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Kapitel 2
ОглавлениеDerweil ich mich voll auf das Castle konzentrierte und somit sauber abgelenkt war, verschwendete ich null Gedanken an etwaige Umtriebe des Dämonfürsten. Jener heckte in London seinen fintenreichen Schachzug gegen Joerdis und ihre Anhänger aus. Einerseits führte er sowohl Elin als auch die Sternelben in Berlin blindlings um die Fichte. Die von ihm längst mobilisierten Dämonen polterten keineswegs in großen Horden gen Hauptstadt. Der Fürst ließ sie unauffällig über sämtliche Landesgrenzen eintröpfeln. Mal zwei, mal drei seiner Sklaven reisten als unsichtbare Passagiere per Nachtzug, Lkw oder Schiff aus den umliegenden Ländern an. Also die klassische Salamitaktik. Seine bestialische Mobilisierung reichte von den Alpenländern bis ins südliche Schweden.
Doch die Lichtgeschöpfe pflegten allen Unterweltwarnungen zum Trotz ihren entrückten Sphärengesang.
Andererseits störte den Herrn der Grüfte mein offensichtliches Interesse für die Highlands. Aus diesem Grund hatte er bereits vor etlichen Wochen in nächtlicher Heimlichkeit den schwarzmagischen Fluss aus den Höhlen unter Burg Amhuinn zu seinen mächtigen Doraodhs vervielfacht. Allerdings stieß der Dämonfürst selbst in seinen abartigsten Traumfantasien nicht auf die Verrücktheit, ich könnte abermals in seine Höhlen eindringen, nachdem das Sternsilber von dort gestohlen war.
Bevor Alexis und ich am folgenden Morgen aus meinem Gartenhaus nach Lightninghouse aufbrechen konnten, um dem Doraodh endgültig aufs Blut zu rücken, traf ein Hilferuf der Sphäre für Katja ein.
„Alexis, schwöre mir, dass du dich weder dem Dachboden noch den Höhlen allein näherst“, verlangte ich und ließ ihn zugleich meine ängstliche Sorge spüren.
„Ruhig Blut, Lil, du hast mein Ehrenwort.“
„Kommst du heute Abend hierher?“
„Versprochen.“
Ein hastiger Kuss, schon verschwanden wir auf getrennten Wegen.
Im Konferenzraum des Berliner Kriminalkommissariats liefen bei meinem Eintreffen hitzige Spekulationen über das von einem Hund-Herrchen-Gespann aufgeschnüffelte Laubgrab in der Jungfernheide. Kein „guten Morgen, schön dich mal wieder zu sehen“, tönte mir entgegen. Stattdessen wild durcheinander geschossene Fragen, noch bevor ich auf meinem Hintern saß.
„Wer war es?“ „Seit wann liegt die Frau da?“ „Wieso konntest du das denn nicht verhindern?“ Und so fort.
„Euch ebenfalls einen wundervollen Morgen, meine Lieben.“
Katja kam aus ihrem Büro herbei geeilt. Problemlos übertönte sie den Lärmpegel ihrer Mannschaft. „Setzt euch, damit wir anfangen können.“ Und an mich gewandt, kurz und knapp: „Startklar?“
Da meine Miene ehrlicherweise eine Mischung aus Ekel und Trauer ausdrückte, schlug die mannschaftliche Jagdstimmung sekundenschnell in angespannte Aufmerksamkeit um.
„Der Hund hat eine Leiche freigebuddelt“, eröffnete ich. Mein nachfolgender Blick in die Runde verursachte leise Stöhnlaute.
„Wieviele insgesamt?“, fragte die Chefin ergeben.
„Fünf.“
Heftiger Tumult brach sich Bahn, den ich per Handzeichen abwürgte. „Vielleicht erinnert ihr euch noch an den vertrackten Fall einer weit verzweigten Sippe, deren Ehefrauen vor zwei bis sechs Jahren spurlos verschwanden. Der Täter, oder präzise ausgedrückt, die Mörderin, wurde nie gefasst.“
„Eine Serienmörderin?“, krakeelte Jan dazwischen. „Das wird ja immer besser!“
„Das uralte Motiv der Rache“, fuhr ich unbeirrt fort, „einer von ihrer angeheirateten Großfamilie niemals akzeptierten Frau. Svenja Oldenburger machte die getöteten Ehefrauen für das Scheitern der eigenen Ehe verantwortlich“, erklärte ich weiter. „Tatsächlich lag sie mit der Vermutung, dass ihre Opfer lustvoll gegen sie Intrigen gesponnen hatten, richtig.“ Andererseits verbarg die Mörderin hinter ihrer glatten Botoxfassade eiskalte Eigenschaften wie Raffgier oder Geltungssucht.
„Wo steckt die Täterin?“, holte Rachel mich an Ort und Stelle zurück.
„In London.“ In Gedanken fügte ich hinzu: „Seltsamerweise.“
Katja stellte ein Team zusammen, dem ich die Lage der weiteren Gräber im Wald würde zeigen müssen.
„Sekunde mal!“, rief John. „Sie hat die Leichen quer durch Deutschland extra nach Berlin geschafft?“
„Ja, ganz klassisch im Kofferraum diverser Leihwagen. Frau Oldenburger wollte bei gelegentlichen Spaziergängen auf ihren Opfern herumtrampeln können, deshalb.“
„Äh, Lilia“, meldete sich Björn zu Wort, „in deiner angelegten Datei fehlt das Kapitel für die Spurensicherung. Bei mir ist da nur ein Strich.“
„Weil keine Spuren mehr existieren, Björn.“
Fassungsloses Raunen allseits, durchbrochen von Katjas Ausruf: „Heißt das, sie geht uns durch die Lappen?“
Sämtliche ungläubig aufgerissenen Augen fixierten mich.
