Читать книгу Das Gesetz des Rudels - Dani Merati - Страница 4

Joshua

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„Ich will meinen Sohn sehen!“, schrie der nackte Mann, als er meine Mutter wegschubste.

Sie rannte hinter die anderen Wölfe, hinein in unser Haus. Die Angst, die mein Vater verspürte, zusammen mit der rasenden Wut lösten sich etwas auf und der Druck auf mein Gehirn gab nach.

„Wo ist mein Sohn? Ich will ihn zurück. Er verdient es, bei seiner wahren Familie zu sein.“

„Joshua mag nicht von meinem Blut sein, aber wir sind seine Familie“, grollte mein Vater, als er das Gewehr sinken ließ und langsam auf den anderen Mann zuging. „Jeremy, du von allen Leuten müsstest es am Besten wissen, dass es nicht das Blut ist, das eine Familie ausmacht, Liebe tut das.“

Jeremy stieß ein tiefes Knurren aus, bevor er seine Schultern einzog und sich auf den Boden fallen ließ, um seine Wandlung einzuleiten. Mein Vater reagierte rasch, schlang eine Hand um Jeremys Genick, ehe der sie vollziehen konnte. Er schüttelte ihn heftig.

„Sieh mich an!“, brüllte mein Vater, die volle Wucht seiner Alphakräfte vibrierte in der ganzen Luft. Jeremy hatte keine Wahl, als sich dieser Macht zu beugen und starrte hoch in die Augen seines Rudelführers.

„Ist es das, was du wirklich willst, Jeremy? Dass Joshua in derselben Familie aufgezogen wird wie du? Du erinnerst dich doch an den Missbrauch, den eiskalten Hass und die Bitterkeit, die du gerade so überlebt hast. Du willst, dass dein Sohn all dem auch ausgesetzt wird? Denk nach, Jeremy! Kämpfe gegen den Wahn und denke nach!“

Nach mehreren Knurrlauten, die zum Ende hin immer leiser wurden und einigem kräftigen Schütteln seitens meines Vaters schienen die Rage und der Wahnsinn von Jeremy abzufallen. Er sackte in dessen Griff zusammen.

„Was habe ich getan? Du lieber Gott, was habe ich getan?“, stöhnte er.

Sein Kopf hob sich, Schmerz und Verzweiflung erfüllten die Umgebung. „Michael, hilf mir bitte.“

Mein Vater schien zu wissen, was Jeremy wollte, was er brauchte, denn er nickte nur. Seine riesigen Hände umfassten Jeremys Gesicht, er beugte sich zu ihm herunter und wisperte etwas in sein Ohr. Einen Herzschlag später ertönte ein lautes Knacken und Jeremys regungsloser Leib sackte zu Boden.

Mein Vater hob seinen Kopf, schnüffelte und stieß plötzlich ein entsetzliches Heulen aus. Er rannte zu unserem Haus, die anderen Wölfe ihm dicht auf den Fersen. Ich beobachte, wie er drinnen verschwand, nicht in der Lage ihm nachzurufen oder hinterherzulaufen. Als ich es schaffte, meine Füße zu bewegen, erschütterte eine gewaltige Explosion mein Zuhause. Ich wurde von den Beinen gerissen, Hitze überrollte mich und die Welt um mich herum wurde schwarz.

Diesen Morgen erwachte ich von meinem üblichen Albtraum deutlich ängstlicher und besorgter als sonst. Sie plagten mich seit meinem sechsten Lebensjahr. Über die Jahre hatten sie sich verändert, bauten sich von alleine aus, wurden mit jedem Mal grauenvoller. Für die meisten Menschen wäre der Verlust seiner Familie durch eine verheerende Explosion bereits schlimm genug, aber mein Unterbewusstsein hatte endlos Nahrung. So kam es, dass immer mehr grauenhafte Bilder dazukamen, Ereignisse sich vermischten und ein Grauen erzeugten, dem ich mich keine Nacht entziehen konnte.

Das letzte Jahrzehnt hatte mir etwas Frieden zurückgegeben. Seit ich beschlossen hatte, als Wolf zu leben, kamen die Albträume nicht so häufig und meine Existenz erschien so einfacher. Doch ich wandelte mich mindestens einmal am Tag zurück, um mich zu erinnern, dass es mich, Joshua Campbell, noch gab.

