Читать книгу Tod unter Eukalyptusbäumen - Daniela Vilela - Страница 4

1. Juli

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Es geschehen noch Wunder auf dieser Welt, philosophierte Edward Lampard, Inspektor der Mordkommission Perth, kurz MCS genannt, als er zu seinem Auto eilte. Es grenzte tatsächlich beinahe an ein Wunder, dass er es nach zwölfjähriger Beziehung zu Susan endlich geschafft hatte, ihren Geburtstag für einmal nicht zu vergessen. Er startete den Motor und fuhr los, dabei sah er noch einmal ihren erstaunten Gesichtsausdruck vor sich, als sie den Strauss mit roten Rosen und weissen Freesien auf dem Tisch hatte stehen sehen. Für einen unheimlich langen Augenblick hatte sie nicht gewusst, was sagen. Zu überwältigt war sie gewesen, was das Glänzen in ihren Augen noch unterstrichen hatte. Fast hätte er ein schlechtes Gewissen gekommen, denn dieser Überraschungsschlag war eigentlich nicht sein Verdienst gewesen. Wäre Joe, sein langjähriger Partner, nicht gewesen, er hätte ihren Geburtstag wiederum glatt vergessen.

Weiss der Himmel, woher Joe solche Sachen wusste. Jedenfalls hatte er sich dazu nicht äussern wollen und stattdessen sein italienisch verschmitztes Grinsen aufgesetzt.

Die gestrige Nacht war entsprechend kurz gewesen, die Kopfschmerzen die Folge der zwei Flaschen Sekt.

Hätte Susan ihn nicht sanft wachgerüttelt, er hätte das Klingeln des Telefons um sechs Uhr in der Früh ganz sicher nicht gehört. Sein Chef, Alfred Meyers war am Apparat gewesen. Ohne Umschweife hatte er in den Hörer gebellt, dass es draussen beim Beelu Nationalpark eine Leiche gab. Damit hatte er die ganze Aufmerksamkeit von Edward auf sich gezogen der mit einem Schlag wieder nüchtern gewesen war.

Er hatte sich die Augen gerieben und sich auf die Bettkante geschwungen. Erinnerungen an den Park waren dabei aufgekeimt. Er kannte den Beelu Nationalpark, der rund fünfunddreissig Kilometer östlich von Perth lag, aus seiner Kindheit. Damals hatte er viele Wochenende auf dem dortigen Campingplatz verbracht. Gemeinsam mit seinem Vater war er jeweils morgens in aller Herrgottsfrühe fischen gegangen und abends hatte die ganze Familie den Fang auf dem offenen Feuer neben dem Zelt grilliert. Eine gute Zeit war das gewesen. Edward seufzte.

Seither hatte er den Park nie wieder besucht. Die Arbeit bei der Polizei liess ihm dazu einfach keine Zeit.

Nun würde ihn also ein so tragischer Vorfall wieder dorthin zurückführen.

Bei der Toten handle es sich um ein Mädchen im Alter von sechzehn bis achtzehn Jahren hatte Meyers gesagt. Ihre Leiche war gestern Abend von zwei Parkwächtern entdeckt worden. Diese seien auf dem Weg nach Hause gewesen und hätten noch kurz einen Abstecher zum Pimelia Picknickplatz gemacht, welcher sich unweit des Parkeinganges an der Mundaring Weir Road befindet. Sie gingen dort regelmässig Abends vorbei, um nach dem Rechten zu sehen, da es gerade in der Sommerzeit regelmässige Jugendliche gaben, die dort wilde Partys feierten. Jetzt im Winter war jedoch selten etwas los. Nur durch Zufall hatten sie genau an der Stelle angehalten, wo das Mädchen lag, da einer der Männer sich dringend hinter den Büschen erleichten musste und über ihre nackten Füsse gestolpert war. Es sei ein grausiger Anblick gewesen, berichtete Meyers, der den Anruf der lokalen Polizei von Mundaring, einem kleinen, verträumten Städtchen am Rande des Parkes, gestern Nacht erhalten hatte. Ihr Gesicht sei von Schlägen verschwollen und kaum noch erkennbar. Man ging von einer Vergewaltigung aus, da ihre Innenschenkel von Hämatomen übersät seien. Zum Tode geführt haben jedoch weder die Schläge noch die Vergewaltigung sondern ein Messer, welches der Täter gleich fünf Mal in den Brustbereich der Toten gerammt haben muss. Dies würde jetzt von einer Rechtsmedizinerin abgeklärte, welche gemeinsam mit der Spurensicherung vor Ort seien. Warum die Polizei von Mundaring in Perth angerufen hatte, habe einen einfachen Grund. Es deutete nämlich alles darauf hin, dass das Mädchen aus Perth stammte und hier wohnte.

Edward lief es kalt den Nacken hinunter. Wenn ihm etwas nahe ging, dann Gewaltverbrechen an Kindern und Jugendlichen. In solchen Momenten hasste er seinen Beruf den er sonst mit grosser Leidenschaft seit nun über dreissig Jahren ausführte.

Er bog in die Cambridge Street ein und hielt vor dem Haus seines um zehn Jahre jüngeren Partners Joe daLucchia der sich gerade von seiner Frau und zweien seiner fünf Kindern verabschiedete. Obwohl es erst kurz vor sieben Uhr war, stand Joe wie immer geschniegelt in frischem Hemd und Krawatte da. Edward winkte Jenny, der Frau von Joe, zu. Sie war um die Hüften eindeutig fülliger geworden, stellte Edward fest als er sie aus der Ferne betrachtete. Doch es passte zu ihr. Sie war zweifelsohne eine sehr hübsche Frau.

Joe kam im Laufschritt auf ihn zugelaufen und stieg ein. Sein Rasierwasser, eine Mischung von Sandelholz und Zitrone, breitete sich im Wagen aus.

