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Eine Burg in Schottland

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Sie kamen gerade recht zum zweiten Frühstück.

Mama McIntyre, beziehungsweise Ellen, hatte sich mit Hilfe von Oma Hermine in die Küche begeben und klopfte ihrem Frühstücksei die Kappe ab, als Kevin und Sabine — den verlegen wirkenden Mr. Slater im Kielwasser — in die Wohnung stürmten und ihr mit einem lautstarken Wortschwall beizubringen versuchten, dass sie den Fahrplan für eine Weltreise schon unterwegs im Auto ausgeknobelt hatten.

Mr. Slater nahm auf einem Küchenstuhl Platz, wehrte entsetzt ab, als Oma Hermine ihm eine Tasse Kaffee anbot, und schob sich eine Magentablette zwischen die Zähne. Als Oma Hermine ihm einen Teebeutel unter die Nase hielt, hellten sich seine Züge sichtbar auf, und er nickte dankbar.

Ehe Mr. Slater allerdings dazu kam, auch nur eine einzige Silbe zu äußern, hatten Kevin und Sabine ihrer Mutter bereits brühwarm die phantastischste Geschichte aller Zeiten aufgetischt, aber da sie es in ihrer Hochstimmung nicht lassen konnten, gleichzeitig zu sprechen, verstand Ellen McIntyre kein Wort. Da Mr. Slater nicht deutsch sprach, musste die Unterhaltung auf Englisch geführt werden, was Oma Hermine sichtlich verdross, denn sie fühlte sich von nun an irgendwie vom Freudentaumel der Kinder ausgeschlossen.

Nachdem Mr. Slater Frau McIntyre die wichtigsten Informationen hatte zukommen lassen und Oma Hermine ihrer Tochter einen Blick zugeworfen hatte, der besagte »Ich bin zwar nicht neugierig, würde aber gern alles wissen«, erhielt sie einen gerafften Bericht.

»Ein gewisser Sir Roderick McPherson hat Douglas sein Vermögen hinterlassen, Mutter.«

»Aha«, sagte Oma Hermine und wiegte verständnislos das graue Haupt. »Und wer ist dieser Mäkförssen? Ein Verwandter von Dagless?«

»Sir Roderick«, erwiderte Mr. Slater auf eine entsprechende Frage Sabines, »war mitnichten ein Verwandter der McIntyres. Man kann sogar sagen...« Er fummelte aufgeregt an seiner Krawatte herum. »... man kann sogar sagen, dass die beiden Familien über eine gewisse Zeitspanne hinweg...« Er machte eine betroffene Pause. »... nun ja... verfeindet waren.«

»Nanu«, sagte Kevin und schaute auf. »Und trotzdem vermacht er uns sein Vermögen?«

»Das verstehe ich auch nicht«, sagte Sabine.

»Als Sir Roderick spürte, dass er bald das Zeitliche segnen wird«, erklärte Mr. Slater mit einem traurigen Waschbärenblick, »kam er in meine Kanzlei und sagte: ,Mein lieber Slater, ich fühle mich von einer tiefen Reue gepackt.’ — Und als ich fragend zu ihm aufschaute und mich erkundigte, ob er sich denn in seinem Leben jemals etwas habe zuschulden kommen lassen, erwiderte er: ,Nun ja, ich kann wohl behaupten, dass ich in meinem Leben kein größerer Lump war als die anderen Menschen auch, aber eines bedrückt mich doch: Es gab da einst in meiner Jugend einen gewissen Christopher McIntyre... ’«

»Das war Papas Großvater«, erklärte Ellen McIntyre ihren Kindern. »Papa hat von ihm erzählt.«

Mr. Slater räusperte sich und fuhr fort: »Sir Roderick hat, wie er verlauten ließ, mit diesem Christopher McIntyre bisweilen Karten gespielt.« Die Fistelstimme des Verblichenen imitierend, sagte er: »,Dieser Christopher McIntyre war ein verteufelt guter Pokerspieler, Slater, und hatte zudem noch unverschämtes Glück. Eines Tages packte mich eine allzu menschliche Regung: der Neid. Ich... äh... half meinem Glück ein wenig nach, indem ich hin und wieder ein zusätzliches Kärtchen in meinem Ärmel versteckte. Von da an hatte Christopher McIntyre Pech. Da er nicht einsehen wollte, dass seine Glückssträhne zu Ende war, ging er aufs Risiko und verlor schließlich an mich Haus und Hof.’«

»Wollen Sie damit im Klartext sagen«, fiel Sabine empört ein, »dass er unseren Großvater beschummelt hat?«

Mr. Slater nestelte an seinem Hemdkragen. »Leider ja. Die Reue packte ihn erst kurz vor seinem Ableben. Deswegen hat er entschieden, dass sein Besitz — sozusagen als Schadenersatz — an die Familie Christopher McIntyres übergeht, wenn sie das Erbe annimmt.«

»Warum sollten wir es denn ablehnen?«, fragte Kevin spontan und schaute in die Ferne. Er sah sich bereits einen eigenen Wagen fahren und einen Urlaub in Alaska verbringen.