Ein undeutliches Bild, kaum mehr als eine Ahnung, bewog mich zu der halbwegs akzeptablen Andeutung: „In London habe ich demnächst ohnehin einige Dinge zu erledigen. Mag sein, dass sich unsere Wege dort kreuzen werden, wie man so schön sagt. Leider ist das alles, was ich momentan beisteuern kann.“
Zum ersten Mal erlebte das Team durchweg fassungslos, dass es einen Mörder nicht auf dem Silbertablett serviert bekam.
Bevor ich mit drei Kollegen in die Jungfernheide aufbrach, raunte ich Katja zu: „Abendessen, 20 Uhr, bei mir.“ Bereits zu lange drückte ich mich davor, meine Freundin wegen London vorzuwarnen.
Katja warf mir einen halb misstrauischen, halb verunsicherten Blick zu, den garantiert ihr wacher Instinkt fabriziert hatte. Und der ahnte mal wieder, woher der nächste Problemberg heranwalzen würde.
„Du willst heute Abend mein Weinreservoir plündern“, neckte ich Katja, als sie per Taxi am Gartenhaus eintraf.
„Hab schon wieder vergessen, die marode Autobatterie aufzuladen. Insofern ist dein Weinregal zur Plünderung anvisiert.“
„Du kannst meinen Wagen haben.“
„Das nullachtfuffzehn Ding? Nee danke, ich liebe meinen Oldie.“
„Na los, rein mit dir, sonst verkohlt die Pizza.“
„Jetzt willst du mich aber echt verkohlen, ausgerechnet du und Pizza.“
Lachend und schwatzend, wie üblich ohne einen Satz an die Arbeit zu verschwenden, genossen wir unser mediterranes Küchenbuffet.
Kaum lehnte sich Katja satt und zufrieden auf ihrem Stuhl zurück, kam sie mir beim ernsteren Teil der Zusammenkunft zuvor.
„Rachel, unsere smarte Hamburger Deern, läuft neben der Spur. Ich habe munkeln hören, es geht dabei um dich. Ansonsten hätte ich sie mir selbst mal vorgeknöpft.“ Erwartungsvoll schaute sie herüber.
„Rachel ist zutiefst frustriert. Und diesen Frust kann ich ihr leider nicht von der Seele zaubern.“
„Worüber denn? Sie läuft doch super bei uns mit.“
„Über ihre vergebliche Hoffnung, dass Glaube und Wille sie so ähnlich werden lassen, wie ich es bin. Pater Raimund erzählte kürzlich, dass sie häufiger in Santa Christiana auftaucht. Sie versucht wohl, Sternenlicht herbei zu meditieren.“
„Nee echt?!“ Katja machte ein Gesicht, als hätte sie eine Geisterscheinung. „Redest du mit ihr? Bitte!“
„Ja, aber sei gewarnt, schlimmstenfalls verlässt Rachel dein Team.“
Katja zuckte zusammen. „Das musst du unbedingt verhindern! Sie ist unser Ass, vor allem, wenn du fehlst.“
„Womit wir beim nächsten Thema wären.“
„Sag bloß noch, du gehst gleich wieder fort!“
„Doch, Katja, genau das tue ich.“
Ihre ständig sich bewegenden Hände erstarrten ineinander geknotet. „Aber…!“
„Hör zu. Du weißt, meine eigentliche Aufgabe besteht nicht darin, für euch Mörder zu jagen. Deshalb muss ich nach London – ohne Garantie…“ Mitten im Satz schluckte ich den beängstigenden Rest über Leben oder Tod hinunter. „Wie tot würde ich als Halbelbe eigentlich sein, wenn ich tot wäre?“, schoss es mir durch den Kopf. „Aber sonst hast du keine Probleme?“, motzte mein Alter Ego.
Währenddessen saß Katja stocksteif wie eine Wachsfigur auf ihrem Platz.
„Unsere Freundschaft kämpft mit einem zum Zerreißen gespannten Seil gegen eine unüberbrückbare Schlucht, bevölkert von Elben und Dämonen.“ Energisch rief ich mich zur Ordnung, suchte nach tröstenden Worten für sie. Aber vergeblich.
In das schmerzhafte Schweigen hinein griff jede von uns nach ihrem Weinglas.
„Trinken wir auf diesen unvergleichlichen Supersommer!“, rief Katja aufgesetzt fröhlich aus.
„Auf dass er die Sturmfront möglichst lange fernhält?“, packte mein Alter Ego ungefragt einen Schlag ekligen Senf oben drauf. „Wie überaus tröstlich, dass deine Zugaben geruchsneutral sind.“
„Hey, bist du noch da?“, flüsterte Katja angesichts meines abwesenden Blicks mitsamt meinem unsinnig in der Luft schwebendem Glas.
„Ja – sicher.“
„Na komm schon, erzähl von London.“
Wie gerne wäre ich ihrer Aufforderung gefolgt! „Liebste Freundin, ich darf und will nicht, um deinetwegen.“ Dann kam mir ein Hilfsgedanke. „In Berlin herrscht seit der Horrornacht wieder Ruhe. Ich besuche London, damit es so bleibt.“
„Allein?“, fragte sie schaudernd.
„Alexis wird mich hoffentlich begleiten.“
„Aber dir steht dort kein Team zur Verfügung!“
„Es wäre bei meinem speziellen Vorhaben ohnehin nutzlos, Katja.“
Sie spürte, dass dieses Thema beendet war. „Lil…“ Ihre instinktive Furcht, mich nie wieder zu sehen, schnürte ihr die Kehle zu.
„Hey, Lil. So traurig?“ Alexis war bereits aus Schottland zurückgekehrt. Seine langen Beine lässig über den Couchtisch gestreckt, hatte er im Wohnzimmer auf das Ende unseres Frauenabends gewartet.
