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Der Attaché

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Martins Bewunderung für den Ermittler ist grenzenlos. Sie haben sich in der Redaktion des Tages-Anzeigers kennengelernt, wo schon das bloße Erscheinen des Ko­­losses mit dem zottigen Haar die Kollegen in Panik versetzte. Er las ihre Artikel, kommentierte sie laut vor allen Anwesenden, verteilte Plus- und Minuspunkte, äffte misslungene Formulierungen nach, wies auf Pleonasmen oder Schwerfälligkeiten hin. Martin schätzte seine unverfrorene Art, obwohl es ihn auch schon ge­­troffen hatte. Für ihn bewegte sich der Ermittler auf allerhöchstem journalistischem Niveau, so fesselnd und stilsicher wusste er die Inhalte zu vermitteln. Was erklärt, warum Martin, inzwischen zum Diplomaten avanciert, sich über die gebotene professionelle Zurückhaltung schamlos hinwegsetzt. Sein Freund steht für ihn weit über dem Gesetz. Er zögert deshalb nie, die Fragen seines früheren Berufskollegen zu beantworten, es sei denn, sie würden ihm telefonisch gestellt.

Es ist der 13. Oktober, Schleyer ist schon seit achtunddreißig Tagen entführt, und der Staatsbesuch ist vor drei Wochen ohne Überraschung über die Bühne gegangen. Der Ermittler hat die beiden Aufpasser aus Bern spielend abgehängt. Er ist auf der einen Seite in den Bazar de l’Hôtel de Ville hinein- und auf der anderen wieder hinausgegangen. Der Ermittler trifft Martin in einem Café des XIII. Arrondissement, um sich mit ihm über den Besuch von Bundespräsident Scheel und Vizekanz­ler Genscher auszutauschen. Was sollte dieser offizielle Anlass mitten in der Krise? Keiner weiß es. Der Ermittler bedauert, beim Bundesrat kein Interview bekommen zu haben, selbst als neuer Korrespondent der deutschen Zeitung Das Blatt. Die Regierung der Bundesrepublik hat jegliche Information über Schleyers Vergangenheit mit Zensur belegt, was erklärt, warum kein einziger Ar­­tikel des Ermittlers bisher erschienen ist. In der Schweiz ist es nicht viel besser, wo Journalisten vom Bundesrat aufgefordert wurden, das Thema grundsätzlich zu meiden.

Dann greifen die beiden das seltsame Urteil des Schweizer Bundesgerichts über die jungen jurassischen Aufständischen auf, die für die Gründung eines neuen Kantons mit Sprengstoff und konsequent ille­galen Methoden kämpfen. Sie sind alle zu leichten, be­­dingten Haftstrafen verurteilt worden, unvorstellbar. Der Er­­mittler meint: Der Bundesrat hat bestimmt in­­terve­niert, um die Gemüter zu beruhigen. Da im nächsten Jahr die Ratifizierung des Kantons Jura vor das Volk kommt, will er verhindern, dass die Separatisten als Ter­roristen erscheinen. Er befürchtet, eine Hysterie wie in Deutschland könnte die Meinungsbildung über die Schaffung eines zusätzlichen katholischen Kantons vor der Abstimmung beeinflussen.

– Da hast du wohl recht, sagt Martin, ein politisches Manöver. Übrigens haben wir einen Anruf des Präfekten aus Belfort bekommen. Zwei Jäger haben auf franzö­si­schem Gebiet die Leiche eines seit dem 16. September verschwundenen jungen Schweizer Offiziers gefun­den. Er wurde von einer Granate in Stücke gerissen. Ich habe die Karte studiert, der Ort, Grandvillars, ist ziemlich weit von der jurassischen Kaserne entfernt, und vor allem kann ich mir einen durch Frankreich spazierenden uniformierten Soldaten nur schwer vorstellen.

Der Ermittler fragt: Siehst du einen Zusammenhang zwischen dem Toten und dem Prozess der Jurassier? Oder zur Entführung Schleyers?

– Ich ermittle ja nicht, aber es kommt tatsächlich un­­gelegen. Ganz Deutschland sucht nach Schleyer, im ei­­genen Land, in Frankreich, in der Schweiz. Die Grenzen werden bewacht wie nur selten, und wenige Tage nach Schleyers Entführung wird ein verschwundener Schweizer Offizier in einem Nachbarland tot aufge­fun­den. Das ruft eigentlich nach einer internationalen Un­­tersuchung. Der Präfekt hat unseren Botschafter aufgefordert, die Schweizer Polizei möglichst schnell einzuschalten.

Wenn er so etwas hört, reagiert der Ermittler wie auf Knopfdruck. Er zahlt das Bier, drückt Martin jovial die Hand, sagt: Ich glaube, du hast mir eine Idee gegeben.

Und schon rast er auf seinem Motorrad in die Rue Duval. Vor der Hausnummer 7 fallen ihm die im Straßencafé sitzenden beiden Berner auf, die offensichtlich erleichtert sind, ihn wiedergefunden zu haben. Als er seine Maschine auf den Seitenständer hievt, möchte er ihnen fast ein triumphierendes Lächeln zuwerfen.

Er stößt die Tür zu seiner Junggesellenwohnung auf und sagt zu Flavia, die sich gerade mit einer Verstragödie von Racine abmüht: Wir fahren zur Schweizer Grenze, ich hoffe, du kommst mit.

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