Edward klärte ihn kurz darüber auf, was er von ihrem Chef erfahren hatte während er durch den lichten Morgenverkehr in Richtung National Highway 94 fuhr. Der Gedanke, was sie in weniger als einer Stunde zu Gesicht bekommen würden schlug auf ihre Stimmung, deshalb schwiegen beide während einem grossen Teil der Fahrt.

"Sie hat sich übrigens riesig über die Blumen gefreut", unterbrach Edward das Schweigen schliesslich mit einem vielsagenden Grinsen.

"Siehst Du? Du Tölpel hättest wieder alles verpatz. Wenn Du mich nicht hättest, Ed!"

Edward konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. "Ja, was würde ich nur ohne dich tun?"

Inzwischen hatten Sie Mundaring erreicht und am Ende des Städtchen bog Edward rechts auf die 207, welche sie zum Picknickplatz führen würde. Es war eine kurze Strecke und schon von weitem sahen sie die Streifenwagen die an der Abzweigung kreuz und quer parkiert standen. Ein etwa fünfundzwanzigjähriger Polizeibeamter mit Aknenarben und korpulentem Körperbau, hielt sie an. Edward und Joe zückten ihre Ausweise, der junge Mann nickte mit rotem Kopf und wies sie mit krächzender Stimme an, den holprigen Weg direkt hinter ihm entlang zu fahren. Nach wenigen Metern tauchten die gelben Absperrbänder auf, die aufgeregt in der Morgenbrise flattern. Sie stiegen aus.

Die würzige Luft roch rein und unverbraucht nach. Ein Eukalyptus hing üppig über den Beamten der Mordkommission. Krächzende Kakadus flogen von Baumkrone zu Baumkrone und fröhlich zwitschernde Wellensittiche begrüssten den noch jungen Tag. Für einen Moment hätte man denken können, alles sei vollkommen. Doch ein Blick auf die Polizeibeamten die mit grimmigen Mienen herum stapften holte sie in die Realität zurück.

Joe und Edward bückten sich unter dem Absperrband hindurch. Ein Polizeibeamter in Uniform trat auf sie zu. Er war ungefähr Mitte bis Ende vierzig mit leichtem Bauchansatz der über seinem schweren Gurt sichtbar war. "Inspektor William Potter", begrüsste sie dieser mit tiefer, kräftiger Stimme "Ich nehme an, Sie sind die Kollegen aus Perth?"

Edward stellte sich und Joe vor. Es folgte ein freundlich distanziertes Händeschütteln.

"Kommen Sie mit", sagte Potter, der anscheinend keine Zeit verlieren wollte, und drehte sich um. "Machen Sie sich darauf gefasst, dass es kein schöner Anblick ist." Er atmete dabei tief durch. Noch immer sass der Schock tief in seinen Gliedern. Solche Mordfälle waren sie hier draussen nicht gewohnt und er hätte anfangs beinahe die Übersicht verloren.

"Wir sind schon die halbe Nacht hier. Ein Team der Spurensicherung ist ebenfalls vor ungefähr zwei Stunden eingetroffen. Die lassen keinen Stein auf dem anderen."

"Kann man schon etwas Genaueres sagen?", fragte Edward der hinter Potter hereilte.

Potter wog den Kopf hin und her. "Wir haben Reifenspuren gefunden und davon Abdrücke gemacht. Da es das ganze Wochenende hindurch immer wieder regnete, sind die ziemlich vielversprechend. Naja, wir werden sehen." Er schwieg für einen Moment während er weiter lief und sich die Stirn mit einem Taschentuch abtupfte. "Die Kollegen sind jedoch überzeugt, dass das Verbrechen nicht hier direkt stattgefunden hat. Es sieht so aus als wurde die Leiche lediglich hier aus dem Wagen geschmissen."

"Wie meinen Sie das?", fragte Joe als sie durch die Büsche schritten und ihm ein Zweig mitten ins Gesicht peitschte. Er fluchte.

"Nun, sie weist eine klaffende Wunde am Kopf auf, die sie sich zugezogen haben muss, als sie jemand aus dem Kofferraum auf den Boden warf."

"Wie bitte?" Joe zog es den Magen zusammen.

Der Inspektor blieb stehen und nickte düster. "Genau. Wie ein totes Tier..."

Er bog einige Zweige zur Seite und sie betraten eine kleine Lichtung auf der ziemliche Hektik herrschte. Weiss gekleidete Beamte der Spurensicherung waren überall. Die Büsche und Gräser an dieser Stelle waren beinahe einen Meter hoch, weshalb es auf den ersten Blick nicht ersichtlich, auf was die Frau, die am Boden kniete, konzentriert war. Doch als Edward ganz dicht an sie heran trat, sah er die nackten Füsse. Sein Blick wanderte den Füssen entlang über die weissen Beine bis hinauf zum Saum eines blauen, zerfetzten Kleides.

Er bemerkte, wie Potter ihn studierte. Sein Herz klopfte heftiger als er fast scheu sein Blick in Richtung Kopf des Mädchen gleiten liess. Erschrocken wich er einen Schritt zurück.

Die kleine, rundliche Frau im Schutzanzug, den die Rechtsmedizin an Tatorten trug, stand auf und warf den Polizisten einen strengen Blick zu. "Bitte nur mit den Handschuhen anfassen!"

Die drei nickten stumm und die Ärztin trat einige Schritte zurück um den Blick freizugeben. Als wäre die Tote ein Kunstwerk wurde sie von der kleinen Gruppe mit zur Seite geneigten Köpfen fast andächtig betrachtet:

Die tote Frau lag auf dem Bauch, die Arme seitlich in einem unnatürlichen Winkel ausgestreckt. Das Kleid war soweit hochgerutscht, dass die unzähligen blauschwarzen Blutergüsse an den Innenschenkeln ersichtlich waren. Der Rücken wies keine grösseren Verletzungen auf. Jedenfalls keine, die Edward von blossem Auge aus hätte feststellen können. Ihr Kopf lag seitlich auf der rechten Gesichtshälfte. Der Mörder hatte nicht einmal davor zurückgeschreckt ihr Gesicht mit Faustschlägen zu bearbeiten. Wie schon an den Innenschenkeln wies sie auch hier schwere Blutergüsse auf. Das linke Auge war komplett verschwollen, das Lid quoll wie eine dicke, fette Wurst über dem rechten Jochbein hervor. Die Haare waren mit rotbrauner Erde versehen und hingen ihr wie ein schützender Vorhang bis zu den Schultern. Edward kniete unter dem strengen Blick der Rechtsmedizinerin zu der Leiche hinunter und schob die Haare mit seiner mit Einweghandschuhen geschützten Händen sanft zur Seite. Er betrachtete lange ihr Gesicht.

