erlaubnis des Innenministeriums, die Unterschrift des Ministers. Und für grad fünfundzwanzig Mücken würde der doch nicht seine Unterschrift hergeben.«

»Warum nicht?«

»Ich will’s Ihnen sagen, Mr McKechnie. Weil Mr Salvatore keine Engelisch niecht ’priecht, sondern nur Itako. Tutto seine Leben. Und dann, zweitens, weil er nicht mehr unter uns weilt. Er starb vor ungefähr fünf Jahren. Angenehmer älterer Herr. Die Jungs hier gaben alle was für einen Kranz.«

»Mit wem habe ich dann gesprochen?«

»Andere Salvatores gibt’s hier nicht. Ich schätze, Sie sind einem Scherzkeks aufgesessen, Mr McKechnie, einem kleinen Witzbold.«

»Und was soll ich jetzt machen?«

»Ganz wie Sie belieben, Mr McKechnie. Zahlen Sie, wenn Sie Lust haben, und wenn nicht, sagen Sie ihm, er soll sich verpissen.«

»Und wenn er sich nicht verpisst?«

»Lassen Sie es mich mal so ausdrücken: Wenn er hartnäckig bleibt und bis zu einem Hunderter geht, dann kommen Sie wieder zu mir. Unter hundert ist es die Aufregung nicht wert.« In Sullivans Augen blinkte es bedeutungsvoll, als er das sagte. Nannte er McKechnie damit einen Preis?

Am anderen Morgen brachte Brian Rosie das Frühstück ans Bett, wie er es seit dem Überfall jeden Morgen getan hatte, und setzte sich dann unten hin mit der Zeitung und der Post. Sie hatten immer einander die Briefe geöffnet; für sie war es ein Zeichen ihrer Vertrautheit. Da waren ein paar geschäftliche Briefe für Brian, ein paar Wurfsendungen und ein kleiner brauner Umschlag, der an Mrs B. McKechnie adressiert war. Die eine Ecke fühlte sich etwas dicker an, etwas fleckig war er auch. McKechnie öffnete ihn vorsichtig, sah hinein und dann rasch die Treppe hoch, ob Rosie nicht gerade in dem Moment herunterkäme.

Das Erste, was er dem Umschlag entnahm, war ein Foto von Barbara. Keines, das er schon kannte. Sie ging eine Straße entlang, allem Anschein nach in London; dem Blickwinkel des Fotos nach zu schließen, war es vermutlich aus einem vorbeifahrenden Auto heraus aufgenommen worden. Es sah ihr sehr ähnlich, obwohl er nicht so ganz würdigen konnte, wie schön sie war, weil das Foto etwas versabbert war. Wo die Entwicklerflüssigkeit zerlaufen war, hatte es ihr das halbe Gesicht verschmiert. Er sah noch einmal in den Umschlag und wusste warum: Ein gebrauchtes Kondom gab langsam seinen Inhalt von sich. Er zerknautschte den Umschlag und schob ihn in die Tasche. Dann drehte er das Foto um. In Großbuchstaben war auf die Rückseite geschrieben:

LIEBE MRS MCKECHNIE WIR DACHTEN UNS SIE MÖCHTEN GERN MAL EIN BILD VON BARBARA SEHEN

McKechnie sah sich noch mal das Foto an. Allmählich erkannte er ein, zwei unscharfe Verkehrszeichen – ein Textilgeschäft, eine Bank, ein Theater. Das Bild war in der Shaftesbury Avenue aufgenommen worden, gleich bei seinem Büro.

Auf dem Weg zur Arbeit warf er den Umschlag mit dem Kondom weg. An seinem Schreibtisch versuchte er sich auf die Bestelleingänge des Tages zu konzentrieren, doch stattdessen ertappte er sich dabei, wie er die ganze Zeit auf das Klingeln des Telefons wartete. Irgendwann klingelte es dann auch.