Ich raste aus meinem Bau und versuchte die Beklemmung abzuschütteln, in die mich die Erinnerungen gerissen hatten. Ich war sehr glücklich gewesen, diese Höhle vor acht Jahren zu finden und hatte bisher nie Probleme hier gehabt.Die ersten Jahre nach der Trennung von Tyler wanderte ich hauptsächlich im Nordosten der Staaten umher, aber es gab dort zu viele Rudel mit weitläufigen Territorien. Da ich im zarten Welpenalter allerdings schon die Schnauze voll vom Rudelleben hatte, suchte ich andere Wege. Anstatt deshalb in eins der Reviere einzudringen, war ich weiter gerannt, bis ich über meine Höhle praktisch gestolpert war.

Die meisten Wölfe mussten Teil eines Rudels sein, brauchten das Gefühl von Zusammengehörigkeit und Rangordnung. Ab und zu spürte ich ebenfalls die Sehnsucht danach, doch meine menschliche Seite erinnerte sich dann immer daran, wie mein Leben im Harrison-Rudel ausgesehen hatte und ich beherrschte meine Wolfsinstinkte, so gut es ging.

Während ich heute rannte, erreichte mich eine seltsame, unbekannte Witterung. Ich stoppte und schnüffelte eine Weile, aber vermochte sie nicht einzuordnen. Ich jagte wieder los, konnte jedoch an nichts anderes als an diesen Geruch denken, er zog mich an und ängstigte mich gleichzeitig. Eine Hälfte war besessen davon, die Herkunft der Duftmarke herauszufinden und die andere schrie mich an, wegzurennen und nie mehr zurückzukommen.

Anstatt auf eine der beiden Möglichkeiten zu hören, rannte ich einfach weiter, bis mir der Duft eines leckeren Kaninchens in die Nase stieg. Die Jagd war eröffnet. Das verdammte Ding war rasend schnell, doch irgendwann ging ihm die Puste aus. Stolz auf mich tauchte ich kurz im nahegelegenen Fluss ab und döste danach etwas im Schatten.

Nach mehreren Stunden trank ich erneut das klare Wasser und begab mich dann auf den Heimweg. Die Beute hatte meinen Hunger nur ein wenig gestillt, trotzdem rollte eine merkwürdige Energie über mich hinweg.

Ich achtete nicht sonderlich auf meine Umgebung, doch kurz vor meiner Höhle, erreichte wieder die köstliche Duftmarke meine Nase. Ich erstarrte, unsicher, wie ich mich verhalten sollte.

„Joshua.“ Eine tiefe Stimme, viel zu nah, rief nach mir.

Sobald ich meinen Namen hörte, schüttelte ich den ersten Schock ab und mein Fluchtinstinkt sprang an. Ich raste so schnell los, wie ich konnte. Wieder schlug ich die Richtung zum Fluss ein, folgte ihm eine Weile. So panisch ich auch war, etwas in mir weigerte sich jedoch, meinen Bau aufzugeben. Das war mein Zuhause, verdammt!

So blieb ich in der Nähe, kroch durch die Büsche und versuchte zu erkennen, ob der Mann mir gefolgt war. Irgendein Instinkt in mir zog mich zu meiner Höhle, zu dem Eindringling, der in mein Revier eingebrochen war. Ich verstand nicht, wieso. Der Drang den Fremden anzugreifen, ihn zu bestrafen, weil er in mein Territorium eingedrungen war, für meine Angst und für das Durcheinanderbringen meiner täglichen Routine, wurde immer stärker. Jahre waren verstrichen, bis ich mich einigermaßen sicher fühlte, bevor die Albträume so zurückgingen, dass ich wenigstens ein paar Stunden am Stück schlafen konnte. Der Unbekannte hatte diesen Frieden zerstört, den ich für mich gefunden hatte. Der rasende Zorn, der dabei in mir aufstieg, überrollte mich.