Die Messereinstiche in der Brust, die Meyers erwähnt hatte, waren von diesem Winkel aus nicht sichtbar doch alleine die Tatsache, wie die junge Frau misshandelt wurde, bevor der Mörder ihr auch noch ein Messer in die Brust gerammt hatte, zeugte davon, welch geballte Ladung Hass sich in dem Augenblick entladen haben musste. Wer tut so etwas, fragte sich Edward verständnislos. Joe, der neben ihm stand, schnaubte.

Die Rechtsmedizinerin begann mit energischer Stimme die Sachlage zu analysieren während sie sich eine Zigarette anzündete und heftig inhalierte:

"Wie unschwer erkennbar ist, wurde die Frau auf brutalste Art und Weise misshandelt. Fusstritte in die Bauchgegend, Faustschläge ins Gesicht, Vergewaltigung. Sie muss sich heftig gewehrt haben, dass deutet auf die massiven Blutergüsse in den Innenschenkeln hin. Der Täter musste all seine Kraft anwenden um sein Ziel zu erreichen. Es war ein Kampf um Leben und Tod, den sie leider verloren hat."

Die Medizinerin zupfte an ihrem Schutzanzug, indem es unangenehm warm wurde je höher die Sonne stieg, und öffnete etwas den Reissverschluss.

"Können Sie etwas über den Todeszeitpunkt sagen?", fragte Joe.

Die Ärztin schmiss die nur halb gerauchte Zigarette auf den Boden und drückte sie mit wütenden Bewegungen aus. Drei Monate hatte sie es ohne dieses verdammte Nikotin ausgehalten und nun dieser herbe Rückfall. Grimmig blickte sie zu Joe.

"Sie wissen ja, wie schwierig so etwas ist. Aufgrund der Verwesungsstufe und den Fliegenlarven sieht es jedoch ganz danach aus, als wäre sie schon eine ganze Weile tot. Ich würde sagen, sie wurde irgendwann zwischen Samstagnachmittag und später Abend ermordet. Dies wird ihnen Kate McLovely noch genauer erläutern können, sobald wir einige Tests gefahren haben."

Joe nickte.

"Was ist mit den Messerstichen?", fragte Edward, sein Blick immer noch auf das tote Mädchen gerichtet. "Ich sehe nur wenig Blut."

Die Arbeit der Spurensicherung an der Leiche war abgeschlossen und so bückte sich die Rechtsmedizinerin und drehte die Tote sorgfältig zur Seite. Dabei deutete sie auf den Brustbereich welcher mit ausgetrocknetem Blut völlig verklebt war. "Das ist auch einer der Gründe, warum wir davon ausgehen, dass das Mädchen nicht hier ermordet wurde. Der grösste Teil des Blutes war bereits ausgetreten als sie hier deponiert wurde. Sie sehen, die Wunden sind bereits vom eingetrockneten Blut verklebt und am Boden findet man kaum mehr frische Spuren. Was das Messer betrifft können wir mit Sicherheit sagen, dass er eine Art Jagdmesser benutzt haben muss", sagte die Ärztin. "Ich schätze, eines, mit welchem man normalerweis grössere Tiere wie Wallabys oder Wildtiere ausweiden kann. Die Wunden sind sehr tief. Der Täter muss demnach mit voller Kraft zugestochen haben und das gleich fünf Mal, alles im Brustbereich. Sie muss unglaublich viel Blut verloren haben." Sie richtete sich schwerfällig wieder auf, ihre Lippen hart aufeinander gepresst.

Edward brummte etwas Unverständliches und wandte sich dann an Potter, der mit grünem Gesicht einen Meter hinter ihm stand. "Wissen wir, wie das Mädchen heisst?"

"Wir haben eine Handtasche gefunden und gehen davon aus, dass sie der Toten gehört." Seine Arme hingen schlaff neben seinem Körper, seine Hände zu Fäusten geballt. "Er hat sie nicht einmal beraubt. Alles Geld ist noch da. Auch die Ausweise. Nur ein Handy haben wir nirgendwo gefunden."

"Das wird er wohl irgendwo sicherheitshalber fortgeschmissen haben", knurrte Edward ungehalten. "Oder er hat es als Trophäe behalten."

"In den Abfalleimern hier am Picknickplatz ist es jedenfalls nirgends. Ich werde meine Leute instruieren, die Augen entlang der Strasse offenzuhalten. Vielleicht haben wir Glück." Er zuckte wenig überzeugt mit den Schultern und zückte den Ausweis, den er in den mit Plastikhandschuhen geschützten Händen hielt. "Die junge Dame heisst demnach Samantha. Samantha Kowalsky. Siebzehnjährig. Wohnhaft an der Victoria Avenue in Perth."

Edward pfiff durch die Zähne. Eine noble Adresse. Dort unten am Swan River wohnte die obere Mittelschicht. Das erschwerte den Fall gleich deutlich. Er konnte bereits die Meute Anwälte vor sich sehen, die gierig über sie herfallen würden.

Potter blickte ihn fragend an und da Edward keine Antwort gab, beeilte sich Joe, den Kollegen aus Mundaring aufzuklären. "Die Strasse liegt in einem besseren Viertel, direkt unten am Swan River. Meistens bewohnt von Ärzten, Anwälten und Managern."

