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Es ist Freitagnachmittag. Auf einem Zeltplatz kann man immer wieder hören: „Wie habe ich das ganze Zeug bloß ins Auto geschafft?“ Ein Dutzend Fahrzeuge steht herum, und um sie herum … Zeug! Jedes einzelne Auto war bis zur Decke beladen, und der Inhalt liegt jetzt auf der Wiese: Zelte, Feldbetten, Polsterwaffen, Essen, Getränke und Kisten mit Roben, Umhängen, Kettenhemden und anderweitigem Larp-Zeug.

Das Wort Zeug geht auf das mittelhochdeutsche „(ge)ziuc“ sowie das althochdeutsche „(gi)ziuch“ zurück. Eine weitere Bedeutung hat Zeug in der Militärtechnik: Hier wurde Zeug als Ausdruck für eine Rüstung, später für Geschütze mit ihrem Zubehör verwendet. Auch kennt man das Zeughaus als ehemalige Waffenkammer in einer Stadt. Das ursprüngliche „(ge)ziuc“ ist verwandt mit dem Verb „ziehen“ und bezeichnet das „Mittel zum Ziehen“.

In dieser Aufsatzsammlung möchten wir diesen Sinn weiter verfolgen und das Sinnbild beibehalten: Zeug zieht das Larp wie eine Schnur mit. Das Materielle des Zeugs ist verbunden mit der Fantasie, der Immersion und den Gefühlen der Teilnehmenden. An dieser Stelle kommen Fragen auf. Es ist allgemeiner Konsens, dass sich eine „gute“ Gewandung positiv auf das Rollenspiel auswirkt, aber wann ist eine Gewandung „gut“ und wie verbinden sich materielle Gewandung und Rollenspiel im Larp?

Sucht man Antworten bei der Larp-Forschung, findet man wenige Publikationen zum Thema Zeug, Gegenstände, Objekte und dergleichen. Die Forschung scheint der abwertenden Konnotation von Zeug zu folgen, die laut Duden folgendermaßen definiert wird: „etwas, dem kein besonderer Wert beigemessen wird, was für mehr oder weniger unbrauchbar gehalten und deshalb nicht mit seiner eigentlichen Bezeichnung benannt wird“ (Duden - Die deutsche Rechtschreibung, 2014). Ist die Verbindung zwischen Gewandung und Fantasie, Polsterwaffen und Rollenspiel, Location und Immersion trivial?

Um diese Fragen zu beantworten und eine Lücke in der aktuellen Larp-Forschung zu füllen, widmet sich die vorliegende Aufsatzsammlung thematisch den Gegenständen, Dingen, Materialien, kurz: all dem Zeug, das vor, während, und nach einem Larp mit dem Hobby verbunden ist. Allen mag es selbstverständlich sein, dass Zeug wichtig ist, um zu larpen, aber man wird überrascht sein auf welche Arten und Weisen die kleinen und großen Gegenstände zum Larp beitragen. Der vorliegende Band zur Konferenz MittelPunkt 2015 – Mit der Morgenröte nach Oz versammelt daher Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Autoren zeigen dabei nicht nur das theoretische Potenzial von Larp-Zeug als Forschungsgegenstand, sondern verdeutlichen an konkreten Beispielen, wie Zeug, Objekte, oder Gegenstände im Larp funktionieren.

In Illegales Larp-Zeug plaudert Tobias Cronert aus dem Nähkästchen eines Larp-Veranstalters und zeigt auf, welche Aspekte eines Cons von gesetzlichen Regelungen betroffen sind und wie Orgas den Spagat zwischen rechtlicher Absicherung einerseits und Verwirklichung ihrer kreativen Ideen andererseits bewältigen können. Er rät dazu, Regeln und Vorschriften von Anfang an in der Planung zu berücksichtigen und sie als eine von vielen logistischen Gegebenheiten zu betrachten, vor denen man nicht die Augen verschließen sollte, aber auch keine Angst haben muss.

Björn-Ole Kamm gibt uns einen der ersten Einblicke in das japanische Larp. In Die Kraft von nur 100 Yen: Larp in Japan widmet er sich dem Phänomen der 100-Yen-Läden, einem Äquivalent zu 1-Euro-Shops, und wie diese sich auf das japanische Larp auswirken. Neben den Beispielen japanischer Larps, die durch Gespräche mit Veranstaltern bereichert werden, stellt sich Kamm der spannenden Frage, wie man Gegenstände als nicht-menschliche Elemente für die Forschung fruchtbar machen kann.

