Читать книгу Das Gesetz des Rudels - Dani Merati - Страница 3
Prolog
Оглавление„Joshua, wach auf. Komm schon, wach endlich auf. Der Alpha und die Alphagefährtin sind auf dem Weg nach oben“, zischte Tyler in mein Ohr, als er mich an der Schulter rüttelte.
„Sie sollten doch heute gar nicht hier hochkommen. Was geht da vor sich?“ Ich sprang aus dem Nest von Decken hoch, die mir als Bett dienten, und griff die Joggingklamotten, die auf dem Boden lagen.
Tyler sandte mir nur einen panischen Blick und verschwand wieder durch die Tür, ohne mir zu antworten, ließ mich verwirrt und in Todesangst zurück.
Heute war der Tag, an dem ich endlich meine Freiheit erlangen wollte. Mein zwanzigster Geburtstag - meine Volljährigkeit, das Alter, wo es Wandlern gestattet war, ihr Geburtsrudel zu verlassen. In den letzten vierzehn Jahren - seit dem Tod meiner Eltern - wurde ich bereits wie ein Gefangener auf dem Dachboden im Haus meines Alphas gehalten. Kaum in der Lage zu atmen, ohne dass mich jemand beobachtete. Tyler und ich hatten schon vor Monaten begonnen, unsere Flucht zu planen und heute sollte unsere Chance sein.
Schritte und Stimmen wurden lauter, als meine Großeltern sich meinem Gefängnis näherten.
„Diese verfluchte Schwuchtel denkt, sie kann in mein Revier kommen und Zutritt verlangen. Ich werde ihn umbringen, sowie ich es mit demjenigen getan hab‘, der ihm gesteckt hat, dass die Missgeburt noch lebt.“
Was für ein liebevoller Spitzname, den ein Großvater seinem Enkel geben konnte, die Liebe war richtig durch die Metalltür zu spüren.
„Carl, beruhige dich, du keifst wie ein Irrer und du weißt, wie sehr ich das hasse. Wir werden ihn benutzen müssen, um deinen Wolf zu kontrollieren und ich bevorzuge so wenig Kontakt mit ihm wie machbar.“
Meine Großmutter klang wie ihr normales eisiges Ich, als sie die Tür aufschloss. „Lass es uns einfach hinter uns bringen, damit wir zum Rudeltreffen können.“
Ich kauerte in einer Ecke, versuchte mich so klein wie möglich zu machen. Es war nie etwas Gutes, wenn sie persönlich hier hochkamen, um sich um mich zu kümmern. Meine Großeltern schritten herein, herausgeputzt für ihren späteren Auftritt und extrem wütend.
„Komm sofort hierher“, befahl mein Großvater. Er hielt eine dicke Kette hoch, an deren Ende ein silbernes Halsband baumelte. Ich zögerte, wusste jedoch, dass ich keine andere Wahl hatte, als zu tun, was der Alpha verlangte. So ging ich hinüber zu ihm, den Kopf gesenkt stellte ich mich vor ihn, starrte auf meine Füße.
Mein Wolf knurrte innerlich bei diesem Akt der Unterwerfung, aber ihm war genauso klar wie mir, dass es keine Alternative gab. Ich war kein sehr großer Mann oder Wolf und mein Großvater war nicht nur riesig, er war auch total irre. Mein Wolf und ich wussten also, dass wir keine Chance in einem Kampf gegen den Alpha unseres Rudels hätten.
„Mach endlich, Carl. Kette ihn an, während ich den Sklaven für das Treffen hole. Wir sind schon viel zu spät dran.“ Meine Großmutter verließ das Zimmer wieder und ging hinüber zu Tylers Raum.
„Omega, auf deine Knie und wandle dich. Eine Bewegung und ich breche dir das Genick.“ Ich wusste, dass er nicht scherzte, denn eine Hand packte mich schmerzhaft im Nacken und zwang mich auf den Boden.
Ich rief meinen Wolf also eilig, seine Hand blieb an meinem Hals. Einen Augenblick später klickte das Silberhalsband zu und es war so eng zugezogen, dass ich schwer Luft bekam. Das Silber verbrannte mein Fell und es war nur eine Frage der Zeit, bevor es sich durch meine Haut fraß und von dort in meinen Blutkreislauf geriet.
