Читать книгу Das Visum ins Paradies Europa – Sammelband - Dantse Dantse - Страница 6
Kribi, Kamerun, Sommer 2005, ein Hotelzimmer:
Ein Gespräch zwischen Mauritz und Carla über ihre Liaison mit Johnny
Оглавление„Ich will aber nicht mehr, dass du dich mit ihm triffst“, sagte Mauritz.
„Es geht nicht, Mauritz, es geht nicht. Ich muss ihn treffen“, entgegnete Carla.
„Aber du hast gesagt, dass du mich liebst und wir haben doch gerade schönen Sex gehabt. Was hat er, was ich nicht habe?“, fragte Mauritz.
„Siehst du, ich habe dir die ganze Zeit gesagt, dass es nichts mit dir zu tun hat. Es geht nicht darum, dass der Sex mit dir schlecht war oder ist. Schau mal: Wir haben gerade sehr, sehr tollen Sex gehabt. Ist das nicht der Beweis, dass es nicht um Sex geht? Aber ich will und brauche Johnny. Alle meine Organe brauchen ihn. Ich weiß nicht, wie es in einer Woche sein wird. Aber jetzt weiß ich, dass es für mich sehr ungesund wäre, meinem Instinkt nicht zu folgen“, erklärte Carla ihrem Freund.
Mauritz sprang aus dem Bett und war vor Wut fast außer sich.
„Carla, du musst dich entscheiden. Ich kann das nicht mitmachen. Ich versuche es, ich habe es versucht, aber es zerreißt mich innerlich. Du wirst mich verlieren, wenn du weiter mit ihm schläfst“, drohte er.
„Ich weiß es Mauritz. Ich weiß es. Ja, vielleicht werde ich dich verlieren, wenn ich Johnny weiter treffe, aber ich weiß, dass ich mich verlieren werde, wenn ich ihn nicht mehr treffe“, antwortete Carla.
Mauritz wusste nicht mehr, was er tun sollte und konnte, um Carla von ihrem Weg abzubringen. Völlig überfordert fing er wieder an zu weinen.
„Bitte mein Schatz, ich liebe dich doch so sehr. Ich kann nicht mit Johnny konkurrieren und ich möchte dich nicht verlieren. Ich werde mich ändern. Ich weiß, dass ich nicht immer richtig gehandelt habe mit dir. Ich...“ Carla war genervt von dieser Jammerei und stoppte ihn.
„Hör auf, dich zu beschuldigen. Du hast null Schuld daran. Das hat wirklich nichts mit dir zu tun. Du hast mir nichts Böses getan. Du hast dir nichts vorzuwerfen“, versuchte Carla ihn zu beruhigen.
„Warum kannst du dich dann nicht von Johnny trennen?“, fragte Mauritz.
„Weil es nichts zu trennen gibt, Mauritz. Es gibt nichts zu trennen. Es gibt nur ein Verlangen, einen Trieb, eine Sehnsucht. Kannst du dein Verlangen nach Wasser stoppen, wenn du durstig bist? Kannst du es trennen?“, antwortete Carla.
„Kann nicht auch ich dir dieses Wasser geben? Du kannst mir sagen, was du willst, was dir fehlt. Du kannst mir zeigen, wie du es haben willst und wir versuchen gemeinsam das zu tun“, bettelte Mauritz.
„Ja, das ist das Problem Mauritz. Ich kann dir nicht sagen, nicht zeigen, was ich will. Johnny weiß genau, was mir fehlt, was ich will. Ich weiß selbst nicht, was Neues kommt, aber er lässt mich immer etwas Neues entdecken, er lässt mich immer mich neu entdecken, er lässt mich über mich selbst staunen. Ich genieße es einfach, wie es kommt. Ich denke nichts dabei und fordere auch nichts dabei“, sagte Carla.
„Weil er schwarz ist? Ist es das, was dich so anmacht? Dich so anzieht? Bitte verstehe mich nicht falsch. Du hast gesagt, dass es nichts mit mir zu tun hat, dass es nichts mit seinem Penis zu tun hat, mit was dann?“, wollte Mauritz wissen.
Carla machte die Augen zu, überlegte ein paar Minuten und fuhr fort:
„Es ist wie ein Wunder. Ein Licht entsteht in dir, ohne dass du weißt, woher es kommt. Mauritz, das ist mehr als Sex. Es ist das ganze Feeling drum herum. Bei ihm habe ich das erste Mal in meinem Leben meine Weiblichkeit entdeckt bzw. richtig akzeptiert, dass ich eine Frau bin. Mit ihm habe ich gesehen, wie schön es ist, einen Mann an der Seite zu haben. Ich meine hier einfach, Frau und Mann zu sein, ohne Hintergedanken. Eine Frau mit Busen und Vagina und er ein Mann, stark, ohne Busen mit einem Penis. Einfach Frau zu sein, ohne Angst zu haben, sich unterzuordnen. Er als Mann, ohne zu befürchten, dass er der Chef ist. Verstehst du, was ich meine? Durch ihn habe ich die Freiheit der einzelnen Körperteile erfahren, die unabhängig voneinander funktionieren, aber doch gemeinsam agieren. Körperteile, die da sind, um mich glücklich zu machen. Meine Brüste kann ich nun mehr schätzen, das Fett an meiner Hüfte lieben, meine Vagina und Klitoris als wertvolle Geschenke Gottes sehen. Bei ihm habe ich meinen Körper entdeckt, den Körper einer Frau und nicht mehr immer nur den Körper einer werdenden Mutter oder eines Lustobjektes des geilen Mannes. Nicht mehr ein Körper, der sich modellieren muss, um sich der Lust des Mannes anzupassen“, führte Carla aus.
