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Kapitel 2: Wolfsschnee
ОглавлениеNovember Anno Domini 1535, vier Wochen später. Im Dorf Wil, dessen Name die ersten Siedler einfach ihren wenigen Häusern gegeben hatten, war von diesem Tag an nichts mehr wie vorher. Ein lauter Schrei der Bäuerin vom Oberen Haselhof am Dorfrand weckte jeden Bewohner des Weilers. Aufgeschreckt machten sich die Leute auf den Weg zum Bauernhof. Die Bauersfrau hockte zittrig auf der kleinen Holztreppe, die ins Haus führte. Sie war umringt von anderen Dorfbewohnerinnen, die versuchten, sie zu trösten und selbst entsetzt waren.
Der Bauer und die Männer des Dorfes standen im Halbkreis vor der Stalltür.
»Wer oder was kann einen Menschen so zurichten?«, fragte einer bestürzt.
»Das ist Teufelszeug«, sprach ein Anderer abschätzig. »So etwas kann nur der Leibhaftige selbst anrichten.«
»Der Leibhaftige? Dann müssen wir den Pfarrer holen!«, rief ein Dritter aus. Es war Baldrich, der diese Aussage machte. Ein gottesfürchtiger Mann mit Halbglatze, der dazu neigte, schnell den Kopf zu verlieren und hinter allem das elementare Böse vermutete.
»Der Pfaff ist zurzeit in der Stadt Solothurn und nimmt an einer Synode teil«, gab Anselm genervt über die Worte von Baldrich und dessen Unaufmerksamkeit von sich. »Hast du schon vergessen, dass die Kirche immernoch mit den Wirren der Reformation zu kämpfen hat?«
Dann wandte sich Anselm an den Landwirt und fragte ihn: »Und du hast nichts gehört?«
»Nein«, gab der Bauer als Antwort. »Meine Frau und ich wollten uns gerade hinlegen, als der Stallknecht gegen Mitternacht nochmals beabsichtigte nach der kalbenden Kuh zu sehen. Danach sind wir wohl eingeschlafen. Und als ich dann heute Morgen in den Stall wollte, um zu sehen, ob das Kalb gekommen ist, fand ich den Stallknecht, so wie er da liegt vor. Leblos und fürchterlich zugerichtet.«
Anselm nickte nur. Die anderen Männer starrten betroffen auf den Leichnam.
»Hier drüben!«, die Stimme gehörte Dammo, der etwas abseits der Gruppe am Boden kauerte und den Boden untersuchte. Die Männer regten sich langsam und begaben sich zu Dammo. Crippin war als Erster dort. Noch bevor er was sagen konnte, traf die ganze Gruppe der Männer ein.
»Grundgütiger...«, stieß Eberold vor lauter Entsetzen aus.
»Noch nie habe ich solch große Pfotenabdrücke gesehen«, staunte Crippin. »Die müssen tellergroß sein.« Er hielt seine Hand als Vergleich über den Abdruck im Dreck.
»Pfoten sagst du?«, fragte der Bauer vom Haselhof. »Meint ihr, wir haben es hier mit einem tollwütigen, streunenden Hund zu tun? Wehe, wenn er mir an die Schafe gegangen ist. Wäre nicht das erste Mal, dass solch ein Streuner eine Schafherde zuerst umherhetzen und danach totbeißen würde.«
Anselm beruhigte den Bauern: »Deine Schafe sind alle wohlauf. Ich sah sie auf der Weide friedlich grasend und beieinander liegend, als ich hierher kam.«
Crippin, der ein Auge für Fährten hatte, gab ratlos nur ein einen Satz von sich: »Kein Hund, das ist der Abdruck eines Wolfes...«
Dammo erhob sich und blickte nordwärts: »Die Spuren führen ins Stoppelfeld des Dinkelackers«. Dabei zeigte er mit ausgestrecktem Zeigefinger in die Richtung, in der er die Fährte vermutete. Die Männer folgten den Pfotenabdrücken. Mit einem Male endeten sie mitten im Acker. So als hätte sich das Tier in Luft aufgelöst.
»Seht ihr? Der Teufel hat eben doch seine Finger im Spiel!«, sprach Baldrich ängstlich, während er sich bekreuzigte. »Schlachtmond!«, rief er aus. »Das ist ein Omen!«
»Was meinst du mit Schlachtmond?«, wollte der junge Crippin wissen.
Bevor Baldrich eine Antwort geben konnte, kam der Bauer ihm zuvor und erklärte: »Der November wird Schlachtmond oder Schlachtmonat genannt, da zu dieser Zeit das Einschlachten der Schweine üblich ist.«
»Alles nur Zufall«, beruhigte Anselm. »Wir dürfen jetzt nicht gleich den Kopf verlieren!«
Die Männer standen ratlos im Acker und sahen sich nach allen Seiten um.
Da fing es plötzlich an zu schneien. Große Flocken fielen vom Himmel und ein eisiger Wind kam auf.
Baldrich blickte nach oben, schloss die Augen und ließ die Schneeflocken auf seinem Gesicht landen. Er reckte die Arme zum Himmel und prophezeite: »Wolfsschnee! Seht ihr es jetzt ein? Das ist kein Zufall! Gott will uns strafen!«
Niemand sagte mehr etwas. Eberold strich sich mehrmals besorgt durch seinen struppigen schwarzen Bart. Selbst Anselm wusste nicht, was er sagen sollte. Alle standen sie ratlos da und sahen sich fragend an. Jeder, der hier Anwesenden wusste, dass Schnee der im November fiel, Wolfsschnee genannt wurde.