»Mr McKechnie, wie geht es uns denn heute? So gut wie immer, darf ich hoffen?«

»Gut, ja.«

»Ihrer Frau geht’s gut?«

»Ja, warum auch nicht?«

»Warum auch nicht. Es sei denn, sie hätte heute keine rechte Freude an ihrer Post gehabt.«

»Davon ist mir nichts bekannt – ich bin aus dem Haus, bevor der Postbote kam.« Er wusste nicht einmal, warum er log; doch er hatte es satt, dass ihm der andere ständig zuvorkam.

»Ist auch egal; kommen wir zum Geschäftlichen. Ich muss sagen, wir sind ein bisschen ungehalten über Sie, Mr McKechnie. Sie wissen natürlich, was ich meine.«

»Nein.«

»Aber, aber, es war wirklich reichlich dumm, sich an die Polizei zu wenden. Wie konnten Sie nur auf den Gedanken verfallen, dass eine Polizeiwache effizienter arbeitet als eine andere? Ich bin mir sicher, dass sie Ihnen auch nicht sehr viel weiter helfen konnten.« (Er wusste gar nicht, wie recht er damit hatte.) »Wenn es Ihnen aber darum geht, das Risiko zu erhöhen, dann werde ich leider auch den Einsatz erhöhen müssen. Wegen Ihrer kleinen Indiskretion erhöhen die fünfundzwanzig sich auf fünfzig. Um Ihnen aber zu zeigen, dass Sie es mit gestandenen Geschäftsleuten zu tun haben, sollen Sie einen weiteren Tag Ziel haben. Fünfzig morgen, und ich werde mich am Vormittag wegen der Zustellung bei Ihnen melden.«

»Wie soll ich wissen, ob Sie es ernst meinen?«

»Probieren geht über Studieren, Mr McKechnie, Probieren geht über Studieren.« Der Hörer wurde aufgelegt.

McKechnie rief Sullivan an und berichtete ihm den Vorfall; Sullivan schien wenig begeistert, so schnell wieder von ihm zu hören. Er grunzte einmal, sagte »Zahlen Sie« und legte auf.

Nachdem er eine Nacht lang darüber geschlafen hatte, ging McKechnie am frühen Morgen zur Bank und hob fünfzig Pfund ab. Vielleicht hatte Sullivan recht, und es war nur eine einmalige Sache. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto weniger schien ihm das wahrscheinlich. Er hatte das sehr unangenehme Gefühl, dass damit etwas in Gang gebracht worden war, was sich sehr lange hinziehen konnte. Doch für den Anfang wollte er es vorsichtig angehen lassen. Um elf klingelte wieder das Telefon. Diesmal war die Stimme weniger verbindlich.

»Brauner Umschlag bitte, Mr McKechnie. Zwei Gummibänder drum herum, überkreuz. Sollten Sie so blöd gewesen sein, auf der Bank neue Scheine zu verlangen, dann gehen Sie noch mal hin und tauschen sie um. Den Umschlag werfen Sie um ein Uhr in die mittlere Mülltonne am Hintereingang des Columbia-Kinos.«

McKechnie tat genau wie geheißen. Pünktlich kam er an die Mülltonne, hob den Deckel ab, warf den Umschlag in die halb volle Tonne, drehte sich um, äugte ein wenig herum, ob ihn vielleicht jemand beobachtete, und ging dann entschlossen von dannen. Er ging nach Westen die Shaftesbury Avenue entlang, machte eine Kehre in den unteren Abschnitt der Wardour Street, lief in der Gerrard Street zurück und blieb bei einer Wand voller Werbeplakate stehen. Von hier aus konnte er, soweit das der Verkehr und die Fußgänger erlaubten, die drei Mülltonnen am rückwärtigen Eingang des Kinos im Auge behalten. Er hatte vielleicht zwanzig Minuten so dagestanden und war jedes Mal unruhig geworden, wenn ihm ein Bus die Sicht nahm, als ihm nach und nach klar wurde, dass ein Mann ihn aus etwa drei Metern Entfernung beobachtete. Ein hamsterbäckiger, rothaariger Mann von einigem Gewicht, der eine Brille trug und einen ziemlich wilden Gesichtsausdruck hatte. Als er bemerkte, dass sich McKechnies Aufmerksamkeit ihm zugewandt hatte, ging er gemächlich auf diesen zu, dann hinter ihm durch, legte darauf sein Pummelkinn McKechnie auf die Schulter, sodass sie jetzt beide zu den Mülltonnen hinübersahen, wandte dann den Kopf und grinste McKechnie direkt ins Gesicht, stellte sich vor ihn, kniff mit seinem großen sommersprossigen Daumen und dem Zeigefinger McKechnie neckisch in die Wange und sagte dann mit einem freundlichen, leicht irren Lächeln:

»Zisch ab.«

McKechnie zischte ab, in sein Büro zurück, wobei sein Herz weit schneller schlug, als ihm guttun konnte.

Zwei Wochen später meldete sich »Salvatore« erneut.

»Mein lieber Mr McKechnie, wie schön, Ihre Stimme wieder zu hören. Es war so freundlich von Ihnen, mir vor zwei Wochen aus meiner Klemme zu helfen. Das Finanzamt wird bestimmt Verständnis haben, wenn Sie den Betrag geltend machen. Jetzt habe ich anscheinend wieder ein kleines Liquiditätsproblem. Und da wollte ich höflich fragen, ob Sie mir vielleicht behilflich sein könnten. Diesmal sollte es allerdings ein wenig mehr sein, fürchte ich. Könnten wir uns eventuell auf hundert einigen?«

»So läuft bei mir der Laden nicht.«

»Nun, Mr McKechnie, das kann ich nicht recht glauben. Ich bin mir sicher, dass ein Mann mit zwei Lagerhäusern und einem Büro, so armselig sie auch sein mögen, einhundert Pfund auftreiben kann, um einem Freund aus der Patsche zu helfen.« McKechnie hielt inne. Er überlegte, warum Salvatore, der bei seinem ersten Anruf einen recht starken ausländischen Akzent gehabt hatte, jetzt fast normales Englisch sprach. Er antwortete:

»Also gut.«

Insgeheim war McKechnie zufrieden. Jetzt musste die Polizei etwas unternehmen. Er rief Sullivan an und sagte ihm, dass die Forderungen inzwischen eine Höhe erreicht hätten, die seine Aufmerksamkeit rechtfertige. Er tat am nächsten Tag wie geheißen, tätigte um ein Uhr den Einwurf in einen Abfallkorb an einem Laternenpfahl in der Frith Street, ging zu seinem Büro zurück und wartete auf Sullivans Rückruf. Der kam zwar, war aber nicht gerade erfreulich.

»Wir haben sie bedauerlicherweise verloren.«

»Was soll das heißen, verloren?«

»Na, zwei Mann haben die Stelle überwacht, haben beobachtet, wie Sie das Päckchen einwarfen, doch als sie nach zwei Stunden, in denen nichts geschehen war, den Abfallkorb untersuchten, war er leer.«

»Dann sind Ihre Leute unbrauchbar.«

»Aber, aber, Mr McKechnie, was Sie da sagen, grenzt ja an Verleumdung. Auf der Straße ist sehr viel los um diese Zeit – deshalb hat dieser Knabe auch ein Uhr mittags gewählt –, und meine Männer können schlecht in ihrer blauen Uniform herumstehen. Außerdem kann ich auch nicht meine erfahrensten Leute einsetzen, denn deren Gesichter wären einfach zu bekannt. Das ist das Problem bei uns auf der Piste.«

»Und was machen wir jetzt?«

»Wir versuchen es noch mal.«

»Und meine hundert Pfund?«

»Ach, Sie haben doch sicher eine Möglichkeit, die abzuschreiben, Mr McKechnie.« Warum waren sich bloß alle so sicher, dass er seine Verluste absetzen konnte? Wollten sie es ihm leichter machen – oder sich selbst?

Zwei Wochen später meldete sich Salvatore wieder; wieder war ein Einwurf fällig, und wieder gingen hundert Pfund den Bach runter, weil Sullivans Leute nicht bemerkten, wie das Geld abgeholt wurde, oder weil sie im entscheidenden Moment abgelenkt wurden oder weil sie, wie McKechnie am Telefon mutmaßte, ganz einfach geschlafen hatten.