"Aha", entgegnete Potter nur. Er kannte sich in Perth nicht wirklich gut aus. Mied die Stadt, wann immer möglich. Die Leute dort waren ihm zu gestresst, unfreundlich und überheblich. Er fühlte sich wohl in Mundaring, wo jeder jeden kannte und auf der Strasse grüsste. Es waren einfache Menschen hier, Bauern, Ladenbesitzer und seit neustem auch ein paar Künstler, die sich hier niedergelassen hatten. Es gab viel Natur rund um die Kleinstadt und das Leben tickte einige Takte gemächlicher. Obwohl seine Tochter seit dem Studium ebenfalls in Perth lebte, war er in den zweiundvierzig Jahren seines Lebens erst ganze fünfmal dort gewesen.

Die Gerichtsmedizinerin drehte sich zu den Polizisten um. "Wir werden die Leiche auf Perth transportieren und dort gemeinsam mit meiner Kollegin Kate McLovely obduzieren. Kennen sie McLovely?"

Joe konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. "Wir bearbeiten die meisten Fälle mit ihr. Eine hervorragende Ärztin. Wir werden uns mit ihr in Verbindung setzen."

"Das ist gut. Sie wird Ihnen morgen sicher mehr sagen können."

Joe, Edward und William Potter traten einige Schritte zurück um den Weg für das Team der Spurensicherung frei zu geben. Die Leiche würde in Kürze abtransportiert werden. So wie er Kate kannte, würden sie und ihr Team gleich heute Nachmittag mit den Untersuchungen beginnen.

"Gibt es Zeugen? Irgend etwas, was uns bereits einen Schritt weiter helfen könnte?", fragte Edward an Potter gerichtet.

Dieser schüttelte den Kopf. "Nein. Aber wir werden heute Nachmittag einen Aufruf im Lokalradio starten. Es wäre jedoch zu optimistisch davon auszugehen, dass jemand etwas beobachtet hätte." Wütend begann er zu schnauben. "Wissen Sie, Lampard, das ganze Städtchen ist bereits in heller Aufruhr. So etwas geschieht hier nicht oft und die Leute sind regelrecht in Panikstimmung. Wir kriegen stündlich Anrufe von besorgten Müttern die Angst haben ihre Mädchen in die Schule zu schicken. Einige Männer haben sogar bereits eine Truppe gebildet die durch die Strassen von Mundaring patrouliert. Hat sich dieses Schwein hier irgendwo verkrochen, werden wir ihn finden."

Edward verstand. Es passte ihm zwar nicht, dass private Personen als Schutztruppe unterwegs waren, womöglich bis an die Zähne bewaffnet. Doch wie könnte er dies verhindern?

"Ich kann mir nicht vorstellen, das für die Menschen in Mundaring eine Gefahr besteht. Der Mörder kommt ganz sicher aus dem Grossraum Perth, denn er kannte sein Opfer. Das war keine Zufallsbekanntschaft, da bin ich mir sicher. Aber man kann natürlich nie vorsichtig genug sein." Er klopfte Potter wohlwollend auf die Schulter.

Schweigend trotteten die Männer zurück zu den Wagen.

"Konnten Sie schon mit den beiden Parkwächtern reden, Potter?", fragte Joe während er sein Handy nach Nachrichten durchkämmte.

"Ja. Aber das bringt uns nicht weiter. Die haben lediglich die Leiche gefunden. Mehr wissen die bestimmt nicht."

Es würde Ihnen nichts weiter übrig bleiben als den Bericht der Spurensicherung und der Obduktion abzuwarten. Inspektor Potter würde die Ermittlungen von Mundaring aus weiter führen und sich nach Zeugen und Hinweisen aus der Bevölkerung konzentrieren, während Edward und Joe auf Perth zurückfahren würden um den Eltern des toten Mädchens einen Besuch abzustatten bevor die Medien davon Wind bekamen und in Scharen vor ihrem Haus auftauchen würden. Da nun der Name des Mädchens bekannt war, würde dies erfahrungsgemäss nicht mehr lange dauern und die ersten Bilder und Berichte würden im Internet und Fernseher erscheinen. Und genau das wollte Edward verhindern. Die Eltern sollten von dem brutalen Mord an ihrer Tochter nicht auf diese Weise erfahren. Niemand sollte das.

Edward wählte die Nummer von Meyers während Joe den Highway 94 entlang brauste, auf direktem Weg an die Victoria Avenue in Perth.

"Alfred", rief er in den Hörer als er seinen Chef an der Leitung hatte, "schick doch bitte Jimmy und Lizzy hinunter an die Victoria Avenue.. Ja, sofort! Nein... Kowalsky heisst die Familie und ihre Tochter Samantha Kowalsky. Genau..sie sollen vor allem sicherstellen, dass keine Medienleute antraben. Wir sind in ungefähr....", er sah kurz auf die Uhr und zu Joe hinüber der ihm etwas von dreissig Minuten zuflüsterte. "In dreissig Minuten werden wir dort sein."

Eine Minute später rief ihn sein Chef zurück. Lizzy und Jimmy seien unterwegs. Nun wollte er noch alle furchtbaren Details zu dem Fall erfahren.

Seit dem letzten Mordfall waren Jimmy Redcliff sowie Lizzy O'Bryan fester Bestandteil der Mordkommission geworden. Edward war sich sicher, dass die beiden die geeigneten Worte finden würden um die Eltern von Samantha auf ihre Ankunft vorzubereiten. Die beiden waren zwar noch ziemlich jung, jedoch sehr engagiert und mit glänzenden Karriereaussichten.

Jimmy, ein Spezialist im IT-Bereich, hatte seine Sporen in der Sondereinheit für organisiertes Verbrechen der Polizei abverdient. Er war ein ruhiger, besonnener Mensch demgegenüber die eher quirlige Lizzy stand, welche ihr Temperament oft schwer zügeln konnte. Halb Aborigine, halb Indonesierin brachte sie einen willkommenen Farbtupfer in das Männerteam der Mordkommission. Es war spannend, die Fälle aus der Perspektive einer Frau zu diskutieren. Ihre Betrachtungsweise war oft viel mehr auf Details ausgerichtet als dies bei den Männern der Fall war.