»Ja, warum sollten wir das?«, fragte auch Ellen McIntyre, die bisher kaum zu Wort gekommen war, und übersetzte Oma Hermine, was Mr. Slater gesagt hatte.

»Weil...« Mr. Slater druckste herum. »...es da noch eine klitzekleine Klausel gibt.« Er nahm hastig einen Schluck aus seiner Teetasse, als befürchte er, Oma Hermine könne sie ihm nach Bekanntgabe derselben wieder wegnehmen.

»Und wie lautet die?« Kevin fasste den Notar scharf ins Auge.

»Leider besteht die Hinterlassenschaft Sir Rodericks nicht nur aus Hab und Gut«, sagte Mr. Slater, »sondern auch aus einem gewissen Schuldenbetrag, den der Erbe natürlich mit übernehmen muss, darunter auch... äh... mein Honorar für die letzten sieben Jahre. Es handelt sich dabei allerdings nur um die Kleinigkeit von siebenundachtzigtausend Pfund Sterling.«

»Ach, du Schande!«, rief Kevin entsetzt.

Sabine schaute an die Decke. Aus der Traum vom baldigen Millionärsdasein!

Ihre Mutter sagte. »Das sind fast vierhunderttausend Mark! Wo sollen wir die hernehmen?«

Oma Hermine, die sich Mr. Slaters letzte Eröffnung von Sabine erst einmal übersetzen ließ, fragte: »Ja, Herrgott noch mal, woraus besteht denn dieses sonderbare Erbe nun eigentlich?«

»Ja, eben!«, trumpfte nun auch Kevin auf, der plötzlich neuen Mut fasste. »Woraus besteht es überhaupt, Mister Slater?«

Mr. Slater runzelte die Stirn und sagte: »Aus Laggin Castle, einem Grundbesitz von zehntausend Hektar Land, sieben Pferden und einer eintausendfünfhundertköpfigen Schafherde.«

»Na, das ist doch wenigstens etwas«, meinte Kevin und sah seine Mutter triumphierend an, um festzustellen, ob sie der Erbschaft noch immer ablehnend gegenüberstand. »Vielleicht kann man die Pferde verkaufen. Vielleicht sind es Rennpferde, die schon Preise in Ascot gewonnen haben...«

»Bedaure«, war Mr. Slater ein, »es handelt sich um ganz gewöhnliche Ackergäule.«

»Vielleicht kann man die Schafherde verkaufen...«, spann Kevin weiter, um seine Mutter aufzuheitern. Wenn man es genau nahm, gefielen ihm Burgen noch besser als Autos, und...

»Das soll Papa ganz allein entscheiden«, sagte Ellen McIntyre und bewegte vorsichtig das eingegipste Bein. »In vier Wochen ist er wieder da...«

»Oh«, warf Mr. Slater ein, »ich muss Ihnen leider mitteilen, dass das ausgeschlossen ist. Sir Roderick hat festgelegt, dass sich die Erben innerhalb von zehn Tagen nach der Testamentseröffnung zu entscheiden haben, ob sie annehmen oder nicht. — Sollten Sie das Erbe nicht antreten, geht Laggin Castle in den Besitz der Vereinigung verarmter Millionäre über.«

Kevin lachte. »Das darf doch nicht wahr sein!«

»Vereinigung verarmter Millionäre?«, fragte Sabine. »Ich werd’ auf der Stelle verrückt!«

Auch Ellen McIntyre und Oma Hermine lachten. »So lautet das Testament«, sagte Mr. Slater.

»Da bleibt uns nur eines«, erklärte Ellen McIntyre. »Oma fährt nach Schottland, inspiziert das Anwesen und sagt uns Bescheid, ob es sich überhaupt lohnt. Wenn sie der Meinung ist, dass der Wert der Burg den der Schulden übersteigt, telegraphieren wir Papa und...«

»Iiiich?«, fragte Oma Hermine entsetzt und streckte abwehrend die Hände von sich. »Niemals! In alten Burgen wimmelt es von Gespenstern — und ganz besonders in schottischen! Außerdem hasse ich Burgen! Ich kann ja auch kein Wort Englisch. Wie sollte ich mich verständigen? Ich könnte nicht einmal von dort nach hier anrufen! Nein, nein, dazu schlagt ihr mich nicht breit!«