„Nach und nach werde ich alle meine Freunde verlieren, ohne das Geringste dagegen tun zu können“, klagte ich und plumpste neben ihm auf die Couch.
„Abwarten, irgendwann ist der Dämonfürst erledigt. Wer weiß, vielleicht gestaltet sich dein Leben dann normaler, als dir lieb ist“, suchte er mich aufzumuntern.
„Nein.“
Abrupt setzte er sich auf. Knallhart war das eine Wort meinen Lippen entwichen. Joerdis? Gute Frage, nächste Frage.
„Nein?“
In jenem Moment verspürte ich keine Lust, über das Mysterium meines Innenlebens, insbesondere Joerdis fürstlichen Anteil daran nachzudenken. Also ging ich geschäftig zur Tagesordnung über: „Bevor wir uns morgen im Castle um das verfluchte Doraodh kümmern können, muss ich zuvor noch mit Rachel sprechen.“
Alexis schluckte und rang sich mühsam ein „Okay“ ab.
Mein vollgestopfter Magen erwiderte Joerdis seelische Kaltschnäuzigkeit mit hochsteigender Übelkeit. „Hör auf dein Herz, dummes Ding! Eiskalter Verstand – uncool – Eiscreme.“
Gefühlstechnisch komplett gekehrtwendet, verkündete ich: „Die beste Eisdiele Berlins schließt erst um Mitternacht. Auf geht’s!“
Eine Viertelstunde später schlenderten wir mit imposanten Bergen aus Joghurteis auf der Hand durch die Straßen Friedrichhains, umringt von jungen Leuten in Partylaune. Die zahllosen Bars und Restaurants hatten draußen auf den breiten Bürgersteigen so viele Sitzgruppen wie eben machbar hingequetscht. Straßenmusikanten aus aller Welt zogen zwischenhin, die ersten Pfandsammler schoben ihre Einkaufswagen mit der klirrenden Flaschenausbeute durch das Gedränge. In den Kiosken deckten sich Pulks von Jugendlichen vor ihrer Klubsession billig mit Bier ein.
Gierig sog ich die unbekümmerte Atmosphäre auf. Hier war mal kein lohnenswertes Beuterevier für die grässlichen Dämonen. „So wie hier und jetzt soll und muss meine Stadt bleiben.“ Dafür würde ich alles tun.
Alexis umfasste meine Taille und zog mich enger an sich.
„Ja, das darf ebenfalls bis in Ewigkeit so bleiben. Aber wem steht je alles zu?“
„Sei weniger pessimistisch, Lil. Gerade du solltest verinnerlicht haben, welch unerwartete Chancen das Schicksal bieten kann.“
„Ja, ich weiß. Keine Ahnung, was mich dauernd so runterzieht.“
„Aber ich weiß es. Du fürchtest dich vor einer neuerlichen Niederlage in London“, sagte er mir auf den Kopf zu.
Einem zwar kurzen, doch heftigen Ringen folgte mein Geständnis: „Ertappt. Berlin ist gefühlt sicheres Terrain. London dagegen…“
„Wir werden Hilfe von meinem Verwandten erhalten, das hast du selbst erzählt. Schon vergessen?“
Ohne seinen Einwand zu beachten flüsterte ich: „Je mehr ich liebe, desto stärker fürchte ich den Tod.“ Das beschrieb exakt meine Achillesferse. Nie zuvor in den verflossenen Jahrzehnten meines Lebens hatte ich auch nur eine Gedankensekunde an meinen eigenen Tod verschwendet. Nun bohrte sich der einmal geborene Todesgedanke wie ein Holzwurm tief in mein Hirn.
„Wäre dir dein altes Leben jetzt lieber?“, fragte Alexis tief bekümmert.
Mein Herz antwortete mit einem heftigen Schlag, gegen den Joerdis absolut machtlos war. Mitten im Getümmel blieb ich stehen, zog Alexis fest an mich und ließ ihn meine liebestrunkene Antwort in den Augen lesen.
Keine dreißig Sekunden, so lange deshalb, weil wir erst einen dunklen Hauseingang zum Verschwinden auftreiben mussten, schon landeten wir vor meinem Bett.
Gemartert von wirren Träumen – offensichtlich der Toptrend dieser Woche – rappelte ich mich auf und verließ im frühen Morgengrauen das stickige Haus.
Taufrisches Gras unter den nackten Füßen verleitete spontan dazu, mich im seidenen Nachthemd der Länge nach darauf auszustrecken. Entrückt lauschte ich der im Gebüsch singenden Nachtigall und schlief darüber prompt ein.
„Nun guck sich das einer an, faul wie ein Mehlsack“, meckerte Elin. „Nennst du das etwa Training?“
„Uaaah!“
„Wenn du nichts Besseres mit deiner Zeit anzufangen weißt“, setzte die Elbe ihre Schimpftirade fort, „kannst du mich ebenso gut nachts begleiten.“
Schuldbewusst blinzelte ich gegen das aufstrebende Sonnenlicht an. Darin erschien die Elbe wie aus hauchdünnem blassrosa Marmor gemacht.
Mühsam klaubte ich zusammen: „Sei friedlich, Elin. Heute erwarten mich die Höhlen unter Burg Amhuinn.“
Besänftigt schaute sie auf mich herab. „Dann lass die Finger von dem alten Übel, dir selbst im Weg zu stehen.“
„Vor dir bleibt auch nie etwas verborgen“, nörgelte ich grundlos hinter ihr her, bloß um das letzte Wort zu haben. Umgehend schalt mich das Alter Ego: „Tritt dich gefälligst in den Hintern und hör mit dem Gejammer auf. Das ist ja zum Weglaufen.“
„Wo sie Recht hat…“, erklang die Elbenstimme dünn herüber.