Daniel Steinbach und Dennis Lange zeigen auf, wie sich komplexe und unbequeme Themen einfach und eindringlich mit Live-Rollenspiel und den dabei verwendeten Dingen vermitteln lassen. In Ein Leben aus der Plastiktüte: Flucht als Thema im Live-Action-Roleplay stellen sie diverse Drama Games und (Mini-)Larps vor, bei denen nicht zuletzt die Begrenztheit der Mittel dazu dienen kann, Verständnis für die entbehrungsreichen Bedingungen zu wecken, wegen und unter denen sich Menschen auf die Flucht begeben.

Gregor Mascher geht auf alternative Finanzierung und größere Projekte ein, beispielsweise Bauten auf Larp-Geländen. In Finanzierung von Larp-Projekten: Crowdfunding und andere Optionen beleuchtet Mascher Schwarmfinanzierung anhand vielseitiger Beispiele auf dem UTOPION und in Brokeloh. Neben konkreten Einblicken bieten die Beispiele Hinweise für zukünftige Projekte.

Stefan Deutsch wendet sich dezidierter dem Thema Location zu. In Warum wir bessere Locations brauchen vergleicht der Text internationale Larps und die Verflechtung mit der Location. Als wohl größter Gegenstand schafft es die Location, Veranstalter, Teilnehmer und Betreiber zusammenzubringen. Deutsch schlägt vor, dass die Location noch vor Genre und Plot Gegenstand der Überlegung sein sollte, damit sie als Spielort funktioniert.

In Verkleide dich! Oder: Kleider machen Rollen reflektiert Heinrich Dickerhoff, wie der alltägliche Wechsel von privaten und professionellen Rollen durch Ver-Kleidung nicht zuletzt im Larp bewusst gemacht werden kann. Dazu schildert er sowohl eigene Larp-Erfahrungen als auch Beispiele aus seiner Arbeit mit Neu-Larpern ganz verschiedener Altersgruppen. Anhand dieser Beispiele plädiert Dickerhoff dafür, die verschiedenen Rollen und Rollenwechsel des Lebens an-, aber nicht zu schwer zu nehmen.

Gerke Schlickmann widmet sich der Flüchtigkeit von Spiel als eines fundamentalen Problems der Larp-Forschung. Das Flüchtige dingfest machen: Larp als Forschungsgegenstand wendet sich von physischen Gegenständen ab hin zu Larp als Forschungsgegenstand, um Lösungen für zukünftige Studien zu bieten. Schlickmann präzisiert die Flüchtigkeit von Larp mit dem Konzept der nicht wiederholbaren Theateraufführung. Larp als Aufführung bietet verschiedene Lösungswege, die von den Forschenden verlangen, sich selbst nahe an die Dinglichkeit des Larp-Zeugs zu wagen. Hierfür schlägt Schlickmann die Ethnografie als Methode vor und wägt Vor- und Nachteile ab.

Wie im letzten Band benutzen wir in diese MittelPunkt-Aufsatzsammlung einen Aspekt aus der Wissenschaftskultur: das Peer Review. Peer Review ist ein Prozess, der unter anderem die Qualität wissenschaftlicher Beiträge steigert. Konkret bedeutete das für diesen Band, dass jeder Text von einem oder einer Fachkundigen gelesen und mit konstruktiver Kritik an den Autor zurück geschickt wurde. Wenn der Autor gewillt war, wurde der Text überarbeitet und wieder eingereicht. Manchmal war ein weiteres „Review“ nötig, um dem Text den letzten Schliff zu geben. Das Ergebnis hält der Leser in den Händen. An dieser Stelle möchte ich den Autoren herzlich danken, die unermüdlich mit den Reviews gearbeitet haben. Nicht alle anfangs eingereichten Beiträge haben diesen Prozess in seiner Gänze durchlaufen.

Ein Großteil geisteswissenschaftlicher Projekte beginnt mit dem Bekannten und reflektiert es. Das Ergebnis schlüsselt das scheinbar Triviale in ein komplexes Geflecht aus Elementen auf. Dadurch wird das jedem Larper vertraute Hobby transformiert, bekommt eine neue Ausprägung und lädt ein, es von mehreren Seiten zu betrachten und neu verstehen zu wollen.

Wir wünschen Erkenntnisgewinn und viel Vergnügen mit dem vorliegenden Band,

Rafael Bienia und Gerke Schlickmann

LARP: Zeug

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