Читать книгу Hokuspokus Kompetenz? - Daniel Hunziker - Страница 7

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Das Gelingen von Lernprozessen hängt, wie wir seit der als Hattie-Studie berühmt gewordenen Schrift des neuseeländischen Pädagogen John Hattie aus dem Jahr 2009 wissen, in hohem Maße von den Schülerinnen und Schülern, ihrer Herkunft und Disposition, aber maßgeblich auch von der Lehrperson ab: von ihrem Bildungsverständnis, von ihrer Haltung dem Lernen und Lehren gegenüber, von ihrem Rollenverständnis und von der Ausgestaltung ihrer Beziehung zu Schülerinnen und Schülern. Darauf ist Bildungserfolg vor allem zurückzuführen, weniger auf die Unterrichtsmethoden. Mit Bildungserfolg ist nicht Schulerfolg – sprich gute Noten und Zeugnisse – gemeint, sondern die Erhaltung der Neugierde auch über die Schule hinaus, Handlungsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein im Berufs- und Lebensalltag. Oder anders gesagt: der Erwerb von Kompetenzen im personalen, sozialen, fachspezifischen, methodischen Handlungsbereich. Lehrerinnen und Lehrer müssen dafür eine andere Rolle einnehmen können: Sie sind nicht mehr nur Dozierende – weil sich Kompetenzen ja nicht vermitteln lassen –, sondern vielmehr Lernbegleiter oder Coaches. Natürlich bedarf es bestimmter Methodik und Didaktik, um diese Rolle auszugestalten. Dazu und zum eigentlichen Kompetenzbegriff mehr in den Folgekapiteln. Vorerst geht es lediglich um das Rollenverständnis von Lehrpersonen, ums Umdenken, um die Haltung.

So, wie kleine Kinder das Gehen lernen, indem sie hinfallen, selber wieder aufstehen, Schritte machen, wieder hinfallen, aufstehen und es von vorne versuchen, müssen auch Schulkinder und Jugendliche selber Erfahrungen sammeln und Fehler machen können, um neue Herausforderungen zu meistern und persönliche Erfolge zu erleben. Die Eltern können ihrem Kleinkind das Gehen nicht aktiv beibringen, ihm aber anteilnehmend und präsent zur Seite stehen, wenn es dazu reif ist. Genau das können und müssen Lehrpersonen für ihre Schülerinnen und Schüler tun, wenn diese kompetenzorientiert lernen sollen. Es geht nicht darum, ihnen Schritt für Schritt voranzugehen, den Weg vorzuspuren und Entscheidungen abzunehmen, aber auch nicht darum, sie auf ihrem Weg sich selbst zu überlassen. Richtig wäre es, sie zu begleiten. Erfolgreiche Lernprozesse werden durch eine Haltung der Lehrperson stark begünstigt, die präsent, achtsam und wohlwollend ist. Spürbares Vertrauen in die Schülerinnen und Schüler ermutigt diese zu selbstständigem Handeln, macht sie zuversichtlich, selber etwas erreichen zu können. Kinder brauchen Erwachsene, die an sie glauben und ihnen etwas zutrauen. Das Wissen darum, dass ihre Lehrerin oder ihr Lehrer Fehler nicht als Versagen, sondern als Erfahrung abbucht, bewirkt, dass Kinder und Jugendliche ihre inneren Impulse und eigenen Ideen wahrnehmen, danach handeln und weniger durch das Erfüllen von äußeren Vorstellungen und Vorgaben gelenkt sind.

Kommt ein Kind in einer bestimmten Situation trotz größter Bemühung nicht so weit, wie es gern möchte, helfen ihm Forderung, Moral, Belehrung und Bewertung wenig. Es verschließt sich und tritt weiter an Ort. Wenn sich die Lehrperson aufrichtig dafür interessiert, wie es ihren Schülerinnen und Schülern geht, wenn sie an die Kinder und Jugendlichen herankommen und sie bewegen möchte, muss sie ihre Entscheidungen und Gedanken möglicherweise als das Beste akzeptieren, was sie zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter gegebenen Umständen leisten können – auch wenn aus ihrer Sicht womöglich viel mehr Potenzial da wäre. Die Aufgabe der Lehrperson besteht darin, eine Vertrauensbasis zu schaffen, individuelle Leistung zu erkennen und zusammen mit dem Kind dessen Potenzial zu entfalten, es durch Begleitung und Ermunterung so weit zu bringen, dass es selber einen nächsten Schritt wagt.

Ein bewährtes Instrument sind regelmäßige Coachinggespräche, wobei ein angemessener und realisierbarer Rhythmus gefunden werden muss. Möglich ist beispielsweise die Etablierung eines Einzelgespräches pro Schultag. Während einer Phase der selbstständigen Arbeit trifft sich die Lehrperson für fünf bis zehn Minuten mit einem Schüler oder einer Schülerin zu einem persönlichen Gespräch. Bei einer Klassengröße von zwanzig Kindern kommt jedes monatlich zu einem solchen kurzen Reflexionsgespräch.

Die Kommunikation mit Schülerinnen und Schülern ist dann erfolgreich, wenn die Lehrperson merkt, dass sie das Kind erreicht, wenn es sich ihr gegenüber öffnet und Vertrauen fasst. Das Kind seinerseits ist frei von Ängsten und erlebt seinen Lehrer oder seine Lehrerin nicht als jemand, der oder die ausschließlich für die Wissensvermittlung da ist und über seine Leistungen und sein Verhalten richtet. Es braucht eine freundschaftliche Begleitung, jemanden, der oder die sich aufrichtig für das Kind interessiert – nicht für die Zeugnisse, nicht für seine Eltern, nicht für das eigene Ansehen und Erfolgsgefühl als Lehrperson. Lehrpersonen müssen und sollen sich nicht zum Kumpel ihrer Schülerinnen und Schüler machen. Aber sie sollen ihnen freundlich, freundschaftlich und vertrauensvoll zugewandt sein.