Mit lautem Klatschen landete meine Hand auf der Stirn. „Verdammt, die wichtige Sache mit den Amuletten!“ Der Elbe schickte ich hinterher: „Elin, wir müssen demnächst mal über unsere Amulette sprechen.“
Sofort stand sie erneut vor mir. „Worum geht es?“
„Ich möchte, dass wir Drei jederzeit in der Lage sind, direkten Kontakt zu halten. London, du weißt schon.“
Der Umgang mit den Amuletten erfordere einige Übung, stellte die Elbe klar.
„Brauchst du keine Pause nach der langen Nacht?“
„Nein, nein.“ Stattdessen zog sie an ihrer Halskette.
„Alexis sollte besser mitmachen“, überlegte ich.
„Wenn der Herr mal aus dem Bett käme“, merkte die Elbe bissig an.
Also ohne ihn.
„Leg das Amulett auf deine flache Hand. Konzentriere dich darauf“, begann sie mit der Gebrauchsanweisung.
Ich zog mein eigenes Amulett unter dem Nachthemd hervor und tat wie geheißen.
„Wer stört?“, donnerte eine tiefe Männerstimme streng.
„Äh?! Hier ist Lilia.“ Verdattert schaute ich zur total perplexen Elin hinüber.
„Mylady! Hocherfreut, hier Fingal MacEideard. Bitte vielmals um Verzeihung, Mylady. Ich glaubte, Lyall sei in der gebührenfreien Leitung. Aber was kann ich für Sie tun?“
Meine grauen Zellen kriegten gerade noch die Kurve und so erwiderte ich: „Besuchen Sie uns doch bitte am Wochenende auf Lightninghouse Castle. Und bringen Sie Ihren Freund Lyall gleich mit.“
„Überaus freundlich, Mylady! Dann werden wir zum Lunch eintreffen.“
Elins Miene spiegelte eine furiose Mischung aus Frust und aufgesetzter Langeweile, als sie verkündete: „Wie ich höre, bin ich überflüssig.“
„Nein, nein! Schließlich war ich sozusagen falsch verbunden.“
Daraufhin meinte sie nur: „Richte deine Gedanken jeweils auf die Person, mit der du dich austauschen möchtest.“ Weg war sie.
Doch wer hatte dann Fingal gerade ‚angewählt‘?
Die Macht von Elbenfürstin Joerdis nahm zu.
Ohnehin über die Maßen unruhig wegen des bevorstehenden Höhlengangs in Schottland, würgte ich am Frühstückstisch bloß ein paar Löffel Müsli mit frischem Obst herunter.
Bereits 40 Minuten vor Beginn der obligatorischen Teambesprechung lief ich auf dem Parkplatz des Kommissariats auf und ab, pflichtschuldigst auf Rachel wartend.
„Lilia, die junge Frau macht spontan blau. Du musst zu ihrer Wohnung springen.“
„Na super, klingt ganz nach überflüssigem Problemgebirge!“
Vor Rachels Wohnungstür läutete ich enervierend lange.
„Wer ist da?“
„Lilia. Mach auf, Rachel.“
Das Türschloss klickte und die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Gerade weit genug, um in den Genuss ihrer kräftigen Alkoholfahne zu kommen. Auch das noch.
„Morgen“, nuschelte die junge Kommissarin. Sie startete einen misslingenden Versuch, den roten Haarvorhang aus ihrem Gesicht zu wischen.
Resolut zwängte ich mich an ihr vorbei in den Flur. „Geh duschen, ich kümmere mich um dein Frühstück.“
Brav tapste Rachel davon, während ich das Wohnzimmer betrat.
Magisch landeten starker Kaffee, Kopfschmerztabletten und hamburgisches Katergedeck auf dem kleinen Tisch in ihrer Essecke.
Die Lichtwesen mahnten: „Zügele deine Ungeduld.“
„Ja, ja, meckert ruhig. Ihr da oben müsst sowieso bloß summen“, murrte ich. Zufällig wanderten meine Augen dabei zum Couchtisch hinüber. Ein umgekipptes Glas, eine leere Colaflasche sowie eine annähernd trocken gefallene Flasche Rum kündeten vom armseligen Verlauf der letzten Nacht. Das Szenario brachte mein Gefühlsleben auf Trab, zuvorderst in Gestalt eines schlechten Gewissens. „Du hast zu vieles schleifen lassen! Also räum gründlich, aber behutsam die angehäufte Scheiße aus dem Weg.“
Wie auf das Stichwort kam Rachel, in ihren violetten Bademantel gewickelt und mit giftgrünen Plüschpantoffeln an den Füßen, aus dem Bad geschlurft. Ihre nassen Haare hinterließen eine dunkle Tropfspur auf dem sandfarbenen Teppich.
„Hi, setz dich.“
Mit gesenktem Kopf griff Rachel energisch zu Kaffee und Tabletten, Schwarzbrot und Rollmops.
Nachdem sie die erste Portion heruntergewürgt hatte, blickte sie mich von schräg unten aus blutunterlaufenen Augen an. „Kann losgehen mit deinem Anschiss.“
„Kein Anschiss. Ich möchte dir eine wahre Geschichte erzählen, über die es sich nachzudenken lohnt.“
Mühsam kämpfte die junge Frau gegen mieses Bauchgefühl und vernebelten Verstand an.
„Du hältst mich, mein gesamtes Leben für obercool“, begann ich.
Schmerzverzerrtes Nicken.
„Mein Dasein dient nur einem Ziel, und dieses Ziel liegt als langer schwarzer Schatten auf mir.“
Rachels grünlichblasses Gesicht deutete ein Fragezeichen an.