»Hören Sie, solche üblen Verdächtigungen helfen auch nicht weiter«, sagte Sullivan. Er äußerte höfliches Bedauern für das Versagen seiner Männer, doch ohne dass er zutiefst unglücklich geklungen hätte.

McKechnie war zutiefst unglücklich. Er hatte sich darauf eingelassen, dass Sullivan den Fall übernahm, weil er hoffte, es würde sich etwas bewegen. Seitdem war die Akte mit dem Anschlitzen seiner Frau von Guildford nach West Central überwiesen worden, aber das war auch schon das Einzige, was sich bewegt hatte. In vier Wochen hatte er zweihundertfünfzig Pfund verloren, niemand wusste, wer seine Frau überfallen hatte, und Sullivan schien alles wurscht zu sein. Er konnte nicht einmal zu Sullivan hingehen, weil ihm Salvatore oder seine Handlanger offensichtlich nachschnüffelten oder irgendwo einen Spion sitzen hatten; und so blieb ihm nichts anderes übrig, als in seinem Büro an seinem Telefon zu hocken und auf Sullivans schlechte Nachrichten zu warten.

Als Sullivan für den Verlust des dritten Hunderters gesorgt hatte, entschloss sich McKechnie zu einem neuen Vorstoß. Er rief in West Central an und verlangte Polizeikommissar Shaw. Er machte ihm klar, dass er ihn dringend privat sprechen müsse; ob sie sich wohl morgen oder übermorgen auf ein Glas treffen könnten, und zwar möglichst weit weg von ihren gewohnten Jagdgründen? Shaw war einverstanden.

Sie trafen sich in einem Säuferpub in der Nähe der U-Bahn-Haltestelle Baker Street, einer riesigen, freudlosen Stätte, in der man nie daran dachte, zwischen den Öffnungszeiten den Zigarettennebel auszulüften; die Gäste schätzten es vor allem deshalb, weil es auf so trübe Weise anders war als das, was sie zu Hause erwartete. Dort warteten Ehefrauen und Kinder und Sauberkeit und ihr Lieblingsgericht auf sie, und deshalb schätzten sie an dem Pub gerade seinen Schmutz, seinen Gestank, sein Männertum und seine trotzige Weigerung, sich mit Erdnüssen und Flips und modernen Mixern oder sonst etwas abzugeben, was schnatternde Herden von Sekretärinnen nach Feierabend angelockt und sie bei ihrem ernsthaften männlichen Trinken gestört hätte. Shaw legte hier oft eine Pause ein auf seinem Nachhauseweg mit der Metropolitan Line; McKechnie war noch nie da gewesen.

»Ich brauche einen Rat«, begann McKechnie. »Sie sollen mir einfach zuhören, wenn ich rede. Ich will Ihnen alles, was mir passiert ist, erzählen, und wenn Sie am Ende meinen, dass Sie dazu nichts sagen können, ohne dass es Ihnen oder Ihrer Arbeit in die Quere kommt, dann habe ich volles Verständnis, wenn Sie einfach nur austrinken und rausgehen. Ich bitte Sie nur um eins: dass Sie nichts von dem, was ich Ihnen erzähle, weitertragen. Abgemacht?«

Shaw nickte. Er war ein kleiner, fuchsgesichtiger Mann, der vor lauter Sorgen nie zum Lächeln kam. McKechnie erzählte seine Geschichte. Als zum ersten Mal der Name Sullivan fiel, meinte McKechnie in Shaws Gesicht einen Muskel zucken zu sehen, mehr nicht. Als er fertig war, zündete sich Shaw eine Zigarette an, um den herrschenden Mief noch etwas zu verstärken, tat ein paar Züge und sprach dann, ohne McKechnie anzusehen. Es schien fast, als wolle er die Verantwortung für seine Worte umgehen, als würde McKechnie nur zufällig mithören, wie das nun mal in Pubs passierte.