Zuerst war Flucht meine erste Reaktion gewesen, doch als ich jetzt zurück zur Höhle jagte, setzten andere Instinkte ein. Der Trieb zu kämpfen, mein Revier zu verteidigen. Mein ganzes Leben lang hatte ich mich anderen untergeordnet, meinen Bauch gezeigt. Ich hatte keinen Wirbel verursachen wollen, versucht, unbemerkt zu bleiben.

Da ich nicht sehr groß war, und auch nicht besonders schwer, war mein Wolf leider kleiner als die meisten. Nach unzähligen Prügeln hatte ich endlich gelernt, dass ich in einer physischen Auseinandersetzung keine Überlebenschance besaß, also vermied ich alle weiteren Konfrontationen. Aber jetzt kam die jahrelang unterdrückte Wut in einer riesigen Welle zurück und drängte mich dazu, um mein Zuhause zu kämpfen.

Doch als ich mich der Höhle näherte und der Duft des Mannes stärker wurde, löste sich meine Wut langsam auf. Aus irgendeinem Grund roch der Fremde wie Heimat für mich. Ich kam noch näher heran und der Duft von geschnittenem Gras und Blumen warf mich zurück in meine frühe Kindheit. Zurück in die einzige Zeit, in der ich Glück gekannt hatte. Ich stolperte und wäre gefallen, aber riesige Arme schlangen sich um mich und ich wurde an die breiteste Brust gedrückt, die ich je gesehen hatte.

Panik durchfuhr mich, als ich gegen die physische Fessel ankämpfte. Die glücklichen Erinnerungen meiner Kindheit verwandelten sich in die Momente, wo ich gegen meinen Willen festgehalten wurde und das gab mir den Extrakick an Adrenalin, den ich brauchte, um zu entkommen.

Ein scharfer Biss in den Oberarmmuskel des fremden Mannes ließ diesen keuchen und er lockerte seinen Griff ausreichend, dass ich mich losreißen konnte. Ich raste, als wären Höllenhunde hinter mir her, doch als ich zwischen den dichten Bäumen hin- und hersprang, kam ein extrem großer Wolf von der Seite auf mich zugeprescht. Er rammte mich hart genug, um mich von den Pfoten zu reißen. Bis ich endlich meine Sinne wieder beisammenhatte, stand das silberne Raubtier über mir. Es knurrte drohend, zeigte mir seine Fänge. Ich grollte zurück, schnappte nach ihm. Daraufhin sprang er mich an, erdrückte mich beinahe mit seinem Gewicht, als er meine Kehle in seiner Schnauze packte. Ich wand mich noch heftiger, aber seine Zähne sanken keinmal in mein Fleisch.

Irgendwann verließ mich die Kraft und ich ergab mich dem stärkeren Wolf. Ich lag also dort, zeigte dem anderen meinen Bauch und akzeptierte meinen bevorstehenden Tod. Dabei überkam mich ein merkwürdiges Gefühl von Frieden. Keine Ahnung, ob es der Gedanke war, dass endlich der ganze Schmerz in meinem Leben vorbei sein würde oder ob es die Nähe eines Artgenossen war, dieses bestimmten Wandlers. Jedenfalls spürte ich eine tiefe innere Ruhe und zum ersten Mal seit meinem sechsten Lebensjahr war ich wieder zufrieden.

Zu meiner Überraschung löste der überlegene Jäger jedoch seine Zähne von meinem Hals, blieb aber auf mir liegen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir so verharrten, doch die Sonne ging bereits unter, als er sich rührte. Erschöpft an Körper und Geist wartete ich auf seinen nächsten Zug. Der Wolf richtete sich auf, stupste mich an und schob und stieß mich in Richtung meiner Höhle.

Drinnen tapste ich in meine Ecke, rollte mich zusammen und der riesige Wolf legte sich um mich herum. Ich sollte Fragen stellen oder ausflippen bei dem Gedanken neben einem völlig Fremden zu schlafen, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Mein Gehirn hatte einen totalen Kurzschluss.

Ich schlief in dieser Nacht tiefer und ruhiger als jemals zuvor. Ich träumte nicht, und als ich am späten Nachmittag des nächsten Tages erwachte, eingehüllt von dem betörenden Duft des anderen Wolfes, war ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich ausgeruht. Der Fremde lag nicht mehr neben mir, dafür blockierte ein angezogener Mann den Höhleneingang.