So erzählte ich ein wenig vom Kampf der überirdischen Mächte in unserer Stadt. Gerade genug, um begreifen zu können, doch zu dünn, in ihr Panik auszulösen. Schließlich endete ich: „All das ist keine esoterische oder sonst wie geartete Spielerei, sondern eine todernste Angelegenheit.“
Rachel begriff. „Du hast dir das gar nicht ausgesucht.“
„Dennoch muss ich dafür die volle Verantwortung tragen“, nickte ich. „Denk nur an all die Toten in jener verhängnisvollen Frühlingsnacht.“
Sie schaute mir direkt in die Augen und ich fragte: „Noch immer obercool?“
Unfähig zu antworten, wandte die junge Frau ihren Blick ab. Doch meine Botschaft grub sich tief in ihre Seele ein, der innere Frieden würde folgen.
„Für Katja wäre es ein echter Tiefschlag, wenn du deinen Job hinschmeißt. Zumal euer Team in absehbarer Zeit erneut ohne mich klarkommen muss.“
Durstig geworden, zauberte ich ein Glas mit Eistee auf den Tisch. Sofort blitzten Rachels grüne Augen auf.
„Magie darfst du dir ziemlich präzise als verführerischen Zuckerguss auf dem Rücken einer Tarantel vorstellen“, flötete ich.
Wir lachten, bis die Tränen kullerten.
Beruhigt landete ich im Park von Lightninghouse.
Alexis saß faulenzend auf der Terrasse.
„An die Arbeit, Mylord. Zunächst müssen wir den Energiefluss des Doraodhs unterbrechen, will sagen, dein Keller ruft.“
„Ich habe Andrew vorhin gefragt. Er hat keine Ahnung, wo sich der alte Hausbrunnen befindet.“
„Eine Idee?“
„Möglicherweise im Weinkeller. Wir sollten nach einer Abdeckung im Boden suchen.“
Kurz versorgten wir uns in der Kapelle mit einer Riesenlichtkugel. Auf dem langen Weg von dort bis hinab in das Kellergewölbe berichtete ich von meinem Zusammentreffen mit Elin, dem Amulett sowie den spontan geladenen Gästen aus London.
Leicht pikiert versetzte Alexis: „Fühl dich hier ganz wie zuhause.“
Ein Knuff in seinen Bizeps brachte ihn versöhnlich grinsend zurück in die Spur.
„Und unserer gestrengen Elin schlafe ich zu lange? Hahaha!“, amüsierte Alexis sich noch, als er die Kellerlampen über den Weinfässern anknipste.
„Deinen Lichtschutz knips mal auch direkt an.“
Während wir aufmerksam den Weinkeller durchschritten, entwickelte die vorweg schwebende Lichtmelone eine sichtbare Schrumpfkur. Zwischen zwei Fässern, exakt in der Mitte des Weinkellers, lag, eigentlich völlig unübersehbar, eine massive, runde Steinplatte. Hoch darüber hing der verrostete Flaschenzug. Auf den hätte ich selbst ohne Magie keinen Cent gewettet.
Alexis schickte die, wahrscheinlich von seinem abtrünnigen Vorfahr nachträglich mit einem kleinen Luftloch versehene Steinplatte beiseite. Prompt flackerten unsere Schilde von der nun ungebremst hinaufströmenden, unheilvollen Magie. Vorsichtig lugten wir in den finsteren, miefigen Brunnenschacht. Unsere abgespeckte Lichtkugel passte gerade so in das Loch, als ich sie langsam hinab dirigierte. Ungenießbar grün-bräunlich schimmernde Brühe schälte sich jetzt aus der Brunnentiefe.
„Das soll Trinkwasser sein?“, ekelte ich mich.
Alexis ersparte uns einen geistreichen Kommentar über mittelalterliche Gepflogenheiten. Und nein, die Lichtgabe hatte keinerlei Kläreffekt.
Zuletzt zogen wir mit kreisenden Händen eine dicke magische Versiegelung über den Brunnen. Äußerst vorsichtig schwebte der geflickte Deckel nieder.
„So, Keller erledigt.“
Mylord schlug vor, direkt auf den Dachboden zu springen. „Dort könnten wir am ehesten ein geeignetes Transportgefäß für das Doraodh auftreiben.“
Tatsächlich fand sich nach einigem Wühlen in den verstaubten Antiquitäten – oder auch dem antiken Sperrmüll – eine ausrangierte Schmucktruhe. Wir nahmen sie mit hinunter in die Hauskapelle.
Im Lichtstrahl der Sternelben erwartete mich eine Überraschung der extrem herausfordernden Art. Sie unterwiesen mich darin, aus der Schmucktruhe eine Art magische Falle zu fabrizieren. Klingt simpel? Tatsächlich verlangte die Aufgabe erstmals ein Zusammenspiel von Magie und komplizierter Tonfolge. Ihr Chor hätte den Job mit Links selbst erledigen können! Jedoch wollten sie heimlich herausfinden, ob das Duo aus Joerdis und mir „mächtige“ Fortschritte machte.
Aber die Elbenfürstin ließ mich erstmal ganz perfide in meinen menschlich unzulänglichen Stimmbändern hängen. Da ich nun mal keine Karriere als Opernsängerin vorzuweisen hatte, lag ich schon bei der Wiederholung ihrer vorgesungenen Tonfolgen ziemlich schief. Nach etlichen Anläufen – ich glaubte, das wäre es jetzt – zeigten sie sich zufrieden. Leider gingen die Gesangsschwestern als Nächstes zu den entscheidenden Feinheiten über: Viertelton oder Halbton, leise oder anschwellend …
Sieben, acht vergebliche Versuche, da zeterten die Lichtwesen: „Mit knurrendem Magen wirst du keinen Erfolg haben, Lilia.“
Alexis saß feixend daneben und biss sich auf die Lippen.