»Sagen wir einmal, dass ich Ihre Lage verstehe. Sagen wir, dass das nichts Neues ist. Sagen wir weiter, dass es nicht leicht ist, einen Fall, der bei einem Beamten in einer gewissen Position liegt, von diesem überwiesen zu bekommen, es sei denn, dieser Beamte wünschte das selbst. So die allgemeine Regel. Ich spreche hier selbstverständlich nur ganz allgemein«, Shaw sog sich wieder die Lungen voll, »und so sicher ist meine Stellung nicht, dass ich mich hier über die Motive in einzelnen Fällen auslassen könnte.«

»Selbstverständlich.«

»Und nichts von dem, was ich sage, darf als Kritik an irgendeinem Kriminalbeamten verstanden werden.«

»Selbstverständlich.« Langes Schweigen folgte.

»Wenn wir in Amerika wären«, sagte McKechnie, »dann würde ich mich wohl an einen Privatdetektiv wenden.«

»Das können Sie hier auch«, sagte Shaw, »wenn Sie gern einen rüstigen Ruheständler beschäftigen wollen, der einmal darauf spezialisiert war, Liebespaare in flagranti zu erwischen. So was gibt es nicht mehr, und wenn doch, dann ist Ihr Geld bei ›Brot für die Welt‹ wahrscheinlich besser aufgehoben.«

»Was soll ich dann machen, wenn ich nicht den Rest meines Lebens alle zwei Wochen einen Hunderter abliefern will?«

»Genau darüber denke ich grad eben nach«, sagte Shaw und neigte seinem Begleiter das leere Glas entgegen.

McKechnie stand auf, um noch eine Runde zu holen. Der Pub war eine solche Bastion der Männlichkeit, dass es nicht einmal eine Bardame gab. Ein fetter Mann in einem bierfleckigen gestreiften Hemd verkaufte ihm noch eine anständige Portion übler Laune mit. Ein paar Pendler klaubten schicksalsergeben ihre Regenmäntel und Aktentaschen zusammen, um sich niedergeschlagen auf den Heimweg zu Sonne und Licht und häuslicher Glückseligkeit zu machen. McKechnie bedachte, wie vergleichsweise glücklich er mit Rosie war. Obwohl er gelegentlich eine Geliebte hatte, mochte er sie wirklich gern. Er würde niemals zulassen, dass ihr wirklich etwas zustieß. Als er ihre Gläser absetzte, sagte Shaw:

»Versuchen Sie es mit Duffy.«

»Mit wem?«

»Duffy. Nick Duffy. War mal eine Art Kumpel von mir. War zwei Jahre bei der Sitte. Ist vor, ja, vor vier Jahren aus dem Dienst ausgeschieden.«

»Was macht er jetzt?«

»Er ist jetzt Sicherheitsexperte. Sagt Firmen, wie sie ihre Mitarbeiter überprüfen können, wie sie ihr Geld am sichersten verstauen können, solche Sachen. Das andere macht er freiberuflich, nebenher; und er kennt sich aus auf der Piste. Er übernimmt den Fall vielleicht, wenn er gerade frei ist.«

»Warum hat er bei der Polizei aufgehört? Wurde er rausgeschmissen?«

»Sagen wir, es gab da größere Unstimmigkeiten.«

»Ist er etwa kriminell?«

Shaw sah hoch und lächelte ein mattes, ironisches Lächeln.

»Na ja, wir haben jeder seine eigene Definition von Kriminalität, nicht wahr? Ein wüstes Feld. Wenn Sie mich aber fragen, ob er ehrlich ist, dann sage ich Ihnen, wenn Nick Duffy etwas ist, dann ehrlich.«

»Wie kann ich ihn erreichen?«

»Er steht im Telefonbuch.«

»Gut dann, vielen Dank.«

»Nein, keinen Dank. Keinen Dank, denn Sie haben mich nicht getroffen. Klar? Und noch zwei Sachen: Ich habe Sie nicht an Duffy verwiesen; Sie haben meinen Namen nie gehört, klar? Und das andere: Sie fragen Duffy besser nicht, warum er aus dem Dienst ausgeschieden ist. In dem Punkt ist er etwas empfindlich.«

Und noch bevor McKechnie sein Glas leeren konnte, war Shaw verschwunden.

Duffy

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