Читать книгу Liebeskrisen - Daniel Dufour - Страница 5
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Das Leben zu zweit ist ein Abenteuer, in das sich Menschen Hals über Kopf stürzen, weil sie ihren Intuitionen und ihren Neigungen folgen. Andere wagen es erst nach reiflicher Überlegung. Häufig steht am Beginn dieses Abenteuers die Liebe. Aber der Alltag stellt manches Paar vor solch gewaltige Probleme, dass ein Partner oder sogar beide am liebsten das Handtuch werfen möchten…
Jedes Paar ist einzigartig, genau wie jeder Mensch einzigartig ist. Das mag die Schwierigkeiten all derer erklären, die das Abenteuer Partnerschaft wagen. Mir erscheint es deshalb illusorisch, eine Abhandlung darüber verfassen zu wollen, wie ein Leben zu zweit gelingt. Genauso unpassend erscheint es mir, Paaren zur Neuorientierung ein Wundermittel zu versprechen oder Ratschläge jeder Art zu erteilen.
Warum dann ein Buch zum Thema Partnerschaft? Einfach, weil ich davon erzählen möchte, was ich von meinen Patienten im Laufe von gut dreißig Jahren als praktischer Arzt über die Widrigkeiten der Liebe gelernt habe. Bei den Konsultationen profitieren die Patienten von meiner Schweigepflicht. So können sie mir leichter von den zahlreichen Schwierigkeiten in ihrer Partnerschaft berichten, aber auch von den schönen Seiten. In diesen Schilderungen tauchen immer wieder Übereinstimmungen auf, was im Hinblick auf den vorangegangenen Absatz verwirrend erscheinen mag. Nun ist es aber so, dass diese Übereinstimmungen eine wichtige Aussage transportieren, die wir weder um- noch übergehen können: Wenn jemand, der sein Leben mit einem anderen teilen möchte, sich selbst nicht liebt, dann wird es für ihn oder sie sehr schwierig, ja unmöglich, den Anderen zu lieben.
Diese Erkenntnis mag nicht sehr originell sein, doch sie springt demjenigen ins Auge, der sich um die Betroffenen kümmert. Und sie trifft unerbittlich zu. Natürlich ist es leicht, eine solche Wahrheit zu formulieren. Viel schwieriger ist es, den Ratsuchenden bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen. Das gilt umso mehr, als die Betroffenen nicht immer bereit sind, sich dessen bewusst zu werden. Das ist ein langer, schwerer Weg.
Per definitionem besteht ein Paar aus zwei Menschen unterschiedlichen oder gleichen Geschlechts, die ein gemeinsames Gefühl und meistens auch ein gemeinsames Ziel verbindet (zumindest zu Beginn der Partnerschaft): Zusammen wollen sie etwas erschaffen, das beiden gefällt und sie zufriedenstellt. Jeder bringt seine Erlebnisse, Erfahrungen, Stärken, guten Seiten und Ideen, seine Spontanität, Begeisterung, Intuition und sein angeborenes Wissen in die Beziehung ein. Und ein jeder trägt natürlich auch sein Päckchen, das mehr oder weniger vollgepackt ist mit noch unbewältigten Erfahrungen sowie mit seiner Erziehung, Prinzipien, Überzeugungen und Hemmungen. Das Gesamtpaket würde auch den Wohlmeinendsten unter uns abschrecken, wäre da nicht die Liebe, die zwei Menschen eint und über sich selbst hinauswachsen lässt. Der Liebe gelingt es, die Misstöne, die in jedem von uns stecken, in eine Trumpfkarte für das Paar umzuwandeln. Gegensätze ziehen sich bekanntlich an, und es ist sehr wohl erlaubt, das Beste für zwei Menschen zu erhoffen, die gemeinsam das Leben meistern wollen!
Wenn einer der Partner sich darüber im Klaren ist, was seiner Selbstverwirklichung im Wege steht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er sich weiterentwickelt. Das ist dann auch ein Erfolgsgarant für die Partnerschaft. Unabdingbar ist aber auch, dass beide Partner sich weiterentwickeln möchten und alles so einrichten wollen, dass jeder sich gut in seiner Haut fühlt. Von diesem Wohlbefinden profitiert auch die Beziehung. Viele Paare treffen auf Widrigkeiten. Doch es gelingt ihnen, diese zu überwinden, weil sie stets wachsam sind – und das ist ungemein wichtig. Leider richtet sich diese Wachsamkeit allzu häufig auf den Anderen und nicht auf die eigene Person. Das geschieht im Namen einer Überzeugung, die durch unsere jüdisch-christliche Erziehung in uns verankert ist. Demzufolge bedeutet lieben, den Anderen zu lieben und sich selbst ganz zurückzunehmen. Man kümmert sich lieber um den Anderen als um sich selbst. Diese Überzeugung verleitet manche Menschen dazu, die eigene Persönlichkeit unterzuordnen, um das Gelingen der Partnerschaft zu favorisieren. Obwohl man in guter Absicht handelt, führt diese Vorgehensweise zu zahlreichen Problemen: Wenn man sich selbst verneint und nicht respektiert, scheitert die Beziehung häufig über kurz oder lang. Das erleben wir in unserer Gesellschaft immer wieder.
Sehr viele Menschen leben seit der frühesten Kindheit mit einer Last, häufig sogar, ohne sich dieser bewusst zu sein. Sie leben mit einer Wunde, die von dem Gefühl herrührt, als Kind nicht so geliebt worden zu sein, wie sie es gebraucht hätten. Diese Wunde taucht lange vor dem Abenteuer Partnerschaft auf und ist einem Mangel an Liebe geschuldet. Als Kind und später als Jugendlicher hat man damit gelebt, und als Erwachsener trägt man sie immer noch tief in sich. Ein derart Verwundeter beginnt eine Partnerschaft in der tiefen, auf den persönlichen Erlebnissen beruhenden Überzeugung, dass er es gar nicht verdient, geliebt zu werden. Denn diejenigen, die ihn all die Jahre zuvor hätten lieben sollen, haben bei dieser Aufgabe aus unbekannten und unverständlichen Gründen versagt. Er trägt diese Überzeugung seit Jahrzehnten in sich, was zu zahlreichen unbewussten und automatischen Reaktionen führt, welche große Probleme in seinem Gefühlsleben nach sich ziehen. Diese Probleme werden in einer Partnerschaft erneut hochkommen und sie erschweren. Bei der Wunde, von der hier die Rede ist, handelt es sich um das Phänomen der Verlassenheit.
Auf den folgenden Seiten wollen wir die Auswirkungen untersuchen, die diese Verletzung auf einen Menschen hat. Und wir wollen sehen, wie diese Auswirkungen eine Beziehung belasten. Als Leser sollte man aus den beschriebenen Fällen jedoch nicht schließen, dass man automatisch an Verlassenheit leidet, wenn man zum Beispiel nicht Nein sagen kann. So jemandem würde ich dringend dazu raten, sich darüber Gedanken zu machen, warum er nicht Nein sagen kann. Er sollte wirklich in sich hineinhorchen, um eine Antwort auf diese Frage zu finden.