Er hatte Meyers beim Gespräch darauf hingewiesen, dass sie zwar eine Handtasche gefunden hätten und das Foto ziemliche Ähnlichkeit mit Samantha aufwies, aber bis zu einer Identifikation könnten sie nicht beschwören, ob es sich bei der Toten tatsächlich um Samantha handelte. Joe hatte diverse Fotos von der jungen Frau gemacht. Sie hofften, dass aufgrund der Bilder die Kowalsky's ihre Tochter identifizieren konnten.

-

Melanie lag zusammengekauert auf ihrem Bett. In ihren Ohren dröhnte Musik aus dem MP3 Player. Seit Stunden starrte sie abwechslungsweise wütend und dann wieder hilflos und traurig die weisse Wand ihr gegenüber an, welche einzig mit einem Poster der britischen Band MUSE verziert war. Ihre Mutter kam in regelmässigen Abständen in ihr Zimmer und versuchte, sie zum Reden zu bringen. Doch Melanie hatte keine Lust auf endlose Gespräche und gut gemeinte Ratschläge. Sie wusste ja selbst nicht, was sie von dem allem halten sollte. Klar, sie verstand die Sorgen ihrer Mutter. Nachdem sie Melanie am Freitagabend völlig durcheinander auf der Treppe des Golfklubs vorgefunden hatte, wollte sie sofort eine Anzeige bei der Polizei gegen Randy machen. Doch Melanie hatte sie nur wütend angefaucht. "Bist Du wahnsinnig?Da hab ich gleich die ganze Schule gegen mich!", hatte sie gerufen. Sie konnte sich die dummen Sprüche bereits vorstellen. Nein, das war wirklich das Letzte, was ihr jetzt noch fehlte. Trotzdem, wenn sie die Augen schloss, wie gerade jetzt, sah sie immer wieder diesen irren Blick von Randy vor sich. Wie seine dunklen Pupillen ihr das Blut in den Adern hatten gefrieren lassen. Dann sein Biss in ihre Lippen und sein eiserner Griff um ihre Brust. Davon hatte sie ihrer Mutter wohlweislich nichts erzählt. Sie wäre ganz sicher gleich komplett ausgeflippt. Sie hatte ihr sowieso nicht viel erzählt. Nur, dass es ein bisschen ausgeartet sei.

Ihre Hand tastete ihren Mund ab. Eine kleine Kruste hatte sich gebildet. Wenn sie mit der Zunge darüber fuhr, brannte es sogar noch immer ein bisschen. Heisse Tränen liefen über ihre Wangen und sie schluchzte in ein Kissen.

Was sollte sie nur tun? Heute würde sie jedenfalls nicht zur Schule gehen. Immerhin darin waren sie und ihre Mutter sich einig gewesen. Sie würde sich sowieso nicht konzentrieren können.

In wenigen Minuten würde ihre Mutter zur Arbeit aufbrechen, dann hatte sie endlich Zeit, ihre Gedanken zu ordnen. Und später, heute Abend oder so, würde sie ihrer Mutter vielleicht mehr erzählen. Aber nur vielleicht. Sie prüfte bereits zum dritten Mal ob ihr Handy auch tatsächlich ausgeschaltet war und legte es weit weg von sich.

Zuerst noch ein bisschen schlafen und dann über alles gründlich nachdenken. Eine tiefe Erschöpfung überkam sie und nachdem sie die letzten Nächte kaum geschlafen hatte, fiel sie endlich in einen traumlosen, unruhigen Schlaf.

-

Das Haus der Kowalsky's lag wie erwartet an bester Lage. Ein flacher, langgezogener Bungalow mit grosszügiger Auffahrt, sorgfältig manikürtem Rasen gesäumt von üppigen Rosenbüschen, von denen in dieser Jahreszeit jedoch nur wenige blühten. Vor dem Garagentor waren ein weisser Mercedes Coupé und ein Ungetüm von Range Rover parkiert bei deren Anblick Edward jeweils die Galle hoch kam. Typische Fahrzeuge von Leuten, die mit ihrem Geld protzen wollten. Er verzog sein Gesicht verächtlich zu einer Grimasse.

Sie parkierten direkt hinter dem zivilen Polizeiwagen von Jimmy Redcliff und stiegen aus. Joe klingelte und die Türe wurde wenige Sekunden später von einem Mann aufgerissen, dessen Ausstrahlung auf den ersten Blick bemerkenswert war. Hochgewachsen, stahlblaue Augen, dunkelblauer, sündhaft teurer Anzug, blütenweisses Hemd, registrierte Edward wobei sein Blick auf den stahlblauen Augen des Mannes vor ihm verweilten. Es war bemerkenswert welch eine Dominanz und Schonungslosigkeit sie auch bei einem so tragischen Ereignis wie jetzt noch zu ausstrahlen vermochten. Nur tiefe Schatten deuteten darauf hin, welch ein Grauen der Mann gerade durchlebte.

"Dr. Kowalsky", stellte sich der Mann mit passend tiefer Stimme vor, ohne ihnen die Hand zu reichen. "Bitte treten sie ein." Er trat einen Schritt zur Seite und machte den Eingang frei. "Ihre Kollegen sind im Wohnzimmer."

Edward's Blick glitt über das makellose Interieur, welches mit viel Geschmack und noch mehr Geld eingerichtet war.

"Ich hoffe, Sie können uns endlich erklären, was dies alles zu bedeuten hat. Ihre Kollegen tauchen hier auf, erzählen wirres Zeug von einer Leiche, die man gefunden hat und erschrecken meine Frau und mich beinahe zu Tode." Kowalsky versuchte, die Fassung zu wahren, doch Edward sah einen tiefen Schmerz in seinen Augen sitzen und wusste, dass der Mann vor ihm die Wahrheit bereits kannte.