Mauritz setzte sich auf den Stuhl, hielt seinen Kopf in seinen beiden Händen und hörte alles, was Carla sagte.
„Ich kann das leider nicht verstehen. Das heißt, du hast dich früher nicht wohl gefühlt? Ich habe dir nie gesagt, dass dein Körper mir nicht gefällt. Du hast mir doch immer gefallen und ich habe das Gegenteil nie behauptet und wie viele Mal habe ich dir gesagt, dass ich dich liebe. Liegt nicht in diesem Wort alles das, was du meinst und willst und wünschst?“
Carla legte sich wieder hin und schaute nach oben.
„Ja, Mauritz, du hast es nie behauptet, du hast auch gesagt, dass ich schön bin. Aber das waren nur Wörter. Du hast es mich nicht spüren lassen. Du hast mich als Frau nicht gewürdigt und auch nicht so angefasst. Du hast nicht meinen Körper als etwas Besonderes angesehen. Vielleicht war dir alles das so selbstverständlich, dass ich ständig über mich jammern und deinen Körper bewundern musste. Du fühltest dich sicher großartig, als ich dir sagte, dass du einen tollen Körper hast und ich voller Fett bin, oder? Du hast mir gesagt, ich wäre schön, aber Heidi Klum angehimmelt. Ich habe dir gefallen, aber ich habe mir selbst nicht gefallen. Zumindest habe ich es erst gerade mit Johnny gemerkt. Ich habe mich immer im Spiegel gesehen und alles an mir ein bisschen korrigieren wollen. Ich wollte wie du sein. Fettfrei, sportlich, einfach ein bisschen männlicher werden. Nun mit Johnny ist es anders. Er ist noch viel sportlicher als du, volle schöne Muskeln, stark und ich spüre auf einmal, dass es schön ist, breitere Hüften zu haben, Arsch zu haben, einen dicken Busen zu haben. Weißt du wirklich, was mich noch total anzieht? Seine Männlichkeit. Er ist ein Mann, nicht der Mann, sondern ein Mann. Seine Ausstrahlung und selbstsichere Art. Ich bin einfach selbstbewusster und selbstsicherer geworden, weil ich mich nun auch so akzeptiert habe und vor allem meinen Körper und mich liebe. Du sagst, du liebst mich. Keine Frage, ich weiß es. Aber ich habe mich selbst nicht geliebt. Es ist schön geliebt zu werden, aber es ist wunderbar, sich selbst zu lieben, Mauritz“, sagte Carla.
„Heißt es dann, dass du nicht bereit bist, die Affäre zu beenden? Rede Klartext“, forderte Mauritz
„Du sprichst davon eine Affäre zu beenden? Gibt es sie wirklich? Wenn es eine Affäre wäre, würde ich das vielleicht für dich tun. Wenn es eine Beziehung wäre, würde ich vielleicht aus Liebe zu dir stoppen, weil ich dich liebe. Wenn es eine Liebe wäre, vielleicht würde ich davor flüchten, weil sie mir unheimlich wäre und mir Angst machen würden. Aber es ist nichts von all dem. Es ist viel subtiler. Das ist mehr wie eine Verbindung, wie zwischen Gott und uns. Gott zeigt dir den Weg, Gott weiß deine geheimsten Geheimnisse, Gott macht dich glücklich, Gott macht dich frei, die Gedanken an ihn entfalten dich und lösen deine Sorgen auf. Gott nimmt dir die Angst weg, Gott gibt dir Orgasmus, Lust. Gott ist mit dir, Gott ist in dir. Gott ist bei dir. Kannst du so eine Verbindung benennen? Kannst du diese Verbindung beenden, ohne in eine Krise zu fallen? Ich bin wie besessen und es tut mir so gut. Bitte Mauritz, wenn du mich wirklich liebst, verlange nicht mehr, dass ich Johnny nicht mehr sehe. Verlange nicht, das ich verzichte auf das, was mir so gut tut. Ist das nicht auch der Sinn des Lebens, glücklich und erfüllt zu sein? Ist das nicht auch ein Liebesbeweis, wenn es deiner Freundin gut geht und sie glücklich ist? Was hast du dagegen, dass ich es bin? Ist es nicht auch Liebe, wenn man sich freut, dass es dem anderen gut geht? Du liebst mich doch? Warum tut es dir so weh, mich glücklich zu sehen? Ist es, weil ich es auch ohne dich bin? Muss es immer um dich gehen?“
Sie machte eine Pause, drehte sich zu Mauritz und redete sanft und voller Liebe und feuchten Augen weiter: „Liebling, bitte verlange nicht mehr, dass ich seine rosa Hände nicht mehr auf meinem Körper spüre, seinem wertschätzenden Blick entgehe. Das ist zu viel verlangt. Ich kann es nicht. Meine Kräfte reichen nicht dafür. Er hat mich erneut entjungfert, aber diesmal ging die Entjungferung viel weiter, als eine Vagina zu öffnen. Er hat mich ganz entjungfert.“
Mauritz wurde seltsamerweise immer ruhiger, man merkte, wie es noch drinnen kochte, aber nichts kam mehr nach außen.