Mit der Sonne, die hinter ihm schien, konnte ich seine Gesichtszüge kaum erkennen, doch er hatte dunkles Haar, das bis über seine Schultern hing. Schultern, die so breit waren, dass sie praktisch den gesamten Eingang einnahmen. Ich grollte tief aus meiner Kehle heraus.

„Du hast eine Menge Kampfgeist in dir, Welpe, aber wir wissen beide, dass du mich nicht besiegen kannst. Also komm runter und wandle dich. Wir müssen uns unterhalten. Was ich dir zu sagen habe, ist sehr wichtig. Ich suche dich schon seit über zehn Jahren und werde nicht wieder verschwinden, jetzt wo ich dich gefunden habe.“

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte mich wandeln, doch das letzte Mal, dass ich mit jemandem gesprochen hatte, war am Tag meiner Flucht aus dem Harrison-Rudel gewesen und diese Erfahrung war eine Erinnerung, die ich verdrängte. Ich hörte auf zu knurren und starrte ihn an, bis er näher kam und sich vor mir hinsetzte.

„Ich weiß, dass es für dich keinen Grund gibt, mir zu vertrauen und dein Leben kein einfaches war, aber ich bin hier, um dir zu helfen. Vielleicht wenn ich dir erst mal einige Dinge erkläre, fällt es dir danach leichter, dich zu wandeln und mit mir zu sprechen.“ Der Mann rutschte zur Seite an die Höhlenwand, wo er sich anlehnte, bevor er anfing zu reden.

„Mein Name ist Kaden Montgomery. Ich kannte deinen Vater. David Campbell war mein bester Freund, als ich aufgewachsen bin. Unsere Freundschaft blieb bestehen, auch, als ich quer durchs Land zog, um im Westen ein neues Rudel zu übernehmen. Er war der beste Mensch, den ich jemals gekannt habe und ich werde um ihn bis zu meinem Todestag trauern.“

Kaden rieb mit beiden Händen über sein Gesicht und stieß einen tiefen Seufzer aus. Er sah mich an, die Traurigkeit ließ das Funkeln in den ungewöhnlichen silbernen Augen erlöschen.

„Ich muss mich entschuldigen, dass ich nicht dort war, als deine Eltern starben. Damals gab es kein Anzeichen, dass du überlebt hattest. Ich war am Boden zerstört und stand kurz davor, das ganze Rudel abzuschlachten. Mein gesunder Menschenverstand hielt mich davon ab, aber als eins deiner Rudelmitglieder dich Jahre später zufällig hinter einem Fenster seines Alphahauses sah, erkannte er dich sofort und reiste zu mir, um mich zu informieren. Zu dem Zeitpunkt hatte ich allerdings keine Ahnung, wie schlecht du behandelt wurdest oder wie korrupt das Harrison-Rudel war.“

Kaden unterbrach sich und sah mich lange an. „Der Wolf, der dich entdeckt hatte, kehrte wieder zurück, wollte ein Auge auf dich haben. Er versprach, in Kontakt zu bleiben. Als er sich einige Wochen später nicht gemeldet hatte, forschten meine Soldaten und ich nach. Er hatte einen Autounfall. Ich ging zum Wandlerrat, aber ohne eindeutige Beweise von kriminellen Aktivitäten genehmigen sie keine offizielle Herausforderung eines Alphas. Es gab keinen Beleg, dass du misshandelt wurdest, oder dass der Zeuge, der dich gesehen hatte, ermordet wurde.“

„Ich wusste nicht mehr weiter. Ich wusste nur, dass ich dich da rausholen musste. Jede Zelle meines Körpers schrie in mir, dich zu finden und von da wegzubringen. Meine Soldaten hielten mich gewaltsam davon ab, den Alpha illegal herauszufordern oder dich zu kidnappen, doch ich musste etwas tun.“

Während er sprach, kroch ich näher, bis ich dicht genug bei ihm war, dass er eine Hand ausstrecken konnte, um mich zu kraulen. Er nutzte das sofort aus und strich über meine Ohren. Ich vertraute ihm natürlich nicht völlig, aber ich konnte seinen Schmerz fühlen, als wäre er mein eigener. Das Bedürfnis ihn zu trösten ergriff von mir Besitz.