Eine bevorzugte Bestrafungsmethode meiner Großeltern, doch der Befehl zur Wandlung war neu. Carl und Margaret Harrison hassten meinen Wolf, denn er bedeutete einen weiteren Beweis, für das, was ich war. Ein Omega.
Mein weißes Fell und die eisblauen Augen, zusammen mit meiner schmaleren Statur, repräsentierten ihrer Meinung nach eine Schande für die Familie. Aber für den Moment brauchten sie meine Omegafähigkeiten und das verabscheuten sie wohl noch mehr.
Margaret kam zurück, Tyler demütig hinter ihr, in menschlicher Form, sein eigenes Halsband schimmerte im dämmrigen Licht meines Zimmers. Ich konnte die Prellung auf seiner Wange erkennen, die bereits anschwoll. Meine Großmutter hatte also schon wieder zugeschlagen. Als unterwürfiger Wolf wurde Tyler oft als Sandsack missbraucht und ich sah ihn selten ohne Verletzungen.
Ein Grollen bildete sich in meiner Kehle, mein Wolf unfähig seinen Zorn über die Misshandlung unseres einzigen Rudelgefährten zurückzuhalten. Ein Zerren meines Großvaters an meiner Kette beendete das Knurren, aber die Wut baute sich innerlich weiter auf.
Tyler warf mir einen raschen Blick zu und schüttelte seinen Kopf, sagte mir so stumm, dass ich ruhig bleiben sollte. Ich tat mein Bestes mein Temperament zu bezwingen, und als ich die Stufen herunter tapste, beruhigte sich mein Wolf allmählich. Ich blieb hinter der Gruppe, schnüffelte die ganze Zeit.
Es waren gut sechs Monate her, dass ich mein Zimmer verlassen durfte und obwohl ich panische Angst hatte, konnte ich auch eine gewisse Aufregung nicht unterdrücken. Wir mussten zwei Etagen herunter und durchquerten die Küche, bis wir vor einer anderen metallenen Tür anhielten. Mein Großvater zerrte mich an der Kette hoch und knallte mich dagegen.
„Das ist jetzt dein Zuhause im Augenblick, Missgeburt.“ Er zog die Tür auf und stieß mich die steile Treppe hinunter in einen dunklen, muffigen Keller.
Ich lag einfach da, versuchte durch den Schmerz zu atmen, der von meiner rechten Schulter und Hüfte ausging, auf denen ich gelandet war. Die Tür schlug zu, ich hörte das Schloss klicken und wusste, ich war allein. Sie nahmen Tyler mit und damit unsere Chance zur Flucht.
Keine Ahnung, wie lange ich antriebslos auf dem kalten Boden lag, überwältigt von Verzweiflung und Niedergeschlagenheit. Der voll einsetzende Schmerz von meinem Halsband riss mich aus meiner Lethargie. Mir war klar, dass es jetzt nur noch eine Frage der Zeit war, bis das Metall mich bis zur Bewegungsunfähigkeit schwächte.
Ich rollte auf die Pfoten und sah mich in meiner neuen Umgebung um. Es war ein viel größerer Raum als mein Dachboden, hatte aber einen Geruch, der meine Nase beleidigte und die Feuchtigkeit in der Luft war ebenfalls unangenehm. Ich bevorzugte mein kleines Gefängnis unter dem Dach, mit dem Himmel, den ich durch ein winziges Fenster sehen konnte. Zudem herrschte dort oben ein herrlicher Duft nach Holz im Gegensatz zu diesem modrigen, feuchten Kellerloch.
Es konnte nicht mehr als eine halbe Stunde vergangen sein, in der ich sinnlos hin und her lief, um mich von den Schmerzen abzulenken. Die Tür öffnete sich und eine schmale Gestalt wurde die Treppe heruntergeworfen. Ich raste zu Tyler hinüber, erstarrte aber, als ich sah, in welchem Zustand er sich befand. Blut sammelte sich unter ihm und durchtränkte die Jeans die er trug. Sein linker Arm war unnatürlich verbogen. Über seinen bloßen Oberkörper verliefen Peitschenstriemen, tief genug, dass sie die Haut bis auf die Knochen aufgerissen hatten. Er wimmerte und riss mich aus meiner Betäubung. Ich senkte meine Schnauze langsam zu seiner Brust und leckte die offenen Wunden, die von seinem linkem Schlüsselbein bis zu seinem unteren rechten Rippenbogen reichten.