»Aber, Oma...«, flehte Sabine. »Du bist doch die einzige Erwachsene in dieser Familie, nachdem die Eltern ausfallen. Denk, was es bedeutet, wenn du für Vater sozusagen Vorarbeit leistest und seinen schottischen Schafen in die Wolle greifst! Sie haben die alten Gespenster sicherlich längst vertrieben. Soviel ich weiß, reagieren die nämlich allergisch auf alle Arten von Schafläusen!«

Kevin grinste. Nicht nur er, sondern auch seine Schwester und seine Mutter wussten ganz genau, dass Oma Hermine ihre vermeintliche Furcht vor Gespenstern nur vorschob, weil sie eine Heidenangst davor hatte, ein Flugzeug zu besteigen. »Außerdem«, fuhr Oma unbeirrt fort, »muss jemand hier sein, der sich um euch kümmert.«

»Vielleicht könntest du ein Schiff nehmen?«, fragte Kevin ein wenig heimtückisch.

»Glaubst du etwa, ich hätte Angst vor dem Fliegen?«, fragte Oma pikiert und schüttelte den Kopf. »Außerdem werde ich leicht seekrank.«

Kevins Stimmung sank auf den Nullpunkt. Es war Sabine, die ihn schließlich davor bewahrte, völlig zu verzweifeln. Sie hatte eine Idee, die so gut war, dass er sie wirklich bewundern musste.

»Wisst ihr was?«, fragte sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag. »Die Schule fängt erst in elf Tagen an. Kevin hat sowieso nichts zu tun, solange seine Einberufung zum Ersatzdienst nicht da ist. Wir schicken Papa ein Funktelegramm, damit er so schnell wie möglich Sonderurlaub bekommt, und peilen inzwischen in Schottland die Lage!«

»Wenn Papa kommt«, warf Kevin blitzschnell ein, »haben wir schon alle Vorarbeiten geleistet, und er braucht nur noch eine Entscheidung zu fällen!«

»Oh, yes.« Mr. Slater nickte vorsorglich, obgleich er nichts verstanden hatte. »Eine gute Idee!«

Frau McIntyre sah ihre Kinder zweifelnd und gleichzeitig ein wenig listig an, aber Oma Hermine riss die Arme hoch und rief entsetzt: »Also das geht aber nicht, Ellen! Du kannst die Kinder nicht mutterseelenallein ins Ausland fahren lassen! Allein unter Millionen Schotten!«

»Wir sind auch Schotten, Oma«, sagte Sabine augenzwinkernd und kicherte, »jedenfalls halbe. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, dass wir unter die Räder kommen. Und Angst vor dem Fliegen haben wir auch nicht.«

Das saß offenbar. Oma Hermine brummte und verfiel von nun an in ein gekränktes Schweigen.

Frau McIntyre sah den abwartend dasitzenden Mr. Slater lächelnd an, klopfte auf ihr Gipsbein und sagte schließlich: »Sei’s drum! Die Kinder fliegen! Und Douglas bekommt ein Telegramm!«

Die Kinder waren begeistert, und sogar Oma Hermine konnte sich einer heimlichen Freude nicht erwehren: Sie hatte sich schon immer gewünscht, jemanden etwas Handfestes erben zu sehen.

Eine Minute später hing Kevin am Telefon und rief die Reederei an, die noch Funkverbindung mit der »Carcosa« hatte. Man nahm sein Telegramm auf, und eine halbe Stunde später klingelte bei den McIntyres das Telefon.

»Rückantwort von Ingenieur Douglas McIntyre«, sagte der Reedereiangestellte. »Soll ich vorlesen?«

»Ja, ja!«, rief Sabine, die den Anruf entgegennahm. »Nur zu!«

»Kann frühestens in acht Tagen dort sein. Stop. Habe vierundzwanzig Stunden Sonderurlaub erhalten. Stop. Komme mit dem Flugzeug. Stop. Telegraphiere meinem Freund William McLean aus Edinburgh. Stop. Er soll euch mit Rat und Tat zur Seite stehen. Stop. Viele Grüße. Stop. Papa.« Der Angestellte räusperte sich. »Das war’s.«

»Vielen Dank!« Sabine warf den Hörer auf die Gabel. »Papa bekommt Sonderurlaub!«, rief sie begeistert. »Und er ist einverstanden!«

»Dann ans Kofferpacken«, sagte Frau McIntyre. »Wir sorgen für die Reiseverpflegung.«

»Wo ist meine Kamera?«, schrie Kevin aus seinem Zimmer. Ihn hatte das Reisefieber mit aller Macht gepackt, aber das war nach der Pleite mit den Winterferien ja auch kein Wunder.

Die weiße Lady von Laggin Castle

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