Kaden lachte. „Du bist ein wunderschöner Wolf. Ich habe noch niemals solch strahlend weißes Fell gesehen oder Augen mit einem so klaren Blau wie ein Gletschersee.“

Ich erstarrte und wich zurück. Mein ganzes Leben war ich wegen meines Pelzes der Lächerlichkeit preisgegeben worden. Mein Aussehen war nur ein weiterer Grund für meine sogenannte Familie gewesen, mich zu hassen. Anders zu sein war etwas, dass der Alpha in meinem Rudel nicht gestattet hatte.

Kaden ließ nicht zu, dass ich mich zu weit entfernte. Er packte mich im Nacken und kraulte wieder meine Ohren, bis ich mich beruhigte.

„Ich versuchte es also auf legalem Weg weiter, ohne Erfolg. Mittlerweile standest du kurz vor deinem zwanzigsten Geburtstag und es wäre dir bald gestattet gewesen, dein Geburtsrudel zu verlassen. Meine Soldaten und ich beschlossen, zu euch in die Stadt zu kommen und dich bei deiner Volljährigkeit offiziell in unser Rudel einzuladen. Ich arrangierte ein Treffen mit Carl kurz vor deinem Geburtstag, um die Erlaubnis zum Betreten seines Territoriums zu bekommen und etwas über dich zu erfahren.“

Er schnaubte bitter. „Das Treffen war reine Zeitverschwendung und völlig sinnlos. Carl Harrison verweigerte mir nachdrücklich den Zutritt zu seinem Revier und leugnete einen Enkel zu haben. Wir quartierten uns in einem Hotel ein und planten nun doch, dich gewaltsam dort herauszuholen. Mit deiner Volljährigkeit hätte man die Aktion nachher rechtfertigen können. Und dann ist uns Tyler praktisch vor die Füße gefallen. Er war ziemlich schwer verletzt und im Nachhinein war es ein Wunder, dass er überhaupt überlebt hat.“

Schock raste durch mich hindurch. Mein Freund lebte! Ziellos war ich damals durch Land gestreift, hatte mich noch unvorsichtig lange in der Gegend aufgehalten. Die Hoffnung, er würde mir nachkommen, dass alles in Ordnung war, schwand jedoch mehr und mehr. Bittere Vorwürfe hatten mich geplagt, die Schuld mich beinahe aufgefressen. Jetzt brauchte ich Antworten und deshalb wandelte ich mich. Ich kniete vor Kaden und sah ihn flehend an.

„Tyler lebt?“, wisperte ich mit kratziger, lange unbenutzter Stimme. „Ja, mein Kleiner. Wir beide haben dich zehn Jahre verzweifelt gesucht.“

Feuchtigkeit rann über mein Gesicht und auf die Erde. Ich starrte verwundert auf die Tropfen vor mir auf dem Boden, ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal geweint hatte. Lange war ich so betäubt gewesen, dass ich wohl vergessen hatte, was Tränen waren. Als ich jetzt anfing hysterisch zu lachen und zu heulen, schlangen sich muskulöse Arme um mich und Kaden wiegte mich hin und her.

„Lass alles raus, Welpe. Du kannst loslassen. Ich werde immer hier sein, um dich aufzufangen“, wisperte er an meinem Ohr.Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir auf der weichen Erde saßen. Ich glaube, ich weinte mir jeden Schmerz von der Seele, den ich jemals gefühlt hatte. Kade hielt mich die ganze Zeit, wiegte mich wie ein Kind, rieb über meinen Rücken und murmelte mir sanfte Worte ins Ohr. Ich heulte wohl meine gesamten Körperflüssigkeiten auf sein Shirt. Mann, mir war nie aufgefallen, dass ein Mensch so viel Schnodder besitzen konnte.