„Logischerweise hättet ihr mal vorab eine Lektion über diese blöde Gesangskunst in mich hinein kippen sollen!“, mäkelte ich zurück. „Und du hör auf zu grinsen, sonst kriegst du den Job spendiert.“
„Du brauchst wirklich dringend Lunch“, lachte Mylord schallend.
In der Küche orderte Alexis einen großen Teller mit Sandwiches.
Vollmundig kommentierte ich kurz darauf: „Nur gut, dass die Sonne heute erst spät untergeht. Beim letzten Mal kam ich auf den allerletzten Lichtfetzen aus den Höhlen zurück.“
Obwohl Alexis dank exakter Beschreibung wusste, was uns dort erwartete, wuchs sein Unbehagen bei der bloßen Erwähnung massiv.
Deshalb mahnte ich: „Konzentriere dich in den Höhlen unbedingt auf deinen Willen, sonst wird die Sache verflucht brenzlig.“
Schlussendlich landeten wir erst spätnachmittags vor dem Höhleneingang von Amhuinn.
Vollbepackt mit zwei riesigen Lichtbällen, der gnädigerweise von Joerdis doch noch besungenen Gefahrguttruhe in meinem und Petroleum in Alexis Rucksack. Kurz rief ich uns Elins wertvolle Anweisungen für die Vernichtung des Doraodhs ins Gedächtnis.
Wir aktivierten unseren Körperschutz und traten ohne Zögern durch die Felsspalte. Finsternis schloss das Tageslicht wie abgeschnitten aus. Alexis keuchte hinter mir auf.
„Wird er die Qualen aushalten? Soll ich besser allein gehen?“, sinnierte mein Verstand. Und wie würde Belians Seele reagieren, die nie zuvor in der Unterwelt war? Kurz drehte ich mich zu Alexis um und erblickte sein grimmig entschlossenes Gesicht. „Nun denn.“
Trotzig stemmte sich unser Duo dem schwarzmagischen Widerstand entgegen, bis wir in die zweite Höhle gelangten. Dort deutete ich auf einen der drei Durchgänge. „Den kenne ich, also probieren wir die dort drüben.“
Langsam stapften wir durch die zähe „Luft“. Ohne nachzudenken, was ohnehin zwecklos gewesen wäre, bog ich in den rechten der unbekannten Gänge ein.
Überrascht registrierten wir sehr bald, dass dieser Gang gar nicht abwärts, sondern nach oben führte. Der schwarzmagische Widerstand wuchs stetig. Schritt um Schritt trieben wir unsere Beine wie Bergsteiger den Mount Everest empor. Lahm wischten wir die Schweißbäche aus unseren Gesichtern. Schleichend bemächtigte sich Trägheit unserer Gehirne.
Endlich erschien im Licht der schwindenden Kugeln vor uns eine Tür. Instinktiv stieß ich Hormin dagegen. Sie krachte mitsamt Angeln zu Boden.
„Das muss ein Zugang zu dem Haus im hinteren Teil der Burganlage sein“, krächzte ich atemlos.
Bestialischer Verwesungsgeruch breitete sich aus. Wir würgten.
Alexis drängte sich an mir vorbei. „Lil, verschließ deine Gefühle, das hier wird hässlich, fürchte ich.“
Doch dieser Raum war leer. Also weiter. Fast in Zeitlupe bewegte sich Alexis vor mir auf den daneben liegenden Raum zu.
„Beim Licht!“
Entlang der Wände standen dicht an dicht rostige Käfige. In manchen lagen Kinderskelette.
„Spielzeug für seine Sklaven“, erklang gequält seine Stimme.
Joerdis gepeinigte Seele verhüllte sich.
Die Tür am anderen Ende brachte uns in den Wohnsaal des Hauses.
„Ein Wohnsaal ohne Fenster?“ Das war ja noch abartiger als die fensterlose Bibliothek von Lightninghouse.
„Entweder für dämonische Zwecke zugemauert oder als Kriegsschutz“, meinte Alexis.
Unsere Lichter schwebten unter die morsche Holzdecke und erweckten eine brutale Szenerie zum Leben. An den Wänden und verstreut über den Boden entdeckten wir barbarische Folterinstrumente. In der Mitte des Saales aber thronte ein massiver schwarzer Tisch. Auf seiner klebrig glänzenden Platte lagen verwesende Leichenteile.
Weitere Details ersparte ich meinen Augen. Stattdessen strebte ich dem Treppenhaus entgegen, das durch die offen stehende Flügeltür zu erkennen war. Alexis verharrte noch starr vor Entsetzen auf dem Fleck.
In meiner ultrakurzen Erinnerung an die Vernichtung der hiesigen Dämonenwache, bei der ich vom Wachturm herab sah, besaß das obere Stockwerk einige Fensterschlitze. Durch die gedachte ich abzuhauen.
Per energischem Handzeichen forderte ich Mylord auf, mir zu folgen. Mühsam erklommen wir die Treppe und betraten dann das erstbeste Zimmer. Dort kletterten wir auf die zwei steinernen Fensterbänke, quetschten unsere Körper durch die schmalen Schlitze und sprangen in den Burgfried hinab.
Obwohl die 66 Dämonenwächter längst unter den Toten weilten und sich über dem Burgfried dunstig blauer Himmel zeigte, war selbst hier die schwarze Magie überdeutlich präsent. Dennoch atmeten Mylord und myself tief durch.
„Wir haben viel Zeit verloren“, japste Alexis.
„Nein. Für mich war es wichtig, dies zu sehen.“
„Lilia, nähere dich auf gar keinen Fall der schwarzmagischen Eingangstür“, durchkreuzten die Sternelben meine eben begonnenen Überlegungen, den flammenden Zorn über das eben Gesehene an irgendetwas abzureagieren. „Selbst Hormin vermag die Runentür nicht zu zerstören.“
„Höchst bedauerlich“, entgegnete ich, „am liebsten würde ich die komplette Burg sprengen.“
Sie summten verständnisvoll.