„Der Schlüssel zu deinem Halsband ist in meiner linken Faust. Wenn du ihn in meine Rechte kriegst, kann ich es dir abnehmen“, murmelte Tyler heiser. „Nimm den Schlüssel. Du musst das Ding loswerden, bevor es dich noch weiter schwächt.“
Ich warf mich auf den Bauch und kroch dicht an ihn heran. Sanft und behutsam stupste ich mit meiner Schnauze gegen seine Hand, aber seine Finger blieben geschlossen.
„Ich fühle im Moment sowieso kaum etwas, sei nicht so vorsichtig und hol den Schlüssel, bevor ich ohnmächtig werde und dir nicht mehr helfen kann.“
Ich war so ängstlich ihn noch mehr zu verletzen, aber er hatte ja Recht. Ich musste nicht nur mein eigenes Halsband loswerden, sondern auch seins. Ich biss an seinen Fingern, bis sie sich genug lockerten, dass ich den blutigen Schlüssel mit den Zähnen fassen konnte. Mit der Nase stupste ich an seine rechte Hand und ließ den Schlüssel in die sich öffnende Handfläche hineinfallen.
Dann legte ich mich ganz dicht neben seine Hand und manövrierte meinen Nacken so, dass das Halsband bei seinen Fingern ruhte. Nach einem endlosen Herumfummeln wie mir schien, klickte es endlich und die Fessel fiel ab. Erleichterung durchlief mich in Wellen und ich konnte das erste Mal seit Stunden wieder richtig atmen. Ich wandelte mich rasch, schnappte mir den Schlüssel aus Tylers Hand und entfernte das Silberhalsband von seinem Hals.
„Verdammt, Ty, was zum Teufel ist passiert?“ Ich hatte keine Ahnung, was ich für ihn tun konnte, ich spürte seine Schmerzen in meinem eigenen Körper. Schlimmer noch, ich fühlte, wie er immer schwächer wurde, was mir höllische Angst einjagte.
„Wir müssen hier raus, Josh. Alle sind bei dem Rudeltreffen, doch ich glaube nicht, dass wir noch viel Zeit haben. Du wirst mich die Treppe hinauftragen müssen, aber danach kann ich laufen.“
Tyler hustete und Blut tropfte in einem kleinen Rinnsal aus seinem Mund.
Ich raste die Stufen hoch, um die Tür zu überprüfen. Sie war abgeschlossen, doch nicht so dick wie die zu meinem Dachbodenzimmer. Ich rammte sie ein paar Mal mit meiner Schulter, bevor sie endlich aufsprang. Zurück bei Tyler, kniete ich mich neben ihn.
„Es tut mir leid, mein Freund, aber das wird wehtun.“ So sanft wie möglich hob ich ihn in meine Arme, und während ich aufstand, stöhnte er vor Schmerz. „Es tut mir so leid, ich wünschte, ich könnte etwas tun, dir die Schmerzen nehmen.“
Tyler war ein paar Zentimeter kleiner als ich mit meinen 1,75 m und wog nicht mal fünfzig Kilo. Es fiel mir deshalb leicht ihn die Treppe hinaufzutragen und über den Hauptflur der riesigen Villa. Ich bewegte mich so leise wie möglich, aber mit Tylers angestrengtem Keuchen spielte es keine Rolle. Wenn noch jemand im Haus war, sie würden hören, wie wir uns vorbeischlichen. Oder sie witterten sein Blut. Doch endlich schafften wir es das Anwesen hinter uns zu lassen und erreichten das Gehölz dahinter.
„Kannst du deinen Wolf rufen, Ty?“, fragte ich, besorgt, dass ich die Antwort schon kannte.
„Nein, nicht mit dem Arm. Er müsste erst wieder eingerenkt werden.“ Die Ruhe in seiner Stimme beunruhigte mich und ich fragte mich, ob sein Zustand schlimmer war, als ich dachte. Ich fasste ihn vorsichtig an der gesunden Schulter und sah ihn eindringlich an.