Das Nächste, was ich wahrnahm, war die Morgendämmerung, die heraufzog. Ich erwachte langsam und zum ersten Mal, seit ich mein Zuhause verlassen hatte, in meiner menschlichen Haut. Überrascht sah ich auf den schlafenden Mann unter mir und alle Erinnerungen rauschten zurück. Zögernd kroch ich von Kaden herunter und ging zum Höhleneingang. Dort setzte ich mich hin und betrachtete den Sonnenaufgang, während ich versuchte zu verstehen, was der andere Wolf mir erzählt hatte.

Ich saß schon eine ganze Weile, als Kaden zu mir stieß. Ich lehnte mich etwas näher, berührte ihn jedoch nicht. „Danke“, flüsterte ich.

Der Wandler sah mich für einen langen Moment forschend an, dann breitete sich ein Grinsen auf seinen Zügen aus. „Ich bin am Verhungern, Welpe. Lass uns einen Hirsch jagen und danach können wir weiter reden.“

Er stand auf und zog sein Shirt über den Kopf. Kaden musste der schönste Mensch sein, den ich jemals gesehen hatte. Gebadet in das rotgoldene Licht der aufgehenden Sonne war er atemberaubend.

Er überragte mich um Haupteslänge, mit Schultern so breit, die aussahen, als könnten sie die Last der ganzen Welt tragen. Kurzum, Kaden Montgomery warf mich buchstäblich um. Leuchtende silberne Augen, eine gerade Nase, schmale Lippen, die trotzdem sinnlich wirkten und ein starkes Kinn, an dem ein verführerischer Bartschatten hing. Seine Brust war eine Klasse für sich, goldbraune Haut mit herrlichen Muskeln, die bei jeder Bewegung ihre Kraft demonstrierten.

Ich hatte mich eigentlich noch nie von jemandem angezogen gefühlt. Sex war für mich unwichtig gewesen, wo ich doch täglich um mein Überleben kämpfen musste. Meine Begierde für diesen Mann, der so nah bei mir stand, jagte mir eine Heidenangst ein, besonders als ich unfreiwillig einen Schritt auf ihn zuging und zitternde Finger nach ihm ausstreckte.

Wir starrten einander an, bis Kaden meine Hand ergriff und mich davon abhielt, ihn zu streicheln. Er legte seine eigene an meine Wange und lächelte sanft. „Welpe, ich denke nicht, dass du dafür schon bereit bist. Wir besorgen uns jetzt erst mal was Anständiges zum Futtern und dann können wir uns besser kennenlernen, ehe wir das hier irgendwie weiterführen.“

Ich nickte und Kaden drehte sich um, zog seine Jeans aus und wandelte sich blitzschnell. Aber nicht schnell genug und ich erhaschte einen Blick auf seinen Hintern. Wie alles an dem Mann war auch dieser perfekt.

Der mächtige silberne Wolf trottete auf mich zu und blieb dicht vor mir stehen. Sein Kopf erreichte meine Brustwarzen und von Nase bis Schwanz war Kaden bestimmt über zwei Meter lang. Wandler waren immer sehr viel größer als ihre natürlichen Artgenossen, aber verflucht, er war wirklich riesig. Hätte ich mir eigentlich denken können. Kaden war ein Hüne von Mann, also war er selbstverständlich auch beachtlich in gewandelter Form. Trotzdem überraschte mich seine Präsenz. Meine Hände begannen zu zittern und Schweißtropfen sammelten sich auf meiner Stirn, als ich meine Nerven langsam verlor. Die wenigen Male, bei denen es mir erlaubt gewesen war, mit dem Rudel zu rennen, beinhalteten keine angenehmen Erinnerungen.

Kaden schien zu merken, was mit mir los war, denn er rieb sich an mir. Dann stupste er mich an, bis ich zu Boden ging. Er leckte unter meinem Kinn und weiter zu meiner Kehle hin. Seine Schnauze zog eine kitzelige Spur über meine Brust und ich musste kichern, als er plötzlich seine feuchte Nase gegen meine Hoden drückte und laut schnüffelte. Ich rollte rasch weg und rief meinen Wolf. Wie ein Blitz schoss ich davon, mit Kaden dicht hinter mir.

Das Gesetz des Rudels

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