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Philosophie – aber ohne große Anstrengung

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Was ist von dieser Selbstdarstellung der Populärphilosophie zu halten? Ist es überhaupt sinnvoll, diese Frage zu stellen? Die Antworten sind doch längst gegeben. Aus Sicht der akademischen Philosophie handelt es sich um Quacksalberei. Homöopathische Dosen philosophischer Tradition werden in literweise Werberhetorik aufgelöst und heraus kommt etwas, was sich zwar gut verkauft, mit Philosophie aber nicht viel zu tun hat. Aus Sicht der Populärphilosophie ist diese Reaktion der akademischen Philosophie Ausdruck eines tiefsitzenden Neides derjenigen, die unfähig zum verständlichen Ausdruck sind. Gefangen in einem verstaubten, selbstreferentiellen System verachten die Aristokraten des Gedankens die Demokratisierung des Denkens.

Das, so erkennt das Publikum, ist eben der alte Streit der Philosophen. Die aristokratisch Gesinnten schlagen sich dann auf die Seite der Akademiker und lesen griechische Philosophie. Und die demokratisch Gesinnten kaufen sich den neuen Bestseller von Richard David Precht und fühlen, wie die Philosophie sie mit frischer Lebenskraft durchströmt. Die einen absolvieren ein Studium im Elfenbeinturm, mit vielen Texten, vielen Perspektiven, vielen Autoren. Die anderen absolvieren ein Studium in der Straßenbahn mit einem einzigen Buch – von einem einzigen Autor.

Die Populärphilosophen appellieren an das Selbstverständliche. Die Welt, den Markt, das Leben. Sie appellieren an Konzepte und Erfahrungen, mit denen jeder etwas anfangen kann und zu denen jeder etwas sagen kann. Konzepte und Erfahrungen, die aber zugleich so allgemein sind, dass man sie nie abschließend beurteilen kann. Das Selbstverständliche, behaupten die Populärphilosophen, ist das, was die Philosophie erst relevant macht: unsere Gegenwart, unsere Orientierungslosigkeit, unser Interesse.

Philosophie, die keine Leser hat, wird irrelevant. Also muss sie dafür sorgen, möglichst viele Leser zu haben. Akademische Philosophie, so scheint es der Populärphilosophie, hält sich mit dem Unnötigen auf: mit unnötig komplizierten Formulierungen in unnötig langen Texten mit einer unnötig selbstbezüglichen Forschung. Im Grunde machen beide dasselbe, die akademische Philosophie und die Populärphilosophie, nur die Populärphilosophie macht es besser. Sie formuliert verständlicher, näher am Leben, antwortet auf Fragen, die die Menschen wirklich bewegen.

Wie Karikaturen stehen sie sich gegenüber: Auf der einen Seite die unfruchtbare, in die Jahre gekommene akademische Philosophie mit den dicken Brillengläsern und der linkischen Art, unfähig, sich in sozialen Kontexten nicht lächerlich zu machen. Und auf der anderen Seite die schicke, dynamische und weltoffene Lifestyle-Populärphilosophie, am beschleunigten Puls der Zeit, immer eine Pointe zur Hand, um das Publikum nicht zu langweilen.

Um zu verstehen, wie dieses Bild zustande kommt, könnte man überlegen, wie jemand die Philosophie wahrnimmt, der bisher mit ihr nichts zu tun hatte. Die Vorstellungen, die sich Nichtphilosophen von der Philosophie machen, sind geprägt durch das Wissen und die Erfahrungen, die sie bisher gesammelt haben und auf die sie sich verlassen können. Philosophie ist für sie ein Thema unter anderen, und so wird es auch behandelt.

Diese Konvention macht sich die Populärphilosophie zunutze. Sie akzeptiert einige oder sogar die meisten Voraussetzungen, die das Publikum mitbringt. Das hat den angenehmen Effekt, dass die Zuschauer, Zuhörer oder Leser nicht übermäßig irritiert sind, wenn man damit beginnt, Fragen zu stellen. Je nachdem, welches Risiko man eingehen will, kann man die Fragen sehr allgemein oder aber provokativ stellen. Zu den allgemeinen Fragen gehören z. B. Fragen nach dem Leben, dem Tod, der Welt, dem Menschen, dem Universum oder Gott. Bei solchen Fragen kann jeder mitdiskutieren, ohne viel riskieren zu müssen. Und am Ende kann man immer noch sagen, dass eine abschließende Antwort unmöglich oder schwierig ist, dass man sie auf jeden Fall jetzt (noch) nicht geben kann.