"Herr Kowalsky, können Sie mir sagen, wo sich ihre Tochter Samantha gerade aufhält?", fragte Edward an den Mann gewandt.

"Nein, das kann ich nicht. Wir haben sie seit Samstag früh nichts mehr von ihr gehört."

Kowalsky wandte den Blick ab.

Edward räusperte sich. "Ich verstehe. Haben sie eine Vermisstenanzeige aufgegeben?"

Wieder ein Kopfschütteln und ein Schulterzucken.

"So ungewöhnlich war das nicht. Ernsthafte Sorgen machten wir uns erst gestern Abend. Normalerweise ist Samantha an einem Sonntagabend immer zuhause. Wir telefonierten ihren Freundinnen und nachdem dies auch nichts brachte und wir Sam auf ihrem Handy nicht erreicht hatten, wollte ich gleich heute früh zur Polizei."

Obwohl das Verhalten der Kowalsky's ihm fremd und seltsam erschien, ging Edward nicht weiter darauf ein.

"Sie müssen jetzt stark sein, Herr Kowalsky, aber ich fürchte, dass es sich bei dem Mädchen um ihre Tochter handelt. "

Kowalsky schloss für einen Augenblick qualvoll die Augen, sagte jedoch kein Wort und führte Edward wenig später in das Wohnzimmer in welchem eine grosse, schlanke Frau mit hellbraunen, halblangen Haaren auf einem Sofa sass.

Auf einem einzelnen Sessel schräg gegenüber sass Lizzy, nickte ihrem Chef und Joe schweigend zu während Jimmy zu ihm trat und ein kurzer Wortwechsel stattfand. Dann trat Jimmy hinüber an die Fensterfront und lehnte sich an ein Sideboard aus Teakholz und überlies seinem Chef die weitere Führung.

"Das kann einfach nicht sein. Wer hätte ein Interesse daran, meine Tochter zu ermorden? Das alles muss ein riesiger Irrtum sein", Kowalsky's Stimme hinter ihm versagte während Edward seine Augen nicht von der Frau auf dem Sofa liess. Die Frau wirkte steif, distanziert und, das fand er besonders eigenartig, vollkommen gefasst. Keine Träne, kein Zusammenbruch, kein Aufschluchzen. Das war ungewöhnlich. Hatte Kowalsky nicht gesagt, sie wären beide zu Tode erschrocken gewesen als die Mordkommission hier aufgetaucht war?

Die Frau schien ihn kaum wahrzunehmen und so drehte er sich wieder zu Herrn Kowalsky um. Er griff nach einem grossen Plastikbeutel, in welchem sich die Handtasche befand, die sie am Tatort gefunden hatten, und hielt sie hoch. "Ist das die Tasche ihrer Tochter, Herr Kowalsky?"

Dr. Kowalsky schoss auf ihn zu und griff nach der Tasche.

"Bitte öffnen Sie den Beutel nicht", ermahnte ihn Edward. "Die Tasche muss noch von der Spurensicherung untersucht werden."

Kowalsky nickte während er die Tasche durch den Plastikbeutel musterte als hätte er noch nie so etwas gesehen. Sein Frau bewegte sich noch immer nicht, starrte jedoch ebenfalls mit weit aufgerissenen Augen auf die Tasche in der Hand ihres Mannes und murmelte kaum hörbar:

"Das ist die Tasche von Samantha..."

"Wir haben sie unmittelbar neben der Leiche gefunden", begann Edward und atmete tief durch. "Ich muss sie leider bitten, sich einige Fotos anzusehen."

Edward wollte ihm Aufnahmen der Kleidungsstücke, Finger- und Ohrringe zeigen, welche zur Identifizierung dienen würden. Bilder des Körpers seiner misshandelten und ermordeten Tochter würde er dem Ehepaar jedoch wohlweislich vorenthalten. Dazu war später noch genügend Zeit. In den kühlen Räumen des Rechtsmedizinischen Institutes.

"Zeigen Sie schon her", unterbrach ihn Kowalsky mit der ungeduldigen Art eines Anwaltes. Noch klammerte er sich an die zunehmend schwindende Hoffnung, dass es sich bei der Tote nicht um seine Tochter Samantha handelte.

Edward gab Joe ein Zeichen, die Fotos, die sich auf seinem Tablet Computer befanden, den Eltern zu zeigen.

Kowalsky setzte sich neben seine Frau auf das Sofa und Joe quetschte sich dazwischen. Konfrontiert mit der schonungslosen Realität der Bilder, wich bei dem Ehepaar sämtliche Farbe aus den Gesichtern. Kreidebleich und fassungslos starrten sie auf die Fotos welche eindeutig Kleider und Schmuck ihrer Tochter zeigten. Es war kein Zweifel, die Ermordete war ihre Tochter Samantha. Eine betroffene Stille machte sich breit.

"Oh mein Gott..." war alles, was Kowalsky schliesslich mit heiserer Stimme hervor brachte. Sein Körper versteifte sich. Eine ohnmächtige Wut stieg in ihm auf. Seine Frau schlug ihre Hände vor das Gesicht und stöhnte schmerzvoll auf.

"Dieser - Mistkerl. Er - hat meine Tochter also niedergestochen wie - wie ein Schwein haben sie gesagt?", würgte Kowalsky hervor und blinzelte in Richtung Decke während er seine Nasenwurzel wie wild rieb. Es war mehr eine Tatsache als eine Frage und so schwieg Edward.

Was hätte er auch erwidern sollen? Das die Tat völlig sinnlos sei? Das der Täter in kaltem Hass wie ein Wahnsinniger auf Samantha eingestochen haben musste? Dazu mit einem Jagdmesser? Darüber verlor er kein Wort. Der Schmerz und die Ohnmacht die die Eltern jetzt durchliefen war furchtbar genug.

Es herrschte für einen langen Augenblick eine beinahe unnatürliche Stille, dann richtete sich Edward an den Vater.

"Sie sind doch Anwalt, Herr Kowalsky?", fragte Edward.