Skeptisch betrachtete Alexis unsere arg gebeutelten Lichtbälle. „Reichen die noch für eine zweite Runde?“
„Keine Chance. Besser, wir kehren in die Kapelle zurück.“
Kaum saßen wir auf unseren Stühlen in der Hauskapelle, entlockte das reinigende Lichtbad uns leise Seufzer.
„Sollen wir die Aktion auf morgen verschieben?“, fragte Alexis rücksichtsvoll.
„Aufschieben provoziert bloß Albträume.“
Plötzlich reichte er mir ein winziges Fläschchen mit klarer Flüssigkeit herüber.
„Was ist das?“
„Chinaöl. Tupfe ein bisschen davon unter deine Nase.“
Neugierig schraubte ich den Deckel ab und schnupperte. „Riecht das gut!“
Satter, belebender Pfefferminzduft breitete sich aus.
„Bereit?“
„Bringen wir den Teufelsmarsch hinter uns.“
Diesmal blieb nur noch ein unbekannter Gang unter Burg Amhuinn übrig.
Ungeduldig schleiften wir unsere Füße durch den schwarzmagischen Luftschlamm hinab in die Tiefe. Der dritte Gang führte uns geradlinig und sehr steil abwärts.
Ein massives Tor mit einer einzigen eingebrannten Rune in der Mitte stoppte unsere Expedition. Hormin tat seinen zustechenden Job, dem ein kleines Erdbeben folgte. Irgendwo in der Finsternis löste sich Deckengeröll.
„Passiert nicht zum ersten Mal“, beruhigte ich Alexis, der sich reflexartig duckte.
Plötzlich schwang das Tor geräuschlos wie von Zauberhand auf. Die höllenmagische Druckwelle aus dem Inneren der unbekannten Stätte erfasste uns unvorbereitet. Stolpernd wichen wir links und rechts des Durchgangs aus, stürzten zu Boden. Mehrere Steinbrocken prasselten herab. Jeder von uns richtete seine volle Konzentration in dem Chaos einzig darauf, die eigenen Beine zum Aufstehen zu bewegen.
„Lichtgeschosse rein!“, brüllte ich energiesparend im Geiste.
Synchron feuerten wir mehrere gleißende Salven ins Finstere. Die sogenannte Luft in der jetzt halbwegs erahnbaren Höhle begann wie ein Hexenkessel zu brodeln, der mit schlierendem Teer gefüllt war. Unsere weißen Blitze verpufften darin wie billige Silvesterraketen.
„Bleib draußen, Alexis.“
„Nein.“ Vornüber gebeugt stemmte er sich gegen die magische Barriere an, noch leidlich abgeschirmt von seiner Minimelone.
Unsere Lichtschilde flatterten wie fadenscheinige Leichentücher, während wir in die Höhle vordrangen. Entlang ihrer Wände standen schwarze Steine aufgereiht. In unseren pausenlos abgefeuerten Lichtblitzen schimmerten darin eingemeißelte Namen ähnlich Grabsteinen auf. Jetzt entdeckte Alexis den Namen seines Urahns. Er murmelte etwas, das wie „feiger Verräter“ klang. Angewidert wendete er sich ab.
Ich hingegen speicherte sämtliche Namen im Hinterkopf ab. „Beeilen wir uns.“
Der magische Feuerkreis war kaum erkennbar, bestand er doch aus schwarzen Steinen auf schwarzem Grund. Alexis klaubte den Kanister aus seinem Rucksack und goss das Petroleum darüber, während er den Kreis schlurfend umrundete. Aber seine Streichhölzer vermochten das Feuer anschließend nicht zu entfachen.
„Tritt beiseite.“ Mit maximal gestrecktem Arm für eine größtmögliche Distanz hielt ich Hormins Spitze in die Nähe des erstbesten Steins. Eine tiefrote Stichflamme antwortete auf seinen silbernen Strahl. Blitzschnell fraß sich die Flamme einmal durch die Runde.
Nur mehr in Zeitlupe fischte ich das präparierte Schmuckkästchen aus meinem Rucksack, öffnete den Deckel, hievte es mit Bleiarmen über den Steinkreis, setzte zur Kippbewegung an – und sah mich dem Dämonfürsten gegenüber.
Der Vorteil, wenn die Gefühle weggesperrt sind: Man erschrickt nie. Während der schwarze Fürst mit seiner wutverzerrten Fratze noch ungläubig das Szenario zu erfassen suchte, kippte ich seelenruhig das Doraodh ins Feuer. Es antwortete mit schlangengleichem Zischen. Augenblicklich schlugen die Flammen bis zur Höhlendecke empor und verbreiteten einen Hitzesturm à la Death Valley. Der oberste Unterweltler aber brüllte infernalisch, bevor er flüchtete.
„Tschüs, Feigling.“ Behutsam klappte ich nebenbei Alexis herunter hängenden Unterkiefer zu.
Berstendes Gestein ließ Mylord einen weiteren Lichtblitz zu seinem Ahnenstein senden. Quer durch den Namenszug verlief ein tiefer Riss.
„Feierabend“, krächzte Mylord voreilig.
Denn das teuflische Aas schickte uns zur Rache vier seiner Anführer vorbei. Völlig unvorbereitet schlugen sie dicht am Feuerkreis auf. Allein der höllisch in ihren Augen brennende Anblick von Hormin genügte, ihre eigenen Klingen gar nicht erst zu ziehen, sondern schleunigst wieder zu verstinken. Dabei hätten die dämonischen Kämpfer uns, halb verdurstet und halb verdampft wie wir inzwischen waren, mit links beseitigen können.