Daneben kann man auch mit Fragen oder Thesen provozieren. Das beginnt bei Buchtiteln wie Wer bin ich, und wenn ja, wieviele? und endet noch lange nicht beim Versuch, das gesamte Bildungssystem oder die gesamte Entwicklung des menschlichen Denkens aus einem Wurf zu erklären. Populärphilosophen streben nicht nur danach, die Philosophie populärer zu machen. Sie streben auch danach, dass sie selbst populärer werden. Populärphilosophie ist angelegt als Kampf um Aufmerksamkeit. Und dafür muss man Themen bedienen, die gerade »heiß« sind oder die als Dauerbrenner immer wieder neu aufgelegt werden. Wer sich noch nie mit Philosophie befasst hat, kann so die Populärphilosophen als Intellektuelle wahrnehmen, die sich mit Fragen auseinandersetzen, die einen selbst beschäftigen. Worin sie populär sind, zeigt sich dann in verschiedenen Aspekten.

Weil sie Fragen ansprechen, die man sich selbst vielleicht immer wieder gestellt hat, wirken sie erstens deutlich ansprechbarer als »langweilige ältere Herren in braunen oder blauen Busfahreranzügen«, wie Richard David Precht die Professoren der akademischen Philosophie beschreibt. Wo diese sich vor lauter Verpflichtungen, die Forschung und die möglichen Einwände der Kollegen zu berücksichtigen, winden, überspringt der Populärphilosoph einfach die Schwierigkeiten und bringt sie so zum Verschwinden. Das Publikum ist ihm dankbar, denn so macht Philosophie Spaß: ohne große Anstrengung.

Deswegen werden zweitens Populärphilosophen auch von mehr Leuten gelesen. Und weil der Buchdiskurs, vom Zeitungsfeuilleton über die Buchmesse bis hin zu den Verlagsprogrammen, vor allem auf das schaut, was viel Aufmerksamkeit erzeugt, wird noch populärer, was sich gut verkauft. Die Autoren und Autorinnen werden zu mehr Formaten eingeladen als andere, halten mehr Vorträge, sind insgesamt sichtbarer. Wenn das nächste Buch oder der nächste Artikel an die anderen anknüpfen kann, ist man schnell prominent. Dann sitzt man in Fernseh-Talkshows und darf als Philosoph zu jedem Thema seinen Senf dazu geben.

Ob das alles Hand und Fuß hat, ist dabei Nebensache: Es reicht, dass man es tut, um Aufmerksamkeit zu bekommen, und weil man es tut, reicht es allen anderen, dass man es tut. TV-Redaktionen buchen Richard David Precht nicht, weil er ein guter Philosoph ist, sondern weil er zu jedem Thema vergleichsweise kluge Dinge sagen kann. Außerdem sieht er vergleichsweise gut aus und wirkt wie ein Typ, der mitten im Leben steht. Das kleine Wörtchen »vergleichsweise« zeigt an, dass man sich über den Maßstab des Vergleichs keine großen Sorgen macht. Der relative Abstand zu dem, was andere Talkshow-Gäste sagen, ist allemal ausreichend.

Ein dritter Aspekt kommt noch hinzu – und der ist für die Popularität der Populärphilosophen entscheidend: Sie müssen sich an den Erwartungen des Publikums orientieren. Wie Hofnarren, die den König beleidigen und beschimpfen dürfen, solange sie ihn unterhalten, dürfen auch die Populärphilosophen das Publikum herausfordern, solange sie es nicht überfordern. Sie besetzen eine Nische, die durch die Nachfrage der durchschnittlichen Sinnsuche des Nichtphilosophen eröffnet wird.

Diese Sinnsuche gilt es, zu bedienen. Angebot und Nachfrage bestimmen das philosophische Geschäft und damit auch die Gedanken, die man in ihm formuliert. So werden nichtphilosophische Bedingungen bestimmend für die Populärphilosophie. Inwiefern diese nichtphilosophischen Bedingungen zu unphilosophischen, der Philosophie gerade entgegengesetzten Bedingungen werden können, wird uns hier noch beschäftigen.

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