Kowalsky strich sich mit seinen schlanken, zitternden Händen durch das lichte, leicht ergraute Haar. "Wirtschaftsanwalt", korrigierte er völlig überflüssig und wie benommen wandte er sich Joe zu, der noch immer zwischen ihnen sass. "Zeigen Sie mir bitte noch einmal die Bilder."

Joe übergab ihm sein Tablet und Kowalsky studierte jede einzelne Aufnahme, als müsste er sie für die Ewigkeit in sein Gedächtnis brennen. Kein Zweifel, das tote Mädchen war Samantha. Seine kleine Tochter Samantha. Wie aus dem Nichts tauchten Bilder aus ihrer Kindheit vor ihm auf. Er sah Samantha glücklich jauchzend auf ihrer Schaukel, die sie an einem knorrigen Apfelbaum montiert hatten und von der sie nie genug kriegen konnte. Ihre erste Zahnlücke, ihren zehnten Geburtstag an dem sie sich beim Skifahren den Arm gebrochen hatte und er sie mit viel Erdbeereis getröstet hatte. All diese Erinnerungen liessen in ihm einen Schmerz aufkeimen, der so unerträglich war, dass er nicht wusste, wie er ihn je ertragen sollte. Gleichzeitig spürte er einen tiefen Hass dem Täter gegenüber und er schmiss das Tablet unsanft neben sich auf das Sofa, sprang auf. Er trat dicht vor Edward, seine Hände drohend zu Fäusten geballt.

"Finden Sie dieses Schwein, Inspektor. Oder ich werde ihn finden und dann... dann Gnade ihm Gott!", zischte er und Edward zweifelte keinen Moment an seinen Worten.

Er konnte die Reaktion des Vaters verstehen. Hätte er eine Tochter und würde ihr das widerfahren, was mit Samantha geschehen war, er würde genau gleich reagieren.

Er wusste, dass Kowalsky sich für die Tat mitverantwortlich fühlte. Dennoch musste er seinen Rachefeldzug verhindern.

Kowalsky drehte sich ab und liess sich auf einen Sessel fallen, den Rücken nach vorne gebeugt, sein Gesicht in den Händen vergraben. Er hatte seine Tochter nicht beschützen können. Ein Vater musste immer seine Familie beschützen, das war einfach so. Er hatte versagt. Jämmerlich versagt. Am Samstagabend war er an einem Geschäftsessen gewesen. Hatte mit unwichtigen Menschen Champagner getrunken und Roastbeef gegessen, während irgend ein Psychopath seine kleine Tochter verprügelt, vergewaltigt und brutal erstochen hatte. Sie hatte Todesangst gehabt, unerträgliche Schmerzen, vielleicht nach ihm gerufen 'Daddy, hilf mir!' und er war genau in dem Augenblick der wirklich wichtig gewesen wäre, nicht da gewesen. Nicht einmal gespürt hatte er, dass seine Kleine in Todesgefahr gewesen war.

Tränen der Verzweiflung und ohnmächtiger Wut stiegen in ihm hoch.

Frau Kowalsky, die noch immer wie versteinert da sass und das Ganze verfolgte als wäre es eine billige Theateraufführung, sah zu ihrem Mann hinüber mit einer Mischung aus Abscheu und Erstaunen.

"Frau Kowalsky", Edward richtete sich an die Ehefrau, "ich werde Ihnen beiden nun einige Fragen stellen müssen. Geht das in Ordnung?"

Ihr Blick glitt wie in Zeitlupe von ihrem Mann hinüber zu dem breitschultrigen Inspektor der noch immer mitten im Raum stand und sie mit seinen durchdringenden Augen durchbohrte. Unsichtbare Fäden liessen ihren Kopf wie eine Marionette nicken.

"Wann haben Sie ihre Tochter zuletzt gesehen?"

Sie räusperte sich und legte die Stirn in Falten während er versuchte, sich zu konzentrieren. "Am Samstag in der Früh, gegen halb neun denke ich. Ich ging zum Tennisunterricht und Samantha sass am Frühstückstisch."

"Und Sie, Herr Kowalsky?"

"Mein Mann hatte zu dem Zeitpunkt das Haus bereits verlassen", mischte sich seine Frau ein.

"Danach haben Sie ihre Tochter nicht mehr gesehen?"

Ein stummes Kopfschütteln von beiden.

"Hat Samantha Ihnen erzählt, was sie an dem Tag vor hatte?"

"Ich glaube, sie wollte sich mit ihren Freundinnen bei Starbucks treffen."

"Sie glauben, sie wollte sich mit ihnen treffen?", fragte Edward irritiert.

Frau Kowalsky zuckte nur mit den Schultern. Wieder nahm sie diesen distanzierten Ausdruck an, den sie schon aufgesetzt hatte, als Edward und Joe vorhin zur Türe herein getreten waren.

"Ihre Tochter war siebzehn!", erwiderte Edward verständnislos. Müsste da eine Mutter nicht wissen, wo sich ihre Tochter aufhält?

"Worauf wollen Sie hinaus Inspektor?" Sie sah ihn herausfordernd an, ihre Augen begannen kampflustig aufzublitzen.

Herr Kowalsky schritt nun ebenfalls zurück zum Sofa auf dem sich seine Frau befand, und setzte sich wieder neben sie. Nicht etwa mit einem beschützenden Arm, den er um sie legte. Zu solchen Zärtlichkeiten war das Ehepaar seit Jahren nicht mehr fähig. "Sam war sehr selbständig Herr Inspektor", fügte Kowalsky den Ausführungen seiner Frau hinzu und warf ihr einen tadelnden Blick zu der Edward nicht entging. "Wir haben ihr immer viel Freiraum zugestanden damit sie sich entfalten konnte. Aber vielleicht können Sie mir erklären, was ihre völlig überflüssige Bemerkung mit dem Tod meiner Tochter zu tun hat? Finden Sie damit den Mörder schneller?" Jetzt drang definitiv der zynische Anwalt durch.