„Waschlappen!“, wollte ich hinterherbrüllen, als mir siedend heiß klar wurde, dass mich mein verschlamptes Training vor wenigen Sekunden in akute Lebensgefahr gebracht hatte. „Und Alexis“, fügte mein Alter Ego den härteren Teil der Wahrheit hinzu.
Zurück im Castle gab es für mich nur ein Ziel: die Badewanne.
Champagner für die innere, Rosenschaumbad zur äußeren Reinigung, das ließ ich mir als Belohnung angedeihen. Meine Nase konnte von dem herrlichen Rosenduft gar nicht genug bekommen. Leider ratterte mein Denkorgan in der Wanne emsig weiter. Hartnäckig reihten sich offene Fragen aneinander: „Warum hatte Elin mich nie den magischen Gesang gelehrt? Wie lässt sich die Magie auf Burg Amhuinn vernichten? Geht von den Menschen, deren Namen auf den Höhlensteinen stehen, ebenfalls Gefahr aus?“ Klick, klick, klick kombinierten eifrige graue Zellen. Dann spuckten sie aus, dass der Nachname des neuen Dienstmädchens auf einem der Steine prangte. „McClach. Oh shit!“
„Richtig kombiniert?“, rief ich den Lichtwesen mit aufkeimendem Zorn entgegen.
„Es ist wahr, Lilia.“
„Warum habt ihr eine Spionin im Castle zugelassen?“
„Sie ist unbedeutend.“
„Unbedeutend? Diarmad wühlt in unserer Privatsphäre herum, verrät unsere Geheimnisse!“
„Diarmad ist ein einfaches Menschenkind, benutzt von ihrem Großvater“, lenkten sie ab.
„Der auf dem Stein?“
„Nein, das Clan-Bündnis wurde bereits vor über 400 Jahren geschlossen. Ihr Großvater ist der letzte schwache Abkömmling, ihn müsst ihr nicht fürchten.“
„Wen dann?“, erfasste ich in Schallgeschwindigkeit das Naheliegende.
„Den Clan der MacGreer“, verfiel der Sphärenchor in seine alte Salamitaktik.
Fröhlich pfeifend öffnete Alexis die Badtür. Mit Kennerblick stieß er scharf aus: „Was ist los?“
Schnell legte ich einen Finger auf meine Lippen.
Sofort nutzten die Sternelben ihre Chance, sich zu verdünnisieren. „Wir können später noch über die Clans reden.“
„Zeit für einen Spaziergang.“
„Aber das Dinner wird gleich serviert“, nörgelte Mylord.
„Soll die Köchin es eben einpacken“, versetzte ich mit widerspruchsresistentem Unterton.
Wegen der zwei randvollen Picknickkörbe holte Alexis seinen tanngrünen Morris Roadster aus der Garage.
„Ein halbes Jahrhundert alt, aber unverwüstlich!“
Während er den Wagen halsbrecherisch über einspurige Straßen durch die Highlands sausen ließ, pustete der frische Fahrtwind meine verdorbene Laune hinweg.
Mylord bestand darauf, mir diesmal eine andere Schönheit der Highlands zu zeigen. „Der Lärchenwald am Ben Newe wird dich in Staunen versetzen.“
Aus diesem Grund verspürte ich keine Lust mehr, Alexis beim Explodieren zuzuhören. Also behielt ich die unerfreuliche Clan-Geschichte hübsch für mich.
Der märchenhaft anmutende Lärchenwald schien einer anderen Zeit zu entstammen. Wind ließ die oberen Zweige der uralten Bäume wie Peitschen sirren. Unten jedoch dämmerten sie reglos und üppig behängt mit langen, rauen Flechten vor sich hin. Ein so stiller Ort des Zwielichts, allein Waldgeister mochten darin wandeln. Beglückt stand ich reglos wie Stein auf dem dicken, weichen Moosteppich zwischen den Bäumen und staunte.
Doch Belian, erstarkt durch das zerstörte Doraodh, musste natürlich ausgerechnet jetzt in meinem aufgeschobenen Thema herumbohren. Ebenso wie Elin hatte der Elbenkämpfer lange Zeit in Schottland zugebracht. Sämtliche Clans waren ihm allzu vertraut. So sorgte Belian dafür, dass sich Alexis aus erster Allsicht informierte. „Oh shit!“
Mylord blieb geraume Zeit die Spucke weg, woraufhin ich mir ein weiteres Glas eiskalten Champagner auf nüchternen Magen zu Gemüte führte.
Das Resultat sah folgerichtig so aus: Kichernd tänzelte ich wie eine beschwipste Fee um die Bäume herum und zitierte inbrünstig Jakob van Hoddis.
„Auf blühen Papierwiesen
Leuchtend und grün,
Da stehen drei Kühe
Und singen kühn:
„Oh Wälder, oh Wolken
O farbige Winde
Wir werden gemolken
Geschwinde, geschwinde …“
„Du bist ein Fall für die Ausnüchterungszelle“, brummte Mylord, bevor er in dröhnendes Gelächter verfiel.
Noch alberner kichernd, ersetzte ich heimlich den Rotwein in seinem Glas durch Traubensaft.
Die Erfolgsmeldung kam umgehend.
„Bah! Na warte!“ Alexis sprang auf und rannte hinter mir her, bis ich prustend zu Boden ging.
„Jetzt ist endlich der Augenblick gekommen, Mylady den Hintern zu versohlen“, triumphierte er.
„Uh, ja!“, stöhnte ich aufreizend und wackelte dabei mit meinem Hinterteil.
Alexis lachte, bis sein Gesicht einer explosionsfähigen Tomate glich.
Aus dem Buch „Inghean“
Schnell muss es meiner Fürstin gelingen, das enge Band zwischen den Menschenkindern zu kappen. Lilias vorbestimmter Weg hinab wird einsam sein.