„Dann bleibe doch bei ihm. Ich will all das nicht mehr hören. Bleibe bei ihm, aber dann will ich dich nicht mehr“, sagte er.
„Es tut mir sehr leid, Mauritz. Bitte habe ein bisschen Geduld mit mir. Ich weiß, Mauritz, ich weiß es auch, dass es wieder vorbei gehen wird. Ich weiß gar nicht, was es in einer Woche gibt. Dann sind wir wieder in Bamenda allein ohne ihn. Weit weg von ihm und wir hätten beide gewonnen. Wir beiden würden davon profitieren. Bitte nur ein bisschen Geduld.“
Mauritz schüttelte ablehnend den Kopf.
„Ich weiß nicht, ob ich dir noch vertrauen werde. Weißt du, irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass er dich als schwarzer Mann beeindruckt hat und nicht nur als Mann. Das hat nichts mit Rassismus zu tun. Das ist normal, denke ich. Ich bin halt weiß und er schwarz. Da kann man auch nicht so tun, als ob wir diesen Unterschied nicht sehen. Übersehen kann man das nicht. Ich werde immer das Gefühl haben, es fehlt dir das schwarze Feeling, der schwarze Penis, der schwarze Mann. Kannst du dich auch ohne ihn sexuell wirklich wohl fühlen, wenn ich sehe, was du hier darüber gesagt hast? Kannst du es? Kann man das wirklich so einfach trennen, abstellen, Liebe und Sex und Sehnsucht? Oder ist es nicht nur Feigheit, um dem anderen nicht weh zu tun, zu behaupten - ich liebe dich und mit ihm ist es nur Sex, das hat nichts mit dir zu tun und so weiter - Du siehst doch, wie der Sex einen Menschen total verändern und den anderen total traurig und kaputt machen kann. Kann man so tun, als ob das alles normal ist? Was erwartest du von mir Carla? Was erwartest du von mir? Dass ich hier ruhig schlafe und weiß, dass Johnny dich in den siebten Himmel bringt? Dass er mit dir Sachen tut, die ich nicht tun darf und nicht tun kann? Dass er wie Gott zu dir steht? Du sagst, ich soll warten und geduldig sein. Ist das nicht zu viel verlangt? Werde ich danach überhaupt fähig sein, dich zu verwöhnen, ohne ihn im Hinterkopf zu haben? Wirst du dich voll einlassen, ohne ihn im Hinterkopf zu haben? Wäre das nicht schon Betrug genug? Ist die Messlatte nicht vielleicht schon zu hoch für mich? Ja, ich verliere dich vielleicht, wenn ich es nicht kann, nicht aufhören kann, zu fordern, dass du ihn nicht mehr triffst, ich verliere dich, wenn ich nicht geduldig bin, aber ich verliere mich ganz bestimmt, wenn ich mitmache. Was willst du? „Weiße Liebe, schwarzen Sex?“ Oh, du liebst mich und die Liebe ist doch alles. Darauf sollte ich stolz sein? Das willst du von mir oder? Sollte ich mich freuen, dass du mich liebst, aber mit Johnny den wunderbaren Sex genießt? Wird nicht doch der schwarze Sex die Macht über die weiße Liebe übernehmen? Du weißt, wie du selbst erzählt hast, von der Macht und dem Einfluss der Sehnsucht und der Abhängigkeit davon. Welche Sicherheit habe ich, dass danach diese Sehnsucht nach dem schwarzen Körper endgültig verschwunden ist? Kannst du es versprechen? Sicher wirst du es versprechen, um mich zu beruhigen, aber kann ein Alkoholiker versprechen, dass er nie mehr einen Tropfen Alkohol zu sich nehmen wird? Kann er das ohne eine tiefgreifende Therapie? Und du, warum solltest du etwas therapieren, was dir so gut getan hat? Alles aufgeben, was dich glücklich macht? Ist es überhaupt möglich, auf das zu verzichten?“, schimpfte Mauritz, der aufgehört hatte zu weinen und wieder mutiger wurde.
Dann war alles auf einmal still.
Nach fast zehn Minuten Schweigen sagte Carla: „Vielleicht kann man beides haben, ohne auf das eine zu verzichten. Gute Nacht, Mauritz.“