"Wir müssen uns ein Bild von ihrer Tochter und ihrem Umfeld machen können. Nur so können wir verstehen, was sich abgespielt haben könnte."

Kowalsky sah ihn zweifelnd an doch Edward liess sich nicht beirren.

"Könnten Sie mir bitte die Namen und Adressen dieser Freundinnen, mit denen sich ihre Tochter treffen wollte, nennen, Frau Kowalsky?", mischte sich nun Joe ein und zückte sein Notizbuch.

"Ellie Waters und Rebecca Miller. " Kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. "Die drei gehen zusammen ans Taylor College." Sie nannte Ihnen deren genauen Anschriften.

Joe notierte alles fein säuberlich, auch den Namen der Professoren, die Ihnen Herr Kowalsky mitteilte da seiner Frau die Namen entfallen zu sein schienen.

"Als Samantha am Samstag Nacht und auch gestern nicht nach Hause kam, wurden Sie da nicht stutzig?", frage Joe weiter.

"Nein. Das war nicht weiter ungewöhnlich."

Als Kowalsky die irritierten Blicke der Beamten bemerkte, ergänzte er schnell:

"Meine Frau ist eine vielbeschäftigte Augenärztin und gibt Vorträge in ganz Australien. Ich bin wie gesagt Wirtschaftsanwalt. Ebenfalls sehr engagiert", er hüstelte überheblich. "Es war ganz normal für Samantha öfters alleine zu sein und manchmal hat sie spontan bei einer ihrer Freundinnen übernachtet."

"Ohne es Ihnen mitzuteilen?" Joe's Verständnis wurde arg strapaziert.

Nun war es an Frau Kowalsky ihm einen eisigen Blick aus zusammengekniffenen Augen zuzuwerfen. "Ich glaube nicht, dass wir Ihnen eine Erklärung schuldig sind, wie wir unsere Tochter zu erziehen haben."

"Im nachhinein betrachtet wäre es wahrscheinlich besser gewesen, wir hätten von Sam verlangt, uns jeweils bescheid zu geben, bei wem sie sich aufhielt." Kowalsky versuchte, das Image der Familie aufzupolieren und brachte dabei seine Frau gegen ihn auf.

"Was redest Du da?", fauchte sie ihn an. "Wir haben uns doch nichts vorzuwerfen!"

"Natürlich haben wir das. Du siehst ja..."

"Was? Was sehe ich? Ein Psychopath hat unsere Tochter geschnappt und brutal ermordet! Abgeschlachtet hat er Samantha! Vergewaltigt! Was zum Teufel hat unsere Erziehung damit zu tun?"

"Ihr Mann...", begann Edward einlenkend, wurde aber sogleich wieder unterbrochen.

"Sie..", Frau Kowalsky sprang auf und deutete mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger auf Edward. "Sie halten verdammt nochmal die Klappe. Alles was Sie zu tun haben, ist der Mörder meines Babys zu finden. Nicht mehr und nicht weniger. Haben wir uns verstanden?"

Damit drehte sie auf ihren steilen Absätzen um und rauschte Türe schmetternd aus dem Raum.

Für einen Moment herrschte peinliches Schweigen.

"Tut mir leid. Sie meint das nicht so." Kowalsky zupfte an seiner Krawatte. "Sie ist einfach ziemlich durcheinander."

Edward winkte ab, nicht interessiert weiter auf die für ihnen seltsam gefühlsarmen Verhältnisse der Familie Kowalsky einzugehen. Er hatte einen Fall zu lösen und da waren noch ziemlich viele Fragen offen.

"Herr Kowalsky, hat sich Ihre Tochter in den letzten Tagen seltsam verhalten? Gab es einen neuen Freund oder jemanden, den sie vielleicht kennen gelernt hatte?"

Kowalsky schüttelte den Kopf. "Nicht, dass ich wüsste. Sie war wie immer."

"Gab es vielleicht einen rachsüchtigen Ex-Freund? Wurde sie bedroht?"

"Nein..nein. Sie hatte keinen Ex-Freund. Sie..sie ist..war meine ich, überall sehr beliebt."

Er sah Edward hilflos an. "Hören Sie Inspektor Lampard. Das alles macht absolut keinen Sinn. Niemand hatte einen Grund meine Tochter zu ermorden."

Wieder strich er sich mit der Hand durch die Haare.

"Ich verstehe", erwiderte Edward. Er hatte fürs Erste genug gehört.

Auf dem Weg zur Tür verabredete Edward mit Kowalsky noch einen Termin bei der Gerichtsmedizin zur Identifikation der Leiche. "Das muss leider sein."

Kowalsky nickte während er sich erschöpft die Augen rieb. Die Bilder waren scheusslich genug gewesen. Seine Tochter kalt und leblos auf einem Tisch liegen zu sehen, würde nochmal etwas anderes sein. Er hatte noch eine Ahnung, wie er diesen furchtbaren Anblick ertragen sollte.

Draussen bei den Wagen konnte sich Lizzy nicht länger zurückhalten. Die drahtigen Zöpfe der jungen Frau, hüpften auf und ab. "Was für ein schreckliches Paar", zischte sie. "Was für eine gefühlskalte, furchtbare Mutter! Ich fasse es nicht. Ihre Tochter war verdammt noch mal erst siebzehn Jahre alt. Siebzehn!" Sie schlug ausser sich vor Wut mit der flachen Hand auf das Autodach. Jimmy Redcliff, der stets besonnene, nachdenkliche junge Polizist konnte seine Kollegin nur unterstützen. "Es würde mich nicht wundern, wenn sich herausstellen würde, dass Samantha alles andere als das brave Mädchen war, für die sie ihr Vater zu halten schien."

Edward dachte über diese Aussage von Jimmy nach. "Könnte tatsächlich sein, dass die Tochter das eine oder andere Geheimnis vor ihren Eltern hatte. Kommt, Meyers wartet auf unseren Bericht."

Tod unter Eukalyptusbäumen

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