„Du darfst nicht sterben. Du bist der einzige Freund, den ich jemals hatte, du kannst mich nicht alleinlassen, nicht jetzt, wo wir endlich eine Chance auf unsere Freiheit haben.“ Tränen quollen aus meinen Augen, als ich ihn anstarrte.
„Ich habe schon eine Idee, wie ich Hilfe für mich kriege, aber du musst hier weg. Die einzige Chance, die wir beide haben ist, so weit weg von diesem Haus zu kommen wie möglich.“
Tyler schien immer mehr Schwierigkeiten beim Atmen zu bekommen. Zu dem Zeitpunkt, als wir den kleinen Fluss am Rande unseres Grundstücks erreicht hatten, rang er keuchend nach Luft. Ich hob ihn wieder auf meine Arme, obwohl er dagegen protestierte.
Ich watete ungefähr eine halbe Stunde durch das etwas knietiefe Wasser, bis ich das erste Gebäude in der Nähe sah. Ich war das letzte Mal mit sechs Jahren in der Stadt gewesen, meine Erinnerungen dementsprechend verschwommen.
„Wir sind am Stadtrand, was machen wir nun?“, wisperte ich, als wir den Fluss verließen und ich mich hinter eine riesige Kiefer stellte.
„Lass mich hier und lauf. Ich werde mein Bestes geben, deine Familie von deiner Spur abzulenken, aber du musst hier weg. Jetzt!“
Vorsichtig lege ich Tyler auf die Erde und kniete mich neben ihn. „Nein, auf keinen Fall. Ich lasse dich nicht zurück. Niemals!“ Und wenn ich meinen Freund über den ganzen Kontinent tragen musste, ich würde es tun.
„Wir wissen beide, dass ich nur eine Chance zu überleben habe, wenn ich Hilfe kriege. Ich werde zum einzigen Hotel in der Stadt gehen. Bei dem Rudeltreffen haben sie über einen Alpha gesprochen, der dort abgestiegen ist und Zutritt zu unserem Territorium fordert.“
Tyler umfasste mit seiner gesunden Hand mein Handgelenk. „Bitte, Josh, es ist die einzige Chance auf Freiheit für uns beide. Ich würde dich nur aufhalten.“
Ich starrte ihn an, die Tränen in meinen Augen nahmen mir die Sicht auf ihn. Ärgerlich wischte ich sie weg und lehnte mich über ihn, warf einen letzten Blick in seine haselnussbraunen Iriden, die mir die einzige Wärme meines Lebens geschenkt hatten.
„Danke, dass du mein Freund bist, Tyler.“ Ich kam näher und presste unsere Lippen für einen sanften Kuss aufeinander. Noch einen tiefen Atemzug, mit dem ich versuchte seinen Geruch in meine Zellen zu importieren, um ihn nie wieder zu vergessen.
Danach half ich ihm auf die Füße und sah ihm zu, wie er zu dem großen Gebäude humpelte. Ich folgte in einiger Entfernung, weit genug weg entfernt, damit mich eventuelle Wölfe dort nicht wittern konnten. Aber ich musste sichergehen, dass er in diesem Hotel Hilfe bekommen würde. Denn wenn nicht ... dann konnte ich ihn nicht alleine lassen.
Tyler kollabierte schon auf den ersten Stufen und ich wollte bereits losrasen, als die Tür aufsprang und ein riesiger Typ zu ihm hinrannte. Er schrie über seine Schulter nach Hilfe.
„Kaden komm sofort her und bring Doc mit. Wir haben hier einen Notfall!“
Ich beobachtete das Schauspiel noch einen Augenblick länger, doch als ich überzeugt war, dass sie Tyler helfen würden, wandelte ich mich und rannte in den Wald. Für einen winzigen Moment hatte ich gezaudert, hatte Tyler folgen wollen, die Angst ihn zu verlieren beinahe übermächtig. Aber Ty wollte, dass ich floh und ich würde sein Leben nicht riskieren, indem ich blieb. Je weiter ich von meinen Großeltern entfernt war, desto besser für uns beide.