Der Verlauf eines persönlichen Coachinggesprächs kann nach folgender Struktur ablaufen:

Befindlichkeit klären

–Wie geht es dir? Was macht dir Spaß, was Sorgen?

–Bist du zufrieden mit dir, mit der Schule, mit dem, was du in der Schule machst? Wie geht es dir mit den anderen Kindern, Lehrern, zu Hause mit deiner Arbeit?

–Was brauchst du? Wie können wir dich unterstützen?

Von wem möchtest du Unterstützung? Wie willst du unterstützt werden?

An das letzte Gespräch anknüpfen

–Was waren die Anliegen, Wünsche, Ziele, Probleme beim letzten Gespräch? Wie haben sich diese entwickelt?

–Konntest du deine Wünsche erfüllen, deine Ziele erreichen, Zielsetzungsvereinbarung einhalten? Wenn nein, was hat dich daran gehindert?

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–Gibt es Handlungsbedarf für die nächste Phase?

Was möchtest du anpacken, erreichen, was ändern?

–Was ist dir wichtig in nächster Zeit? In Bezug auf dich selber, mit anderen Kinder, mit den Lehrern, mit dem Lernen, mit Projekten?

–Gibt es Bereiche, wo du mehr Verantwortung für dich übernehmen möchtest?

–Was sind meine Anliegen und Themen, die ich als Lehrperson ansprechen möchte?

Raum für Unerwartetes und Unerfragtes lassen

–Gibt es etwas, was dir noch wichtig ist, mir mitzuteilen?

–Weiter können Lehrpersonen wichtige Dinge aufschreiben, die als Erinnerung für das nächste Coachinggespräch wichtig sind oder die sie selber zu erledigen haben.

Regelmäßige Coachinggespräche leiten die Kinder und Jugendlichen in Selbstreflexion an und steigern ihre Fähigkeit zur Selbstführung. Sie bringen Lehrperson wie Schülerinnen und Schüler weiter im gemeinsamen Lehr- und Lernprozess als das Konzept von Belohnung und Bestrafung. Es entwickeln sich nicht Gehorsam und übersteigerte Außenorientierung, sondern viel eher Selbstdisziplin und darauf aufbauend zahlreiche Schlüsselkompetenzen, idealerweise wie von selbst. Eine Gesetzmäßigkeit in Gesprächen mit Kindern ist die: Kommen Lehrpersonen (auch Eltern zu Hause) mit Vorstellungen, moralischen Ansprüchen und Erwartungshaltung, die keinerlei Spielraum für andere Sichtweisen zulassen, auf das Kind zu, wird es das sagen, was die Erwachsenen hören wollen, um so möglichst schnell der Moralpredigt zu entkommen. Das lässt sich nur vermeiden, wenn die Lehrperson den Schülerinnen und Schülern den nötigen angstfreien Raum gewährt, in dem sie sich frei äußern können, ohne dafür verurteilt zu werden.

Im Zusammenhang mit Haltungsfragen, Coaching und angemessener Kommunikation erläutert Jesper Juul in seinen Büchern, was unter gleichwürdiger Beziehungsgestaltung gemeint ist. Der lösungsorientierte Ansatz nach Steve de Shazer liefert einen riesigen Fundus an Ideen, Know-how und Weiterbildungsangeboten für Lehrpersonen und auch Eltern. Der Psychotherapeut entwickelte eine Kurztherapieform, die sich nicht an der Entstehung statuierter Probleme, sondern an deren Lösung orientiert. Im Zentrum steht das Gespräch. Die Methode wird an Schulen und besonders auch innerhalb der Schulsozialarbeit erfolgreich angewandt. Ausgegangen wird von einer Grundannahme und sieben darauf basierenden lösungsorientierten Annahmen:

Grundannahme:

Kein Mensch handelt aus Bosheit destruktiv. Jeder macht von sich aus gesehen das Bestmögliche, er handelt so, weil er im Moment nicht anders handeln kann, weil ihm nichts Besseres einfällt. Jedes Verhalten ist immer ein Lösungsversuch, manchmal mit negativen Auswirkungen.

Die sieben lösungsorientierten Annahmen:

1Probleme sind Herausforderungen, die jeder Mensch auf seine persönliche Art zu bewältigen sucht.

2Wir gehen davon aus, dass alle Menschen ihrem Leben einen positiven Sinn geben wollen und dass die nötigen Ressourcen dazu vorhanden sind. In eigener Sache sind wir alle kundig und kompetent.

3Es ist hilfreich und nützlich, dem Gegenüber sorgfältig zuzuhören und ernst zu nehmen, was er/sie sagt.

4Wenn du dich am Gelingen und an den nächsten kleinen Schritten orientierst, findest du eher einen Weg.

5Nichts ist immer gleich, Ausnahmen deuten auf Lösungen hin.

6Menschen beeinflussen sich gegenseitig. Sie kooperieren und entwickeln sich eher und leichter in einem Umfeld, das ihre Stärken und Fähigkeiten unterstützt.

7Jede Reaktion ist eine Form von Kooperation, Widerstand auch.[4]

Hokuspokus Kompetenz?

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